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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena.

erschöpft, oder wo Verwirrung oder Unglück den Mut der Leute erschüttert
hatte, zeigten sich die schlimmen Wirkungen.

Der Verfasser läßt darnach die Zeugnisse reden, welche vor der nach dem
Kriege eingesetzten Jmmediat-Untersuchungskommission abgelegt wurden. Wo el"
solches auf die Allgemeinheit der Armee Bezug nimmt, ist es fast immer günstig.
Nach Tauenziens Bericht haben die Truppen bei Jena "größtenteils die thätigsten
Beweise der unerschütterlichsten Bravour gegeben." Grawert zollt der Ordnung
und Präzision seiner Bataillone und Batterien, der Tapferkeit seiner Brigadiers
und Kommandeure unbedingte Anerkennung. Hohenlohe berichtet in der Schil¬
derung seines Vorrückens gegen Vierzehnheiligen: "Wir waren schneller formirt
als der Feind, alle Truppen waren vom besten Geiste beseelt, und es gewährt
mir noch hente eine befriedigende Rückerinnerung, daß alle mich mit lautem
Jubel begrüßten und den Wunsch, sich mit dem Feinde zu messen, nicht unter¬
drücken konnten." Der Infanterie wird die erste Stelle eingeräumt. "Sie hat
einen Mut, eine Kaltblütigkeit bewiesen, die vielleicht ihresgleichen nicht auf¬
finden wird." Etwas weniger wird die Kavallerie gerühmt, in der sich bei
einzelnen Offizieren die Initiative vermissen läßt. Die Artillerie erklärt Hohen¬
lohe für die beste, welche er kenne. Viele Angaben der unteren Führer stimmen
damit überein.

Auch von den in die Öffentlichkeit gelangten Aufzeichnungen haben nach
dem Kriege viele der Armee volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. Müffling
war trotz der Niederlage der Ansicht, daß die Armee in der Taktik von keiner
übertroffen gewesen, daß sie eine außerordentliche Menge gebildeter Offiziere in
ihren Reihen gesehen, und daß der gemeine Mann mit Enthusiasmus in den
Krieg gezogen. Glänzendes Lob spendet die "Kritik des Feldzuges von 1806"
den preußischen und sächsischen Truppen, die "allein von ihrem Mut unterstützt,
gegen unüberwindliche Hindemisse und doppelte, ja dreifache Übermacht mit
einer Ausdauer fochten, welche dem Feinde mehr denn einmal den Sieg zu
entreißen drohte." Besondre Anerkennung erfährt hier die Infanterie der Gra-
wertschen Division. Schon hatte bei Vierzehnheiligen das Gewehr- und Kar¬
tätschenfeuer der Franzosen die Hälfte der dünnen Linie dieses Fußvolks dahin¬
gerafft, und noch dachte kein einziger dieser Tapfern an Rückzug, noch war kein
Fuß breit an Boden verloren. "Da das eingenommene Terrain auf keinem
Punkte entblößt werden durfte, konnte man wegen Mangels an Truppen die
Lücken der Gefallenen nicht schließen. Daher befand sich jeder Soldat noch ans
dem Platze, den er zu Anfang des Treffens einnahm, und öfters standen einzelne
Männer, die rechts und links auf Sektionsweite nur Getötete neben sich sahen,
und fuhren unbekümmert fort, zu feuern, bis auch sie die tätliche Kugel traf.
Die Infanterie verschoß dort viermal, die Artillerie zweimal ihre gewöhnliche
Munition, und der entscheidende Stoß der Franzosen traf schließlich nicht mehr
eine Aufstellung, sondern nur das Skelet einer solchen." Die leichte Infanterie


Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena.

erschöpft, oder wo Verwirrung oder Unglück den Mut der Leute erschüttert
hatte, zeigten sich die schlimmen Wirkungen.

Der Verfasser läßt darnach die Zeugnisse reden, welche vor der nach dem
Kriege eingesetzten Jmmediat-Untersuchungskommission abgelegt wurden. Wo el»
solches auf die Allgemeinheit der Armee Bezug nimmt, ist es fast immer günstig.
Nach Tauenziens Bericht haben die Truppen bei Jena „größtenteils die thätigsten
Beweise der unerschütterlichsten Bravour gegeben." Grawert zollt der Ordnung
und Präzision seiner Bataillone und Batterien, der Tapferkeit seiner Brigadiers
und Kommandeure unbedingte Anerkennung. Hohenlohe berichtet in der Schil¬
derung seines Vorrückens gegen Vierzehnheiligen: „Wir waren schneller formirt
als der Feind, alle Truppen waren vom besten Geiste beseelt, und es gewährt
mir noch hente eine befriedigende Rückerinnerung, daß alle mich mit lautem
Jubel begrüßten und den Wunsch, sich mit dem Feinde zu messen, nicht unter¬
drücken konnten." Der Infanterie wird die erste Stelle eingeräumt. „Sie hat
einen Mut, eine Kaltblütigkeit bewiesen, die vielleicht ihresgleichen nicht auf¬
finden wird." Etwas weniger wird die Kavallerie gerühmt, in der sich bei
einzelnen Offizieren die Initiative vermissen läßt. Die Artillerie erklärt Hohen¬
lohe für die beste, welche er kenne. Viele Angaben der unteren Führer stimmen
damit überein.

Auch von den in die Öffentlichkeit gelangten Aufzeichnungen haben nach
dem Kriege viele der Armee volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. Müffling
war trotz der Niederlage der Ansicht, daß die Armee in der Taktik von keiner
übertroffen gewesen, daß sie eine außerordentliche Menge gebildeter Offiziere in
ihren Reihen gesehen, und daß der gemeine Mann mit Enthusiasmus in den
Krieg gezogen. Glänzendes Lob spendet die „Kritik des Feldzuges von 1806"
den preußischen und sächsischen Truppen, die „allein von ihrem Mut unterstützt,
gegen unüberwindliche Hindemisse und doppelte, ja dreifache Übermacht mit
einer Ausdauer fochten, welche dem Feinde mehr denn einmal den Sieg zu
entreißen drohte." Besondre Anerkennung erfährt hier die Infanterie der Gra-
wertschen Division. Schon hatte bei Vierzehnheiligen das Gewehr- und Kar¬
tätschenfeuer der Franzosen die Hälfte der dünnen Linie dieses Fußvolks dahin¬
gerafft, und noch dachte kein einziger dieser Tapfern an Rückzug, noch war kein
Fuß breit an Boden verloren. „Da das eingenommene Terrain auf keinem
Punkte entblößt werden durfte, konnte man wegen Mangels an Truppen die
Lücken der Gefallenen nicht schließen. Daher befand sich jeder Soldat noch ans
dem Platze, den er zu Anfang des Treffens einnahm, und öfters standen einzelne
Männer, die rechts und links auf Sektionsweite nur Getötete neben sich sahen,
und fuhren unbekümmert fort, zu feuern, bis auch sie die tätliche Kugel traf.
Die Infanterie verschoß dort viermal, die Artillerie zweimal ihre gewöhnliche
Munition, und der entscheidende Stoß der Franzosen traf schließlich nicht mehr
eine Aufstellung, sondern nur das Skelet einer solchen." Die leichte Infanterie


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[0562] Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena. erschöpft, oder wo Verwirrung oder Unglück den Mut der Leute erschüttert hatte, zeigten sich die schlimmen Wirkungen. Der Verfasser läßt darnach die Zeugnisse reden, welche vor der nach dem Kriege eingesetzten Jmmediat-Untersuchungskommission abgelegt wurden. Wo el» solches auf die Allgemeinheit der Armee Bezug nimmt, ist es fast immer günstig. Nach Tauenziens Bericht haben die Truppen bei Jena „größtenteils die thätigsten Beweise der unerschütterlichsten Bravour gegeben." Grawert zollt der Ordnung und Präzision seiner Bataillone und Batterien, der Tapferkeit seiner Brigadiers und Kommandeure unbedingte Anerkennung. Hohenlohe berichtet in der Schil¬ derung seines Vorrückens gegen Vierzehnheiligen: „Wir waren schneller formirt als der Feind, alle Truppen waren vom besten Geiste beseelt, und es gewährt mir noch hente eine befriedigende Rückerinnerung, daß alle mich mit lautem Jubel begrüßten und den Wunsch, sich mit dem Feinde zu messen, nicht unter¬ drücken konnten." Der Infanterie wird die erste Stelle eingeräumt. „Sie hat einen Mut, eine Kaltblütigkeit bewiesen, die vielleicht ihresgleichen nicht auf¬ finden wird." Etwas weniger wird die Kavallerie gerühmt, in der sich bei einzelnen Offizieren die Initiative vermissen läßt. Die Artillerie erklärt Hohen¬ lohe für die beste, welche er kenne. Viele Angaben der unteren Führer stimmen damit überein. Auch von den in die Öffentlichkeit gelangten Aufzeichnungen haben nach dem Kriege viele der Armee volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. Müffling war trotz der Niederlage der Ansicht, daß die Armee in der Taktik von keiner übertroffen gewesen, daß sie eine außerordentliche Menge gebildeter Offiziere in ihren Reihen gesehen, und daß der gemeine Mann mit Enthusiasmus in den Krieg gezogen. Glänzendes Lob spendet die „Kritik des Feldzuges von 1806" den preußischen und sächsischen Truppen, die „allein von ihrem Mut unterstützt, gegen unüberwindliche Hindemisse und doppelte, ja dreifache Übermacht mit einer Ausdauer fochten, welche dem Feinde mehr denn einmal den Sieg zu entreißen drohte." Besondre Anerkennung erfährt hier die Infanterie der Gra- wertschen Division. Schon hatte bei Vierzehnheiligen das Gewehr- und Kar¬ tätschenfeuer der Franzosen die Hälfte der dünnen Linie dieses Fußvolks dahin¬ gerafft, und noch dachte kein einziger dieser Tapfern an Rückzug, noch war kein Fuß breit an Boden verloren. „Da das eingenommene Terrain auf keinem Punkte entblößt werden durfte, konnte man wegen Mangels an Truppen die Lücken der Gefallenen nicht schließen. Daher befand sich jeder Soldat noch ans dem Platze, den er zu Anfang des Treffens einnahm, und öfters standen einzelne Männer, die rechts und links auf Sektionsweite nur Getötete neben sich sahen, und fuhren unbekümmert fort, zu feuern, bis auch sie die tätliche Kugel traf. Die Infanterie verschoß dort viermal, die Artillerie zweimal ihre gewöhnliche Munition, und der entscheidende Stoß der Franzosen traf schließlich nicht mehr eine Aufstellung, sondern nur das Skelet einer solchen." Die leichte Infanterie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/562>, abgerufen am 01.09.2024.