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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die Wahrheit über die Ratastrophe von Jena.

Wesentlich anders lautet das Ergebnis der Untersuchung, welche unser
Autor auf Grund umfassender Studien angestellt hat. Spürt man den Quellen
der oben auszugsweise mitgeteilten Schilderungen nach, so findet man, daß sie
meist auf die nach dem Kriege erschienenen Streitschriften zurückführen, i"
welchen die Armee sich allerdings elend genug aufnimmt. Dann folgten als
Belege die Tagebücher, Denkwürdigkeiten und Briefe aus der Kriegszeit, die
zum Teil sehr wunderliche Dinge brachten. Die lächerlichsten Irrtümer waren
nach diesen Aufzeichnungen vorgekommen, es wurde in ihnen von wahren
Meisterstücken der Pedanterie, von echten militärischen Schildbürgereien berichtet
und u, c>. von den alten bocksteifen Herren mit den Puderperrücken erzählt,
die nur bei feierlichen Gelegenheiten ihren Sorgenstuhl verließen,, hinter denen
Ordonnanzen mit Schemel und Trittleiter herritten, um ihnen auf das Pferd
und wieder herunterzuhelfen, und die ihre Gemüsegärten und Hühnerhöfe vor
den Thoren für wichtiger hielten als die ihnen anvertrauten Festungen. Endlich
kamen die Äußerungen angesehener Männer hinzu, die eine Reform der Armee
nach der Niederlage befürworteten und natürlich dem alten Systeme wenig günstig
gesinnt waren. Ein Beispiel davon ist die Gneisenausche Denkschrift über den
Krieg von 1806, aus welcher unser Buch die Hauptstelle exzcrpirt.

"Mehr war nicht nötig," sagt Freiherr v. d. Goltz, "um endgiltig die
Armee von Jena als ein halbfabelhaftcs, gravitätisches Spukmesen aus längst
vergessener Zeit erscheinen zu lassen, das, eine Anomalie inmitten seiner Um¬
gebung, dem Grabe entstiegen war und bei der Berührung mit frischem, kraft¬
vollem Leben in nichts zerfallen mußte. Schien doch den Zeitgenossen, welche
die große Katastrophe erlebten, der ganze preußische Kriegsruhm wie ein Nebel-
gebilde, an dessen Realität man nur vorübergehend habe glauben können, als
ein großer Meister es mit seinem Zunberstabe vor der erstaunten Welt herauf¬
beschworen. Preußens kriegerische Größe war in den Angen der meisten Mit¬
lebenden sür immer verloren. Die Armee war ja nicht nur geschlagen, sondern
verschwunden."

Aus dieser verzweifelten Stimmung erklärt sich der Verfasser unsrer Schrift
den allgemeinen Zorn über die Katastrophe, die Schmähungen, Beschimpfungen
und Verhöhnungen der Männer, des Standes und der Organisation, welche sie
verschuldet haben sollten. Umsonst mahnten einzelne Stimmen zu ruhigerer
Auffassung und wiesen darauf hin, daß die Schriftsteller, die jetzt im preußischen
Staat und Heere nur Verrottung und Elend erblickten, ehedem denselben Staat
und dasselbe Heer für mustergiltig erklärt hatten. Das war noch während des
Ausmarsches der Truppen der Fall gewesen, wie der Verfasser mit vielen Bei¬
spielen belegt. Die stürmische Begeisterung, die sich in ganz Preußen, besonders
aber in Berlin, äußerte, kann umso eher als Zeichen des ungestörten Vertrauens
auf die vielfach als schön, wohlgeordnet und von kriegerischem Geist erfüllt ge¬
rühmte Armee gelten, als bis dahin eine weitverbreitete Friedenspartei vorhanden


Die Wahrheit über die Ratastrophe von Jena.

Wesentlich anders lautet das Ergebnis der Untersuchung, welche unser
Autor auf Grund umfassender Studien angestellt hat. Spürt man den Quellen
der oben auszugsweise mitgeteilten Schilderungen nach, so findet man, daß sie
meist auf die nach dem Kriege erschienenen Streitschriften zurückführen, i»
welchen die Armee sich allerdings elend genug aufnimmt. Dann folgten als
Belege die Tagebücher, Denkwürdigkeiten und Briefe aus der Kriegszeit, die
zum Teil sehr wunderliche Dinge brachten. Die lächerlichsten Irrtümer waren
nach diesen Aufzeichnungen vorgekommen, es wurde in ihnen von wahren
Meisterstücken der Pedanterie, von echten militärischen Schildbürgereien berichtet
und u, c>. von den alten bocksteifen Herren mit den Puderperrücken erzählt,
die nur bei feierlichen Gelegenheiten ihren Sorgenstuhl verließen,, hinter denen
Ordonnanzen mit Schemel und Trittleiter herritten, um ihnen auf das Pferd
und wieder herunterzuhelfen, und die ihre Gemüsegärten und Hühnerhöfe vor
den Thoren für wichtiger hielten als die ihnen anvertrauten Festungen. Endlich
kamen die Äußerungen angesehener Männer hinzu, die eine Reform der Armee
nach der Niederlage befürworteten und natürlich dem alten Systeme wenig günstig
gesinnt waren. Ein Beispiel davon ist die Gneisenausche Denkschrift über den
Krieg von 1806, aus welcher unser Buch die Hauptstelle exzcrpirt.

„Mehr war nicht nötig," sagt Freiherr v. d. Goltz, „um endgiltig die
Armee von Jena als ein halbfabelhaftcs, gravitätisches Spukmesen aus längst
vergessener Zeit erscheinen zu lassen, das, eine Anomalie inmitten seiner Um¬
gebung, dem Grabe entstiegen war und bei der Berührung mit frischem, kraft¬
vollem Leben in nichts zerfallen mußte. Schien doch den Zeitgenossen, welche
die große Katastrophe erlebten, der ganze preußische Kriegsruhm wie ein Nebel-
gebilde, an dessen Realität man nur vorübergehend habe glauben können, als
ein großer Meister es mit seinem Zunberstabe vor der erstaunten Welt herauf¬
beschworen. Preußens kriegerische Größe war in den Angen der meisten Mit¬
lebenden sür immer verloren. Die Armee war ja nicht nur geschlagen, sondern
verschwunden."

Aus dieser verzweifelten Stimmung erklärt sich der Verfasser unsrer Schrift
den allgemeinen Zorn über die Katastrophe, die Schmähungen, Beschimpfungen
und Verhöhnungen der Männer, des Standes und der Organisation, welche sie
verschuldet haben sollten. Umsonst mahnten einzelne Stimmen zu ruhigerer
Auffassung und wiesen darauf hin, daß die Schriftsteller, die jetzt im preußischen
Staat und Heere nur Verrottung und Elend erblickten, ehedem denselben Staat
und dasselbe Heer für mustergiltig erklärt hatten. Das war noch während des
Ausmarsches der Truppen der Fall gewesen, wie der Verfasser mit vielen Bei¬
spielen belegt. Die stürmische Begeisterung, die sich in ganz Preußen, besonders
aber in Berlin, äußerte, kann umso eher als Zeichen des ungestörten Vertrauens
auf die vielfach als schön, wohlgeordnet und von kriegerischem Geist erfüllt ge¬
rühmte Armee gelten, als bis dahin eine weitverbreitete Friedenspartei vorhanden


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[0560] Die Wahrheit über die Ratastrophe von Jena. Wesentlich anders lautet das Ergebnis der Untersuchung, welche unser Autor auf Grund umfassender Studien angestellt hat. Spürt man den Quellen der oben auszugsweise mitgeteilten Schilderungen nach, so findet man, daß sie meist auf die nach dem Kriege erschienenen Streitschriften zurückführen, i» welchen die Armee sich allerdings elend genug aufnimmt. Dann folgten als Belege die Tagebücher, Denkwürdigkeiten und Briefe aus der Kriegszeit, die zum Teil sehr wunderliche Dinge brachten. Die lächerlichsten Irrtümer waren nach diesen Aufzeichnungen vorgekommen, es wurde in ihnen von wahren Meisterstücken der Pedanterie, von echten militärischen Schildbürgereien berichtet und u, c>. von den alten bocksteifen Herren mit den Puderperrücken erzählt, die nur bei feierlichen Gelegenheiten ihren Sorgenstuhl verließen,, hinter denen Ordonnanzen mit Schemel und Trittleiter herritten, um ihnen auf das Pferd und wieder herunterzuhelfen, und die ihre Gemüsegärten und Hühnerhöfe vor den Thoren für wichtiger hielten als die ihnen anvertrauten Festungen. Endlich kamen die Äußerungen angesehener Männer hinzu, die eine Reform der Armee nach der Niederlage befürworteten und natürlich dem alten Systeme wenig günstig gesinnt waren. Ein Beispiel davon ist die Gneisenausche Denkschrift über den Krieg von 1806, aus welcher unser Buch die Hauptstelle exzcrpirt. „Mehr war nicht nötig," sagt Freiherr v. d. Goltz, „um endgiltig die Armee von Jena als ein halbfabelhaftcs, gravitätisches Spukmesen aus längst vergessener Zeit erscheinen zu lassen, das, eine Anomalie inmitten seiner Um¬ gebung, dem Grabe entstiegen war und bei der Berührung mit frischem, kraft¬ vollem Leben in nichts zerfallen mußte. Schien doch den Zeitgenossen, welche die große Katastrophe erlebten, der ganze preußische Kriegsruhm wie ein Nebel- gebilde, an dessen Realität man nur vorübergehend habe glauben können, als ein großer Meister es mit seinem Zunberstabe vor der erstaunten Welt herauf¬ beschworen. Preußens kriegerische Größe war in den Angen der meisten Mit¬ lebenden sür immer verloren. Die Armee war ja nicht nur geschlagen, sondern verschwunden." Aus dieser verzweifelten Stimmung erklärt sich der Verfasser unsrer Schrift den allgemeinen Zorn über die Katastrophe, die Schmähungen, Beschimpfungen und Verhöhnungen der Männer, des Standes und der Organisation, welche sie verschuldet haben sollten. Umsonst mahnten einzelne Stimmen zu ruhigerer Auffassung und wiesen darauf hin, daß die Schriftsteller, die jetzt im preußischen Staat und Heere nur Verrottung und Elend erblickten, ehedem denselben Staat und dasselbe Heer für mustergiltig erklärt hatten. Das war noch während des Ausmarsches der Truppen der Fall gewesen, wie der Verfasser mit vielen Bei¬ spielen belegt. Die stürmische Begeisterung, die sich in ganz Preußen, besonders aber in Berlin, äußerte, kann umso eher als Zeichen des ungestörten Vertrauens auf die vielfach als schön, wohlgeordnet und von kriegerischem Geist erfüllt ge¬ rühmte Armee gelten, als bis dahin eine weitverbreitete Friedenspartei vorhanden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/560>, abgerufen am 28.07.2024.