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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der neue lNertin.

schönen Begleiterin, welche dieselbe vertrauende Miene behielt wie beim ersten
Eintritt, Vor ihnen erhob sich, aus festeren! Holz gefügt und bis zur Undurch-
sichtigkeit dicht bewachsen, eine hohe Rcbenwand, ein gewölbter Laubengang, der
zu allen Tageszeiten Schatte" gab und den die deutsche Gesellschaft jetzt betrat.
Etwa hundert Schritte zog sich der Gang hinab, durch den untern Bogen des¬
selben sah man über eine baumuinhegte Terrasse hinweg auf die blauschimmernde
Lagune und die fernen Bergzüge des Festlandes. Rufe des Entzückens und
der Befriedigung drangen zu deu Ohren des jungen Cicerone, heitern Antlitzes
wandte er sich zu den Landsleuten zurück, deren Stannen über die einzig schöne
Anlage wuchs, je näher sie der Terrasse kamen. Und nun traten sie hinaus
in den Halbkreis, welcher zwischen dem schmucklosen Hanse und der Ufermauer
von Nebcnwäuden und Lorberhecken, von Orangcnspalieren, dichten Gebüschen
hvchstrebcuder Chpresfcu und Coniferen gebildet ward. Eine Nymphe aus der
Schule Ccmvvas, die ihren Krug in ein Marmorbecken von mäßigem Umfang
entleerte, bildete den Mittelpunkt der Anlage; von ihr aus bis zum Hause er¬
streckte sich ein Hügel niederer und hochstämmiger Rosen, ans denen eine große
Anzahl von Spätblüten hervorleuchtete". Einige prachtvolle alte Kastanien
spendeten der Breite der Terrasse Schatte", rechts und links aber wölbten sich
die Lorberhecken zu geräumigen Lauben mit mancherlei Sitzen. Doktor Car-
stens lenkte die Schritte der Gesellschaft nach der links von dem Rebengang ge¬
legenen Lanbe, welche den freiesten und schönsten Ausblick über den farbigen
Wasserspiegel und die duftigen Umrisse der Eilande und der Terraferma hinter
Mestre gewährte. Tiefe Stille herrschte in dem einsamen Garten, unwillkürlich
wandten sich die Blicke einiger aus der Gesellschaft nach den Fenstern des
Hauses empor, die sämtlich auf die grüne Terrasse gerichtet waren. Der Kunst¬
historiker überließ die Landsleute einige Minuten dem Wohlgefallen an der reiz¬
vollen Anlage, dann aber rief er sie zu der Laube heran, in der er selbst mit dem
anmutigen Mädchen stand, welches auch jetzt ueben ihm geblieben war. Vom
Hause her erschien ein alter Diener und bot Eislimouade und andre einfache
Erfrischungen, die alle willkommen hießen und deren Genuß die Zerstreuter
an der Stelle vereinigte, welche Carstens von vornherein ins Auge ge¬
faßt hatte. Die stille Betrachtung der schimmernden Flut und der rückwärts
liegenden schattenreichen Terrasse ward bald von Ausrufen des Entzückens und
bald von Fragen nach dem Hausherrn unterbrochen, welcher ihnen, den Fremden,
so liebenswürdig die verborgene Schönheit dieses Gartens gegönnt habe. Vor
allem begehrte man zu wissen, wie Doktor Carstens den Besitzer der weltfern
gelegenen Villa auf Torcello kennen gelernt habe. Denn daß er einer ausdrück¬
lichen Einladung des Signor Constautini gefolgt sei, wußten die Glieder der
kleinen deutschen Gesellschaft bereits. Der junge Gelehrte blickte nach den Stufen,
die vom Hause nach dem Garten hinabführten, und sagte dann, als sich niemand
auf denselben zeigte:


Der neue lNertin.

schönen Begleiterin, welche dieselbe vertrauende Miene behielt wie beim ersten
Eintritt, Vor ihnen erhob sich, aus festeren! Holz gefügt und bis zur Undurch-
sichtigkeit dicht bewachsen, eine hohe Rcbenwand, ein gewölbter Laubengang, der
zu allen Tageszeiten Schatte» gab und den die deutsche Gesellschaft jetzt betrat.
Etwa hundert Schritte zog sich der Gang hinab, durch den untern Bogen des¬
selben sah man über eine baumuinhegte Terrasse hinweg auf die blauschimmernde
Lagune und die fernen Bergzüge des Festlandes. Rufe des Entzückens und
der Befriedigung drangen zu deu Ohren des jungen Cicerone, heitern Antlitzes
wandte er sich zu den Landsleuten zurück, deren Stannen über die einzig schöne
Anlage wuchs, je näher sie der Terrasse kamen. Und nun traten sie hinaus
in den Halbkreis, welcher zwischen dem schmucklosen Hanse und der Ufermauer
von Nebcnwäuden und Lorberhecken, von Orangcnspalieren, dichten Gebüschen
hvchstrebcuder Chpresfcu und Coniferen gebildet ward. Eine Nymphe aus der
Schule Ccmvvas, die ihren Krug in ein Marmorbecken von mäßigem Umfang
entleerte, bildete den Mittelpunkt der Anlage; von ihr aus bis zum Hause er¬
streckte sich ein Hügel niederer und hochstämmiger Rosen, ans denen eine große
Anzahl von Spätblüten hervorleuchtete». Einige prachtvolle alte Kastanien
spendeten der Breite der Terrasse Schatte», rechts und links aber wölbten sich
die Lorberhecken zu geräumigen Lauben mit mancherlei Sitzen. Doktor Car-
stens lenkte die Schritte der Gesellschaft nach der links von dem Rebengang ge¬
legenen Lanbe, welche den freiesten und schönsten Ausblick über den farbigen
Wasserspiegel und die duftigen Umrisse der Eilande und der Terraferma hinter
Mestre gewährte. Tiefe Stille herrschte in dem einsamen Garten, unwillkürlich
wandten sich die Blicke einiger aus der Gesellschaft nach den Fenstern des
Hauses empor, die sämtlich auf die grüne Terrasse gerichtet waren. Der Kunst¬
historiker überließ die Landsleute einige Minuten dem Wohlgefallen an der reiz¬
vollen Anlage, dann aber rief er sie zu der Laube heran, in der er selbst mit dem
anmutigen Mädchen stand, welches auch jetzt ueben ihm geblieben war. Vom
Hause her erschien ein alter Diener und bot Eislimouade und andre einfache
Erfrischungen, die alle willkommen hießen und deren Genuß die Zerstreuter
an der Stelle vereinigte, welche Carstens von vornherein ins Auge ge¬
faßt hatte. Die stille Betrachtung der schimmernden Flut und der rückwärts
liegenden schattenreichen Terrasse ward bald von Ausrufen des Entzückens und
bald von Fragen nach dem Hausherrn unterbrochen, welcher ihnen, den Fremden,
so liebenswürdig die verborgene Schönheit dieses Gartens gegönnt habe. Vor
allem begehrte man zu wissen, wie Doktor Carstens den Besitzer der weltfern
gelegenen Villa auf Torcello kennen gelernt habe. Denn daß er einer ausdrück¬
lichen Einladung des Signor Constautini gefolgt sei, wußten die Glieder der
kleinen deutschen Gesellschaft bereits. Der junge Gelehrte blickte nach den Stufen,
die vom Hause nach dem Garten hinabführten, und sagte dann, als sich niemand
auf denselben zeigte:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/581>, abgerufen am 01.09.2024.