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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena.

schlügen zur Heeresreform stets Mängel, und so suchte er vergebens nach dem
Vollkommenen, das allen Anforderungen genügte. Zu wirksamen Reformen gehört
aber, wie v> d. Goltz sehr richtig bemerkt, frische Einseitigkeit, da es sich dabei
immer um menschliche Einrichtungen handelt, die unvollkommen sind wie alles
Irdische. "Es gilt nicht, einem Ideale nachzutrachten, das chimärisch ist, weil
immer an gebrechliche Dinge angeknüpft werden muß, sondern sich zur rechten
Zeit für das minder Unvollkommene zu entscheiden und dies so auszubilden, daß
es dem Unvollkommenen überlegen wird."

Der König hatte wie sein unmittelbarer Vorgänger auf dein Throne das
Unglück, größtenteils von Berater" umgeben zu sein, die als Schüler Friedrichs
des Großen brauchbare Werkzeuge für einen kräftigen Willen, aber ohne Origi¬
nalität und Selbständigkeit waren. Der Glanz der Erfolge Friedrichs verlieh
ihnen mehr Verdienst und Ansehen, als ihrer Einsicht zukam. Friedrich
Wilhelm IH. selbst hatte zuviel Achtung vor ihnen, um ihnen gegenüber von
seiner bedeutenden Begabung in Betreff militärischer Dinge Gebrauch zu machen.
"Die Techniker und Theoretiker in Politik und Heerwesen tragen, mehr Schuld
daran, daß die alte Monarchie zu Grunde ging, als die Junker und verstockten
Aristokraten."

Aus zu großer Wertschätzung der Techniker ließ man Kommissionen über
das Schicksal des Planes zur Reorganisation des Heeres entscheiden. Das
würde in Betreff der Einzelheiten nützlich gewesen sein, falls der leitende Ge¬
danke schon festgestellt gewesen wäre. Diesen der Begutachtung eines weiteren
Kreises von Männern zu übergeben, war unrichtig, da die Summe der Gründe
dagegen stets die Summe der Gründe dafür aufheben und zuletzt nichts ge¬
schehen wird. Wenn ferner alle Reformvorschläge mit dem Lobe der herrschenden
Zustände begannen, so verhinderte dies, daß man sich überzeugte, wie dringend
notwendig die gründliche Umgestaltung derselben war. "Verfolgt man die Vor¬
lesungen, Denkschriften und Untersuchungen über den Gegenstand, so findet man,
daß die meisten nach einem großen Aufwande von philosophischem Frcimute,
von unerschrockener Wahrheitsliebe mit unendlichen Windungen taktvoll auf die
Schlußfolgerungen hinauslenktcn, daß das Bestehende das beste, und die preußische
Armee die vortrefflichste von allen sei." Die meisten Untersuchungen befleißigten
sich einer milden Unparteilichkeit, und wenige bekannten Farbe. So sehr man
seinen Freimut betonte, hielt man doch vorsichtig mit seiner wahren Meinung
zurück. Vorteile und Nachteile wurden so sorgsam und liebevoll abgewogen,
daß man zuletzt sich fragen mußte, was der Verfasser denn eigentlich für besser
hielte. So kam aus all diesem Bemühen, wie Clausewitz berichtet, "am Ende
nichts heraus als die althergebrachte Meinung, daß im Felde alles darauf an¬
käme, mit Echelons zu avanciren." Der Verfasser unsrer Schrift aber faßt
das zuletzt Gesagte in ein glücklich gewähltes Bild zusammen. "Die Armee
glich einer altererbter Familienwaffe, die sorgsam bewahrt wurde, der man eine


Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena.

schlügen zur Heeresreform stets Mängel, und so suchte er vergebens nach dem
Vollkommenen, das allen Anforderungen genügte. Zu wirksamen Reformen gehört
aber, wie v> d. Goltz sehr richtig bemerkt, frische Einseitigkeit, da es sich dabei
immer um menschliche Einrichtungen handelt, die unvollkommen sind wie alles
Irdische. „Es gilt nicht, einem Ideale nachzutrachten, das chimärisch ist, weil
immer an gebrechliche Dinge angeknüpft werden muß, sondern sich zur rechten
Zeit für das minder Unvollkommene zu entscheiden und dies so auszubilden, daß
es dem Unvollkommenen überlegen wird."

Der König hatte wie sein unmittelbarer Vorgänger auf dein Throne das
Unglück, größtenteils von Berater» umgeben zu sein, die als Schüler Friedrichs
des Großen brauchbare Werkzeuge für einen kräftigen Willen, aber ohne Origi¬
nalität und Selbständigkeit waren. Der Glanz der Erfolge Friedrichs verlieh
ihnen mehr Verdienst und Ansehen, als ihrer Einsicht zukam. Friedrich
Wilhelm IH. selbst hatte zuviel Achtung vor ihnen, um ihnen gegenüber von
seiner bedeutenden Begabung in Betreff militärischer Dinge Gebrauch zu machen.
„Die Techniker und Theoretiker in Politik und Heerwesen tragen, mehr Schuld
daran, daß die alte Monarchie zu Grunde ging, als die Junker und verstockten
Aristokraten."

Aus zu großer Wertschätzung der Techniker ließ man Kommissionen über
das Schicksal des Planes zur Reorganisation des Heeres entscheiden. Das
würde in Betreff der Einzelheiten nützlich gewesen sein, falls der leitende Ge¬
danke schon festgestellt gewesen wäre. Diesen der Begutachtung eines weiteren
Kreises von Männern zu übergeben, war unrichtig, da die Summe der Gründe
dagegen stets die Summe der Gründe dafür aufheben und zuletzt nichts ge¬
schehen wird. Wenn ferner alle Reformvorschläge mit dem Lobe der herrschenden
Zustände begannen, so verhinderte dies, daß man sich überzeugte, wie dringend
notwendig die gründliche Umgestaltung derselben war. „Verfolgt man die Vor¬
lesungen, Denkschriften und Untersuchungen über den Gegenstand, so findet man,
daß die meisten nach einem großen Aufwande von philosophischem Frcimute,
von unerschrockener Wahrheitsliebe mit unendlichen Windungen taktvoll auf die
Schlußfolgerungen hinauslenktcn, daß das Bestehende das beste, und die preußische
Armee die vortrefflichste von allen sei." Die meisten Untersuchungen befleißigten
sich einer milden Unparteilichkeit, und wenige bekannten Farbe. So sehr man
seinen Freimut betonte, hielt man doch vorsichtig mit seiner wahren Meinung
zurück. Vorteile und Nachteile wurden so sorgsam und liebevoll abgewogen,
daß man zuletzt sich fragen mußte, was der Verfasser denn eigentlich für besser
hielte. So kam aus all diesem Bemühen, wie Clausewitz berichtet, „am Ende
nichts heraus als die althergebrachte Meinung, daß im Felde alles darauf an¬
käme, mit Echelons zu avanciren." Der Verfasser unsrer Schrift aber faßt
das zuletzt Gesagte in ein glücklich gewähltes Bild zusammen. „Die Armee
glich einer altererbter Familienwaffe, die sorgsam bewahrt wurde, der man eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/620>, abgerufen am 28.07.2024.