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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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nach damaligen Bogriffen entschiede" liberale. Der König war stets darauf
bedacht, seinen Unterthanen mehr zu geben als von ihnen zu fordern, die Lasten
zu erleichtern und den Bürger gegen Beamtenwillkür und andre Ungebühr zu
schützen. "Freiheit und Aufklärung, sagt Clausewitz, schien den verschiedenen
Kabinetsräten, welche für die Angelegenheiten des Innern einander folgten, die
hauptsächlichste Pflicht ihrer Stelle, und sie sahe" sich daher als eine Art von
Volkstribunen an, die, neben den Thron gestellt, den aristokratischen Sinn des
adliche" Ministeriums im Zaume halten und die Regierungsgewalt im Sinne
der Zeit fortschreiten lassen mußten." Dazu kam die aus Frankreich stammende
Schwärmerei für gleiche Rechte aller Menschen und für die Würde des Indi¬
viduums, das unter dem großen Friedrich neben dem Staate sehr wenig ge¬
golten hatte. Nur die Persönlichkeit sollte jetzt etwas sein, nicht Stellung und
Herkommen, und es war guter Ton, von letzterm nichts zu wissen. "Aufklä¬
rung," "bieder" nud "würdig" waren allgemein beliebte Bcgriffsbezcichnungen.
Man erwiederte den "biedern Gruß" eines Freundes, die Offiziere, welche ihren
neuen Regimentschef mit einem Festgedicht empfingen, nannten sich seine "bie¬
deren Söhne," der alte Möllendorf adelte die gesamte Nation mit dem Epitheton
"bieder," und ebenso war jedermann aus dem Volke "würdig," während es in
Deutschland kaum je eine leichtlebigere und frivolere Zeit gegeben hat wie die
damalige. "Der Wohlstand wuchs mühelos, die Lasten bliebe" daneben die
alten, drückten also weniger, der Wert des Daseins stieg, die Neigung, es zu
genießen, pflanzte sich reißend fort. Die Geselligkeit erhielt eine Würze durch
anregende neue Ideen, die, flüchtig erfaßt und flüchtig weitergegeben, nur zur
Unterhaltung dienten, nicht befruchtend auf das praktische Leben wirkten. Ge¬
sellschaftliche Politur, geistreichelndes Dilettantentum, ein seichter Rationalismus
standen im Flore. Große Selbstgerechtigkeit machte sich breit, und aus dieser,
dem Kultus des Individuums, der Aufklärung, dem Sinne für Lebensgenuß,
keimte am Ende eine alles beherrschende Selbstsucht empor." Der Gemeinsinn
ging verloren, ebenso jede gesunde Leidenschaft, jede kräftige Einseitigkeit, jede
warme Vaterlandsliebe. Das Staatsinteresse, dem zu Friedrichs Zeiten alles
geopfert worden war, galt nur uoch wenig, und namentlich die Armee wurde
das Stiefkind des Vaterlandes.

Auch sonst litt die letztere schwer von den bezeichneten Fehlern des Zeit¬
geistes. Die Jsolirung, welche das öffentliche Leben durchdrang, griff auch hier
"in sich. Die fremden Elemente, die man nach den Verlusten des siebenjährigen
Krieges in das Heer aufgenommen hatte, waren schon eine starke Störung der
Homogenität; jetzt wurde die Kameradschaft auch durch die Verschiedenartigkeit
der Lebensweise beeinträchtigt. Die reichen Offiziere genossen wie alle Welt,
was ihnen beschicken war, und "ahmen Teil an der feinen, geistig regen, wenn
auch oberflächlichen Geselligkeit, die große Zahl der unbemittelten lebte neben
ihnen kärglich und hatte Mühe, sich durchzuschlagen. Nur im Dienst, bei Re-


nach damaligen Bogriffen entschiede» liberale. Der König war stets darauf
bedacht, seinen Unterthanen mehr zu geben als von ihnen zu fordern, die Lasten
zu erleichtern und den Bürger gegen Beamtenwillkür und andre Ungebühr zu
schützen. „Freiheit und Aufklärung, sagt Clausewitz, schien den verschiedenen
Kabinetsräten, welche für die Angelegenheiten des Innern einander folgten, die
hauptsächlichste Pflicht ihrer Stelle, und sie sahe» sich daher als eine Art von
Volkstribunen an, die, neben den Thron gestellt, den aristokratischen Sinn des
adliche» Ministeriums im Zaume halten und die Regierungsgewalt im Sinne
der Zeit fortschreiten lassen mußten." Dazu kam die aus Frankreich stammende
Schwärmerei für gleiche Rechte aller Menschen und für die Würde des Indi¬
viduums, das unter dem großen Friedrich neben dem Staate sehr wenig ge¬
golten hatte. Nur die Persönlichkeit sollte jetzt etwas sein, nicht Stellung und
Herkommen, und es war guter Ton, von letzterm nichts zu wissen. „Aufklä¬
rung," „bieder" nud „würdig" waren allgemein beliebte Bcgriffsbezcichnungen.
Man erwiederte den „biedern Gruß" eines Freundes, die Offiziere, welche ihren
neuen Regimentschef mit einem Festgedicht empfingen, nannten sich seine „bie¬
deren Söhne," der alte Möllendorf adelte die gesamte Nation mit dem Epitheton
„bieder," und ebenso war jedermann aus dem Volke „würdig," während es in
Deutschland kaum je eine leichtlebigere und frivolere Zeit gegeben hat wie die
damalige. „Der Wohlstand wuchs mühelos, die Lasten bliebe» daneben die
alten, drückten also weniger, der Wert des Daseins stieg, die Neigung, es zu
genießen, pflanzte sich reißend fort. Die Geselligkeit erhielt eine Würze durch
anregende neue Ideen, die, flüchtig erfaßt und flüchtig weitergegeben, nur zur
Unterhaltung dienten, nicht befruchtend auf das praktische Leben wirkten. Ge¬
sellschaftliche Politur, geistreichelndes Dilettantentum, ein seichter Rationalismus
standen im Flore. Große Selbstgerechtigkeit machte sich breit, und aus dieser,
dem Kultus des Individuums, der Aufklärung, dem Sinne für Lebensgenuß,
keimte am Ende eine alles beherrschende Selbstsucht empor." Der Gemeinsinn
ging verloren, ebenso jede gesunde Leidenschaft, jede kräftige Einseitigkeit, jede
warme Vaterlandsliebe. Das Staatsinteresse, dem zu Friedrichs Zeiten alles
geopfert worden war, galt nur uoch wenig, und namentlich die Armee wurde
das Stiefkind des Vaterlandes.

Auch sonst litt die letztere schwer von den bezeichneten Fehlern des Zeit¬
geistes. Die Jsolirung, welche das öffentliche Leben durchdrang, griff auch hier
»in sich. Die fremden Elemente, die man nach den Verlusten des siebenjährigen
Krieges in das Heer aufgenommen hatte, waren schon eine starke Störung der
Homogenität; jetzt wurde die Kameradschaft auch durch die Verschiedenartigkeit
der Lebensweise beeinträchtigt. Die reichen Offiziere genossen wie alle Welt,
was ihnen beschicken war, und »ahmen Teil an der feinen, geistig regen, wenn
auch oberflächlichen Geselligkeit, die große Zahl der unbemittelten lebte neben
ihnen kärglich und hatte Mühe, sich durchzuschlagen. Nur im Dienst, bei Re-


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[0617] nach damaligen Bogriffen entschiede» liberale. Der König war stets darauf bedacht, seinen Unterthanen mehr zu geben als von ihnen zu fordern, die Lasten zu erleichtern und den Bürger gegen Beamtenwillkür und andre Ungebühr zu schützen. „Freiheit und Aufklärung, sagt Clausewitz, schien den verschiedenen Kabinetsräten, welche für die Angelegenheiten des Innern einander folgten, die hauptsächlichste Pflicht ihrer Stelle, und sie sahe» sich daher als eine Art von Volkstribunen an, die, neben den Thron gestellt, den aristokratischen Sinn des adliche» Ministeriums im Zaume halten und die Regierungsgewalt im Sinne der Zeit fortschreiten lassen mußten." Dazu kam die aus Frankreich stammende Schwärmerei für gleiche Rechte aller Menschen und für die Würde des Indi¬ viduums, das unter dem großen Friedrich neben dem Staate sehr wenig ge¬ golten hatte. Nur die Persönlichkeit sollte jetzt etwas sein, nicht Stellung und Herkommen, und es war guter Ton, von letzterm nichts zu wissen. „Aufklä¬ rung," „bieder" nud „würdig" waren allgemein beliebte Bcgriffsbezcichnungen. Man erwiederte den „biedern Gruß" eines Freundes, die Offiziere, welche ihren neuen Regimentschef mit einem Festgedicht empfingen, nannten sich seine „bie¬ deren Söhne," der alte Möllendorf adelte die gesamte Nation mit dem Epitheton „bieder," und ebenso war jedermann aus dem Volke „würdig," während es in Deutschland kaum je eine leichtlebigere und frivolere Zeit gegeben hat wie die damalige. „Der Wohlstand wuchs mühelos, die Lasten bliebe» daneben die alten, drückten also weniger, der Wert des Daseins stieg, die Neigung, es zu genießen, pflanzte sich reißend fort. Die Geselligkeit erhielt eine Würze durch anregende neue Ideen, die, flüchtig erfaßt und flüchtig weitergegeben, nur zur Unterhaltung dienten, nicht befruchtend auf das praktische Leben wirkten. Ge¬ sellschaftliche Politur, geistreichelndes Dilettantentum, ein seichter Rationalismus standen im Flore. Große Selbstgerechtigkeit machte sich breit, und aus dieser, dem Kultus des Individuums, der Aufklärung, dem Sinne für Lebensgenuß, keimte am Ende eine alles beherrschende Selbstsucht empor." Der Gemeinsinn ging verloren, ebenso jede gesunde Leidenschaft, jede kräftige Einseitigkeit, jede warme Vaterlandsliebe. Das Staatsinteresse, dem zu Friedrichs Zeiten alles geopfert worden war, galt nur uoch wenig, und namentlich die Armee wurde das Stiefkind des Vaterlandes. Auch sonst litt die letztere schwer von den bezeichneten Fehlern des Zeit¬ geistes. Die Jsolirung, welche das öffentliche Leben durchdrang, griff auch hier »in sich. Die fremden Elemente, die man nach den Verlusten des siebenjährigen Krieges in das Heer aufgenommen hatte, waren schon eine starke Störung der Homogenität; jetzt wurde die Kameradschaft auch durch die Verschiedenartigkeit der Lebensweise beeinträchtigt. Die reichen Offiziere genossen wie alle Welt, was ihnen beschicken war, und »ahmen Teil an der feinen, geistig regen, wenn auch oberflächlichen Geselligkeit, die große Zahl der unbemittelten lebte neben ihnen kärglich und hatte Mühe, sich durchzuschlagen. Nur im Dienst, bei Re-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/617>, abgerufen am 28.07.2024.