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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.

den Verfasser der Thesen, den Freiherrn von Vogelsang, dem man sogar merken
läßt, daß man seiner Konversion nicht recht traue.

Das ist stark, wo man doch sonst die Konvertiten immer im äußersten
ultramontanen Lager findet. Aber es scheint, als ob auch in katholischen
Kreisen und im ultramontanen Lager die soziale und politische Bewegung nicht
geringe Verwirrung anrichte. Freiherr von Vogelsang ist in jüngster Zeit
schon der zweite Konvertit, der sich um die ultramontane Sache erheblich ver¬
dient gemacht hat, um nun von den Ultramontanen ohne viele Umstände auf
die Seite geworfen zu werden. Der Redakteur der "Schlesischen Volkszeitung",
ein ehemaliger evangelischer Pfarrer in Mecklenburg, hat während der zehn
Jahre seines katholischen Journalistentums dem Zentrum in Schlesien größere
Dienste geleistet als irgend eine andre Persönlichkeit. Dennoch wurde er sofort
beseitigt, als sein Standpunkt den egoistischen Interessen der ultramontanen
Führer nicht mehr zu entsprechen schien. Die Verdienste des Freiherrn von
Vogelsang um die ultramontane Partei sind ebenso bedeutend. Obgleich es
den Ultramontanen nicht an geistreichen eifrigen Sozialpolitiken! fehlt, so hat
doch eigentlich Freiherr von Vogelsang das Verdienst, die sozialpolitischen Be¬
strebungen katholischer Richtung publizistisch popularisirt und auch für Ver¬
breitung jener in außerkatholischen Kreisen sehr viel gethan zu beiden. Daß
dies der katholischen Partei in Deutschland sehr viel Sympathien eingetragen
hat, kann man oft genug merken, und dies ist sicher nicht wenig wertvoll für
diese. Wenn man nun ultramontcmerseits dennoch so rücksichtslos Persönlich
gegen Herrn von Vogelsang vorgeht, so kann man sich ungefähr denken, wie
stark sich das egoistische Interesse in den beteiligten katholischen Kreisen durch
die Halber Thesen bedroht sieht. Es handelt sich eben um eine Geldfrage, und
da hört auch bei den Ultramontanen die Gemütlichkeit auf.

Indeß sind ja die Halber Thesen harmlos gegen die Ergebnisse der Unter¬
suchung des Pater Weiß über die Gesetze für Berechnung von Kapitalzins und
Arbeitslohn. Jene Thesen überlassen noch den Arbeitslohn der freien Verein¬
barung, indem sie uur wollen, daß jener die Lebensbedürfnisse ausgiebig decke
und noch einen Sparpfennig übrig lasse. Dagegen verwirft Pater Weiß schon
für das, was man heute Lohn nennt, diese Bezeichnung. Der "Lohn" gehört, wie
bemerkt, einfach zu den notwendigen Betriebskosten, indem er nichts ist als der
notdürftige Ersatz des täglichen Kraftverbrauches, über den man auch bei der
Maschine nicht hinauskommt. Der Lohn aber soll gleichberechtigt sein mit dem
Geschäftsgewinn; er soll diesem gegenüberstehen. Genauso wie Geschäftsgewinn
und Kapitalzins zu gelten haben als Äquivalent für das in den Geschäftsbe¬
trieb gebrachte Kapital, ebenso soll der Lohn -- über den Ersatz des Kraft¬
verbrauches hinaus -- Äquivalent sein für die in das Geschäft gebrachte Arbeit,
ohne welche das Kapital tot bleibt. Es handelt sich also bei der Schlußfolge¬
rung des Pater Weiß nicht um eine Lohnerhöhung im landläufigen Sinne des


Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.

den Verfasser der Thesen, den Freiherrn von Vogelsang, dem man sogar merken
läßt, daß man seiner Konversion nicht recht traue.

Das ist stark, wo man doch sonst die Konvertiten immer im äußersten
ultramontanen Lager findet. Aber es scheint, als ob auch in katholischen
Kreisen und im ultramontanen Lager die soziale und politische Bewegung nicht
geringe Verwirrung anrichte. Freiherr von Vogelsang ist in jüngster Zeit
schon der zweite Konvertit, der sich um die ultramontane Sache erheblich ver¬
dient gemacht hat, um nun von den Ultramontanen ohne viele Umstände auf
die Seite geworfen zu werden. Der Redakteur der „Schlesischen Volkszeitung",
ein ehemaliger evangelischer Pfarrer in Mecklenburg, hat während der zehn
Jahre seines katholischen Journalistentums dem Zentrum in Schlesien größere
Dienste geleistet als irgend eine andre Persönlichkeit. Dennoch wurde er sofort
beseitigt, als sein Standpunkt den egoistischen Interessen der ultramontanen
Führer nicht mehr zu entsprechen schien. Die Verdienste des Freiherrn von
Vogelsang um die ultramontane Partei sind ebenso bedeutend. Obgleich es
den Ultramontanen nicht an geistreichen eifrigen Sozialpolitiken! fehlt, so hat
doch eigentlich Freiherr von Vogelsang das Verdienst, die sozialpolitischen Be¬
strebungen katholischer Richtung publizistisch popularisirt und auch für Ver¬
breitung jener in außerkatholischen Kreisen sehr viel gethan zu beiden. Daß
dies der katholischen Partei in Deutschland sehr viel Sympathien eingetragen
hat, kann man oft genug merken, und dies ist sicher nicht wenig wertvoll für
diese. Wenn man nun ultramontcmerseits dennoch so rücksichtslos Persönlich
gegen Herrn von Vogelsang vorgeht, so kann man sich ungefähr denken, wie
stark sich das egoistische Interesse in den beteiligten katholischen Kreisen durch
die Halber Thesen bedroht sieht. Es handelt sich eben um eine Geldfrage, und
da hört auch bei den Ultramontanen die Gemütlichkeit auf.

Indeß sind ja die Halber Thesen harmlos gegen die Ergebnisse der Unter¬
suchung des Pater Weiß über die Gesetze für Berechnung von Kapitalzins und
Arbeitslohn. Jene Thesen überlassen noch den Arbeitslohn der freien Verein¬
barung, indem sie uur wollen, daß jener die Lebensbedürfnisse ausgiebig decke
und noch einen Sparpfennig übrig lasse. Dagegen verwirft Pater Weiß schon
für das, was man heute Lohn nennt, diese Bezeichnung. Der „Lohn" gehört, wie
bemerkt, einfach zu den notwendigen Betriebskosten, indem er nichts ist als der
notdürftige Ersatz des täglichen Kraftverbrauches, über den man auch bei der
Maschine nicht hinauskommt. Der Lohn aber soll gleichberechtigt sein mit dem
Geschäftsgewinn; er soll diesem gegenüberstehen. Genauso wie Geschäftsgewinn
und Kapitalzins zu gelten haben als Äquivalent für das in den Geschäftsbe¬
trieb gebrachte Kapital, ebenso soll der Lohn — über den Ersatz des Kraft¬
verbrauches hinaus — Äquivalent sein für die in das Geschäft gebrachte Arbeit,
ohne welche das Kapital tot bleibt. Es handelt sich also bei der Schlußfolge¬
rung des Pater Weiß nicht um eine Lohnerhöhung im landläufigen Sinne des


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[0556] Fortschritte der sozialpolitischen Debatte. den Verfasser der Thesen, den Freiherrn von Vogelsang, dem man sogar merken läßt, daß man seiner Konversion nicht recht traue. Das ist stark, wo man doch sonst die Konvertiten immer im äußersten ultramontanen Lager findet. Aber es scheint, als ob auch in katholischen Kreisen und im ultramontanen Lager die soziale und politische Bewegung nicht geringe Verwirrung anrichte. Freiherr von Vogelsang ist in jüngster Zeit schon der zweite Konvertit, der sich um die ultramontane Sache erheblich ver¬ dient gemacht hat, um nun von den Ultramontanen ohne viele Umstände auf die Seite geworfen zu werden. Der Redakteur der „Schlesischen Volkszeitung", ein ehemaliger evangelischer Pfarrer in Mecklenburg, hat während der zehn Jahre seines katholischen Journalistentums dem Zentrum in Schlesien größere Dienste geleistet als irgend eine andre Persönlichkeit. Dennoch wurde er sofort beseitigt, als sein Standpunkt den egoistischen Interessen der ultramontanen Führer nicht mehr zu entsprechen schien. Die Verdienste des Freiherrn von Vogelsang um die ultramontane Partei sind ebenso bedeutend. Obgleich es den Ultramontanen nicht an geistreichen eifrigen Sozialpolitiken! fehlt, so hat doch eigentlich Freiherr von Vogelsang das Verdienst, die sozialpolitischen Be¬ strebungen katholischer Richtung publizistisch popularisirt und auch für Ver¬ breitung jener in außerkatholischen Kreisen sehr viel gethan zu beiden. Daß dies der katholischen Partei in Deutschland sehr viel Sympathien eingetragen hat, kann man oft genug merken, und dies ist sicher nicht wenig wertvoll für diese. Wenn man nun ultramontcmerseits dennoch so rücksichtslos Persönlich gegen Herrn von Vogelsang vorgeht, so kann man sich ungefähr denken, wie stark sich das egoistische Interesse in den beteiligten katholischen Kreisen durch die Halber Thesen bedroht sieht. Es handelt sich eben um eine Geldfrage, und da hört auch bei den Ultramontanen die Gemütlichkeit auf. Indeß sind ja die Halber Thesen harmlos gegen die Ergebnisse der Unter¬ suchung des Pater Weiß über die Gesetze für Berechnung von Kapitalzins und Arbeitslohn. Jene Thesen überlassen noch den Arbeitslohn der freien Verein¬ barung, indem sie uur wollen, daß jener die Lebensbedürfnisse ausgiebig decke und noch einen Sparpfennig übrig lasse. Dagegen verwirft Pater Weiß schon für das, was man heute Lohn nennt, diese Bezeichnung. Der „Lohn" gehört, wie bemerkt, einfach zu den notwendigen Betriebskosten, indem er nichts ist als der notdürftige Ersatz des täglichen Kraftverbrauches, über den man auch bei der Maschine nicht hinauskommt. Der Lohn aber soll gleichberechtigt sein mit dem Geschäftsgewinn; er soll diesem gegenüberstehen. Genauso wie Geschäftsgewinn und Kapitalzins zu gelten haben als Äquivalent für das in den Geschäftsbe¬ trieb gebrachte Kapital, ebenso soll der Lohn — über den Ersatz des Kraft¬ verbrauches hinaus — Äquivalent sein für die in das Geschäft gebrachte Arbeit, ohne welche das Kapital tot bleibt. Es handelt sich also bei der Schlußfolge¬ rung des Pater Weiß nicht um eine Lohnerhöhung im landläufigen Sinne des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/556>, abgerufen am 28.07.2024.