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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die Wahrheit über die Katastrophe von Zena.

Wie aber die Führung der preußischen Armee im Jahre 1806 keineswegs
in ungewöhnlich ungeschickten Händen war, so war es, wie der Verfasser aus¬
führlich nachweist, auch um die Offiziere und Soldaten nicht so übel bestellt,
wie viele Berichterstatter meinten. Bischof Eylert, der Biograph Friedrich
Wilhelms III, malt das Heer vor der Katastrophe in den düstersten Farben.
Infolge von Mangel an Wohlwollen oben und an Achtung unten sei die innere
Auflösung schon eingetreten und das Äußere nur Schminke und Schein gewesen.
"So war es, so blieb es, so zog es sich krebsartig fort durch alle Glieder der
preußischen Armee bis zum Jahre 1806." Weiterhin erscheinen die rohen, un¬
wissenden Offiziere, die unaufhörlich geprügelten Soldaten, denen längst jedes
Ehrgefühl verloren gegangen ist, auf der Szene. Die Garnisonen gleichen Ge¬
fängnissen, und die Kasernen sind Stätten des Elendes. Nichts als Kleinlichkeit,
Pedanterie und gedankenlose Paradespielerei wird uns geschildert. Der Hoch¬
mut der Offiziere und die Mißhandlung der armen Soldaten, die aus Furcht
vor der Fuchtel zwischen Lust zum Weglaufen und Selbstmordsgedanken hin-
und herschwankten, bilden die Gegenstände seitenlanger Betrachtungen. Die be¬
kannten vor dem französischen Gesandtschaftspalais ihre Säbel schleifenden
Gendarmen spielen ihre Reuommistenrollc. "Nie hatte man weniger wahre
Ehre als damals. ... Es war ein Unglück, eine Strafe und Schande, in der
preußischen Armee zu dienen. . . . Dressirte Sklaven waren es, die den 14. Ok-
tober 1806 und seine gräßlichen Wirkungen verschuldeten. . . . Wie der Sturm
die zusammengewürfelte Spreu zerstreut, so zerstreute nach allen Winden der
behende, jugendliche, tapfere Mut der Franzosen und die Genialität ihres An¬
führers die fliehende preußische Armee. . . . Hier war mehr als Gamaschendienst,
und der Exerzierplatz war kein Schlachtfeld." So Eylert. Nicht viel besser
Pertz, wenn er im Leben Steins sagt: "Das Heer hatte wenig Kriegserfahrung,
es war verweichlicht, veraltet, schwerfällig, die Unterordnung erschlafft durch die
Nachsicht des Königs, die Unbeholfenheit und Leerheit der älteren, ven Leicht¬
sinn und die Ungezogenheit der jüngeren Offiziere, die anmaßend, dnnkelvoll und
prahlerisch allen Ständen lästig fielen und, als die große Stunde schlug, ihr
ganzes Nichts zeigten." Ähnlich Droysen im Leben Jorks: "Generale und Kom¬
mandeure wetteiferten in Verzweiflung und Kopflosigkeit, Feigheit und Leichtsinn.
Jetzt hatte man die Resultate jener Schlaffheit und Aufgeblasenheit, die man
solange geduldet; jetzt zeigte es sich, was es bedeutete, daß mau, zwischen dem
geistlosen Paradedicnst und dem geistreichen strategischen Dilettantismus hin-
und hertaumelnd, vergessen hatte, daß der Soldat vor allein ein Mann sein muß."
Ähnlich ferner Hauffer und Menzel, und uoch weit ärger der unbewußt Karika¬
turen zeichnende und ordinäre Redensarten liebende Kraftmeier Scherr. Selbst in
die vortrefflichsten geschichtlichen Darstellungen sind diese Bilder übergegangen. Fast
überall wird da von dem völlig veralteten und steifgewordenen Heerwesen, der
jammervollen Lage der Soldaten und dem unerhörten Dünkel der Offiziere erzählt.


Die Wahrheit über die Katastrophe von Zena.

Wie aber die Führung der preußischen Armee im Jahre 1806 keineswegs
in ungewöhnlich ungeschickten Händen war, so war es, wie der Verfasser aus¬
führlich nachweist, auch um die Offiziere und Soldaten nicht so übel bestellt,
wie viele Berichterstatter meinten. Bischof Eylert, der Biograph Friedrich
Wilhelms III, malt das Heer vor der Katastrophe in den düstersten Farben.
Infolge von Mangel an Wohlwollen oben und an Achtung unten sei die innere
Auflösung schon eingetreten und das Äußere nur Schminke und Schein gewesen.
„So war es, so blieb es, so zog es sich krebsartig fort durch alle Glieder der
preußischen Armee bis zum Jahre 1806." Weiterhin erscheinen die rohen, un¬
wissenden Offiziere, die unaufhörlich geprügelten Soldaten, denen längst jedes
Ehrgefühl verloren gegangen ist, auf der Szene. Die Garnisonen gleichen Ge¬
fängnissen, und die Kasernen sind Stätten des Elendes. Nichts als Kleinlichkeit,
Pedanterie und gedankenlose Paradespielerei wird uns geschildert. Der Hoch¬
mut der Offiziere und die Mißhandlung der armen Soldaten, die aus Furcht
vor der Fuchtel zwischen Lust zum Weglaufen und Selbstmordsgedanken hin-
und herschwankten, bilden die Gegenstände seitenlanger Betrachtungen. Die be¬
kannten vor dem französischen Gesandtschaftspalais ihre Säbel schleifenden
Gendarmen spielen ihre Reuommistenrollc. „Nie hatte man weniger wahre
Ehre als damals. ... Es war ein Unglück, eine Strafe und Schande, in der
preußischen Armee zu dienen. . . . Dressirte Sklaven waren es, die den 14. Ok-
tober 1806 und seine gräßlichen Wirkungen verschuldeten. . . . Wie der Sturm
die zusammengewürfelte Spreu zerstreut, so zerstreute nach allen Winden der
behende, jugendliche, tapfere Mut der Franzosen und die Genialität ihres An¬
führers die fliehende preußische Armee. . . . Hier war mehr als Gamaschendienst,
und der Exerzierplatz war kein Schlachtfeld." So Eylert. Nicht viel besser
Pertz, wenn er im Leben Steins sagt: „Das Heer hatte wenig Kriegserfahrung,
es war verweichlicht, veraltet, schwerfällig, die Unterordnung erschlafft durch die
Nachsicht des Königs, die Unbeholfenheit und Leerheit der älteren, ven Leicht¬
sinn und die Ungezogenheit der jüngeren Offiziere, die anmaßend, dnnkelvoll und
prahlerisch allen Ständen lästig fielen und, als die große Stunde schlug, ihr
ganzes Nichts zeigten." Ähnlich Droysen im Leben Jorks: „Generale und Kom¬
mandeure wetteiferten in Verzweiflung und Kopflosigkeit, Feigheit und Leichtsinn.
Jetzt hatte man die Resultate jener Schlaffheit und Aufgeblasenheit, die man
solange geduldet; jetzt zeigte es sich, was es bedeutete, daß mau, zwischen dem
geistlosen Paradedicnst und dem geistreichen strategischen Dilettantismus hin-
und hertaumelnd, vergessen hatte, daß der Soldat vor allein ein Mann sein muß."
Ähnlich ferner Hauffer und Menzel, und uoch weit ärger der unbewußt Karika¬
turen zeichnende und ordinäre Redensarten liebende Kraftmeier Scherr. Selbst in
die vortrefflichsten geschichtlichen Darstellungen sind diese Bilder übergegangen. Fast
überall wird da von dem völlig veralteten und steifgewordenen Heerwesen, der
jammervollen Lage der Soldaten und dem unerhörten Dünkel der Offiziere erzählt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/559>, abgerufen am 28.07.2024.