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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die Entstehung des Faust,

Teil Von ihrem Schaffen schauen und als ein stärkerer Teil der schaffenden
Kraft ein erhöhtes Gefühl des Schaffens genießen. Der Erdgeist wirft ihm
ein Rätselwort zu, indem er ihm die Erfüllung dieses beschränkteren Wunsches
zwar nicht geradezu verweigert, aber es stark ausdrückt, daß er nnr widerwillig
einem Verlangen nachgebe, das, weil ohne wahres Ziel, eine Thorheit enthalte,
eine Thorheit, die für Faust ohne wahre Befriedigung, dafür aber von unge¬
ahnter Gefahr begleitet sei.

Hier endete im ersten Faustgedicht die Szene im Studirzimmer, Ich möchte
einige Worte über das Gespräch mit Wagner hinzufügen. Die Äußerungen,
die Faust auf Wagners Fragen in der unwirscher Tonart eines zur ungelegensten
Stunde von einer Offenbarung Hinweggerissenen thut, sind als geflügelte Worte
das Eigentum aller gebildeten Nationen geworden. Man kann die Beliebtheit
dieser prächtig ausgedrückten Weisheit verstehen. Mir wird die Freude daran
erhöht, indem ich empfinde, daß es die Weisheit des Jünglingsinnndes, ähnlich
der Weisheit des göttlichen Kindes im Tempel ist. Schon das Mannesalter
hätte für diese Weisheit, die es nicht bestreitet, gleichwohl nicht das kräftige
Pathos. In der Äußerung über den Geist der Zeiten ist die damalige Schranke
Fausts ausgedrückt, der Dichter aber, der sich und seinen Faust von so vielen
Schranken von Jahr zu Jahr befreite, hat die Freiheit von dieser Schranke nie¬
mals recht "vollen gelten lassen, obwohl er es selbst gewesen, der in die Zeiten
der Vergangenheit mehr als einen großen Blick gethan.

Eine andre Äußerung ist merkwürdig, weil sie, obwohl ohne Zweifel dem
ersten Erguß der Anfangsszene aus dem Geiste des Dichters angehörig, zeigt,
daß Faust unwillkürlich, der Dichter von Anfang mit Bewußtsein den Weg
sah, der aus Fausts Verzweiflung am Wissen herausführen würde. Ich meine
die Worte:


Das Pergament, ist das der heilge Bronnen,
Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
Erquickung hast du uicht gewonnen,
Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.

Auf die Szene im Studirzimmer folgt in der ersten Faustgestalt der
Osterspciziergcmg. Doch war der Schluß desselben anders gestaltet, wofür
einen ich urkundlichen Anhalt zu haben oder vielmehr gehabt zu haben glaube.
Ich komme hier dem Leser gegenüber beinahe in die Lage jenes Exami¬
nanden, der, um die Lösung eines wissenschaftlichen Problems befragt, durch
seine Antwort, daß er sie vergessen habe, das höchliche Bedauern der Exami¬
natoren erregte, welche das fragliche Problem nur als ein ungelöstes gekannt
hatten. Im Jahre 1366, kurz vor dem Ausbruch des Krieges, fand ich in
einer norddeutschen Zeitung, ohne ihn aufzubeivahren, einen irgendwo bis dahin
verborgenen Brief Boies mitgeteilt. Darin schreibt Boie über die Szene d.o


Die Entstehung des Faust,

Teil Von ihrem Schaffen schauen und als ein stärkerer Teil der schaffenden
Kraft ein erhöhtes Gefühl des Schaffens genießen. Der Erdgeist wirft ihm
ein Rätselwort zu, indem er ihm die Erfüllung dieses beschränkteren Wunsches
zwar nicht geradezu verweigert, aber es stark ausdrückt, daß er nnr widerwillig
einem Verlangen nachgebe, das, weil ohne wahres Ziel, eine Thorheit enthalte,
eine Thorheit, die für Faust ohne wahre Befriedigung, dafür aber von unge¬
ahnter Gefahr begleitet sei.

Hier endete im ersten Faustgedicht die Szene im Studirzimmer, Ich möchte
einige Worte über das Gespräch mit Wagner hinzufügen. Die Äußerungen,
die Faust auf Wagners Fragen in der unwirscher Tonart eines zur ungelegensten
Stunde von einer Offenbarung Hinweggerissenen thut, sind als geflügelte Worte
das Eigentum aller gebildeten Nationen geworden. Man kann die Beliebtheit
dieser prächtig ausgedrückten Weisheit verstehen. Mir wird die Freude daran
erhöht, indem ich empfinde, daß es die Weisheit des Jünglingsinnndes, ähnlich
der Weisheit des göttlichen Kindes im Tempel ist. Schon das Mannesalter
hätte für diese Weisheit, die es nicht bestreitet, gleichwohl nicht das kräftige
Pathos. In der Äußerung über den Geist der Zeiten ist die damalige Schranke
Fausts ausgedrückt, der Dichter aber, der sich und seinen Faust von so vielen
Schranken von Jahr zu Jahr befreite, hat die Freiheit von dieser Schranke nie¬
mals recht »vollen gelten lassen, obwohl er es selbst gewesen, der in die Zeiten
der Vergangenheit mehr als einen großen Blick gethan.

Eine andre Äußerung ist merkwürdig, weil sie, obwohl ohne Zweifel dem
ersten Erguß der Anfangsszene aus dem Geiste des Dichters angehörig, zeigt,
daß Faust unwillkürlich, der Dichter von Anfang mit Bewußtsein den Weg
sah, der aus Fausts Verzweiflung am Wissen herausführen würde. Ich meine
die Worte:


Das Pergament, ist das der heilge Bronnen,
Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
Erquickung hast du uicht gewonnen,
Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.

Auf die Szene im Studirzimmer folgt in der ersten Faustgestalt der
Osterspciziergcmg. Doch war der Schluß desselben anders gestaltet, wofür
einen ich urkundlichen Anhalt zu haben oder vielmehr gehabt zu haben glaube.
Ich komme hier dem Leser gegenüber beinahe in die Lage jenes Exami¬
nanden, der, um die Lösung eines wissenschaftlichen Problems befragt, durch
seine Antwort, daß er sie vergessen habe, das höchliche Bedauern der Exami¬
natoren erregte, welche das fragliche Problem nur als ein ungelöstes gekannt
hatten. Im Jahre 1366, kurz vor dem Ausbruch des Krieges, fand ich in
einer norddeutschen Zeitung, ohne ihn aufzubeivahren, einen irgendwo bis dahin
verborgenen Brief Boies mitgeteilt. Darin schreibt Boie über die Szene d.o


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[0671] Die Entstehung des Faust, Teil Von ihrem Schaffen schauen und als ein stärkerer Teil der schaffenden Kraft ein erhöhtes Gefühl des Schaffens genießen. Der Erdgeist wirft ihm ein Rätselwort zu, indem er ihm die Erfüllung dieses beschränkteren Wunsches zwar nicht geradezu verweigert, aber es stark ausdrückt, daß er nnr widerwillig einem Verlangen nachgebe, das, weil ohne wahres Ziel, eine Thorheit enthalte, eine Thorheit, die für Faust ohne wahre Befriedigung, dafür aber von unge¬ ahnter Gefahr begleitet sei. Hier endete im ersten Faustgedicht die Szene im Studirzimmer, Ich möchte einige Worte über das Gespräch mit Wagner hinzufügen. Die Äußerungen, die Faust auf Wagners Fragen in der unwirscher Tonart eines zur ungelegensten Stunde von einer Offenbarung Hinweggerissenen thut, sind als geflügelte Worte das Eigentum aller gebildeten Nationen geworden. Man kann die Beliebtheit dieser prächtig ausgedrückten Weisheit verstehen. Mir wird die Freude daran erhöht, indem ich empfinde, daß es die Weisheit des Jünglingsinnndes, ähnlich der Weisheit des göttlichen Kindes im Tempel ist. Schon das Mannesalter hätte für diese Weisheit, die es nicht bestreitet, gleichwohl nicht das kräftige Pathos. In der Äußerung über den Geist der Zeiten ist die damalige Schranke Fausts ausgedrückt, der Dichter aber, der sich und seinen Faust von so vielen Schranken von Jahr zu Jahr befreite, hat die Freiheit von dieser Schranke nie¬ mals recht »vollen gelten lassen, obwohl er es selbst gewesen, der in die Zeiten der Vergangenheit mehr als einen großen Blick gethan. Eine andre Äußerung ist merkwürdig, weil sie, obwohl ohne Zweifel dem ersten Erguß der Anfangsszene aus dem Geiste des Dichters angehörig, zeigt, daß Faust unwillkürlich, der Dichter von Anfang mit Bewußtsein den Weg sah, der aus Fausts Verzweiflung am Wissen herausführen würde. Ich meine die Worte: Das Pergament, ist das der heilge Bronnen, Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt? Erquickung hast du uicht gewonnen, Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt. Auf die Szene im Studirzimmer folgt in der ersten Faustgestalt der Osterspciziergcmg. Doch war der Schluß desselben anders gestaltet, wofür einen ich urkundlichen Anhalt zu haben oder vielmehr gehabt zu haben glaube. Ich komme hier dem Leser gegenüber beinahe in die Lage jenes Exami¬ nanden, der, um die Lösung eines wissenschaftlichen Problems befragt, durch seine Antwort, daß er sie vergessen habe, das höchliche Bedauern der Exami¬ natoren erregte, welche das fragliche Problem nur als ein ungelöstes gekannt hatten. Im Jahre 1366, kurz vor dem Ausbruch des Krieges, fand ich in einer norddeutschen Zeitung, ohne ihn aufzubeivahren, einen irgendwo bis dahin verborgenen Brief Boies mitgeteilt. Darin schreibt Boie über die Szene d.o

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/671>, abgerufen am 01.09.2024.