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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der neue Merlin.

Besinnen "och Halten mehr für mich -- ich schritt am Kanal hinab, bis ich
auf den nächsten Gondolier traf und in sein Fahrzeug sprang mit dem Befehle,
mich nach Pnlazzo Parmi-Spinelli zu bringen. Unterwegs nahm ich wohl
wahr, daß es ein zerlumpter Kerl und eine schäbige Gondel seien, mit denen
ich da Auffahrt halten wollte, und flüchtig fiel mir ein, daß man sich zum
ersten Besuch in einem großen Hause Wohl etwas sorgfältiger kleide, als ich
gekleidet war! Doch gleichviel, mich kümmerte nur das eine, daß ich Gabriel!"
Parmi sehen wolle, sehen müsse! Und ich trat in die wunderbare, mit farben¬
glänzenden Bildern des Tintoretto in breiten, halbgebräunteu Gvldrahmen, mit
vermorschten Türkenfahucn und verrosteten Waffen geschmückte Halle, ich ging,
da sich kein Mensch zeigte, die große Treppe empor und traf endlich vor der
Thür zu einem Empfangssaal den Diener, den Sie kennen und den vierzig Jahre
ans einem jungen zu einem recht alten Manne gemacht habe". Er sah ver¬
wundert in mein fremdes Gesicht, da ich jedoch ruhig meinen Namen nannte,
ging er, seiner Herrin den Signor Felice Constantini zu melden und öffnete
mir gleich darauf die Thür. Ich trat ein und pries Gott, daß die Riesenfenster
trotz der schweren rotscidnen Vorhänge Licht genug in den graßen hohen Raum
fallen ließen, um sofort die Herrin meines Herzens, die sich, befangen und
bleicher als ich sie sonst gesehen hatte, ein wenig von ihrem Sessel erhob, zu
erkennen. Zugleich nahm ich auch zwei junge wohlgekleidete Männer wahr,
die sich in ihrer Gesellschaft befanden. Sie betrachteten mich mit einer gewissen
höhnischen Spannung, welche durch die stumme Begrüßung nur flüchtig verdeckt
und durch mein unsicheres Vorschreiten wahrlich nicht gemindert ward. Ich
brachte nur das Wort Signora hervor, das halb fragend klang und ihr einen
glücklichen Anhalt gab. Indem sie mir mit einem leichten Emporziehen der
Augenbrauen blitzschnell, kaum merklich, ein Zeichen machte, sprach sie mich an
wie einen Menschen, den man das erstemal im Leben sieht und über dessen
Persönlichkeit mau nicht völlig gewiß ist: Signor Felice Constantini von
Ragusa? -- Sie haben mir Briefe von meinen Verwandten in Spalato gebracht,
Sie gehen zu Ihren Studien nach Padua und können sich nur kurz in Venedig
aufhalten? Ich bedaure sehr, daß ich heute nicht die Ehre haben kann, Sie
zu meinem Prcmzo zu sehen -- wenn Sie jedoch bis morgen hier verweilen --

Ich verstand den zögernden Accent in ihren letzten Worten gut genng,
es galt, die gespannt drcinblickendcn Vettern zu täuschen. Ich sprach so kühl
und leicht, als ich es vermochte, mein Bedauern ans, morgen mit dem Frühesten
aus Venedig abreisen zu müssen, nahm den dargebotenen Sessel mit so sicht¬
licher Fremdheit, nannte auf Befragen den Namen des Hotels, wo ich abge¬
stiegen sei, bemerkte, daß ich noch einige andre Besuche in Venedig abzustatten
habe, und lehnte schließlich selbst die zu meiner Verfügung gestellte Loge im
Teatro Goldoni ab, die mir Signora Gabriella anbot. Ich wußte nicht ganz
sicher, ob ich das Rechte getroffen, aber in Fällen, wie der unsre war, entfaltet


Der neue Merlin.

Besinnen »och Halten mehr für mich — ich schritt am Kanal hinab, bis ich
auf den nächsten Gondolier traf und in sein Fahrzeug sprang mit dem Befehle,
mich nach Pnlazzo Parmi-Spinelli zu bringen. Unterwegs nahm ich wohl
wahr, daß es ein zerlumpter Kerl und eine schäbige Gondel seien, mit denen
ich da Auffahrt halten wollte, und flüchtig fiel mir ein, daß man sich zum
ersten Besuch in einem großen Hause Wohl etwas sorgfältiger kleide, als ich
gekleidet war! Doch gleichviel, mich kümmerte nur das eine, daß ich Gabriel!«
Parmi sehen wolle, sehen müsse! Und ich trat in die wunderbare, mit farben¬
glänzenden Bildern des Tintoretto in breiten, halbgebräunteu Gvldrahmen, mit
vermorschten Türkenfahucn und verrosteten Waffen geschmückte Halle, ich ging,
da sich kein Mensch zeigte, die große Treppe empor und traf endlich vor der
Thür zu einem Empfangssaal den Diener, den Sie kennen und den vierzig Jahre
ans einem jungen zu einem recht alten Manne gemacht habe». Er sah ver¬
wundert in mein fremdes Gesicht, da ich jedoch ruhig meinen Namen nannte,
ging er, seiner Herrin den Signor Felice Constantini zu melden und öffnete
mir gleich darauf die Thür. Ich trat ein und pries Gott, daß die Riesenfenster
trotz der schweren rotscidnen Vorhänge Licht genug in den graßen hohen Raum
fallen ließen, um sofort die Herrin meines Herzens, die sich, befangen und
bleicher als ich sie sonst gesehen hatte, ein wenig von ihrem Sessel erhob, zu
erkennen. Zugleich nahm ich auch zwei junge wohlgekleidete Männer wahr,
die sich in ihrer Gesellschaft befanden. Sie betrachteten mich mit einer gewissen
höhnischen Spannung, welche durch die stumme Begrüßung nur flüchtig verdeckt
und durch mein unsicheres Vorschreiten wahrlich nicht gemindert ward. Ich
brachte nur das Wort Signora hervor, das halb fragend klang und ihr einen
glücklichen Anhalt gab. Indem sie mir mit einem leichten Emporziehen der
Augenbrauen blitzschnell, kaum merklich, ein Zeichen machte, sprach sie mich an
wie einen Menschen, den man das erstemal im Leben sieht und über dessen
Persönlichkeit mau nicht völlig gewiß ist: Signor Felice Constantini von
Ragusa? — Sie haben mir Briefe von meinen Verwandten in Spalato gebracht,
Sie gehen zu Ihren Studien nach Padua und können sich nur kurz in Venedig
aufhalten? Ich bedaure sehr, daß ich heute nicht die Ehre haben kann, Sie
zu meinem Prcmzo zu sehen — wenn Sie jedoch bis morgen hier verweilen —

Ich verstand den zögernden Accent in ihren letzten Worten gut genng,
es galt, die gespannt drcinblickendcn Vettern zu täuschen. Ich sprach so kühl
und leicht, als ich es vermochte, mein Bedauern ans, morgen mit dem Frühesten
aus Venedig abreisen zu müssen, nahm den dargebotenen Sessel mit so sicht¬
licher Fremdheit, nannte auf Befragen den Namen des Hotels, wo ich abge¬
stiegen sei, bemerkte, daß ich noch einige andre Besuche in Venedig abzustatten
habe, und lehnte schließlich selbst die zu meiner Verfügung gestellte Loge im
Teatro Goldoni ab, die mir Signora Gabriella anbot. Ich wußte nicht ganz
sicher, ob ich das Rechte getroffen, aber in Fällen, wie der unsre war, entfaltet


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[0697] Der neue Merlin. Besinnen »och Halten mehr für mich — ich schritt am Kanal hinab, bis ich auf den nächsten Gondolier traf und in sein Fahrzeug sprang mit dem Befehle, mich nach Pnlazzo Parmi-Spinelli zu bringen. Unterwegs nahm ich wohl wahr, daß es ein zerlumpter Kerl und eine schäbige Gondel seien, mit denen ich da Auffahrt halten wollte, und flüchtig fiel mir ein, daß man sich zum ersten Besuch in einem großen Hause Wohl etwas sorgfältiger kleide, als ich gekleidet war! Doch gleichviel, mich kümmerte nur das eine, daß ich Gabriel!« Parmi sehen wolle, sehen müsse! Und ich trat in die wunderbare, mit farben¬ glänzenden Bildern des Tintoretto in breiten, halbgebräunteu Gvldrahmen, mit vermorschten Türkenfahucn und verrosteten Waffen geschmückte Halle, ich ging, da sich kein Mensch zeigte, die große Treppe empor und traf endlich vor der Thür zu einem Empfangssaal den Diener, den Sie kennen und den vierzig Jahre ans einem jungen zu einem recht alten Manne gemacht habe». Er sah ver¬ wundert in mein fremdes Gesicht, da ich jedoch ruhig meinen Namen nannte, ging er, seiner Herrin den Signor Felice Constantini zu melden und öffnete mir gleich darauf die Thür. Ich trat ein und pries Gott, daß die Riesenfenster trotz der schweren rotscidnen Vorhänge Licht genug in den graßen hohen Raum fallen ließen, um sofort die Herrin meines Herzens, die sich, befangen und bleicher als ich sie sonst gesehen hatte, ein wenig von ihrem Sessel erhob, zu erkennen. Zugleich nahm ich auch zwei junge wohlgekleidete Männer wahr, die sich in ihrer Gesellschaft befanden. Sie betrachteten mich mit einer gewissen höhnischen Spannung, welche durch die stumme Begrüßung nur flüchtig verdeckt und durch mein unsicheres Vorschreiten wahrlich nicht gemindert ward. Ich brachte nur das Wort Signora hervor, das halb fragend klang und ihr einen glücklichen Anhalt gab. Indem sie mir mit einem leichten Emporziehen der Augenbrauen blitzschnell, kaum merklich, ein Zeichen machte, sprach sie mich an wie einen Menschen, den man das erstemal im Leben sieht und über dessen Persönlichkeit mau nicht völlig gewiß ist: Signor Felice Constantini von Ragusa? — Sie haben mir Briefe von meinen Verwandten in Spalato gebracht, Sie gehen zu Ihren Studien nach Padua und können sich nur kurz in Venedig aufhalten? Ich bedaure sehr, daß ich heute nicht die Ehre haben kann, Sie zu meinem Prcmzo zu sehen — wenn Sie jedoch bis morgen hier verweilen — Ich verstand den zögernden Accent in ihren letzten Worten gut genng, es galt, die gespannt drcinblickendcn Vettern zu täuschen. Ich sprach so kühl und leicht, als ich es vermochte, mein Bedauern ans, morgen mit dem Frühesten aus Venedig abreisen zu müssen, nahm den dargebotenen Sessel mit so sicht¬ licher Fremdheit, nannte auf Befragen den Namen des Hotels, wo ich abge¬ stiegen sei, bemerkte, daß ich noch einige andre Besuche in Venedig abzustatten habe, und lehnte schließlich selbst die zu meiner Verfügung gestellte Loge im Teatro Goldoni ab, die mir Signora Gabriella anbot. Ich wußte nicht ganz sicher, ob ich das Rechte getroffen, aber in Fällen, wie der unsre war, entfaltet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/697>, abgerufen am 28.07.2024.