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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Politische Wetterfahnen.

gestellt zu werden; im August erhält das Korps zur Belohnung für seine beim
Einzuge der Verbündeten geleisteten Dienste das Lilien-Emblem am Weißen
Bande; am 18. April 1815 erneuerten dieselben Offiziere abermals dem Kaiser
ihren Eid; noch am 8. Juli erklärten sie durch Maueranschlügc, der Tricolore
treu bleiben zu wollen, und am 10. Juli nahmen sie wieder die weiße Ko¬
karde an.

Aus den poetischen und prosaischen Herzensergießungen eines Herrn A. Jah
in der Zeit von 1805 bis 1815 mögen zwei Pröbchen mit besonderer Rücksicht
auf das Datum genügen. Journal as ?Mis vom 10. März 1815: "Nach
25 Jahren unerhörter Umwälzungen und Schrecknisse atmet Frankreich endlich
auf unter einer liberalen und väterlichen Regierung." (Hier folgt die Aufzählung
der Segnungen derselben.) "Welcher böse Geist will heute soviel Glückseligkeit
stören! Was kann jener Verbannte Fremdling hoffen, welcher alle Leiden ver¬
schuldet, mit denen wir während der letzten fünfzehn Jahre überhäuft waren,
vor allem verschuldet, daß die öffentliche Freiheit angefallen und Frankreich
unter das eiserne Szepter des verabscheuungswürdigsten Despotismus gebeugt
worden ist!" .IvuriM as ?ari8 vom 7. April 1815: "Der Kaiser mit seinen
weisen Plänen für den Ruhm Frankreichs glaubte ohne Zweifel, alle Macht¬
mittel konzentriren zu müssen, um der Aktion der Regierung eine desto impo¬
santere und nnwiderstehlichere Gewalt zu verleihen. . . Nun bedenke man aber,
welche Seelengröße und Entschlossenheit dazu gehörte, eine Insel im mittel¬
ländischen Meere zu verlassen, mit zwölfhundert Mann an dem äußersten Ende
Frankreichs zu landen und mit der Schnelligkeit des Blitzes Paris zu erreichen.. .
Er ist der einzige Mensch, welcher noch die bürgerliche Freiheit in Frankreich
begründen kann. . . Umsonst würden jetzt die fremden Mächte uns bekriegen...
Die Nation und die Regierung wollen den Frieden, aber sie wollen vor allem
die Freiheit." Nach den hundert Tagen gab derselbe Jah ein Blatt heraus:
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Jourdan, bis 1784 Soldat in einem königlichen Regimente, 1791 repu¬
blikanischer General, erklärte 1793 im Jakobinerklub, das Schwert an seiner
Seite werde nur gegen die Könige und für die Rechte de5 Volkes gezogen werden;
unter Napoleon wurde er Marschall; in einem Tagesbefehl vom 10. März 1815
brandmarkt er den "wahnsinnigen und lächerlichen Einfall Bonapartes, das
Vaterland den Schrecken des Bürgerkrieges preiszugeben und die fremde" Heere
ans den französischen Boden zurückzuführen. . . Unsre Schwüre binden uns an
den König, die Ehre befiehlt uns, demselben treu zu sein, die Dankbarkeit macht
es uns zur Pflicht." Dieselben Gesinnungen sprach er anch in einer Adresse
an den König aus. Am 4. Juni empfing er aus Napoleons Händen die Pairs-
würde. um einige Monate später dem Kriegsgericht über Ney zu Präsidiren.

Auguste Jude, Baron des Kaiserreichs, führte 1806 im Nonitsnr aus,
die Erde, die vor Alexander geschwiegen habe, verkünde vereint mit Meer und


Politische Wetterfahnen.

gestellt zu werden; im August erhält das Korps zur Belohnung für seine beim
Einzuge der Verbündeten geleisteten Dienste das Lilien-Emblem am Weißen
Bande; am 18. April 1815 erneuerten dieselben Offiziere abermals dem Kaiser
ihren Eid; noch am 8. Juli erklärten sie durch Maueranschlügc, der Tricolore
treu bleiben zu wollen, und am 10. Juli nahmen sie wieder die weiße Ko¬
karde an.

Aus den poetischen und prosaischen Herzensergießungen eines Herrn A. Jah
in der Zeit von 1805 bis 1815 mögen zwei Pröbchen mit besonderer Rücksicht
auf das Datum genügen. Journal as ?Mis vom 10. März 1815: „Nach
25 Jahren unerhörter Umwälzungen und Schrecknisse atmet Frankreich endlich
auf unter einer liberalen und väterlichen Regierung." (Hier folgt die Aufzählung
der Segnungen derselben.) „Welcher böse Geist will heute soviel Glückseligkeit
stören! Was kann jener Verbannte Fremdling hoffen, welcher alle Leiden ver¬
schuldet, mit denen wir während der letzten fünfzehn Jahre überhäuft waren,
vor allem verschuldet, daß die öffentliche Freiheit angefallen und Frankreich
unter das eiserne Szepter des verabscheuungswürdigsten Despotismus gebeugt
worden ist!" .IvuriM as ?ari8 vom 7. April 1815: „Der Kaiser mit seinen
weisen Plänen für den Ruhm Frankreichs glaubte ohne Zweifel, alle Macht¬
mittel konzentriren zu müssen, um der Aktion der Regierung eine desto impo¬
santere und nnwiderstehlichere Gewalt zu verleihen. . . Nun bedenke man aber,
welche Seelengröße und Entschlossenheit dazu gehörte, eine Insel im mittel¬
ländischen Meere zu verlassen, mit zwölfhundert Mann an dem äußersten Ende
Frankreichs zu landen und mit der Schnelligkeit des Blitzes Paris zu erreichen.. .
Er ist der einzige Mensch, welcher noch die bürgerliche Freiheit in Frankreich
begründen kann. . . Umsonst würden jetzt die fremden Mächte uns bekriegen...
Die Nation und die Regierung wollen den Frieden, aber sie wollen vor allem
die Freiheit." Nach den hundert Tagen gab derselbe Jah ein Blatt heraus:
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Jourdan, bis 1784 Soldat in einem königlichen Regimente, 1791 repu¬
blikanischer General, erklärte 1793 im Jakobinerklub, das Schwert an seiner
Seite werde nur gegen die Könige und für die Rechte de5 Volkes gezogen werden;
unter Napoleon wurde er Marschall; in einem Tagesbefehl vom 10. März 1815
brandmarkt er den „wahnsinnigen und lächerlichen Einfall Bonapartes, das
Vaterland den Schrecken des Bürgerkrieges preiszugeben und die fremde» Heere
ans den französischen Boden zurückzuführen. . . Unsre Schwüre binden uns an
den König, die Ehre befiehlt uns, demselben treu zu sein, die Dankbarkeit macht
es uns zur Pflicht." Dieselben Gesinnungen sprach er anch in einer Adresse
an den König aus. Am 4. Juni empfing er aus Napoleons Händen die Pairs-
würde. um einige Monate später dem Kriegsgericht über Ney zu Präsidiren.

Auguste Jude, Baron des Kaiserreichs, führte 1806 im Nonitsnr aus,
die Erde, die vor Alexander geschwiegen habe, verkünde vereint mit Meer und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/665>, abgerufen am 28.07.2024.