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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die Entstehung des jaust.
von Lonstantin Rößler.
Die erste Gestalt. ^769-^775.
c. Die Komposition.

le Vorangehenden Ausführungen setzen uns in den Stand, den
Versuch einer Rekonstruktion der ersten Faustgestalt zu wagen.
Hält man mit uns die Themen der ersten Faustdichtung für
richtig erfaßt, so erscheint der Versuch garnicht mehr so schwierig.
Denn bis auf wenige Szenen ist der älteste Faustentwurf voll¬
ständig in die spätere Dichtung übergegangen.

Wir müssen zunächst die Form der Komposition ins Auge fassen, wie sie
der erste Entwurf notwendig getragen hat und wie sie, trotz aller großen Er¬
weiterungen und Umbildungen, der vollendeten Dichtung eigen geblieben ist. Der
erste Entwurf war, wie unsre nachherige Skizze zeigen wird, eine in eng cm-
einandergeschlossenen Gliedern unmittelbar und energisch fortschreitende Handlung,
aber die Glieder der Handlung waren nicht durch einen äußerlich sichtbaren
Pragmatismus verbunden. Während aber jede Szene einen scheinbar aus sich
selbst anhebenden und in sich selbst endigenden Vorgang bildete, äußerlich durch
das Vorausgehende nicht bedingt, folgten die Vorgänge innerlich auf das stetigste
auseinander bis zum Sturz in das tragische Ende. Ich glaube, daß der erste
Faust an innerlicher Geschlossenheit kein Seitenstück in unsrer dramatischen
Literatur gehabt hat, ausgenommen Emilia Galotti. In letzterer Tragödie ist
allerdings dadurch, daß die äußere und die innere Stetigkeit der Handlung sich
überall decken, die vollkommenste Einheit der Komposition hervorgebracht, die
vielleicht im ganzen Drama existirt. Die ursprüngliche Faustdichtung bedürfte
aber des äußerlichen Pragmatismus der Handlung nicht und konnte doch eine
ganz geschlossene Komposition darbieten vermöge des phantastischen Bodens,
auf welchem die Handlung steht. Das innere Hervorwachsen jedes Teiles der
Handlung aus den vorhergehenden mußte nur umso mächtiger wirken.

Der spätere Faust hat den fragmentarischen Charakter der Szenen, der in
der ersten Gestalt nur äußerlich war, behalten. Aber der späteren Dichtung
ist, wenn auch nicht jede Einheit des Fadens, so doch jedenfalls das enge orga¬
nische Band der Teile verloren gegangen, welches den ersten Entwurf durch-
drang und die eigenartige tragische Wirkung nicht wenig bedingte.

Der Dichter ist sich darüber vollkommen klar gewesen. Am 27. Juni 1797,
kurz nachdem er den Faust wiederum vorgenommen, schreibt er an Schiller:


Die Entstehung des jaust.
von Lonstantin Rößler.
Die erste Gestalt. ^769-^775.
c. Die Komposition.

le Vorangehenden Ausführungen setzen uns in den Stand, den
Versuch einer Rekonstruktion der ersten Faustgestalt zu wagen.
Hält man mit uns die Themen der ersten Faustdichtung für
richtig erfaßt, so erscheint der Versuch garnicht mehr so schwierig.
Denn bis auf wenige Szenen ist der älteste Faustentwurf voll¬
ständig in die spätere Dichtung übergegangen.

Wir müssen zunächst die Form der Komposition ins Auge fassen, wie sie
der erste Entwurf notwendig getragen hat und wie sie, trotz aller großen Er¬
weiterungen und Umbildungen, der vollendeten Dichtung eigen geblieben ist. Der
erste Entwurf war, wie unsre nachherige Skizze zeigen wird, eine in eng cm-
einandergeschlossenen Gliedern unmittelbar und energisch fortschreitende Handlung,
aber die Glieder der Handlung waren nicht durch einen äußerlich sichtbaren
Pragmatismus verbunden. Während aber jede Szene einen scheinbar aus sich
selbst anhebenden und in sich selbst endigenden Vorgang bildete, äußerlich durch
das Vorausgehende nicht bedingt, folgten die Vorgänge innerlich auf das stetigste
auseinander bis zum Sturz in das tragische Ende. Ich glaube, daß der erste
Faust an innerlicher Geschlossenheit kein Seitenstück in unsrer dramatischen
Literatur gehabt hat, ausgenommen Emilia Galotti. In letzterer Tragödie ist
allerdings dadurch, daß die äußere und die innere Stetigkeit der Handlung sich
überall decken, die vollkommenste Einheit der Komposition hervorgebracht, die
vielleicht im ganzen Drama existirt. Die ursprüngliche Faustdichtung bedürfte
aber des äußerlichen Pragmatismus der Handlung nicht und konnte doch eine
ganz geschlossene Komposition darbieten vermöge des phantastischen Bodens,
auf welchem die Handlung steht. Das innere Hervorwachsen jedes Teiles der
Handlung aus den vorhergehenden mußte nur umso mächtiger wirken.

Der spätere Faust hat den fragmentarischen Charakter der Szenen, der in
der ersten Gestalt nur äußerlich war, behalten. Aber der späteren Dichtung
ist, wenn auch nicht jede Einheit des Fadens, so doch jedenfalls das enge orga¬
nische Band der Teile verloren gegangen, welches den ersten Entwurf durch-
drang und die eigenartige tragische Wirkung nicht wenig bedingte.

Der Dichter ist sich darüber vollkommen klar gewesen. Am 27. Juni 1797,
kurz nachdem er den Faust wiederum vorgenommen, schreibt er an Schiller:


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[0669] Die Entstehung des jaust. von Lonstantin Rößler. Die erste Gestalt. ^769-^775. c. Die Komposition. le Vorangehenden Ausführungen setzen uns in den Stand, den Versuch einer Rekonstruktion der ersten Faustgestalt zu wagen. Hält man mit uns die Themen der ersten Faustdichtung für richtig erfaßt, so erscheint der Versuch garnicht mehr so schwierig. Denn bis auf wenige Szenen ist der älteste Faustentwurf voll¬ ständig in die spätere Dichtung übergegangen. Wir müssen zunächst die Form der Komposition ins Auge fassen, wie sie der erste Entwurf notwendig getragen hat und wie sie, trotz aller großen Er¬ weiterungen und Umbildungen, der vollendeten Dichtung eigen geblieben ist. Der erste Entwurf war, wie unsre nachherige Skizze zeigen wird, eine in eng cm- einandergeschlossenen Gliedern unmittelbar und energisch fortschreitende Handlung, aber die Glieder der Handlung waren nicht durch einen äußerlich sichtbaren Pragmatismus verbunden. Während aber jede Szene einen scheinbar aus sich selbst anhebenden und in sich selbst endigenden Vorgang bildete, äußerlich durch das Vorausgehende nicht bedingt, folgten die Vorgänge innerlich auf das stetigste auseinander bis zum Sturz in das tragische Ende. Ich glaube, daß der erste Faust an innerlicher Geschlossenheit kein Seitenstück in unsrer dramatischen Literatur gehabt hat, ausgenommen Emilia Galotti. In letzterer Tragödie ist allerdings dadurch, daß die äußere und die innere Stetigkeit der Handlung sich überall decken, die vollkommenste Einheit der Komposition hervorgebracht, die vielleicht im ganzen Drama existirt. Die ursprüngliche Faustdichtung bedürfte aber des äußerlichen Pragmatismus der Handlung nicht und konnte doch eine ganz geschlossene Komposition darbieten vermöge des phantastischen Bodens, auf welchem die Handlung steht. Das innere Hervorwachsen jedes Teiles der Handlung aus den vorhergehenden mußte nur umso mächtiger wirken. Der spätere Faust hat den fragmentarischen Charakter der Szenen, der in der ersten Gestalt nur äußerlich war, behalten. Aber der späteren Dichtung ist, wenn auch nicht jede Einheit des Fadens, so doch jedenfalls das enge orga¬ nische Band der Teile verloren gegangen, welches den ersten Entwurf durch- drang und die eigenartige tragische Wirkung nicht wenig bedingte. Der Dichter ist sich darüber vollkommen klar gewesen. Am 27. Juni 1797, kurz nachdem er den Faust wiederum vorgenommen, schreibt er an Schiller:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/669>, abgerufen am 13.11.2024.