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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der neue Merlin.

sich ja ein blitzschnelles stummes Verständnis. Während dieser ganzen Unter¬
redung blickte ich unausgesetzt nicht Signora Gabriel!" selbst, aber ein Bildnis
von ihr in reicher Tracht des siebzehnten Jahrhunderts an, das an der Wand
des Saales hing. Sie kennen das Bild, Signor Fedcrigo, ich werde es Ihnen,
solange ich lebe, danken, daß Sie dasselbe in meine Hände gebracht haben. Und
die schärfsten Blicke der mißtrauischen Vettern konnten in mir nichts mehr ent¬
decken als einen Prvvinzialcdelmaun, der sich dem stolzen Hause und der großen
Dame gegenüber nicht recht heimisch fühle. Sie konnten nicht ahnen, daß mitten
durch die fremden, steifen Worte, die ich mit Gabriella wechselte, ein warmer
Hauch süßen Einverständnisses ging, daß uns der Zmaug plötzlich eine Freiheit
gab, zu der wir wohl sonst erst nach langer Zeit gediehen wären. Die halbe
Stunde eines ganz formellen Besuches, eines gepreßten Gespräches schloß ein
geheimes seliges Leben ein, und als ich die Treppe des Palazzo Parmi hinab¬
schritt, da wußte ich, daß mein Hoffen auf ein Wunder in der Wunderstadt
mehr als ein Knabentraum gewesen sei!

In der "Citta ti Ragusa," bei deren Nennung die Vetter" der holden
Gabriella vornehm gelächelt hatten, ereilte mich schon zwei Stunden später ein
Brief von ihrer Hand, die ersten heilig bewahrten Zeilen! Gabriella sprach in
demselben ihren milden Tadel über mein gewagtes Kommen aus, das sie gleich¬
wohl begreifen müsse, da eine Botschaft, die mir aus ihrem Hause gesendet
worden, unverzcihlicherweise in die Hände eines Kindes gelegt worden sei, das
mich in San Giorgio nicht erkannt und gefunden habe. Sie schrieb, daß ich
ihre Lage nicht völlig verstehen könne, wenn ich aber jene reine Teilnahme für
sie fühle, die sie aus meinen Augen zu lesen glaube, so müßte ich zunächst alles
thun, den schon erweckten Verdacht ihrer Vetter zu zerstreuen. Sie bat mich,
da ihre Cainerieca im Solde eben der Herren stehe, die ich vorhin getroffen,
da jedenfalls jeder meiner Schritte überwacht werde, weder mehr zum Palazzo
Pariui noch nach der Kirche Sau Giorgio zu kommen, sondern am nächsten
Morgen, wie ich es gesagt, mit dem Postschiff nach Mestrc hinüberzugehen,
und den Anschein zu wecken, daß ich wirklich auf dem Wege nach Padua sei.
Wolle ich ihr zu Liebe einen Umweg nicht scheuen, so bitte sie mich, den einen
Tag in Mestre zu verweilen, am Morgen des nächsten Tages in Campaltv eine
Barke zu mieten und wieder zu Fra Vartolvmev ans Torecllo hinüberzu-
kommen, zu dem sie gehen dürfe, ohne den Argwohn ihrer Verwandten auf sich
zu lenken. Ich solle ihr keine Botschaft senden, die leicht in falsche Hände fallen
könne, sie werde am Morgen des zweiten Tages nach der Messe ihre Gondel
nach Toreello lenken lassen und es Gott anheimstellen, ob sie mir dort noch
ein Wort sagen könne oder nicht.

Ich prägte nur jede Silbe des teuern Briefes wie die Worte eines Gebets
ein, lind obschon ich von der Gefahr, welche es für eine schöne Herrin hatte,
mich in ihrem Hause zu sehen, eigentlich nichts begriff, so wollte ich treulich


Der neue Merlin.

sich ja ein blitzschnelles stummes Verständnis. Während dieser ganzen Unter¬
redung blickte ich unausgesetzt nicht Signora Gabriel!« selbst, aber ein Bildnis
von ihr in reicher Tracht des siebzehnten Jahrhunderts an, das an der Wand
des Saales hing. Sie kennen das Bild, Signor Fedcrigo, ich werde es Ihnen,
solange ich lebe, danken, daß Sie dasselbe in meine Hände gebracht haben. Und
die schärfsten Blicke der mißtrauischen Vettern konnten in mir nichts mehr ent¬
decken als einen Prvvinzialcdelmaun, der sich dem stolzen Hause und der großen
Dame gegenüber nicht recht heimisch fühle. Sie konnten nicht ahnen, daß mitten
durch die fremden, steifen Worte, die ich mit Gabriella wechselte, ein warmer
Hauch süßen Einverständnisses ging, daß uns der Zmaug plötzlich eine Freiheit
gab, zu der wir wohl sonst erst nach langer Zeit gediehen wären. Die halbe
Stunde eines ganz formellen Besuches, eines gepreßten Gespräches schloß ein
geheimes seliges Leben ein, und als ich die Treppe des Palazzo Parmi hinab¬
schritt, da wußte ich, daß mein Hoffen auf ein Wunder in der Wunderstadt
mehr als ein Knabentraum gewesen sei!

In der „Citta ti Ragusa," bei deren Nennung die Vetter» der holden
Gabriella vornehm gelächelt hatten, ereilte mich schon zwei Stunden später ein
Brief von ihrer Hand, die ersten heilig bewahrten Zeilen! Gabriella sprach in
demselben ihren milden Tadel über mein gewagtes Kommen aus, das sie gleich¬
wohl begreifen müsse, da eine Botschaft, die mir aus ihrem Hause gesendet
worden, unverzcihlicherweise in die Hände eines Kindes gelegt worden sei, das
mich in San Giorgio nicht erkannt und gefunden habe. Sie schrieb, daß ich
ihre Lage nicht völlig verstehen könne, wenn ich aber jene reine Teilnahme für
sie fühle, die sie aus meinen Augen zu lesen glaube, so müßte ich zunächst alles
thun, den schon erweckten Verdacht ihrer Vetter zu zerstreuen. Sie bat mich,
da ihre Cainerieca im Solde eben der Herren stehe, die ich vorhin getroffen,
da jedenfalls jeder meiner Schritte überwacht werde, weder mehr zum Palazzo
Pariui noch nach der Kirche Sau Giorgio zu kommen, sondern am nächsten
Morgen, wie ich es gesagt, mit dem Postschiff nach Mestrc hinüberzugehen,
und den Anschein zu wecken, daß ich wirklich auf dem Wege nach Padua sei.
Wolle ich ihr zu Liebe einen Umweg nicht scheuen, so bitte sie mich, den einen
Tag in Mestre zu verweilen, am Morgen des nächsten Tages in Campaltv eine
Barke zu mieten und wieder zu Fra Vartolvmev ans Torecllo hinüberzu-
kommen, zu dem sie gehen dürfe, ohne den Argwohn ihrer Verwandten auf sich
zu lenken. Ich solle ihr keine Botschaft senden, die leicht in falsche Hände fallen
könne, sie werde am Morgen des zweiten Tages nach der Messe ihre Gondel
nach Toreello lenken lassen und es Gott anheimstellen, ob sie mir dort noch
ein Wort sagen könne oder nicht.

Ich prägte nur jede Silbe des teuern Briefes wie die Worte eines Gebets
ein, lind obschon ich von der Gefahr, welche es für eine schöne Herrin hatte,
mich in ihrem Hause zu sehen, eigentlich nichts begriff, so wollte ich treulich


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[0698] Der neue Merlin. sich ja ein blitzschnelles stummes Verständnis. Während dieser ganzen Unter¬ redung blickte ich unausgesetzt nicht Signora Gabriel!« selbst, aber ein Bildnis von ihr in reicher Tracht des siebzehnten Jahrhunderts an, das an der Wand des Saales hing. Sie kennen das Bild, Signor Fedcrigo, ich werde es Ihnen, solange ich lebe, danken, daß Sie dasselbe in meine Hände gebracht haben. Und die schärfsten Blicke der mißtrauischen Vettern konnten in mir nichts mehr ent¬ decken als einen Prvvinzialcdelmaun, der sich dem stolzen Hause und der großen Dame gegenüber nicht recht heimisch fühle. Sie konnten nicht ahnen, daß mitten durch die fremden, steifen Worte, die ich mit Gabriella wechselte, ein warmer Hauch süßen Einverständnisses ging, daß uns der Zmaug plötzlich eine Freiheit gab, zu der wir wohl sonst erst nach langer Zeit gediehen wären. Die halbe Stunde eines ganz formellen Besuches, eines gepreßten Gespräches schloß ein geheimes seliges Leben ein, und als ich die Treppe des Palazzo Parmi hinab¬ schritt, da wußte ich, daß mein Hoffen auf ein Wunder in der Wunderstadt mehr als ein Knabentraum gewesen sei! In der „Citta ti Ragusa," bei deren Nennung die Vetter» der holden Gabriella vornehm gelächelt hatten, ereilte mich schon zwei Stunden später ein Brief von ihrer Hand, die ersten heilig bewahrten Zeilen! Gabriella sprach in demselben ihren milden Tadel über mein gewagtes Kommen aus, das sie gleich¬ wohl begreifen müsse, da eine Botschaft, die mir aus ihrem Hause gesendet worden, unverzcihlicherweise in die Hände eines Kindes gelegt worden sei, das mich in San Giorgio nicht erkannt und gefunden habe. Sie schrieb, daß ich ihre Lage nicht völlig verstehen könne, wenn ich aber jene reine Teilnahme für sie fühle, die sie aus meinen Augen zu lesen glaube, so müßte ich zunächst alles thun, den schon erweckten Verdacht ihrer Vetter zu zerstreuen. Sie bat mich, da ihre Cainerieca im Solde eben der Herren stehe, die ich vorhin getroffen, da jedenfalls jeder meiner Schritte überwacht werde, weder mehr zum Palazzo Pariui noch nach der Kirche Sau Giorgio zu kommen, sondern am nächsten Morgen, wie ich es gesagt, mit dem Postschiff nach Mestrc hinüberzugehen, und den Anschein zu wecken, daß ich wirklich auf dem Wege nach Padua sei. Wolle ich ihr zu Liebe einen Umweg nicht scheuen, so bitte sie mich, den einen Tag in Mestre zu verweilen, am Morgen des nächsten Tages in Campaltv eine Barke zu mieten und wieder zu Fra Vartolvmev ans Torecllo hinüberzu- kommen, zu dem sie gehen dürfe, ohne den Argwohn ihrer Verwandten auf sich zu lenken. Ich solle ihr keine Botschaft senden, die leicht in falsche Hände fallen könne, sie werde am Morgen des zweiten Tages nach der Messe ihre Gondel nach Toreello lenken lassen und es Gott anheimstellen, ob sie mir dort noch ein Wort sagen könne oder nicht. Ich prägte nur jede Silbe des teuern Briefes wie die Worte eines Gebets ein, lind obschon ich von der Gefahr, welche es für eine schöne Herrin hatte, mich in ihrem Hause zu sehen, eigentlich nichts begriff, so wollte ich treulich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/698>, abgerufen am 28.07.2024.