Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Staatsanwalt und Fortschritt.

Kosten selbst zu tragen hat, ist -- stillte man meinen -- selbstverständlich; trotze
dem ist in dem letzten Absatz des eben angeführten Paragraphen angeordnet,
daß, wenn die Vernehmung einer unmittelbar geladenen Person zur Aufklärung
einer Sache dienlich war, das Gericht auf Antrag anzuordnen hat, daß der¬
selben die gesetzliche Entschädigung ans der Staatskasse zu gewähren ist, das;
also auch in diesem Falle der Angeklagte für den Zeugen nichts zu bezahlen hat.

Wenden wir uns zu dem dritten Punkte, so ist wiederum die Unterstellung,
als ob ein Staatsanwnlt überhaupt versuchen werde, die Erhebung der Wahr¬
heit durch irgend welche Mittel zu hintertreiben, dem Angeklagten also gegen
besseres Wissen die Möglichkeit, seine Unschuld zu erweisen, arglistig abzu¬
schneiden, eine hervorragend frivole, jedes Beweises bare Behauptung. Gesetze
aber auch den Fall, es würde ein Staatsanwalt einmal einen derartigen Ver¬
such machen, ist dann der Vorsitzende irgendwie gehindert, denselben kurzer Hand
abzuschneiden? Ist dem Richtertollegium durch das Fragerccht nicht jede Mög¬
lichkeit gegeben, die Wahrheit zu erheben? Hat ein die Wahrheit aussagender
Zeuge irgend welchen Nachteil von der Behörde zu gewärtigen wie etwa von
dem Verbrecher, zu dessen Verurteilung er das Material mit seiner Angabe
liefern soll?

Man denke sich die Stellung des vom Staate zum Schutze der Gesell¬
schaft berufenen, mit der Ermittlung der Wahrheit beauftragten Beamten, welcher
vom Vorsitzenden des Gerichts aus dein Zimmer gewiesen wird, weil er, ganz
ans derselben Stufe wie der abzuurteilende Dieb, Brandstifter u. s. w. stehend,
unlautere Mittel zur Unterdrückung der Wahrheit anwende!

Was die Teilung des AblchnuugsrechtS zwischen Staatsanwalt und einer
Mehrzahl gleichzeitig abzuurteilender Angeklagten je zur Hälfte betrifft, so ist
von unserm Standpunkte aus i" erster Linie die Abschaffung des ganze" nn-
branchbnren Gcschworeneninstitnts anzustreben, solange dasselbe aber noch be¬
steht, dem Verlangen, es möge jedem Angeklagten das AblchnnngSrecht auf die
gleiche Zahl wie der Staatsanwaltschaft zustehen, ans dem Grunde entgegen¬
zutreten, weil die Garantien für ein richtiges Urteil sich umsomehr vermindern,
je mehr Gesinnungsgenossen (um es kurz auszudrücken) der Angeklagte auf die
Geschworeuenbcmk zu bringen in der Lage ist.

Wie es sich mit der nachteiligen Bestimmung verhält, daß der Angeklagte
bei Verhinderung des Verteidigers "im allgemeinen" nicht das Recht habe, die
Aussetzung der Verhandlung zu verlange", ergiebt sich recht klar aus dem von
dem Beschwerdeaufsatz allerdings nicht angeführten, in dem angegriffenen § 227
der Se.-P.-O. aber ausdrücklich als Einschränkung zitirten Z 145 der Se.-P.-O.,
welcher bestimmt, daß, wenn in einem Falle der notwendigen oder bestellten
(von Amtswegen angeordneten) Verteidigung der Verteidiger in der Hauptver-
handlung ausbleibt, sich unzeitig entfernt oder die Verteidigung zu führen sich
weigert, der Vorsitzende dem Angeklagte" sogleich eine" andern Verteidiger zu


Staatsanwalt und Fortschritt.

Kosten selbst zu tragen hat, ist — stillte man meinen — selbstverständlich; trotze
dem ist in dem letzten Absatz des eben angeführten Paragraphen angeordnet,
daß, wenn die Vernehmung einer unmittelbar geladenen Person zur Aufklärung
einer Sache dienlich war, das Gericht auf Antrag anzuordnen hat, daß der¬
selben die gesetzliche Entschädigung ans der Staatskasse zu gewähren ist, das;
also auch in diesem Falle der Angeklagte für den Zeugen nichts zu bezahlen hat.

Wenden wir uns zu dem dritten Punkte, so ist wiederum die Unterstellung,
als ob ein Staatsanwnlt überhaupt versuchen werde, die Erhebung der Wahr¬
heit durch irgend welche Mittel zu hintertreiben, dem Angeklagten also gegen
besseres Wissen die Möglichkeit, seine Unschuld zu erweisen, arglistig abzu¬
schneiden, eine hervorragend frivole, jedes Beweises bare Behauptung. Gesetze
aber auch den Fall, es würde ein Staatsanwalt einmal einen derartigen Ver¬
such machen, ist dann der Vorsitzende irgendwie gehindert, denselben kurzer Hand
abzuschneiden? Ist dem Richtertollegium durch das Fragerccht nicht jede Mög¬
lichkeit gegeben, die Wahrheit zu erheben? Hat ein die Wahrheit aussagender
Zeuge irgend welchen Nachteil von der Behörde zu gewärtigen wie etwa von
dem Verbrecher, zu dessen Verurteilung er das Material mit seiner Angabe
liefern soll?

Man denke sich die Stellung des vom Staate zum Schutze der Gesell¬
schaft berufenen, mit der Ermittlung der Wahrheit beauftragten Beamten, welcher
vom Vorsitzenden des Gerichts aus dein Zimmer gewiesen wird, weil er, ganz
ans derselben Stufe wie der abzuurteilende Dieb, Brandstifter u. s. w. stehend,
unlautere Mittel zur Unterdrückung der Wahrheit anwende!

Was die Teilung des AblchnuugsrechtS zwischen Staatsanwalt und einer
Mehrzahl gleichzeitig abzuurteilender Angeklagten je zur Hälfte betrifft, so ist
von unserm Standpunkte aus i» erster Linie die Abschaffung des ganze» nn-
branchbnren Gcschworeneninstitnts anzustreben, solange dasselbe aber noch be¬
steht, dem Verlangen, es möge jedem Angeklagten das AblchnnngSrecht auf die
gleiche Zahl wie der Staatsanwaltschaft zustehen, ans dem Grunde entgegen¬
zutreten, weil die Garantien für ein richtiges Urteil sich umsomehr vermindern,
je mehr Gesinnungsgenossen (um es kurz auszudrücken) der Angeklagte auf die
Geschworeuenbcmk zu bringen in der Lage ist.

Wie es sich mit der nachteiligen Bestimmung verhält, daß der Angeklagte
bei Verhinderung des Verteidigers „im allgemeinen" nicht das Recht habe, die
Aussetzung der Verhandlung zu verlange», ergiebt sich recht klar aus dem von
dem Beschwerdeaufsatz allerdings nicht angeführten, in dem angegriffenen § 227
der Se.-P.-O. aber ausdrücklich als Einschränkung zitirten Z 145 der Se.-P.-O.,
welcher bestimmt, daß, wenn in einem Falle der notwendigen oder bestellten
(von Amtswegen angeordneten) Verteidigung der Verteidiger in der Hauptver-
handlung ausbleibt, sich unzeitig entfernt oder die Verteidigung zu führen sich
weigert, der Vorsitzende dem Angeklagte» sogleich eine» andern Verteidiger zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0657" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154822"/>
          <fw type="header" place="top"> Staatsanwalt und Fortschritt.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1935" prev="#ID_1934"> Kosten selbst zu tragen hat, ist &#x2014; stillte man meinen &#x2014; selbstverständlich; trotze<lb/>
dem ist in dem letzten Absatz des eben angeführten Paragraphen angeordnet,<lb/>
daß, wenn die Vernehmung einer unmittelbar geladenen Person zur Aufklärung<lb/>
einer Sache dienlich war, das Gericht auf Antrag anzuordnen hat, daß der¬<lb/>
selben die gesetzliche Entschädigung ans der Staatskasse zu gewähren ist, das;<lb/>
also auch in diesem Falle der Angeklagte für den Zeugen nichts zu bezahlen hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1936"> Wenden wir uns zu dem dritten Punkte, so ist wiederum die Unterstellung,<lb/>
als ob ein Staatsanwnlt überhaupt versuchen werde, die Erhebung der Wahr¬<lb/>
heit durch irgend welche Mittel zu hintertreiben, dem Angeklagten also gegen<lb/>
besseres Wissen die Möglichkeit, seine Unschuld zu erweisen, arglistig abzu¬<lb/>
schneiden, eine hervorragend frivole, jedes Beweises bare Behauptung. Gesetze<lb/>
aber auch den Fall, es würde ein Staatsanwalt einmal einen derartigen Ver¬<lb/>
such machen, ist dann der Vorsitzende irgendwie gehindert, denselben kurzer Hand<lb/>
abzuschneiden? Ist dem Richtertollegium durch das Fragerccht nicht jede Mög¬<lb/>
lichkeit gegeben, die Wahrheit zu erheben? Hat ein die Wahrheit aussagender<lb/>
Zeuge irgend welchen Nachteil von der Behörde zu gewärtigen wie etwa von<lb/>
dem Verbrecher, zu dessen Verurteilung er das Material mit seiner Angabe<lb/>
liefern soll?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1937"> Man denke sich die Stellung des vom Staate zum Schutze der Gesell¬<lb/>
schaft berufenen, mit der Ermittlung der Wahrheit beauftragten Beamten, welcher<lb/>
vom Vorsitzenden des Gerichts aus dein Zimmer gewiesen wird, weil er, ganz<lb/>
ans derselben Stufe wie der abzuurteilende Dieb, Brandstifter u. s. w. stehend,<lb/>
unlautere Mittel zur Unterdrückung der Wahrheit anwende!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1938"> Was die Teilung des AblchnuugsrechtS zwischen Staatsanwalt und einer<lb/>
Mehrzahl gleichzeitig abzuurteilender Angeklagten je zur Hälfte betrifft, so ist<lb/>
von unserm Standpunkte aus i» erster Linie die Abschaffung des ganze» nn-<lb/>
branchbnren Gcschworeneninstitnts anzustreben, solange dasselbe aber noch be¬<lb/>
steht, dem Verlangen, es möge jedem Angeklagten das AblchnnngSrecht auf die<lb/>
gleiche Zahl wie der Staatsanwaltschaft zustehen, ans dem Grunde entgegen¬<lb/>
zutreten, weil die Garantien für ein richtiges Urteil sich umsomehr vermindern,<lb/>
je mehr Gesinnungsgenossen (um es kurz auszudrücken) der Angeklagte auf die<lb/>
Geschworeuenbcmk zu bringen in der Lage ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1939" next="#ID_1940"> Wie es sich mit der nachteiligen Bestimmung verhält, daß der Angeklagte<lb/>
bei Verhinderung des Verteidigers &#x201E;im allgemeinen" nicht das Recht habe, die<lb/>
Aussetzung der Verhandlung zu verlange», ergiebt sich recht klar aus dem von<lb/>
dem Beschwerdeaufsatz allerdings nicht angeführten, in dem angegriffenen § 227<lb/>
der Se.-P.-O. aber ausdrücklich als Einschränkung zitirten Z 145 der Se.-P.-O.,<lb/>
welcher bestimmt, daß, wenn in einem Falle der notwendigen oder bestellten<lb/>
(von Amtswegen angeordneten) Verteidigung der Verteidiger in der Hauptver-<lb/>
handlung ausbleibt, sich unzeitig entfernt oder die Verteidigung zu führen sich<lb/>
weigert, der Vorsitzende dem Angeklagte» sogleich eine» andern Verteidiger zu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0657] Staatsanwalt und Fortschritt. Kosten selbst zu tragen hat, ist — stillte man meinen — selbstverständlich; trotze dem ist in dem letzten Absatz des eben angeführten Paragraphen angeordnet, daß, wenn die Vernehmung einer unmittelbar geladenen Person zur Aufklärung einer Sache dienlich war, das Gericht auf Antrag anzuordnen hat, daß der¬ selben die gesetzliche Entschädigung ans der Staatskasse zu gewähren ist, das; also auch in diesem Falle der Angeklagte für den Zeugen nichts zu bezahlen hat. Wenden wir uns zu dem dritten Punkte, so ist wiederum die Unterstellung, als ob ein Staatsanwnlt überhaupt versuchen werde, die Erhebung der Wahr¬ heit durch irgend welche Mittel zu hintertreiben, dem Angeklagten also gegen besseres Wissen die Möglichkeit, seine Unschuld zu erweisen, arglistig abzu¬ schneiden, eine hervorragend frivole, jedes Beweises bare Behauptung. Gesetze aber auch den Fall, es würde ein Staatsanwalt einmal einen derartigen Ver¬ such machen, ist dann der Vorsitzende irgendwie gehindert, denselben kurzer Hand abzuschneiden? Ist dem Richtertollegium durch das Fragerccht nicht jede Mög¬ lichkeit gegeben, die Wahrheit zu erheben? Hat ein die Wahrheit aussagender Zeuge irgend welchen Nachteil von der Behörde zu gewärtigen wie etwa von dem Verbrecher, zu dessen Verurteilung er das Material mit seiner Angabe liefern soll? Man denke sich die Stellung des vom Staate zum Schutze der Gesell¬ schaft berufenen, mit der Ermittlung der Wahrheit beauftragten Beamten, welcher vom Vorsitzenden des Gerichts aus dein Zimmer gewiesen wird, weil er, ganz ans derselben Stufe wie der abzuurteilende Dieb, Brandstifter u. s. w. stehend, unlautere Mittel zur Unterdrückung der Wahrheit anwende! Was die Teilung des AblchnuugsrechtS zwischen Staatsanwalt und einer Mehrzahl gleichzeitig abzuurteilender Angeklagten je zur Hälfte betrifft, so ist von unserm Standpunkte aus i» erster Linie die Abschaffung des ganze» nn- branchbnren Gcschworeneninstitnts anzustreben, solange dasselbe aber noch be¬ steht, dem Verlangen, es möge jedem Angeklagten das AblchnnngSrecht auf die gleiche Zahl wie der Staatsanwaltschaft zustehen, ans dem Grunde entgegen¬ zutreten, weil die Garantien für ein richtiges Urteil sich umsomehr vermindern, je mehr Gesinnungsgenossen (um es kurz auszudrücken) der Angeklagte auf die Geschworeuenbcmk zu bringen in der Lage ist. Wie es sich mit der nachteiligen Bestimmung verhält, daß der Angeklagte bei Verhinderung des Verteidigers „im allgemeinen" nicht das Recht habe, die Aussetzung der Verhandlung zu verlange», ergiebt sich recht klar aus dem von dem Beschwerdeaufsatz allerdings nicht angeführten, in dem angegriffenen § 227 der Se.-P.-O. aber ausdrücklich als Einschränkung zitirten Z 145 der Se.-P.-O., welcher bestimmt, daß, wenn in einem Falle der notwendigen oder bestellten (von Amtswegen angeordneten) Verteidigung der Verteidiger in der Hauptver- handlung ausbleibt, sich unzeitig entfernt oder die Verteidigung zu führen sich weigert, der Vorsitzende dem Angeklagte» sogleich eine» andern Verteidiger zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/657
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/657>, abgerufen am 01.09.2024.