Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.

keinerlei Rechte als die auf Dividende und eventuelle Rückzahlung des Kapitals,
und auch ihre Verpflichtungen gehen ausschließlich nach dieser Richtung. Die
Genossenschaften der Schulze-Delitzschscheu Observanz sind immer reine Kredit-
institute, auch wenn sie als Rohstoffgenossenschaften oder als Konsumvereine
auftreten. Sie haben immer nur den Zweck, den persönlichen Kredit einer größer"
Anzahl von Personen zu kumuliren und der kapitalistischen Ausbeutung zugäng¬
lich zu machen, nicht aber den, die wirtschaftliche und moralische Kraft des Ein¬
zelnen zu heben -- was prinzipiell als eigentlicher Genossenschaftszweck gelten
sollte, und was auch die Zünfte ins Auge fassen müssen, wenn sie irgend eine
praktische Bedeutung für das soziale Leben gewinnen wollen.

Die gegenwärtigen Rohstosfgen ossensch after, wie sie hie und da bestehen,
ebenso die Konsumvereine, sind nicht ausschließlich für die Genossenschafter vor¬
handen, wie dies doch "ach genossenschaftlichen Prinzipien der Fall sein sollte,
und sie begründen auch nicht für den Genossenschafter die Verpflichtung, die
Artikel, welche die Genossenschaft führt, ausschließlich von ihr zu beziehen, wie
es doch ebenfalls, wenn die Genossenschaft eine Wahrheit wäre, sein müßte.
Ebensowenig hat der Genossenschafter den Vorteil des Kredits der Genossen¬
schaft gegenüber, oder doch bei den Konsumvereinen eines billigeren Bezuges.
Bei diesen letztern nutzt wohl die Verwaltung der Genossenschaft den kumulirten
Kredit der vereinigten Genossenschafter nach Möglichkeit aus; aber auf die letz¬
tern fällt davon nur der Schatten, nicht einmal der Vorteil verhältnismäßig
besserer Versorgung ist ihnen der Privatkonkurrenz gegenüber sicher. Und alle-
dem gegenüber haben sie die Last der Haftbarkeit mit dem gesamten Vermögen,
womit sie eventuell für die Mißgriffe oder gar Verbrechen der Verwaltung, über
die sie nur eine Scheiukvntrole haben, aufkommen müssen. Es ist daher er¬
klärlich, daß diese angeblichen Genossenschaften, trotz ihres verlockenden Auftretens,
nur einen Scheinerfolg aufzuweisen haben und zum großen Teil wieder in das
Nichts zurückgesunken sind. Dasselbe Schicksal aber würde unfehlbar den Zünften
blühen, wenn auch sie nur den genossenschaftlichen Schein borgen wollten.

In der That muß die Leitung der Zünfte, wenn sie eine Zukunft haben
sollen, den Kredit, den wir ja stets uuter den zukünftige" Aufgaben der Zünfte
nennen hören, nicht nur erfassen "ach seiner kumulativen Seite hin, wie die
modernen Genossenschaften, sondern sie hat das, was eigentlich am Kredit
gutes ist -- und das ist eigentlich nicht viel --, im Interesse der gesamten
Genossenschafter auszunutzen. Der Kredit also, den die Zunft durch Kumulation
des Kredits ihrer Angehörigen gewinnt, muß in vollem Maße auf diese selbst
zurückwirken, und die Zunft darf nicht etwa verfahre" nach Art der gegenwär¬
tigen Nohswffvereine. welche zwar Kredit nehmen, "prinzipiell" jedoch denselben
ihren Angehörigen verweigern; auch dann ist dies "Prinzip" zu verwerfen, wenn
etwa zünftlerischerseits ein besondres Kreditinstitut für Baarvvrschüsse an die
Mitglieder dauebengestellt werde" sollte. Die einzige zulässige Art, aber auch


Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.

keinerlei Rechte als die auf Dividende und eventuelle Rückzahlung des Kapitals,
und auch ihre Verpflichtungen gehen ausschließlich nach dieser Richtung. Die
Genossenschaften der Schulze-Delitzschscheu Observanz sind immer reine Kredit-
institute, auch wenn sie als Rohstoffgenossenschaften oder als Konsumvereine
auftreten. Sie haben immer nur den Zweck, den persönlichen Kredit einer größer»
Anzahl von Personen zu kumuliren und der kapitalistischen Ausbeutung zugäng¬
lich zu machen, nicht aber den, die wirtschaftliche und moralische Kraft des Ein¬
zelnen zu heben — was prinzipiell als eigentlicher Genossenschaftszweck gelten
sollte, und was auch die Zünfte ins Auge fassen müssen, wenn sie irgend eine
praktische Bedeutung für das soziale Leben gewinnen wollen.

Die gegenwärtigen Rohstosfgen ossensch after, wie sie hie und da bestehen,
ebenso die Konsumvereine, sind nicht ausschließlich für die Genossenschafter vor¬
handen, wie dies doch »ach genossenschaftlichen Prinzipien der Fall sein sollte,
und sie begründen auch nicht für den Genossenschafter die Verpflichtung, die
Artikel, welche die Genossenschaft führt, ausschließlich von ihr zu beziehen, wie
es doch ebenfalls, wenn die Genossenschaft eine Wahrheit wäre, sein müßte.
Ebensowenig hat der Genossenschafter den Vorteil des Kredits der Genossen¬
schaft gegenüber, oder doch bei den Konsumvereinen eines billigeren Bezuges.
Bei diesen letztern nutzt wohl die Verwaltung der Genossenschaft den kumulirten
Kredit der vereinigten Genossenschafter nach Möglichkeit aus; aber auf die letz¬
tern fällt davon nur der Schatten, nicht einmal der Vorteil verhältnismäßig
besserer Versorgung ist ihnen der Privatkonkurrenz gegenüber sicher. Und alle-
dem gegenüber haben sie die Last der Haftbarkeit mit dem gesamten Vermögen,
womit sie eventuell für die Mißgriffe oder gar Verbrechen der Verwaltung, über
die sie nur eine Scheiukvntrole haben, aufkommen müssen. Es ist daher er¬
klärlich, daß diese angeblichen Genossenschaften, trotz ihres verlockenden Auftretens,
nur einen Scheinerfolg aufzuweisen haben und zum großen Teil wieder in das
Nichts zurückgesunken sind. Dasselbe Schicksal aber würde unfehlbar den Zünften
blühen, wenn auch sie nur den genossenschaftlichen Schein borgen wollten.

In der That muß die Leitung der Zünfte, wenn sie eine Zukunft haben
sollen, den Kredit, den wir ja stets uuter den zukünftige» Aufgaben der Zünfte
nennen hören, nicht nur erfassen »ach seiner kumulativen Seite hin, wie die
modernen Genossenschaften, sondern sie hat das, was eigentlich am Kredit
gutes ist — und das ist eigentlich nicht viel —, im Interesse der gesamten
Genossenschafter auszunutzen. Der Kredit also, den die Zunft durch Kumulation
des Kredits ihrer Angehörigen gewinnt, muß in vollem Maße auf diese selbst
zurückwirken, und die Zunft darf nicht etwa verfahre» nach Art der gegenwär¬
tigen Nohswffvereine. welche zwar Kredit nehmen, „prinzipiell" jedoch denselben
ihren Angehörigen verweigern; auch dann ist dies „Prinzip" zu verwerfen, wenn
etwa zünftlerischerseits ein besondres Kreditinstitut für Baarvvrschüsse an die
Mitglieder dauebengestellt werde» sollte. Die einzige zulässige Art, aber auch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0606" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154771"/>
          <fw type="header" place="top"> Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1796" prev="#ID_1795"> keinerlei Rechte als die auf Dividende und eventuelle Rückzahlung des Kapitals,<lb/>
und auch ihre Verpflichtungen gehen ausschließlich nach dieser Richtung. Die<lb/>
Genossenschaften der Schulze-Delitzschscheu Observanz sind immer reine Kredit-<lb/>
institute, auch wenn sie als Rohstoffgenossenschaften oder als Konsumvereine<lb/>
auftreten. Sie haben immer nur den Zweck, den persönlichen Kredit einer größer»<lb/>
Anzahl von Personen zu kumuliren und der kapitalistischen Ausbeutung zugäng¬<lb/>
lich zu machen, nicht aber den, die wirtschaftliche und moralische Kraft des Ein¬<lb/>
zelnen zu heben &#x2014; was prinzipiell als eigentlicher Genossenschaftszweck gelten<lb/>
sollte, und was auch die Zünfte ins Auge fassen müssen, wenn sie irgend eine<lb/>
praktische Bedeutung für das soziale Leben gewinnen wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1797"> Die gegenwärtigen Rohstosfgen ossensch after, wie sie hie und da bestehen,<lb/>
ebenso die Konsumvereine, sind nicht ausschließlich für die Genossenschafter vor¬<lb/>
handen, wie dies doch »ach genossenschaftlichen Prinzipien der Fall sein sollte,<lb/>
und sie begründen auch nicht für den Genossenschafter die Verpflichtung, die<lb/>
Artikel, welche die Genossenschaft führt, ausschließlich von ihr zu beziehen, wie<lb/>
es doch ebenfalls, wenn die Genossenschaft eine Wahrheit wäre, sein müßte.<lb/>
Ebensowenig hat der Genossenschafter den Vorteil des Kredits der Genossen¬<lb/>
schaft gegenüber, oder doch bei den Konsumvereinen eines billigeren Bezuges.<lb/>
Bei diesen letztern nutzt wohl die Verwaltung der Genossenschaft den kumulirten<lb/>
Kredit der vereinigten Genossenschafter nach Möglichkeit aus; aber auf die letz¬<lb/>
tern fällt davon nur der Schatten, nicht einmal der Vorteil verhältnismäßig<lb/>
besserer Versorgung ist ihnen der Privatkonkurrenz gegenüber sicher. Und alle-<lb/>
dem gegenüber haben sie die Last der Haftbarkeit mit dem gesamten Vermögen,<lb/>
womit sie eventuell für die Mißgriffe oder gar Verbrechen der Verwaltung, über<lb/>
die sie nur eine Scheiukvntrole haben, aufkommen müssen. Es ist daher er¬<lb/>
klärlich, daß diese angeblichen Genossenschaften, trotz ihres verlockenden Auftretens,<lb/>
nur einen Scheinerfolg aufzuweisen haben und zum großen Teil wieder in das<lb/>
Nichts zurückgesunken sind. Dasselbe Schicksal aber würde unfehlbar den Zünften<lb/>
blühen, wenn auch sie nur den genossenschaftlichen Schein borgen wollten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1798" next="#ID_1799"> In der That muß die Leitung der Zünfte, wenn sie eine Zukunft haben<lb/>
sollen, den Kredit, den wir ja stets uuter den zukünftige» Aufgaben der Zünfte<lb/>
nennen hören, nicht nur erfassen »ach seiner kumulativen Seite hin, wie die<lb/>
modernen Genossenschaften, sondern sie hat das, was eigentlich am Kredit<lb/>
gutes ist &#x2014; und das ist eigentlich nicht viel &#x2014;, im Interesse der gesamten<lb/>
Genossenschafter auszunutzen. Der Kredit also, den die Zunft durch Kumulation<lb/>
des Kredits ihrer Angehörigen gewinnt, muß in vollem Maße auf diese selbst<lb/>
zurückwirken, und die Zunft darf nicht etwa verfahre» nach Art der gegenwär¬<lb/>
tigen Nohswffvereine. welche zwar Kredit nehmen, &#x201E;prinzipiell" jedoch denselben<lb/>
ihren Angehörigen verweigern; auch dann ist dies &#x201E;Prinzip" zu verwerfen, wenn<lb/>
etwa zünftlerischerseits ein besondres Kreditinstitut für Baarvvrschüsse an die<lb/>
Mitglieder dauebengestellt werde» sollte. Die einzige zulässige Art, aber auch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0606] Fortschritte der sozialpolitischen Debatte. keinerlei Rechte als die auf Dividende und eventuelle Rückzahlung des Kapitals, und auch ihre Verpflichtungen gehen ausschließlich nach dieser Richtung. Die Genossenschaften der Schulze-Delitzschscheu Observanz sind immer reine Kredit- institute, auch wenn sie als Rohstoffgenossenschaften oder als Konsumvereine auftreten. Sie haben immer nur den Zweck, den persönlichen Kredit einer größer» Anzahl von Personen zu kumuliren und der kapitalistischen Ausbeutung zugäng¬ lich zu machen, nicht aber den, die wirtschaftliche und moralische Kraft des Ein¬ zelnen zu heben — was prinzipiell als eigentlicher Genossenschaftszweck gelten sollte, und was auch die Zünfte ins Auge fassen müssen, wenn sie irgend eine praktische Bedeutung für das soziale Leben gewinnen wollen. Die gegenwärtigen Rohstosfgen ossensch after, wie sie hie und da bestehen, ebenso die Konsumvereine, sind nicht ausschließlich für die Genossenschafter vor¬ handen, wie dies doch »ach genossenschaftlichen Prinzipien der Fall sein sollte, und sie begründen auch nicht für den Genossenschafter die Verpflichtung, die Artikel, welche die Genossenschaft führt, ausschließlich von ihr zu beziehen, wie es doch ebenfalls, wenn die Genossenschaft eine Wahrheit wäre, sein müßte. Ebensowenig hat der Genossenschafter den Vorteil des Kredits der Genossen¬ schaft gegenüber, oder doch bei den Konsumvereinen eines billigeren Bezuges. Bei diesen letztern nutzt wohl die Verwaltung der Genossenschaft den kumulirten Kredit der vereinigten Genossenschafter nach Möglichkeit aus; aber auf die letz¬ tern fällt davon nur der Schatten, nicht einmal der Vorteil verhältnismäßig besserer Versorgung ist ihnen der Privatkonkurrenz gegenüber sicher. Und alle- dem gegenüber haben sie die Last der Haftbarkeit mit dem gesamten Vermögen, womit sie eventuell für die Mißgriffe oder gar Verbrechen der Verwaltung, über die sie nur eine Scheiukvntrole haben, aufkommen müssen. Es ist daher er¬ klärlich, daß diese angeblichen Genossenschaften, trotz ihres verlockenden Auftretens, nur einen Scheinerfolg aufzuweisen haben und zum großen Teil wieder in das Nichts zurückgesunken sind. Dasselbe Schicksal aber würde unfehlbar den Zünften blühen, wenn auch sie nur den genossenschaftlichen Schein borgen wollten. In der That muß die Leitung der Zünfte, wenn sie eine Zukunft haben sollen, den Kredit, den wir ja stets uuter den zukünftige» Aufgaben der Zünfte nennen hören, nicht nur erfassen »ach seiner kumulativen Seite hin, wie die modernen Genossenschaften, sondern sie hat das, was eigentlich am Kredit gutes ist — und das ist eigentlich nicht viel —, im Interesse der gesamten Genossenschafter auszunutzen. Der Kredit also, den die Zunft durch Kumulation des Kredits ihrer Angehörigen gewinnt, muß in vollem Maße auf diese selbst zurückwirken, und die Zunft darf nicht etwa verfahre» nach Art der gegenwär¬ tigen Nohswffvereine. welche zwar Kredit nehmen, „prinzipiell" jedoch denselben ihren Angehörigen verweigern; auch dann ist dies „Prinzip" zu verwerfen, wenn etwa zünftlerischerseits ein besondres Kreditinstitut für Baarvvrschüsse an die Mitglieder dauebengestellt werde» sollte. Die einzige zulässige Art, aber auch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/606
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/606>, abgerufen am 01.09.2024.