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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Neue Gedichte,

trugen teils vor kurzem besprochen sind, teils in anderen Zusammenhange zu
besprechen sein werden, so mag es genügen, hier auf ihr Erscheinen hinzu-
meiscn, Gedichte älterer Poeten haben wir in Agnes, Liebeslieder und Ge-
dankendichtnngcn von Moriz Carriere (Leipzig, F, A, Brockhaus), und in
Licht und Leben Gedichte von Oswald Marbach (Leipzig, Bruno Zendel)
vor uns. Die Sammlung des erstgenannten philosophischen Ästhetikers ist ein
Buch der Erinnerung. Der Dichter protestirt ausdrücklich dagegen, sich mit
seinen poetischen Gaben an ein fremdes Publikum zu wenden. Als er im
Dezember 1862 seine geliebte Frau, des großen Justus Liebig Tochter, verlor,
stellte er ein kleines Heft seiner Jugendgedichte an die Frühverklürte zusammen.
"Ich habe in dasselbe später hineingelegt, was mir erhaltenswert schien von
den Jngendliedern, die ich ihr zum Brautgeschenk gegeben; ich reihte Gedcinken-
dichtuugen an, die den Jdeenkreis bezeichnen, in welchem wir uns mit einander
bewegt; ich fügte dann auch Worte in gebundener Rede hinzu, die ich in neuerer
Zeit bei festlichen Gelegenheiten vorgetragen, da sie im Hinblick auf die Früh¬
verklärte niedergeschrieben waren. So sollten die Verse unter dem Schilde
ihres Namens vereint "ach meinem Tode gedruckt und Befreundeten zum An¬
denken mitgeteilt werden. Als ich aber in diesem Jahre (1882) wieder nach
einer Augenoperation fünf Tage und Nächte ruhig im Dunkeln lag und mein
Leben überdachte, da gewahrte ich mit Wehmut, wie so manche und gerade der
Vertrauteren, denen ich diesen Einblick in mein Seelenleben gewähren wollte,
vor mir dahingegangen, und so entschloß ich mich, das Büchlein den Mit¬
te deuten selbst als Weihnachtsgruß zu senden. Wenn die Gedichte aus dieser
Sphäre hinaus in die Öffentlichkeit gelangen, so richten sie sich doch nur an
Gleichgesinnte; sie wenden sich an solche, die mir persönliche Teilnahme zollen,
ohne von Angesicht zu Angesicht bekannt zu sein." Die Kritik hat diesen
Wunsch des greisen und vielverdienten Gelehrten zu ehren. Das aber darf
sie wohl betonen, daß das Eigentümliche und Selbständige dieses Bändchens
Gedichte durchaus auf der Seite der Gedankendichtuug liegt. Auch in seinen
Herzensergießungen bleibt der Verfasser der Neigung treu, die subjektive Em¬
pfindung zu einer allgemeinen Wahrheit zu erheben oder mit einer solchen zu
verknüpfen. Er selbst spricht das in dem wunderbar innigen und edlen "Nach¬
ruf" an seine geliebte Tote vom Neujahr 1863 aus, er bleibt eben überall der
Priester jener philosophischen Weltanschauung, die er in früher Jugend in seinen
"Religiösen Reden und Betrachtungen," in späterer Zeit in dem Buche "Die
sittliche Weltordnung" dargelegt hat, die Gedichte sind nur Variationen zu dem
Grundthema eben dieser Anschauung. -- In Licht und Leben von Oswald
Marbach haben wir vor allem die männliche Gesinnung zu ehren, die, durch
die Erscheinungen und Forderungen des Tages unbeirrt, in Weltleben, Zeitlebe",
Kunstleben und Seelenleben die Begeisterung für ideale Güter "ut ideales
Streben festhält, die das uralte Credo der Hoffnung und der fromme" Fügung,


Neue Gedichte,

trugen teils vor kurzem besprochen sind, teils in anderen Zusammenhange zu
besprechen sein werden, so mag es genügen, hier auf ihr Erscheinen hinzu-
meiscn, Gedichte älterer Poeten haben wir in Agnes, Liebeslieder und Ge-
dankendichtnngcn von Moriz Carriere (Leipzig, F, A, Brockhaus), und in
Licht und Leben Gedichte von Oswald Marbach (Leipzig, Bruno Zendel)
vor uns. Die Sammlung des erstgenannten philosophischen Ästhetikers ist ein
Buch der Erinnerung. Der Dichter protestirt ausdrücklich dagegen, sich mit
seinen poetischen Gaben an ein fremdes Publikum zu wenden. Als er im
Dezember 1862 seine geliebte Frau, des großen Justus Liebig Tochter, verlor,
stellte er ein kleines Heft seiner Jugendgedichte an die Frühverklürte zusammen.
„Ich habe in dasselbe später hineingelegt, was mir erhaltenswert schien von
den Jngendliedern, die ich ihr zum Brautgeschenk gegeben; ich reihte Gedcinken-
dichtuugen an, die den Jdeenkreis bezeichnen, in welchem wir uns mit einander
bewegt; ich fügte dann auch Worte in gebundener Rede hinzu, die ich in neuerer
Zeit bei festlichen Gelegenheiten vorgetragen, da sie im Hinblick auf die Früh¬
verklärte niedergeschrieben waren. So sollten die Verse unter dem Schilde
ihres Namens vereint »ach meinem Tode gedruckt und Befreundeten zum An¬
denken mitgeteilt werden. Als ich aber in diesem Jahre (1882) wieder nach
einer Augenoperation fünf Tage und Nächte ruhig im Dunkeln lag und mein
Leben überdachte, da gewahrte ich mit Wehmut, wie so manche und gerade der
Vertrauteren, denen ich diesen Einblick in mein Seelenleben gewähren wollte,
vor mir dahingegangen, und so entschloß ich mich, das Büchlein den Mit¬
te deuten selbst als Weihnachtsgruß zu senden. Wenn die Gedichte aus dieser
Sphäre hinaus in die Öffentlichkeit gelangen, so richten sie sich doch nur an
Gleichgesinnte; sie wenden sich an solche, die mir persönliche Teilnahme zollen,
ohne von Angesicht zu Angesicht bekannt zu sein." Die Kritik hat diesen
Wunsch des greisen und vielverdienten Gelehrten zu ehren. Das aber darf
sie wohl betonen, daß das Eigentümliche und Selbständige dieses Bändchens
Gedichte durchaus auf der Seite der Gedankendichtuug liegt. Auch in seinen
Herzensergießungen bleibt der Verfasser der Neigung treu, die subjektive Em¬
pfindung zu einer allgemeinen Wahrheit zu erheben oder mit einer solchen zu
verknüpfen. Er selbst spricht das in dem wunderbar innigen und edlen „Nach¬
ruf" an seine geliebte Tote vom Neujahr 1863 aus, er bleibt eben überall der
Priester jener philosophischen Weltanschauung, die er in früher Jugend in seinen
„Religiösen Reden und Betrachtungen," in späterer Zeit in dem Buche „Die
sittliche Weltordnung" dargelegt hat, die Gedichte sind nur Variationen zu dem
Grundthema eben dieser Anschauung. — In Licht und Leben von Oswald
Marbach haben wir vor allem die männliche Gesinnung zu ehren, die, durch
die Erscheinungen und Forderungen des Tages unbeirrt, in Weltleben, Zeitlebe»,
Kunstleben und Seelenleben die Begeisterung für ideale Güter »ut ideales
Streben festhält, die das uralte Credo der Hoffnung und der fromme» Fügung,


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[0688] Neue Gedichte, trugen teils vor kurzem besprochen sind, teils in anderen Zusammenhange zu besprechen sein werden, so mag es genügen, hier auf ihr Erscheinen hinzu- meiscn, Gedichte älterer Poeten haben wir in Agnes, Liebeslieder und Ge- dankendichtnngcn von Moriz Carriere (Leipzig, F, A, Brockhaus), und in Licht und Leben Gedichte von Oswald Marbach (Leipzig, Bruno Zendel) vor uns. Die Sammlung des erstgenannten philosophischen Ästhetikers ist ein Buch der Erinnerung. Der Dichter protestirt ausdrücklich dagegen, sich mit seinen poetischen Gaben an ein fremdes Publikum zu wenden. Als er im Dezember 1862 seine geliebte Frau, des großen Justus Liebig Tochter, verlor, stellte er ein kleines Heft seiner Jugendgedichte an die Frühverklürte zusammen. „Ich habe in dasselbe später hineingelegt, was mir erhaltenswert schien von den Jngendliedern, die ich ihr zum Brautgeschenk gegeben; ich reihte Gedcinken- dichtuugen an, die den Jdeenkreis bezeichnen, in welchem wir uns mit einander bewegt; ich fügte dann auch Worte in gebundener Rede hinzu, die ich in neuerer Zeit bei festlichen Gelegenheiten vorgetragen, da sie im Hinblick auf die Früh¬ verklärte niedergeschrieben waren. So sollten die Verse unter dem Schilde ihres Namens vereint »ach meinem Tode gedruckt und Befreundeten zum An¬ denken mitgeteilt werden. Als ich aber in diesem Jahre (1882) wieder nach einer Augenoperation fünf Tage und Nächte ruhig im Dunkeln lag und mein Leben überdachte, da gewahrte ich mit Wehmut, wie so manche und gerade der Vertrauteren, denen ich diesen Einblick in mein Seelenleben gewähren wollte, vor mir dahingegangen, und so entschloß ich mich, das Büchlein den Mit¬ te deuten selbst als Weihnachtsgruß zu senden. Wenn die Gedichte aus dieser Sphäre hinaus in die Öffentlichkeit gelangen, so richten sie sich doch nur an Gleichgesinnte; sie wenden sich an solche, die mir persönliche Teilnahme zollen, ohne von Angesicht zu Angesicht bekannt zu sein." Die Kritik hat diesen Wunsch des greisen und vielverdienten Gelehrten zu ehren. Das aber darf sie wohl betonen, daß das Eigentümliche und Selbständige dieses Bändchens Gedichte durchaus auf der Seite der Gedankendichtuug liegt. Auch in seinen Herzensergießungen bleibt der Verfasser der Neigung treu, die subjektive Em¬ pfindung zu einer allgemeinen Wahrheit zu erheben oder mit einer solchen zu verknüpfen. Er selbst spricht das in dem wunderbar innigen und edlen „Nach¬ ruf" an seine geliebte Tote vom Neujahr 1863 aus, er bleibt eben überall der Priester jener philosophischen Weltanschauung, die er in früher Jugend in seinen „Religiösen Reden und Betrachtungen," in späterer Zeit in dem Buche „Die sittliche Weltordnung" dargelegt hat, die Gedichte sind nur Variationen zu dem Grundthema eben dieser Anschauung. — In Licht und Leben von Oswald Marbach haben wir vor allem die männliche Gesinnung zu ehren, die, durch die Erscheinungen und Forderungen des Tages unbeirrt, in Weltleben, Zeitlebe», Kunstleben und Seelenleben die Begeisterung für ideale Güter »ut ideales Streben festhält, die das uralte Credo der Hoffnung und der fromme» Fügung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/688>, abgerufen am 28.07.2024.