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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Line Geschichte der amerikanischen.Literatur.

Jahrzehnte das literarische Interesse im Hintergründe. Die Dichter Trumbull,
Dwight, Freneau zu Ende des vorigen Jahrhunderts erscheinen klein neben den
Männern, welche den Bau der amerikanischen Union begründeten: Washington,
Hamilton und Jefferson. Franklin macht eine Ausnahme; in ihm sehen wir
das Zeitalter der Revolution nach beiden Seiten, literarisch und politisch, ver¬
treten.

Eine bloße Literaturgeschichte würde etwa mit Washington Irving die Dar¬
stellung der amerikanischen Literatur des gegenwärtigen Jahrhunderts beginnen.
Nichol füllt vorher ein Kapitel mit der Einführung in das politische und theo¬
logische Geistesleben in der ersten Hälfte des Jahrhunderts ans. Nach dem
neuen Kriege von 1812 mit England konnte sich Amerika, kleine Kriege mit den
Indianern und Mexikanern abgerechnet, ganz seiner innern Entwicklung hingeben.
Als Repräsentanten jener Zeit stellt Nichol den sechsten Präsidenten, John
Quincy Adams, neben seinen Nachfolger, Andrew Jackson, hin. Der erstere war
ein Staatsmann der alten europäischen Schule, von akademischer Bildung und
vornehmem Schliff, zugleich politischer und eleganter Schriftsteller; Andrew
Jackson dagegen der erste an die Spitze des Staates gestellte eigentliche
inÄäsraaQ von rücksichtsloser und energischer Handlungsweise. Ihm verdankt
Amerika das brutale System der Ämterbesetzung durch bloße Parteigänger,"
welches die Ehrenhaftigkeit der Verwaltung seither immer tiefer angefressen hat.
"Dieser Plage aber wurde kein Ziel gesetzt, obwohl sie der Gegenstand von An¬
griffen einer Reihe von Satirikern war, von Lowell an bis zu Artemus Ward
und zum Verfasser der kürzlich erschienenen Novelle Demoora,"^. Andre große
Fragen kamen in den Vordergrund und drängten das Bedürfnis nach politischer
Reform bei Seite. Die Sache der Freiheit, für welche Lincoln fiel, mußte aus¬
gefochten und gewonnen werden, bevor die Sache der politischen Ehrlichkeit,
deren Opfer Garfield war, an die Reihe kommen konnte." Von den dreißiger
Jahren an regte die Frage der Sklaverei die öffentliche Meinung immer leb¬
hafter auf. Nichol zeigt an den auftretenden großen Parlamentsrednern Calhoun,
Clay und Webster den Kampf zwischen nordstaatlicher und südstaatlicher Auf¬
fassung, um sodann die populäre und heroische Seite der Abolitivnsbewegung
darzustellen, die durch die glänzenden Redner und edeln Charaktere Garrison,
Phillips und Charles Summer vertreten ist. Die mutigen Abolitionisten er¬
scheinen ihm als die "edelste Menschenklasse ihrer Zeit und ihrer Nation."
Zwischendurch erinnert er an die Befreiung des religiösen Geistes in Amerika
von der Engherzigkeit des Pnritanertums, das von Theologen wie Channing
und Parker in freisinnigen Geiste umgestaltet wurde. Bei dieser Gelegenheit
legt Nichol die heutige Stellung des amerikanischen Volkes zur Religion dar.
Es ist ein schönes Zeugnis, das er demselben ausstellt, wenn er schreibt: "Die
Theologie hat aufgehört, den überwiegenden geistigen Einfluß zu üben. Das
Studium ihrer Dogmen und Formeln ist Gegenstand kleinerer Kreise geworden;


Line Geschichte der amerikanischen.Literatur.

Jahrzehnte das literarische Interesse im Hintergründe. Die Dichter Trumbull,
Dwight, Freneau zu Ende des vorigen Jahrhunderts erscheinen klein neben den
Männern, welche den Bau der amerikanischen Union begründeten: Washington,
Hamilton und Jefferson. Franklin macht eine Ausnahme; in ihm sehen wir
das Zeitalter der Revolution nach beiden Seiten, literarisch und politisch, ver¬
treten.

Eine bloße Literaturgeschichte würde etwa mit Washington Irving die Dar¬
stellung der amerikanischen Literatur des gegenwärtigen Jahrhunderts beginnen.
Nichol füllt vorher ein Kapitel mit der Einführung in das politische und theo¬
logische Geistesleben in der ersten Hälfte des Jahrhunderts ans. Nach dem
neuen Kriege von 1812 mit England konnte sich Amerika, kleine Kriege mit den
Indianern und Mexikanern abgerechnet, ganz seiner innern Entwicklung hingeben.
Als Repräsentanten jener Zeit stellt Nichol den sechsten Präsidenten, John
Quincy Adams, neben seinen Nachfolger, Andrew Jackson, hin. Der erstere war
ein Staatsmann der alten europäischen Schule, von akademischer Bildung und
vornehmem Schliff, zugleich politischer und eleganter Schriftsteller; Andrew
Jackson dagegen der erste an die Spitze des Staates gestellte eigentliche
inÄäsraaQ von rücksichtsloser und energischer Handlungsweise. Ihm verdankt
Amerika das brutale System der Ämterbesetzung durch bloße Parteigänger,»
welches die Ehrenhaftigkeit der Verwaltung seither immer tiefer angefressen hat.
„Dieser Plage aber wurde kein Ziel gesetzt, obwohl sie der Gegenstand von An¬
griffen einer Reihe von Satirikern war, von Lowell an bis zu Artemus Ward
und zum Verfasser der kürzlich erschienenen Novelle Demoora,«^. Andre große
Fragen kamen in den Vordergrund und drängten das Bedürfnis nach politischer
Reform bei Seite. Die Sache der Freiheit, für welche Lincoln fiel, mußte aus¬
gefochten und gewonnen werden, bevor die Sache der politischen Ehrlichkeit,
deren Opfer Garfield war, an die Reihe kommen konnte." Von den dreißiger
Jahren an regte die Frage der Sklaverei die öffentliche Meinung immer leb¬
hafter auf. Nichol zeigt an den auftretenden großen Parlamentsrednern Calhoun,
Clay und Webster den Kampf zwischen nordstaatlicher und südstaatlicher Auf¬
fassung, um sodann die populäre und heroische Seite der Abolitivnsbewegung
darzustellen, die durch die glänzenden Redner und edeln Charaktere Garrison,
Phillips und Charles Summer vertreten ist. Die mutigen Abolitionisten er¬
scheinen ihm als die „edelste Menschenklasse ihrer Zeit und ihrer Nation."
Zwischendurch erinnert er an die Befreiung des religiösen Geistes in Amerika
von der Engherzigkeit des Pnritanertums, das von Theologen wie Channing
und Parker in freisinnigen Geiste umgestaltet wurde. Bei dieser Gelegenheit
legt Nichol die heutige Stellung des amerikanischen Volkes zur Religion dar.
Es ist ein schönes Zeugnis, das er demselben ausstellt, wenn er schreibt: „Die
Theologie hat aufgehört, den überwiegenden geistigen Einfluß zu üben. Das
Studium ihrer Dogmen und Formeln ist Gegenstand kleinerer Kreise geworden;


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[0570] Line Geschichte der amerikanischen.Literatur. Jahrzehnte das literarische Interesse im Hintergründe. Die Dichter Trumbull, Dwight, Freneau zu Ende des vorigen Jahrhunderts erscheinen klein neben den Männern, welche den Bau der amerikanischen Union begründeten: Washington, Hamilton und Jefferson. Franklin macht eine Ausnahme; in ihm sehen wir das Zeitalter der Revolution nach beiden Seiten, literarisch und politisch, ver¬ treten. Eine bloße Literaturgeschichte würde etwa mit Washington Irving die Dar¬ stellung der amerikanischen Literatur des gegenwärtigen Jahrhunderts beginnen. Nichol füllt vorher ein Kapitel mit der Einführung in das politische und theo¬ logische Geistesleben in der ersten Hälfte des Jahrhunderts ans. Nach dem neuen Kriege von 1812 mit England konnte sich Amerika, kleine Kriege mit den Indianern und Mexikanern abgerechnet, ganz seiner innern Entwicklung hingeben. Als Repräsentanten jener Zeit stellt Nichol den sechsten Präsidenten, John Quincy Adams, neben seinen Nachfolger, Andrew Jackson, hin. Der erstere war ein Staatsmann der alten europäischen Schule, von akademischer Bildung und vornehmem Schliff, zugleich politischer und eleganter Schriftsteller; Andrew Jackson dagegen der erste an die Spitze des Staates gestellte eigentliche inÄäsraaQ von rücksichtsloser und energischer Handlungsweise. Ihm verdankt Amerika das brutale System der Ämterbesetzung durch bloße Parteigänger,» welches die Ehrenhaftigkeit der Verwaltung seither immer tiefer angefressen hat. „Dieser Plage aber wurde kein Ziel gesetzt, obwohl sie der Gegenstand von An¬ griffen einer Reihe von Satirikern war, von Lowell an bis zu Artemus Ward und zum Verfasser der kürzlich erschienenen Novelle Demoora,«^. Andre große Fragen kamen in den Vordergrund und drängten das Bedürfnis nach politischer Reform bei Seite. Die Sache der Freiheit, für welche Lincoln fiel, mußte aus¬ gefochten und gewonnen werden, bevor die Sache der politischen Ehrlichkeit, deren Opfer Garfield war, an die Reihe kommen konnte." Von den dreißiger Jahren an regte die Frage der Sklaverei die öffentliche Meinung immer leb¬ hafter auf. Nichol zeigt an den auftretenden großen Parlamentsrednern Calhoun, Clay und Webster den Kampf zwischen nordstaatlicher und südstaatlicher Auf¬ fassung, um sodann die populäre und heroische Seite der Abolitivnsbewegung darzustellen, die durch die glänzenden Redner und edeln Charaktere Garrison, Phillips und Charles Summer vertreten ist. Die mutigen Abolitionisten er¬ scheinen ihm als die „edelste Menschenklasse ihrer Zeit und ihrer Nation." Zwischendurch erinnert er an die Befreiung des religiösen Geistes in Amerika von der Engherzigkeit des Pnritanertums, das von Theologen wie Channing und Parker in freisinnigen Geiste umgestaltet wurde. Bei dieser Gelegenheit legt Nichol die heutige Stellung des amerikanischen Volkes zur Religion dar. Es ist ein schönes Zeugnis, das er demselben ausstellt, wenn er schreibt: „Die Theologie hat aufgehört, den überwiegenden geistigen Einfluß zu üben. Das Studium ihrer Dogmen und Formeln ist Gegenstand kleinerer Kreise geworden;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/570>, abgerufen am 28.07.2024.