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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena.

gewesen war. Die Zuversicht auf den Erfolg hätte beim Volke auf Vorurteil beruhen
können. Aber erfahrene Soldaten wie Blücher und Rüchel teilten sie. Noch
im Sommer 1806 hoffte jener allen Franzosen diesseits des Rheins ihr Grab
zu bereiten, "und die hinüberkommenden," setzte er hinzu, "bringen angenehme
Nachricht, wie von Roßbach." Er hielt das preußische Heer noch immer für
unbesiegbar und sprach dies ohne Bedenken aus. Rüchel aber schrieb ihm:
"Sei's, wie ihm sei, das Heer ist brav, unsre Offiziere die besten auf der Welt;
wir schlagen uns mit allen, denen wir gewachsen sind, und weichen nur der
Unmöglichkeit." Clausewitz, ein scharfblickender Mann, der gute Gelegenheit
gehabt hatte, sich in weiten Kreisen über die Zustände zu unterrichten, drückte
in Briefen aus den Tagen unmittelbar vor der Schlacht bei Jena dasselbe
Vertrauen auf die Tüchtigkeit der Truppen aus und hielt einen Sieg für wahr¬
scheinlich. In einer Denkschrift vom 12. Oktober sagt er: "Übermorgen oder in
zwei bis drei Tagen wird es zur ersten Schlacht kommen, der die ganze Armee
mit Verlangen entgegensieht. Ich selbst freue mich auf diesen Tag, wie ich mich
auf einen Hochzeitstag freuen würde, wenn er mich so glücklich machte, segnend
jener Hand verbunden zu werden, von der ich den Ring trage. Ich hoffe auf
den Sieg." Tauenzien meldete noch vom Gefechtsfeldc bei Schleiz aus: "Die
Bravour und der gute Wille der Truppen ist unglaublich." Gentz bemerkte über
die Reservcdivisioncn bei Erfurt in einer Notiz vom 10. Oktober: "Ich gestehe,
daß ich beim Anblicke dieser Truppen, welche so schön, so frisch aussehen, als
ob sie zum erstenmale ihre Quartiere verließen, dieser von Enthusiasmus er¬
füllten Offiziere, dieser Mannschaften von prächtiger Haltung, dieser Pferde von
größter Schönheit trotz alledem, was ich schon wußte und was mich zittern
machte, mich einen Augenblick lang dem trügerischen Schimmer der Hoffnung hin¬
gab." Einer der Unglückspropheten jener Tage wurde also durch die Erscheinung
von Soldaten, deren Zustand von andern damaligen Berichterstattern als er¬
bärmlich bezeichnet wurde, so gehoben, daß er wieder zu hoffen begann. Man
sollte also meinen, daß jener Zustand nicht so arg gewesen sein könne, zumal da
Gentz in einem Briefe vom 22. Oktober, der an den Fürsten Lobkowitz gerichtet
ist, nachdem er sich über den Opcrationsplan und die Wahl des Oberfeldherrn
tadelnd geäußert hat, fortfährt: "Wenn ich hernach aber wieder meine Augen
auf die Armee richtete, wenn ich mich mit sovielen mutvollen, klugen, vortrefflich
denkenden Offizieren unterhielt, ... wenn ich sah, wie in dem zum Unglücke nun
einmal angenommenen Defensivplane wenigstens alles gut geordnet schien, und
wie fest man entschlossen war, so schnell als möglich zur Offensive überzugehen,
so erschien mir das Ganze wieder in tröstlichen Lichte." Am 13. Oktober noch
bekundeten nach Höpfner die Truppen bei Kapellcndorf, als Hohenlohe in ihr
Lager kam, und später, als er sie zum Angriffe führen wollte, die beste Haltung.
Auf den Ruf "Freiwillige vor!" trat jubelnd das ganze Regiment des Fürsten
ans der Linie heraus. Nur wo Anstrengung oder Mangel die Physischen Kräfte


Die Wahrheit über die Katastrophe von Jena.

gewesen war. Die Zuversicht auf den Erfolg hätte beim Volke auf Vorurteil beruhen
können. Aber erfahrene Soldaten wie Blücher und Rüchel teilten sie. Noch
im Sommer 1806 hoffte jener allen Franzosen diesseits des Rheins ihr Grab
zu bereiten, „und die hinüberkommenden," setzte er hinzu, „bringen angenehme
Nachricht, wie von Roßbach." Er hielt das preußische Heer noch immer für
unbesiegbar und sprach dies ohne Bedenken aus. Rüchel aber schrieb ihm:
„Sei's, wie ihm sei, das Heer ist brav, unsre Offiziere die besten auf der Welt;
wir schlagen uns mit allen, denen wir gewachsen sind, und weichen nur der
Unmöglichkeit." Clausewitz, ein scharfblickender Mann, der gute Gelegenheit
gehabt hatte, sich in weiten Kreisen über die Zustände zu unterrichten, drückte
in Briefen aus den Tagen unmittelbar vor der Schlacht bei Jena dasselbe
Vertrauen auf die Tüchtigkeit der Truppen aus und hielt einen Sieg für wahr¬
scheinlich. In einer Denkschrift vom 12. Oktober sagt er: „Übermorgen oder in
zwei bis drei Tagen wird es zur ersten Schlacht kommen, der die ganze Armee
mit Verlangen entgegensieht. Ich selbst freue mich auf diesen Tag, wie ich mich
auf einen Hochzeitstag freuen würde, wenn er mich so glücklich machte, segnend
jener Hand verbunden zu werden, von der ich den Ring trage. Ich hoffe auf
den Sieg." Tauenzien meldete noch vom Gefechtsfeldc bei Schleiz aus: „Die
Bravour und der gute Wille der Truppen ist unglaublich." Gentz bemerkte über
die Reservcdivisioncn bei Erfurt in einer Notiz vom 10. Oktober: „Ich gestehe,
daß ich beim Anblicke dieser Truppen, welche so schön, so frisch aussehen, als
ob sie zum erstenmale ihre Quartiere verließen, dieser von Enthusiasmus er¬
füllten Offiziere, dieser Mannschaften von prächtiger Haltung, dieser Pferde von
größter Schönheit trotz alledem, was ich schon wußte und was mich zittern
machte, mich einen Augenblick lang dem trügerischen Schimmer der Hoffnung hin¬
gab." Einer der Unglückspropheten jener Tage wurde also durch die Erscheinung
von Soldaten, deren Zustand von andern damaligen Berichterstattern als er¬
bärmlich bezeichnet wurde, so gehoben, daß er wieder zu hoffen begann. Man
sollte also meinen, daß jener Zustand nicht so arg gewesen sein könne, zumal da
Gentz in einem Briefe vom 22. Oktober, der an den Fürsten Lobkowitz gerichtet
ist, nachdem er sich über den Opcrationsplan und die Wahl des Oberfeldherrn
tadelnd geäußert hat, fortfährt: „Wenn ich hernach aber wieder meine Augen
auf die Armee richtete, wenn ich mich mit sovielen mutvollen, klugen, vortrefflich
denkenden Offizieren unterhielt, ... wenn ich sah, wie in dem zum Unglücke nun
einmal angenommenen Defensivplane wenigstens alles gut geordnet schien, und
wie fest man entschlossen war, so schnell als möglich zur Offensive überzugehen,
so erschien mir das Ganze wieder in tröstlichen Lichte." Am 13. Oktober noch
bekundeten nach Höpfner die Truppen bei Kapellcndorf, als Hohenlohe in ihr
Lager kam, und später, als er sie zum Angriffe führen wollte, die beste Haltung.
Auf den Ruf „Freiwillige vor!" trat jubelnd das ganze Regiment des Fürsten
ans der Linie heraus. Nur wo Anstrengung oder Mangel die Physischen Kräfte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/561>, abgerufen am 28.07.2024.