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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena.

erfreuten. Die nach dem Unglücke begonnene Reorganisation wendete im Heere
vieles zum Guten, Die Lage des gemeinen Mannes besserte sich, die Behand¬
lung der Truppen konnte besser werden, weil die Ausländer aus den Regi¬
mentern verschwanden. Der Offizier wurde nach wenigen Jahren der Befreier
des Vaterlandes. Drei siegreiche Feldzüge folgten. Das alles ließ hohe Freude
an dem neuen Zustande empfinden und den früheren unerfreulicher erscheinen, als
er es verdiente. Dazu kam, daß die.Reorganisation vielfach angegriffen wurde
und ihre Verteidigung eine Herabsetzung der Vergangenheit zu erfordern schien.
Selbst Scharnhorst und Gneisenau glaubten sich genötigt, das Neue durch
starken Tadel des Alten zu empfehlen. Endlich wechselten zu gleicher Zeit die
Personen in der Führung der Armee. Die Klasse der alten Generale und
Stabsoffiziere verschwand, und während der Befreiungskriege gelangten vielfach
sehr junge Leute in hohe Stellungen, wie denn Gneisenau, der 1806 als Fü¬
silierkapitän ins Feld gezogen war, 1813 als General und Stabschef neben
Blücher an der Spitze der Armee stand. "Das schöne Vorrecht der Jugend,"
schließt der Verfasser hieraus sehr richtig, "ist es immer gewesen, frei zu denken
und über den Stillstand der Zeiten ebenso zu klagen wie das Alter über
deren Hast und Verderbnis. Wie konnte es anders sein, als daß die jungen
Leute im Stolz auf ihre frischen Lorbeeren den alten Herren, von denen sie
ehemals zurückgehalten worden waren, mancherlei anhängten, das ihnen nicht in
vollem Maße gebührte."

So werden wir uns denn mit dem Verfasser einer milderen Auffassung
der Hecreszustände von 1806 zuneigen müssen, und die Mitteilungen über die
Vorgeschichte des nach dem Unglücke von 1806 eintretenden Reformwerkes, die
er in den Kapiteln 7 bis 12 macht, zwingen hierzu noch weit mehr. Wir
müssen diese Untersuchungen übergehen, da sie meist rein militärischer Natur sind,
und können nur sagen, daß sie dem Fachmanne viel neues bieten. Schon nach
dem Gesagten aber darf behauptet werden, daß die Armee von Jena in ihrer
Masse keineswegs des innern Vermögens zu großen Leistungen entbehrte. Auch
der Feldzug von 1807 beweist es. Nicht erst die Schlachten bei Großgörschen,
Bautzen und an der Katzbach, sondern schon die Tage von Lübeck, Eylau und
Heilsberg, Kolberg und Danzig rehabilitirten die alte Armee, die man schon
deshalb zu schmähen hätte Anstand nehmen sollen, weil sie am 14. Oktober
bei Auerstädt und Jena, kaum 80 000 Mann stark, 19 Generale und 540 Offi¬
ziere tot oder verwundet vor dem Feinde verloren hatte. Warum aber war
ihr kein besseres Schicksal beschieden? v. d. Goltz läßt einen alten Soldaten^)
darauf antworten: "Was die Frage anlangt, ob das Unglück des Jahres
1806 von der preußischen Armee jetzt als etwas ihr Fremdes angesehen werden



*) Den Verfasser von "Nachrichten und Betrachtungen Wer die Thaten und Schicksale
der Reiterei" (Berlin, 1861), S. 202.
Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena.

erfreuten. Die nach dem Unglücke begonnene Reorganisation wendete im Heere
vieles zum Guten, Die Lage des gemeinen Mannes besserte sich, die Behand¬
lung der Truppen konnte besser werden, weil die Ausländer aus den Regi¬
mentern verschwanden. Der Offizier wurde nach wenigen Jahren der Befreier
des Vaterlandes. Drei siegreiche Feldzüge folgten. Das alles ließ hohe Freude
an dem neuen Zustande empfinden und den früheren unerfreulicher erscheinen, als
er es verdiente. Dazu kam, daß die.Reorganisation vielfach angegriffen wurde
und ihre Verteidigung eine Herabsetzung der Vergangenheit zu erfordern schien.
Selbst Scharnhorst und Gneisenau glaubten sich genötigt, das Neue durch
starken Tadel des Alten zu empfehlen. Endlich wechselten zu gleicher Zeit die
Personen in der Führung der Armee. Die Klasse der alten Generale und
Stabsoffiziere verschwand, und während der Befreiungskriege gelangten vielfach
sehr junge Leute in hohe Stellungen, wie denn Gneisenau, der 1806 als Fü¬
silierkapitän ins Feld gezogen war, 1813 als General und Stabschef neben
Blücher an der Spitze der Armee stand. „Das schöne Vorrecht der Jugend,"
schließt der Verfasser hieraus sehr richtig, „ist es immer gewesen, frei zu denken
und über den Stillstand der Zeiten ebenso zu klagen wie das Alter über
deren Hast und Verderbnis. Wie konnte es anders sein, als daß die jungen
Leute im Stolz auf ihre frischen Lorbeeren den alten Herren, von denen sie
ehemals zurückgehalten worden waren, mancherlei anhängten, das ihnen nicht in
vollem Maße gebührte."

So werden wir uns denn mit dem Verfasser einer milderen Auffassung
der Hecreszustände von 1806 zuneigen müssen, und die Mitteilungen über die
Vorgeschichte des nach dem Unglücke von 1806 eintretenden Reformwerkes, die
er in den Kapiteln 7 bis 12 macht, zwingen hierzu noch weit mehr. Wir
müssen diese Untersuchungen übergehen, da sie meist rein militärischer Natur sind,
und können nur sagen, daß sie dem Fachmanne viel neues bieten. Schon nach
dem Gesagten aber darf behauptet werden, daß die Armee von Jena in ihrer
Masse keineswegs des innern Vermögens zu großen Leistungen entbehrte. Auch
der Feldzug von 1807 beweist es. Nicht erst die Schlachten bei Großgörschen,
Bautzen und an der Katzbach, sondern schon die Tage von Lübeck, Eylau und
Heilsberg, Kolberg und Danzig rehabilitirten die alte Armee, die man schon
deshalb zu schmähen hätte Anstand nehmen sollen, weil sie am 14. Oktober
bei Auerstädt und Jena, kaum 80 000 Mann stark, 19 Generale und 540 Offi¬
ziere tot oder verwundet vor dem Feinde verloren hatte. Warum aber war
ihr kein besseres Schicksal beschieden? v. d. Goltz läßt einen alten Soldaten^)
darauf antworten: „Was die Frage anlangt, ob das Unglück des Jahres
1806 von der preußischen Armee jetzt als etwas ihr Fremdes angesehen werden



*) Den Verfasser von „Nachrichten und Betrachtungen Wer die Thaten und Schicksale
der Reiterei" (Berlin, 1861), S. 202.
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[0564] Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena. erfreuten. Die nach dem Unglücke begonnene Reorganisation wendete im Heere vieles zum Guten, Die Lage des gemeinen Mannes besserte sich, die Behand¬ lung der Truppen konnte besser werden, weil die Ausländer aus den Regi¬ mentern verschwanden. Der Offizier wurde nach wenigen Jahren der Befreier des Vaterlandes. Drei siegreiche Feldzüge folgten. Das alles ließ hohe Freude an dem neuen Zustande empfinden und den früheren unerfreulicher erscheinen, als er es verdiente. Dazu kam, daß die.Reorganisation vielfach angegriffen wurde und ihre Verteidigung eine Herabsetzung der Vergangenheit zu erfordern schien. Selbst Scharnhorst und Gneisenau glaubten sich genötigt, das Neue durch starken Tadel des Alten zu empfehlen. Endlich wechselten zu gleicher Zeit die Personen in der Führung der Armee. Die Klasse der alten Generale und Stabsoffiziere verschwand, und während der Befreiungskriege gelangten vielfach sehr junge Leute in hohe Stellungen, wie denn Gneisenau, der 1806 als Fü¬ silierkapitän ins Feld gezogen war, 1813 als General und Stabschef neben Blücher an der Spitze der Armee stand. „Das schöne Vorrecht der Jugend," schließt der Verfasser hieraus sehr richtig, „ist es immer gewesen, frei zu denken und über den Stillstand der Zeiten ebenso zu klagen wie das Alter über deren Hast und Verderbnis. Wie konnte es anders sein, als daß die jungen Leute im Stolz auf ihre frischen Lorbeeren den alten Herren, von denen sie ehemals zurückgehalten worden waren, mancherlei anhängten, das ihnen nicht in vollem Maße gebührte." So werden wir uns denn mit dem Verfasser einer milderen Auffassung der Hecreszustände von 1806 zuneigen müssen, und die Mitteilungen über die Vorgeschichte des nach dem Unglücke von 1806 eintretenden Reformwerkes, die er in den Kapiteln 7 bis 12 macht, zwingen hierzu noch weit mehr. Wir müssen diese Untersuchungen übergehen, da sie meist rein militärischer Natur sind, und können nur sagen, daß sie dem Fachmanne viel neues bieten. Schon nach dem Gesagten aber darf behauptet werden, daß die Armee von Jena in ihrer Masse keineswegs des innern Vermögens zu großen Leistungen entbehrte. Auch der Feldzug von 1807 beweist es. Nicht erst die Schlachten bei Großgörschen, Bautzen und an der Katzbach, sondern schon die Tage von Lübeck, Eylau und Heilsberg, Kolberg und Danzig rehabilitirten die alte Armee, die man schon deshalb zu schmähen hätte Anstand nehmen sollen, weil sie am 14. Oktober bei Auerstädt und Jena, kaum 80 000 Mann stark, 19 Generale und 540 Offi¬ ziere tot oder verwundet vor dem Feinde verloren hatte. Warum aber war ihr kein besseres Schicksal beschieden? v. d. Goltz läßt einen alten Soldaten^) darauf antworten: „Was die Frage anlangt, ob das Unglück des Jahres 1806 von der preußischen Armee jetzt als etwas ihr Fremdes angesehen werden *) Den Verfasser von „Nachrichten und Betrachtungen Wer die Thaten und Schicksale der Reiterei" (Berlin, 1861), S. 202.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/564>, abgerufen am 01.09.2024.