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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der neue Merlin.

zwischen den Pfeilern von San Giorgio schimmern sah, kam es wie ein Trotz
über mich; da sie mir keinen Blick gönnte, folgte ich ihr aus der Kirche hinaus
und bis nach dem Kanal hin, auf welchem ihre Gondel gekommen war. Und
das Glück wollte meinem Trotz und dem Gefühl, das mich erfüllte, in jener
seltenen Weise wohl, die man in der Jugend einmal oder einigemale erfährt.
Der Kondolier der Dame mochte ihre Rückkehr noch nicht erwartet haben und
war ein paar hundert Schritte abwärts gefahren, mich aber durchzuckte es
wunderlich, als ich sah, daß sie betroffen und unschlüssig am Ufer stand. Ob
ich gewagt haben würde, diese Gunst der Umstünde zu nützen, weiß ich bis heute
nicht; im nächsten Augenblicke versuchte sie ein andrer auf seine Weise auszu¬
beuten. Vor Giorgio dei Schiavone wegelagcrte zu jener Zeit ein besonders
gefürchteter Bettler, gegen den die Heiligkeit des Ortes und die größte Frei¬
gebigkeit keinen Schutz gewährten. Er hatte, als Signora Gabriella aus der
Kirche trat, ein reiches Almosen erhalten, allein sowie er die junge Frau nach
ihrem Goudvlier ausblicken sah, stürzte er heran, um sie zum zweitenmale mit
einer ungestümen Bitte zu behelligen. Ich nahm wahr, wie sie einen schwachen
Abwchrversuch machte, und horte, daß sie eine gütige Mahnung ein den Un¬
verschämter richtete. Ehe ichs hindern konnte, hatte sie ihm noch ein großes
Fünffrankenstück gereicht, der Bettler aber, der sein Handwerk aus dem Grunde
verstand und den Gondolier der Parmi aus der Ferne eilig hcranrudern sah,
entschloß sich kurz, fiel vor der Bedrängten auf die Knie, raffte den Saum
ihres Kleides zwischen seine Hände und suchte die empörte und bestürzte Dame
mit einem Schwall flehender Worte zu betäuben, deren jedes eine Lüge war.
Daß ich nun hiuzusprang, den frechen Gesellen am Kragen zurück- und emporriß,
werden Sie natürlich finden -- und daß ich meinen Lohn, ein leises: Thun
Sie ihm nicht weh! ich danke Ihnen! und einen langen, aufmerksamen Blick
aus den schönen Augen sofort in Empfang nahm, brauche ich Ihnen kaum erst
zu sagen. Der Gondolier war jetzt für mein Glück viel zu rasch zur Stelle,
Signora Gabriella stieg ein und setzte sich in den Kissen langsam zurecht, im
Wegfahren grüßte sie noch einmal mit leichtem Nicken, aber ich sah dentlich, daß
ihre Augen auch nachher noch prüfend zu mir zurückwanderten, und ich hätte
wahrhaftig den Versuch gemacht, der Gondel längs des Ufers zu folgen, wenn
mich nicht der Augenschein belehrt hätte, daß dieser Versuch schon am Südrande
des Campo selbst an einer grauen Mauer enden müsse. Daß ich aber von
meinem Glück berauscht nun jeden Gedanken an die Abreise weit hinter mich
warf und mit Eifer nach den nähern Lcbensumstünden der Dame zu forschen
begann, um deretwillen ich in Venedig verweilte, wird Ihnen begreiflich genug
sein. Vom Sakristan der Slavouierkirche erfuhr ich, daß Signora Gabriella
Parmi aus dem Hause Parmi-Spinelli stamme, vor zwei Jahren einen älteren
Vetter geheiratet habe und nun schon über ein Jahr wieder Witwe sei. Wie
eine kaum halbverstündlichc Sage klang mir die Auskunft ins Ohr, daß die


Der neue Merlin.

zwischen den Pfeilern von San Giorgio schimmern sah, kam es wie ein Trotz
über mich; da sie mir keinen Blick gönnte, folgte ich ihr aus der Kirche hinaus
und bis nach dem Kanal hin, auf welchem ihre Gondel gekommen war. Und
das Glück wollte meinem Trotz und dem Gefühl, das mich erfüllte, in jener
seltenen Weise wohl, die man in der Jugend einmal oder einigemale erfährt.
Der Kondolier der Dame mochte ihre Rückkehr noch nicht erwartet haben und
war ein paar hundert Schritte abwärts gefahren, mich aber durchzuckte es
wunderlich, als ich sah, daß sie betroffen und unschlüssig am Ufer stand. Ob
ich gewagt haben würde, diese Gunst der Umstünde zu nützen, weiß ich bis heute
nicht; im nächsten Augenblicke versuchte sie ein andrer auf seine Weise auszu¬
beuten. Vor Giorgio dei Schiavone wegelagcrte zu jener Zeit ein besonders
gefürchteter Bettler, gegen den die Heiligkeit des Ortes und die größte Frei¬
gebigkeit keinen Schutz gewährten. Er hatte, als Signora Gabriella aus der
Kirche trat, ein reiches Almosen erhalten, allein sowie er die junge Frau nach
ihrem Goudvlier ausblicken sah, stürzte er heran, um sie zum zweitenmale mit
einer ungestümen Bitte zu behelligen. Ich nahm wahr, wie sie einen schwachen
Abwchrversuch machte, und horte, daß sie eine gütige Mahnung ein den Un¬
verschämter richtete. Ehe ichs hindern konnte, hatte sie ihm noch ein großes
Fünffrankenstück gereicht, der Bettler aber, der sein Handwerk aus dem Grunde
verstand und den Gondolier der Parmi aus der Ferne eilig hcranrudern sah,
entschloß sich kurz, fiel vor der Bedrängten auf die Knie, raffte den Saum
ihres Kleides zwischen seine Hände und suchte die empörte und bestürzte Dame
mit einem Schwall flehender Worte zu betäuben, deren jedes eine Lüge war.
Daß ich nun hiuzusprang, den frechen Gesellen am Kragen zurück- und emporriß,
werden Sie natürlich finden — und daß ich meinen Lohn, ein leises: Thun
Sie ihm nicht weh! ich danke Ihnen! und einen langen, aufmerksamen Blick
aus den schönen Augen sofort in Empfang nahm, brauche ich Ihnen kaum erst
zu sagen. Der Gondolier war jetzt für mein Glück viel zu rasch zur Stelle,
Signora Gabriella stieg ein und setzte sich in den Kissen langsam zurecht, im
Wegfahren grüßte sie noch einmal mit leichtem Nicken, aber ich sah dentlich, daß
ihre Augen auch nachher noch prüfend zu mir zurückwanderten, und ich hätte
wahrhaftig den Versuch gemacht, der Gondel längs des Ufers zu folgen, wenn
mich nicht der Augenschein belehrt hätte, daß dieser Versuch schon am Südrande
des Campo selbst an einer grauen Mauer enden müsse. Daß ich aber von
meinem Glück berauscht nun jeden Gedanken an die Abreise weit hinter mich
warf und mit Eifer nach den nähern Lcbensumstünden der Dame zu forschen
begann, um deretwillen ich in Venedig verweilte, wird Ihnen begreiflich genug
sein. Vom Sakristan der Slavouierkirche erfuhr ich, daß Signora Gabriella
Parmi aus dem Hause Parmi-Spinelli stamme, vor zwei Jahren einen älteren
Vetter geheiratet habe und nun schon über ein Jahr wieder Witwe sei. Wie
eine kaum halbverstündlichc Sage klang mir die Auskunft ins Ohr, daß die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/644>, abgerufen am 28.07.2024.