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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Eine Geschichte der amerikanischen Literatur,

von seinen literarisch berühmten Töchtern, und endlich jener originelle Henry
Thorecm, eine geniale Feld- und Waldnatur, tief eingelebt in die Pflanzen-,
Tier- und Menschenseele; dazwischen dann manch geistreicher Besucher von Boston
und Cambridge: Channing, Margaret Füller, Parker u. a. in. -- das alles in
einem historisch interessanten Farmerstädtchen Neuenglands, an das sich Jndicmer-
geschichten und Erinnerungen an die Revolutionszeit knüpfen.

Mit Hawthorne, dessen Einfluß auf die besten jüngeren Novellisten seines
Landes unverkennbar ist, beschäftigt sich Nichol in einem eignen Kapitel. In
der Analyse seiner Werke deutet er an, welche Scelenverwandtschaft hie und da
in diesem weltabgeschiedenen, nach innen gekehrten Geiste mit Goethe, Novalis
und dem Geister-Hoffmann vorhanden ist.

Anknüpfend an Hawthorne behandelt Nichol dann die neueren Novellisten
der Zeit von 1850--1880. Er fühlt die Schwierigkeit der Aufgabe, von einem
höhern Standpunkt aus über eine verhältnismäßig junge Kunstform in einem
Lande zu urteilen, in welchem außer dem englischen Wesen deutsches und irisches,
französisches, spanisches und italienisches sich geltend machen. "Die Vorwürfe,
welche die amerikanischen Verfasser behandeln, schreibt er, sind einem viel größern
Nahmen entnommen, und ihre Behandlungsweise ist weniger beschränkt durch
Autoritäten als bei uns."

Nichol macht folgende Ausstellungen an dieser Erzählungsliteratnr: Sie
sündigt noch immer durch ein Übermaß an Schilderungen, welche die äußere
Natur zum Gegenstande haben. Alle Welt will seine Reiseeindrücke beschreiben.
Was noch schlimmer ist, sind die vielen, den Namen einer Novelle beanspruchenden
Schriften, welche nichts als phantasievoll aufgeputzte Geschichte oder Biographie
enthalten. Während in der frühern Ära amerikanischer Dichtung das Abenteuer¬
liche überwog, ist es in der gegenwärtigen die Vorliebe für vie Analyse; die
Verinnerlichung ist bis auf die Spitze getrieben, das Interesse wird häufig ein
pathologisches. Es ist das eine Folge der erwähnten transcendentalen Strömung.
Beispiele dieser Art sind die Romane von Oliver Wendell Holmes und Syl¬
vester Judd. Bei Julian Hawthorne, dem Sohne seines berühmten Vaters,
bei Dean Howells und Henry James, welche jetzt in der Blüte ihrer Kraft und
auf der Höhe der Beliebtheit stehen, wiegt die psychologische Charakteristik vor,
wobei der Hintergrund dem modernen Leben Amerikas und Europas in reali¬
stischer Behandlung entnommen zu sein pflegt. Nichol geht auf die Werke der
letztern drei näher ein, nachdem er ihnen mit epigrammatischer Schärfe ihren
Platz angewiesen hat mit den Worten: "Sie sind Nachfolger Nathaniel Haw-
thornes, insofern sie der Welt und dem Dasein perplex gegenüberzustehen scheinen
und entschlossen sind, auch uns perplex zu machen, der eine mit dunkeln Ge¬
heimnissen, die andern mit sozialen Problemen."

Die lstzte Gruppe bilden die "amerikanischen Humoristen." Der reiche eng¬
lische Humor ist auf dem Boden der neuen Welt bekanntlich üppig aufgegangen.


Eine Geschichte der amerikanischen Literatur,

von seinen literarisch berühmten Töchtern, und endlich jener originelle Henry
Thorecm, eine geniale Feld- und Waldnatur, tief eingelebt in die Pflanzen-,
Tier- und Menschenseele; dazwischen dann manch geistreicher Besucher von Boston
und Cambridge: Channing, Margaret Füller, Parker u. a. in. — das alles in
einem historisch interessanten Farmerstädtchen Neuenglands, an das sich Jndicmer-
geschichten und Erinnerungen an die Revolutionszeit knüpfen.

Mit Hawthorne, dessen Einfluß auf die besten jüngeren Novellisten seines
Landes unverkennbar ist, beschäftigt sich Nichol in einem eignen Kapitel. In
der Analyse seiner Werke deutet er an, welche Scelenverwandtschaft hie und da
in diesem weltabgeschiedenen, nach innen gekehrten Geiste mit Goethe, Novalis
und dem Geister-Hoffmann vorhanden ist.

Anknüpfend an Hawthorne behandelt Nichol dann die neueren Novellisten
der Zeit von 1850—1880. Er fühlt die Schwierigkeit der Aufgabe, von einem
höhern Standpunkt aus über eine verhältnismäßig junge Kunstform in einem
Lande zu urteilen, in welchem außer dem englischen Wesen deutsches und irisches,
französisches, spanisches und italienisches sich geltend machen. „Die Vorwürfe,
welche die amerikanischen Verfasser behandeln, schreibt er, sind einem viel größern
Nahmen entnommen, und ihre Behandlungsweise ist weniger beschränkt durch
Autoritäten als bei uns."

Nichol macht folgende Ausstellungen an dieser Erzählungsliteratnr: Sie
sündigt noch immer durch ein Übermaß an Schilderungen, welche die äußere
Natur zum Gegenstande haben. Alle Welt will seine Reiseeindrücke beschreiben.
Was noch schlimmer ist, sind die vielen, den Namen einer Novelle beanspruchenden
Schriften, welche nichts als phantasievoll aufgeputzte Geschichte oder Biographie
enthalten. Während in der frühern Ära amerikanischer Dichtung das Abenteuer¬
liche überwog, ist es in der gegenwärtigen die Vorliebe für vie Analyse; die
Verinnerlichung ist bis auf die Spitze getrieben, das Interesse wird häufig ein
pathologisches. Es ist das eine Folge der erwähnten transcendentalen Strömung.
Beispiele dieser Art sind die Romane von Oliver Wendell Holmes und Syl¬
vester Judd. Bei Julian Hawthorne, dem Sohne seines berühmten Vaters,
bei Dean Howells und Henry James, welche jetzt in der Blüte ihrer Kraft und
auf der Höhe der Beliebtheit stehen, wiegt die psychologische Charakteristik vor,
wobei der Hintergrund dem modernen Leben Amerikas und Europas in reali¬
stischer Behandlung entnommen zu sein pflegt. Nichol geht auf die Werke der
letztern drei näher ein, nachdem er ihnen mit epigrammatischer Schärfe ihren
Platz angewiesen hat mit den Worten: „Sie sind Nachfolger Nathaniel Haw-
thornes, insofern sie der Welt und dem Dasein perplex gegenüberzustehen scheinen
und entschlossen sind, auch uns perplex zu machen, der eine mit dunkeln Ge¬
heimnissen, die andern mit sozialen Problemen."

Die lstzte Gruppe bilden die „amerikanischen Humoristen." Der reiche eng¬
lische Humor ist auf dem Boden der neuen Welt bekanntlich üppig aufgegangen.


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[0573] Eine Geschichte der amerikanischen Literatur, von seinen literarisch berühmten Töchtern, und endlich jener originelle Henry Thorecm, eine geniale Feld- und Waldnatur, tief eingelebt in die Pflanzen-, Tier- und Menschenseele; dazwischen dann manch geistreicher Besucher von Boston und Cambridge: Channing, Margaret Füller, Parker u. a. in. — das alles in einem historisch interessanten Farmerstädtchen Neuenglands, an das sich Jndicmer- geschichten und Erinnerungen an die Revolutionszeit knüpfen. Mit Hawthorne, dessen Einfluß auf die besten jüngeren Novellisten seines Landes unverkennbar ist, beschäftigt sich Nichol in einem eignen Kapitel. In der Analyse seiner Werke deutet er an, welche Scelenverwandtschaft hie und da in diesem weltabgeschiedenen, nach innen gekehrten Geiste mit Goethe, Novalis und dem Geister-Hoffmann vorhanden ist. Anknüpfend an Hawthorne behandelt Nichol dann die neueren Novellisten der Zeit von 1850—1880. Er fühlt die Schwierigkeit der Aufgabe, von einem höhern Standpunkt aus über eine verhältnismäßig junge Kunstform in einem Lande zu urteilen, in welchem außer dem englischen Wesen deutsches und irisches, französisches, spanisches und italienisches sich geltend machen. „Die Vorwürfe, welche die amerikanischen Verfasser behandeln, schreibt er, sind einem viel größern Nahmen entnommen, und ihre Behandlungsweise ist weniger beschränkt durch Autoritäten als bei uns." Nichol macht folgende Ausstellungen an dieser Erzählungsliteratnr: Sie sündigt noch immer durch ein Übermaß an Schilderungen, welche die äußere Natur zum Gegenstande haben. Alle Welt will seine Reiseeindrücke beschreiben. Was noch schlimmer ist, sind die vielen, den Namen einer Novelle beanspruchenden Schriften, welche nichts als phantasievoll aufgeputzte Geschichte oder Biographie enthalten. Während in der frühern Ära amerikanischer Dichtung das Abenteuer¬ liche überwog, ist es in der gegenwärtigen die Vorliebe für vie Analyse; die Verinnerlichung ist bis auf die Spitze getrieben, das Interesse wird häufig ein pathologisches. Es ist das eine Folge der erwähnten transcendentalen Strömung. Beispiele dieser Art sind die Romane von Oliver Wendell Holmes und Syl¬ vester Judd. Bei Julian Hawthorne, dem Sohne seines berühmten Vaters, bei Dean Howells und Henry James, welche jetzt in der Blüte ihrer Kraft und auf der Höhe der Beliebtheit stehen, wiegt die psychologische Charakteristik vor, wobei der Hintergrund dem modernen Leben Amerikas und Europas in reali¬ stischer Behandlung entnommen zu sein pflegt. Nichol geht auf die Werke der letztern drei näher ein, nachdem er ihnen mit epigrammatischer Schärfe ihren Platz angewiesen hat mit den Worten: „Sie sind Nachfolger Nathaniel Haw- thornes, insofern sie der Welt und dem Dasein perplex gegenüberzustehen scheinen und entschlossen sind, auch uns perplex zu machen, der eine mit dunkeln Ge¬ heimnissen, die andern mit sozialen Problemen." Die lstzte Gruppe bilden die „amerikanischen Humoristen." Der reiche eng¬ lische Humor ist auf dem Boden der neuen Welt bekanntlich üppig aufgegangen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/573>, abgerufen am 28.07.2024.