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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der neue Merlin.

Doktor Carstens gehorchte der Aufforderung seines Gastfreundes, er hatte
die ehrenden Worte desselben nur mit einem stummen dankenden Blick beant¬
wortet. Signor Felice ließ sich ihm gegenüber nieder. Aus seinem Gesicht
war jede träumerische Verschlossenheit verschwunden, die Züge belebten sich, wie
Friedrich es nie zuvor angeschaut, und in der Stimme des alten Herrn war
mit den Erinnerungen an die Jugend ein jugendlicher Wohlklang erwacht:

Sie müssen verzeihen, mein junger Freund, daß ich nicht ganz so knapp
und kurz erzählen kann wie Sie, obschon meine Geschichte im Grunde viel
schlichter ist. Wie Sie schon wissen, stamme ich aus Ragusa, aus einer von
den zwei Dutzend patrizischen Familien, die ein paar Jahrhunderte lang unsre
Stadtrepnblik regiert haben, ohne daß darum die Welt viel Rühmliches von
ihnen erfahren hätte. Ich bin der letzte, der sich an der Fabel erlaben kann,
daß die raguscmischen Constcmtinis von einem im Purpur gebornen Herrscher
von Konstantinopolis abstammen -- und daß ich der letzte sei, ward mir früh
genug klargemacht. Unsre Familie war während des ganzen vorigen Jahr¬
hunderts, wie alle zur Rektorenwürde der Republik befähigten Familien, mehr
und mehr verarmt, wir saßen eben alle in prunkender Dürftigkeit in den ver¬
fallenden Palästen, aus denen sich längst der Klienten- wie der Dienerschwarm
verloren hatte. Meinen Eltern gaben die kriegerischen Wirren zu Anfang dieses
Jahrhunderts, der jähe Wechsel der französischen und der österreichischen Herr¬
schaft den letzten Stoß, ich glaube, daß sie schon zur Zeit meiner Geburt völlig
verarmt waren und Mühe genug hatten, sich in der gewohnten Lebensweise
ansteche zu erhalten. Als ich aus den: Kollegium der Benediktiner zu Spalato
heimkehrte und die Universität beziehen sollte, erkrankte meine Mutter, wollte
mich vor ihrem Ende nicht von sich lassen, und so verstrichen drei Jahre, in
denen ich mich, um nicht träumerisch müßig zu gehen, mit der Geschichte und
den Altertümern meiner Vaterstadt beschäftigte. Wenige Wochen, nachdem ein
stiller Tod die Leiden meiner Mutter geendet, starb auch mein Vater, er erlosch,
als wären die kargen sanften Worte, die meine Mutter in ihrer letzten Zeit
noch sprach, sein Lebensöl gewesen. Da ich mündig war, trat ich das Erbe
meiner Eltern an -- und wußte schon nach ein paar Wochen, daß ich ein Bettler
oder eigentlich schlimmeres als ein Bettler: ein Mensch mit großen Ansprüchen
und einigen hundert Franken Rente sei. Die Gewohnheit der Ehrfurcht vor
meinen Eltern war die letzte Stütze des morschen Baues gewesen, jetzt griffen
die Gläubiger von allen Seiten zu und beschleunigten den Zusammensturz.
Daß ich auch nur die dürftigste Rente behielt, hatte ich lediglich dem Umstände
zu danken, daß die kaiserliche Regierung den Palazzo Constantini zu einem
Militärhospitale ankaufte, in ganz Ragusa hätte ihn sonst niemand brauchen
können.

Sie haben keine Vorstellung davou, junger Freund, wie hilf- und hoffnungs¬
los ein Mensch meines Schlages vor vierzig Jahren war, wie unmöglich es uns


Der neue Merlin.

Doktor Carstens gehorchte der Aufforderung seines Gastfreundes, er hatte
die ehrenden Worte desselben nur mit einem stummen dankenden Blick beant¬
wortet. Signor Felice ließ sich ihm gegenüber nieder. Aus seinem Gesicht
war jede träumerische Verschlossenheit verschwunden, die Züge belebten sich, wie
Friedrich es nie zuvor angeschaut, und in der Stimme des alten Herrn war
mit den Erinnerungen an die Jugend ein jugendlicher Wohlklang erwacht:

Sie müssen verzeihen, mein junger Freund, daß ich nicht ganz so knapp
und kurz erzählen kann wie Sie, obschon meine Geschichte im Grunde viel
schlichter ist. Wie Sie schon wissen, stamme ich aus Ragusa, aus einer von
den zwei Dutzend patrizischen Familien, die ein paar Jahrhunderte lang unsre
Stadtrepnblik regiert haben, ohne daß darum die Welt viel Rühmliches von
ihnen erfahren hätte. Ich bin der letzte, der sich an der Fabel erlaben kann,
daß die raguscmischen Constcmtinis von einem im Purpur gebornen Herrscher
von Konstantinopolis abstammen — und daß ich der letzte sei, ward mir früh
genug klargemacht. Unsre Familie war während des ganzen vorigen Jahr¬
hunderts, wie alle zur Rektorenwürde der Republik befähigten Familien, mehr
und mehr verarmt, wir saßen eben alle in prunkender Dürftigkeit in den ver¬
fallenden Palästen, aus denen sich längst der Klienten- wie der Dienerschwarm
verloren hatte. Meinen Eltern gaben die kriegerischen Wirren zu Anfang dieses
Jahrhunderts, der jähe Wechsel der französischen und der österreichischen Herr¬
schaft den letzten Stoß, ich glaube, daß sie schon zur Zeit meiner Geburt völlig
verarmt waren und Mühe genug hatten, sich in der gewohnten Lebensweise
ansteche zu erhalten. Als ich aus den: Kollegium der Benediktiner zu Spalato
heimkehrte und die Universität beziehen sollte, erkrankte meine Mutter, wollte
mich vor ihrem Ende nicht von sich lassen, und so verstrichen drei Jahre, in
denen ich mich, um nicht träumerisch müßig zu gehen, mit der Geschichte und
den Altertümern meiner Vaterstadt beschäftigte. Wenige Wochen, nachdem ein
stiller Tod die Leiden meiner Mutter geendet, starb auch mein Vater, er erlosch,
als wären die kargen sanften Worte, die meine Mutter in ihrer letzten Zeit
noch sprach, sein Lebensöl gewesen. Da ich mündig war, trat ich das Erbe
meiner Eltern an — und wußte schon nach ein paar Wochen, daß ich ein Bettler
oder eigentlich schlimmeres als ein Bettler: ein Mensch mit großen Ansprüchen
und einigen hundert Franken Rente sei. Die Gewohnheit der Ehrfurcht vor
meinen Eltern war die letzte Stütze des morschen Baues gewesen, jetzt griffen
die Gläubiger von allen Seiten zu und beschleunigten den Zusammensturz.
Daß ich auch nur die dürftigste Rente behielt, hatte ich lediglich dem Umstände
zu danken, daß die kaiserliche Regierung den Palazzo Constantini zu einem
Militärhospitale ankaufte, in ganz Ragusa hätte ihn sonst niemand brauchen
können.

Sie haben keine Vorstellung davou, junger Freund, wie hilf- und hoffnungs¬
los ein Mensch meines Schlages vor vierzig Jahren war, wie unmöglich es uns


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[0641] Der neue Merlin. Doktor Carstens gehorchte der Aufforderung seines Gastfreundes, er hatte die ehrenden Worte desselben nur mit einem stummen dankenden Blick beant¬ wortet. Signor Felice ließ sich ihm gegenüber nieder. Aus seinem Gesicht war jede träumerische Verschlossenheit verschwunden, die Züge belebten sich, wie Friedrich es nie zuvor angeschaut, und in der Stimme des alten Herrn war mit den Erinnerungen an die Jugend ein jugendlicher Wohlklang erwacht: Sie müssen verzeihen, mein junger Freund, daß ich nicht ganz so knapp und kurz erzählen kann wie Sie, obschon meine Geschichte im Grunde viel schlichter ist. Wie Sie schon wissen, stamme ich aus Ragusa, aus einer von den zwei Dutzend patrizischen Familien, die ein paar Jahrhunderte lang unsre Stadtrepnblik regiert haben, ohne daß darum die Welt viel Rühmliches von ihnen erfahren hätte. Ich bin der letzte, der sich an der Fabel erlaben kann, daß die raguscmischen Constcmtinis von einem im Purpur gebornen Herrscher von Konstantinopolis abstammen — und daß ich der letzte sei, ward mir früh genug klargemacht. Unsre Familie war während des ganzen vorigen Jahr¬ hunderts, wie alle zur Rektorenwürde der Republik befähigten Familien, mehr und mehr verarmt, wir saßen eben alle in prunkender Dürftigkeit in den ver¬ fallenden Palästen, aus denen sich längst der Klienten- wie der Dienerschwarm verloren hatte. Meinen Eltern gaben die kriegerischen Wirren zu Anfang dieses Jahrhunderts, der jähe Wechsel der französischen und der österreichischen Herr¬ schaft den letzten Stoß, ich glaube, daß sie schon zur Zeit meiner Geburt völlig verarmt waren und Mühe genug hatten, sich in der gewohnten Lebensweise ansteche zu erhalten. Als ich aus den: Kollegium der Benediktiner zu Spalato heimkehrte und die Universität beziehen sollte, erkrankte meine Mutter, wollte mich vor ihrem Ende nicht von sich lassen, und so verstrichen drei Jahre, in denen ich mich, um nicht träumerisch müßig zu gehen, mit der Geschichte und den Altertümern meiner Vaterstadt beschäftigte. Wenige Wochen, nachdem ein stiller Tod die Leiden meiner Mutter geendet, starb auch mein Vater, er erlosch, als wären die kargen sanften Worte, die meine Mutter in ihrer letzten Zeit noch sprach, sein Lebensöl gewesen. Da ich mündig war, trat ich das Erbe meiner Eltern an — und wußte schon nach ein paar Wochen, daß ich ein Bettler oder eigentlich schlimmeres als ein Bettler: ein Mensch mit großen Ansprüchen und einigen hundert Franken Rente sei. Die Gewohnheit der Ehrfurcht vor meinen Eltern war die letzte Stütze des morschen Baues gewesen, jetzt griffen die Gläubiger von allen Seiten zu und beschleunigten den Zusammensturz. Daß ich auch nur die dürftigste Rente behielt, hatte ich lediglich dem Umstände zu danken, daß die kaiserliche Regierung den Palazzo Constantini zu einem Militärhospitale ankaufte, in ganz Ragusa hätte ihn sonst niemand brauchen können. Sie haben keine Vorstellung davou, junger Freund, wie hilf- und hoffnungs¬ los ein Mensch meines Schlages vor vierzig Jahren war, wie unmöglich es uns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/641>, abgerufen am 27.07.2024.