Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der neue Merlin.

zum Zeichen, das; eine liebliche Thörin den Sinn des Weisesten besiegt und
fesselt. Der große Zauberer, der sich die Ehrfurcht der Welt erzwang, flößte der
gaukelnden Viviane weder Scheu noch Furcht ein -- sie.wußte zu gut, was
sie ihm galt, und daß seiner Liebsten gegenüber jeder ein Kind wird. Wohl
aber erfüllte" sie die wundersamen Eigenschaften Merlins mit staunender Neugier
und dem geheimen Antrieb, womöglich auch Herrin aller seiner geheime" Kräfte
zu werden. Im Walde Brezeliand in der Bretagne, wohin Merlin täglich zu
ihr zurückkehrte, während er König Artus und die Seinen schon tausende von
Meile" weit "ach Asien hineingeführt hatte, auf blumigen Rain, um den der
Weißdorn seine blühenden Hecken wob, saß Merlin an Vivicmes Seite, und
immer länger dehnten sich die Stunden aus, die er bei ihr zubrachte, immer
kürzer wurden jene, i" denen er die Mühen seiner Gefährten teilte und mit
seiner Zauberkraft ihre Nöte besiegte. Im Liebesspiel zeigte er ihr verborgene
Schätze, mit denen sie übermütig spielte wie ein Kind mit glänzenden Steinen,
offenbarte ihr tiefe Erkenntnisse, die für das Mädchen nur Seifenblasen waren,
und fühlte täglich mehr den Drang, sich ihr ganz hinzugeben und auch das letzte
Geheimnis, das seine Lippen nur noch mühsam verschlossen, ihr zu enthüllen.
Schmeichelnd gewann Viviane ihm alles ab, täglich einige Minuten mehr seiner Zeit,
täglich ein Stück von der Vergangenheit, das schwer in seiner Brust geruht hatte
und das sie nun hinwegscherzte wie eine fliegende Feder mit dem Hauche ihres
Mundes. Bald ahnte und fühlte sie, daß er noch etwas vor ihr verberge, daß ein
Unausgesprochenes zwischen ihnen hin- und herwoge, und nun hub sie an unter
Küssen und Thräncnschanern ihn wissen zu lassen, daß er alles, alles mit ihr
teilen müsse! In Merlins Seele war ein schweres Ringen -- mitten im Rausch
seiner Minne beschlich ihn dunkles Grauen davor, die Macht des geheimnisvollen
Wortes in andre Hand zu geben, seiner Bethörung zum Trotz sah er dann wohl
Vivicmes wahres Gesicht. So gewann er noch für manchen Tag die Kraft
des Schweigens, bis ihm seine Stunde schlug. Denn Viviane ließ nicht ab,
mit flehenden Worten und stummen Bitten in jedem Blick in Merlin zu dringen,
sodaß seine Seele matt ward und er sich endlich, endlich überwältigt fühlte.
Er vertraute der Liebsten, daß es ein Wort gebe, welches, von fremden Lippen
gesprochen, ihn für immer zum Gefangenen machen müsse. Da erbleichte Vi¬
viane und bat ihn, das Wort nicht auszusprechen, und weckte eben damit das
Verlangen Merlins, ihr alles zu vertrauen. Sie wollte sich aus seinem Arm
winden, ihm wars, als ob er sie festhalten müsse und er flüsterte ihr die ver¬
hängnisvollen Laute zu. Aufschreiend wiederholte Viviane das Wort, und sank
ohnmächtig an Merlins Seite nieder. Der Zauberer aber blieb nach dunkeln
Ratschluß fortan an den von Dornhecken umschlossenen Waldplatz gebannt, und
Viviane lag umsonst in vergeblichen Renethränen zu seinen Füßen. So gelobte
sie endlich, täglich zu ihm zu kommen, wie er bisher zu ihr gekommen sei, und
mit ihm zu tragen, was er und sie verschuldet. Merlin verschloß den unge-


Der neue Merlin.

zum Zeichen, das; eine liebliche Thörin den Sinn des Weisesten besiegt und
fesselt. Der große Zauberer, der sich die Ehrfurcht der Welt erzwang, flößte der
gaukelnden Viviane weder Scheu noch Furcht ein — sie.wußte zu gut, was
sie ihm galt, und daß seiner Liebsten gegenüber jeder ein Kind wird. Wohl
aber erfüllte» sie die wundersamen Eigenschaften Merlins mit staunender Neugier
und dem geheimen Antrieb, womöglich auch Herrin aller seiner geheime» Kräfte
zu werden. Im Walde Brezeliand in der Bretagne, wohin Merlin täglich zu
ihr zurückkehrte, während er König Artus und die Seinen schon tausende von
Meile» weit »ach Asien hineingeführt hatte, auf blumigen Rain, um den der
Weißdorn seine blühenden Hecken wob, saß Merlin an Vivicmes Seite, und
immer länger dehnten sich die Stunden aus, die er bei ihr zubrachte, immer
kürzer wurden jene, i» denen er die Mühen seiner Gefährten teilte und mit
seiner Zauberkraft ihre Nöte besiegte. Im Liebesspiel zeigte er ihr verborgene
Schätze, mit denen sie übermütig spielte wie ein Kind mit glänzenden Steinen,
offenbarte ihr tiefe Erkenntnisse, die für das Mädchen nur Seifenblasen waren,
und fühlte täglich mehr den Drang, sich ihr ganz hinzugeben und auch das letzte
Geheimnis, das seine Lippen nur noch mühsam verschlossen, ihr zu enthüllen.
Schmeichelnd gewann Viviane ihm alles ab, täglich einige Minuten mehr seiner Zeit,
täglich ein Stück von der Vergangenheit, das schwer in seiner Brust geruht hatte
und das sie nun hinwegscherzte wie eine fliegende Feder mit dem Hauche ihres
Mundes. Bald ahnte und fühlte sie, daß er noch etwas vor ihr verberge, daß ein
Unausgesprochenes zwischen ihnen hin- und herwoge, und nun hub sie an unter
Küssen und Thräncnschanern ihn wissen zu lassen, daß er alles, alles mit ihr
teilen müsse! In Merlins Seele war ein schweres Ringen — mitten im Rausch
seiner Minne beschlich ihn dunkles Grauen davor, die Macht des geheimnisvollen
Wortes in andre Hand zu geben, seiner Bethörung zum Trotz sah er dann wohl
Vivicmes wahres Gesicht. So gewann er noch für manchen Tag die Kraft
des Schweigens, bis ihm seine Stunde schlug. Denn Viviane ließ nicht ab,
mit flehenden Worten und stummen Bitten in jedem Blick in Merlin zu dringen,
sodaß seine Seele matt ward und er sich endlich, endlich überwältigt fühlte.
Er vertraute der Liebsten, daß es ein Wort gebe, welches, von fremden Lippen
gesprochen, ihn für immer zum Gefangenen machen müsse. Da erbleichte Vi¬
viane und bat ihn, das Wort nicht auszusprechen, und weckte eben damit das
Verlangen Merlins, ihr alles zu vertrauen. Sie wollte sich aus seinem Arm
winden, ihm wars, als ob er sie festhalten müsse und er flüsterte ihr die ver¬
hängnisvollen Laute zu. Aufschreiend wiederholte Viviane das Wort, und sank
ohnmächtig an Merlins Seite nieder. Der Zauberer aber blieb nach dunkeln
Ratschluß fortan an den von Dornhecken umschlossenen Waldplatz gebannt, und
Viviane lag umsonst in vergeblichen Renethränen zu seinen Füßen. So gelobte
sie endlich, täglich zu ihm zu kommen, wie er bisher zu ihr gekommen sei, und
mit ihm zu tragen, was er und sie verschuldet. Merlin verschloß den unge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0585" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154750"/>
          <fw type="header" place="top"> Der neue Merlin.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1733" prev="#ID_1732" next="#ID_1734"> zum Zeichen, das; eine liebliche Thörin den Sinn des Weisesten besiegt und<lb/>
fesselt. Der große Zauberer, der sich die Ehrfurcht der Welt erzwang, flößte der<lb/>
gaukelnden Viviane weder Scheu noch Furcht ein &#x2014; sie.wußte zu gut, was<lb/>
sie ihm galt, und daß seiner Liebsten gegenüber jeder ein Kind wird. Wohl<lb/>
aber erfüllte» sie die wundersamen Eigenschaften Merlins mit staunender Neugier<lb/>
und dem geheimen Antrieb, womöglich auch Herrin aller seiner geheime» Kräfte<lb/>
zu werden. Im Walde Brezeliand in der Bretagne, wohin Merlin täglich zu<lb/>
ihr zurückkehrte, während er König Artus und die Seinen schon tausende von<lb/>
Meile» weit »ach Asien hineingeführt hatte, auf blumigen Rain, um den der<lb/>
Weißdorn seine blühenden Hecken wob, saß Merlin an Vivicmes Seite, und<lb/>
immer länger dehnten sich die Stunden aus, die er bei ihr zubrachte, immer<lb/>
kürzer wurden jene, i» denen er die Mühen seiner Gefährten teilte und mit<lb/>
seiner Zauberkraft ihre Nöte besiegte. Im Liebesspiel zeigte er ihr verborgene<lb/>
Schätze, mit denen sie übermütig spielte wie ein Kind mit glänzenden Steinen,<lb/>
offenbarte ihr tiefe Erkenntnisse, die für das Mädchen nur Seifenblasen waren,<lb/>
und fühlte täglich mehr den Drang, sich ihr ganz hinzugeben und auch das letzte<lb/>
Geheimnis, das seine Lippen nur noch mühsam verschlossen, ihr zu enthüllen.<lb/>
Schmeichelnd gewann Viviane ihm alles ab, täglich einige Minuten mehr seiner Zeit,<lb/>
täglich ein Stück von der Vergangenheit, das schwer in seiner Brust geruht hatte<lb/>
und das sie nun hinwegscherzte wie eine fliegende Feder mit dem Hauche ihres<lb/>
Mundes. Bald ahnte und fühlte sie, daß er noch etwas vor ihr verberge, daß ein<lb/>
Unausgesprochenes zwischen ihnen hin- und herwoge, und nun hub sie an unter<lb/>
Küssen und Thräncnschanern ihn wissen zu lassen, daß er alles, alles mit ihr<lb/>
teilen müsse! In Merlins Seele war ein schweres Ringen &#x2014; mitten im Rausch<lb/>
seiner Minne beschlich ihn dunkles Grauen davor, die Macht des geheimnisvollen<lb/>
Wortes in andre Hand zu geben, seiner Bethörung zum Trotz sah er dann wohl<lb/>
Vivicmes wahres Gesicht. So gewann er noch für manchen Tag die Kraft<lb/>
des Schweigens, bis ihm seine Stunde schlug. Denn Viviane ließ nicht ab,<lb/>
mit flehenden Worten und stummen Bitten in jedem Blick in Merlin zu dringen,<lb/>
sodaß seine Seele matt ward und er sich endlich, endlich überwältigt fühlte.<lb/>
Er vertraute der Liebsten, daß es ein Wort gebe, welches, von fremden Lippen<lb/>
gesprochen, ihn für immer zum Gefangenen machen müsse. Da erbleichte Vi¬<lb/>
viane und bat ihn, das Wort nicht auszusprechen, und weckte eben damit das<lb/>
Verlangen Merlins, ihr alles zu vertrauen. Sie wollte sich aus seinem Arm<lb/>
winden, ihm wars, als ob er sie festhalten müsse und er flüsterte ihr die ver¬<lb/>
hängnisvollen Laute zu. Aufschreiend wiederholte Viviane das Wort, und sank<lb/>
ohnmächtig an Merlins Seite nieder. Der Zauberer aber blieb nach dunkeln<lb/>
Ratschluß fortan an den von Dornhecken umschlossenen Waldplatz gebannt, und<lb/>
Viviane lag umsonst in vergeblichen Renethränen zu seinen Füßen. So gelobte<lb/>
sie endlich, täglich zu ihm zu kommen, wie er bisher zu ihr gekommen sei, und<lb/>
mit ihm zu tragen, was er und sie verschuldet.  Merlin verschloß den unge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0585] Der neue Merlin. zum Zeichen, das; eine liebliche Thörin den Sinn des Weisesten besiegt und fesselt. Der große Zauberer, der sich die Ehrfurcht der Welt erzwang, flößte der gaukelnden Viviane weder Scheu noch Furcht ein — sie.wußte zu gut, was sie ihm galt, und daß seiner Liebsten gegenüber jeder ein Kind wird. Wohl aber erfüllte» sie die wundersamen Eigenschaften Merlins mit staunender Neugier und dem geheimen Antrieb, womöglich auch Herrin aller seiner geheime» Kräfte zu werden. Im Walde Brezeliand in der Bretagne, wohin Merlin täglich zu ihr zurückkehrte, während er König Artus und die Seinen schon tausende von Meile» weit »ach Asien hineingeführt hatte, auf blumigen Rain, um den der Weißdorn seine blühenden Hecken wob, saß Merlin an Vivicmes Seite, und immer länger dehnten sich die Stunden aus, die er bei ihr zubrachte, immer kürzer wurden jene, i» denen er die Mühen seiner Gefährten teilte und mit seiner Zauberkraft ihre Nöte besiegte. Im Liebesspiel zeigte er ihr verborgene Schätze, mit denen sie übermütig spielte wie ein Kind mit glänzenden Steinen, offenbarte ihr tiefe Erkenntnisse, die für das Mädchen nur Seifenblasen waren, und fühlte täglich mehr den Drang, sich ihr ganz hinzugeben und auch das letzte Geheimnis, das seine Lippen nur noch mühsam verschlossen, ihr zu enthüllen. Schmeichelnd gewann Viviane ihm alles ab, täglich einige Minuten mehr seiner Zeit, täglich ein Stück von der Vergangenheit, das schwer in seiner Brust geruht hatte und das sie nun hinwegscherzte wie eine fliegende Feder mit dem Hauche ihres Mundes. Bald ahnte und fühlte sie, daß er noch etwas vor ihr verberge, daß ein Unausgesprochenes zwischen ihnen hin- und herwoge, und nun hub sie an unter Küssen und Thräncnschanern ihn wissen zu lassen, daß er alles, alles mit ihr teilen müsse! In Merlins Seele war ein schweres Ringen — mitten im Rausch seiner Minne beschlich ihn dunkles Grauen davor, die Macht des geheimnisvollen Wortes in andre Hand zu geben, seiner Bethörung zum Trotz sah er dann wohl Vivicmes wahres Gesicht. So gewann er noch für manchen Tag die Kraft des Schweigens, bis ihm seine Stunde schlug. Denn Viviane ließ nicht ab, mit flehenden Worten und stummen Bitten in jedem Blick in Merlin zu dringen, sodaß seine Seele matt ward und er sich endlich, endlich überwältigt fühlte. Er vertraute der Liebsten, daß es ein Wort gebe, welches, von fremden Lippen gesprochen, ihn für immer zum Gefangenen machen müsse. Da erbleichte Vi¬ viane und bat ihn, das Wort nicht auszusprechen, und weckte eben damit das Verlangen Merlins, ihr alles zu vertrauen. Sie wollte sich aus seinem Arm winden, ihm wars, als ob er sie festhalten müsse und er flüsterte ihr die ver¬ hängnisvollen Laute zu. Aufschreiend wiederholte Viviane das Wort, und sank ohnmächtig an Merlins Seite nieder. Der Zauberer aber blieb nach dunkeln Ratschluß fortan an den von Dornhecken umschlossenen Waldplatz gebannt, und Viviane lag umsonst in vergeblichen Renethränen zu seinen Füßen. So gelobte sie endlich, täglich zu ihm zu kommen, wie er bisher zu ihr gekommen sei, und mit ihm zu tragen, was er und sie verschuldet. Merlin verschloß den unge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/585
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/585>, abgerufen am 28.07.2024.