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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.

Unternehmergewinn für das Kapitel keinerlei Berechtigung hat. Kapital und
Arbeit muß auf völlig gleichem Fuße behandelt werden. Denn ohne Arbeit ist
das Kapital tot; wie ohne das Kapital die Arbeit nicht ihre volle Frucht heraus¬
bringen kann. Kapitalist und Arbeiter in einer Unternehmung sind also recht¬
lich als gleichberechtigte Teilhaber zu betrachten; beide tragen das gleiche Risiko,
und das Kapital hat daher keinen Vorzug vor der Arbeit zu beanspruchen.
Wenn daher Kapitalist und Arbeiter sich verbinden -- dauernd oder vorüber¬
gehend -- so bleibt zwar der Kapitalist Eigentümer des Kapitals sogut wie der
Arbeiter Eigentümer seiner Arbeit; aber der Gewinn, der sich aus der Ver¬
bindung ergiebt, ist gemeinschaftlich, und zwar nach Maßgabe des gegenseitigen
Einsatzes, und ergiebt für den Kapitalisten Zins und Geschäftsgewinn, für den
Arbeiter den Lohn. Beides aber richtet sich nach ihrem Verbrauchswerte.

In allen diesen Ausführungen, die wir natürlich nur anstreifen, stützt sich
der Pater Weiß auf eine ganze Reihe nationalökonomischer und sozialpolitischer
Schriftsteller, selbst Adam Smith nicht ausgenommen. Und er entwickelt dann
in einer Reihenfolge mathematischer Formeln sein Gesetz über die Verteilung
des Reinerträgnisses, also auch nach Abrechnung der Lebcnsnotdurftvergütung,
zwischen Kapitalerträgnis und Arbeit. Er nimmt dabei als Beispiel eine Fabrik,
deren Kapital zu 1800 000 Mark berechnet ist. Der Fabrikant erscheint eben¬
falls als Arbeiter, deren, ihn inbegriffen, neunzig in der Fabrik beschäftigt siud.
Die gesamten Betriebskosten sind ans 36 000 Mort -- einschließlich des Arbeits¬
lohnes mit 20 000 Mark -- angeschlagen. Es sind unter den Arbeitern sechzig
weibliche mit je 240 Mark Jahreslohn. Zehn erhalten das anderthalbfache,
zehn das doppelte, vier das zweiundeinhalbfache, drei das fünffache, und die drei
Leiter des Geschäfts erhalten je das zehnfache. Dagegen beträgt der durch¬
schnittliche Reingewinn seit sechs Jahren 81000 Mark, die auf 78 000 Mark
reduzirt werden, wozu dann noch die bisher als Lohn berechneten 20 000 Mark
treten. Es stehen also einerseits 36000 Mark Betriebskosten, andrerseits 98000
Mark Gewinn und das Kapital von 1800 000 Mark gegenüber; die Betriebskosten
werden nun zu 25 Prozent kapitalisirt, was 800 000 Mark ergiebt, woraus
dann zwischen Kapital und Betriebskosten ein Verhältnis wie 2:1 entsteht.
Durch dieses Ergebnis wird das Verhältnis zwischen Kapital- und Arbeitsamkeit
vom, Rcinerträgnis bestimmt.

Dies ist der ungefähre Umriß der Entwicklung des klerikalen Sozial¬
politikers über das Verhältnis zwischen Kapitalgewinn und Lohn im wesent¬
lichen und soweit er sich hier ausführen ließ. Natürlich geht die Arbeit selbst
tiefer und begründet, wie wir schon angedeutet haben, ihre Schlußfolgerungen
nach allen Seiten hin, sodaß eine Widerlegung derselben schon sehr gründlich
sein müßte.

Es scheint übrigens kaum, als habe der Verfasser der eben besprochenen
Erörterung an den Verhandlungen in Haid teilgenommen. Denn die Hnider


Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.

Unternehmergewinn für das Kapitel keinerlei Berechtigung hat. Kapital und
Arbeit muß auf völlig gleichem Fuße behandelt werden. Denn ohne Arbeit ist
das Kapital tot; wie ohne das Kapital die Arbeit nicht ihre volle Frucht heraus¬
bringen kann. Kapitalist und Arbeiter in einer Unternehmung sind also recht¬
lich als gleichberechtigte Teilhaber zu betrachten; beide tragen das gleiche Risiko,
und das Kapital hat daher keinen Vorzug vor der Arbeit zu beanspruchen.
Wenn daher Kapitalist und Arbeiter sich verbinden — dauernd oder vorüber¬
gehend — so bleibt zwar der Kapitalist Eigentümer des Kapitals sogut wie der
Arbeiter Eigentümer seiner Arbeit; aber der Gewinn, der sich aus der Ver¬
bindung ergiebt, ist gemeinschaftlich, und zwar nach Maßgabe des gegenseitigen
Einsatzes, und ergiebt für den Kapitalisten Zins und Geschäftsgewinn, für den
Arbeiter den Lohn. Beides aber richtet sich nach ihrem Verbrauchswerte.

In allen diesen Ausführungen, die wir natürlich nur anstreifen, stützt sich
der Pater Weiß auf eine ganze Reihe nationalökonomischer und sozialpolitischer
Schriftsteller, selbst Adam Smith nicht ausgenommen. Und er entwickelt dann
in einer Reihenfolge mathematischer Formeln sein Gesetz über die Verteilung
des Reinerträgnisses, also auch nach Abrechnung der Lebcnsnotdurftvergütung,
zwischen Kapitalerträgnis und Arbeit. Er nimmt dabei als Beispiel eine Fabrik,
deren Kapital zu 1800 000 Mark berechnet ist. Der Fabrikant erscheint eben¬
falls als Arbeiter, deren, ihn inbegriffen, neunzig in der Fabrik beschäftigt siud.
Die gesamten Betriebskosten sind ans 36 000 Mort — einschließlich des Arbeits¬
lohnes mit 20 000 Mark — angeschlagen. Es sind unter den Arbeitern sechzig
weibliche mit je 240 Mark Jahreslohn. Zehn erhalten das anderthalbfache,
zehn das doppelte, vier das zweiundeinhalbfache, drei das fünffache, und die drei
Leiter des Geschäfts erhalten je das zehnfache. Dagegen beträgt der durch¬
schnittliche Reingewinn seit sechs Jahren 81000 Mark, die auf 78 000 Mark
reduzirt werden, wozu dann noch die bisher als Lohn berechneten 20 000 Mark
treten. Es stehen also einerseits 36000 Mark Betriebskosten, andrerseits 98000
Mark Gewinn und das Kapital von 1800 000 Mark gegenüber; die Betriebskosten
werden nun zu 25 Prozent kapitalisirt, was 800 000 Mark ergiebt, woraus
dann zwischen Kapital und Betriebskosten ein Verhältnis wie 2:1 entsteht.
Durch dieses Ergebnis wird das Verhältnis zwischen Kapital- und Arbeitsamkeit
vom, Rcinerträgnis bestimmt.

Dies ist der ungefähre Umriß der Entwicklung des klerikalen Sozial¬
politikers über das Verhältnis zwischen Kapitalgewinn und Lohn im wesent¬
lichen und soweit er sich hier ausführen ließ. Natürlich geht die Arbeit selbst
tiefer und begründet, wie wir schon angedeutet haben, ihre Schlußfolgerungen
nach allen Seiten hin, sodaß eine Widerlegung derselben schon sehr gründlich
sein müßte.

Es scheint übrigens kaum, als habe der Verfasser der eben besprochenen
Erörterung an den Verhandlungen in Haid teilgenommen. Denn die Hnider


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[0553] Fortschritte der sozialpolitischen Debatte. Unternehmergewinn für das Kapitel keinerlei Berechtigung hat. Kapital und Arbeit muß auf völlig gleichem Fuße behandelt werden. Denn ohne Arbeit ist das Kapital tot; wie ohne das Kapital die Arbeit nicht ihre volle Frucht heraus¬ bringen kann. Kapitalist und Arbeiter in einer Unternehmung sind also recht¬ lich als gleichberechtigte Teilhaber zu betrachten; beide tragen das gleiche Risiko, und das Kapital hat daher keinen Vorzug vor der Arbeit zu beanspruchen. Wenn daher Kapitalist und Arbeiter sich verbinden — dauernd oder vorüber¬ gehend — so bleibt zwar der Kapitalist Eigentümer des Kapitals sogut wie der Arbeiter Eigentümer seiner Arbeit; aber der Gewinn, der sich aus der Ver¬ bindung ergiebt, ist gemeinschaftlich, und zwar nach Maßgabe des gegenseitigen Einsatzes, und ergiebt für den Kapitalisten Zins und Geschäftsgewinn, für den Arbeiter den Lohn. Beides aber richtet sich nach ihrem Verbrauchswerte. In allen diesen Ausführungen, die wir natürlich nur anstreifen, stützt sich der Pater Weiß auf eine ganze Reihe nationalökonomischer und sozialpolitischer Schriftsteller, selbst Adam Smith nicht ausgenommen. Und er entwickelt dann in einer Reihenfolge mathematischer Formeln sein Gesetz über die Verteilung des Reinerträgnisses, also auch nach Abrechnung der Lebcnsnotdurftvergütung, zwischen Kapitalerträgnis und Arbeit. Er nimmt dabei als Beispiel eine Fabrik, deren Kapital zu 1800 000 Mark berechnet ist. Der Fabrikant erscheint eben¬ falls als Arbeiter, deren, ihn inbegriffen, neunzig in der Fabrik beschäftigt siud. Die gesamten Betriebskosten sind ans 36 000 Mort — einschließlich des Arbeits¬ lohnes mit 20 000 Mark — angeschlagen. Es sind unter den Arbeitern sechzig weibliche mit je 240 Mark Jahreslohn. Zehn erhalten das anderthalbfache, zehn das doppelte, vier das zweiundeinhalbfache, drei das fünffache, und die drei Leiter des Geschäfts erhalten je das zehnfache. Dagegen beträgt der durch¬ schnittliche Reingewinn seit sechs Jahren 81000 Mark, die auf 78 000 Mark reduzirt werden, wozu dann noch die bisher als Lohn berechneten 20 000 Mark treten. Es stehen also einerseits 36000 Mark Betriebskosten, andrerseits 98000 Mark Gewinn und das Kapital von 1800 000 Mark gegenüber; die Betriebskosten werden nun zu 25 Prozent kapitalisirt, was 800 000 Mark ergiebt, woraus dann zwischen Kapital und Betriebskosten ein Verhältnis wie 2:1 entsteht. Durch dieses Ergebnis wird das Verhältnis zwischen Kapital- und Arbeitsamkeit vom, Rcinerträgnis bestimmt. Dies ist der ungefähre Umriß der Entwicklung des klerikalen Sozial¬ politikers über das Verhältnis zwischen Kapitalgewinn und Lohn im wesent¬ lichen und soweit er sich hier ausführen ließ. Natürlich geht die Arbeit selbst tiefer und begründet, wie wir schon angedeutet haben, ihre Schlußfolgerungen nach allen Seiten hin, sodaß eine Widerlegung derselben schon sehr gründlich sein müßte. Es scheint übrigens kaum, als habe der Verfasser der eben besprochenen Erörterung an den Verhandlungen in Haid teilgenommen. Denn die Hnider

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/553>, abgerufen am 28.07.2024.