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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.

ins Blaue hinausgehen solle, daß dieselbe hinsichtlich der Richtung und der
Grenzen umschrieben sei. Man beschloß daher, zwar von der Erörterung der
angeregten Frage zunächst abzusehen, dagegen die Bildung einer Kommission
der bedeutendsten katholischen^ Sozialpvlitiker zu veranlassen mit dem Auftrage,
die Frage zu erörtern und eine vorläufige Grundlage für weitere Behandlung
derselben zu gewinnen. Das Ergebnis dieses Beschlusses liegt im Halber Pro¬
gramm vor.

Soweit wir unterrichtet sind, war die Versammlung, welche der Fürst
Löwenstein auf sein höhnisches Schloß Haid berufen hatte, um das nun aus¬
gearbeitete Programm, im wesentlichen wohl eine Arbeit des Freiherrn von
Vogelfang - - der dem Hauptorgan des österreichischen Adels, dem Wiener "Vater¬
land," sehr nahe steht --, gutzuheißen, zwar besucht aus allen Gegenden
Deutschlands, aber keineswegs sehr zahlreich und uur von wenigen einflußreichen
Parteigängern des Zentrums. Die Debatten, die nicht zu rasch zu Ende gingen,
waren sehr lebhaft, und die Annahme des Programms war keineswegs eine
vorbehaltlose und allgemeine, wenn auch in der Regel von 16 Stimmen uur 2 bei
der Abstimmung abwichen. Und es zeigte sich bald, daß die streberischer Hei߬
sporne des Zentrums, deren es auch neben dem Klerus nicht wenige giebt,
wenigstens behaupten wollten, das Interesse der Kirche sei im Programm nicht
genügend gewahrt. Und als das Programm zur Veröffentlichung gelangte,
erhoben sich in der klerikalen Presse dagegen so viele Stimmen, daß es die
Feuerprobe auf dem nach mancherlei Zögern einberufenen katholischen Kongreß
zu Düsseldorf nicht bestehen konnte. Auf diesem Kongreß stand die Erörterung
der sozialen Angelegenheiten im Vordergründe. Die Rücksicht auf die letzteren
stand schon im Vordergrunde bei der Berufung, da die kirchlich-politischen Fragen
mehr zur Reserve hindrängten.

Es zeigte sich bald klar genug in der katholischen Presse, nach welchen
Richtungen die Gegensätze innerhalb der Kreise der katholischen Sozialpvlitiker
auseinandergehen und welche Richtung anscheinend in Haid die Oberhand be¬
halten hat. Es ist angeblich die Richtung, welche die staatliche Grundlage
für das Gelingen einer sozialen Reform und für die Überwindung der drängenden
sozialen Aufgaben für unerläßlich hält. Und gerade deshalb durfte man doppelt
gespannt sein auf den Verlauf der erwarteten Verhandlungen in Düsseldorf. Es
war vorauszusehen, daß auf dem Kongreß doch die klerikalen Heißsporne das
Übergewicht gewinnen würden, da die Geistlichkeit dort weit stärker vertreten
sein würde als auf der Versammlung zu Haid. Und gerade die praktische Rich¬
tung im Klerus will hinsichtlich der sozialen Reformbestrebungen vom Staate
sehr wenig wissen. Ihr Ideal erscheint in einem von der Kirche geleiteten und
fortwährend beeinflußten patriarchalischen Verhältnis zwischen Fabrikbesitzer und
Arbeiter, dessen Grundlage im wesentlichen die christliche Charitas sein soll.


Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.

ins Blaue hinausgehen solle, daß dieselbe hinsichtlich der Richtung und der
Grenzen umschrieben sei. Man beschloß daher, zwar von der Erörterung der
angeregten Frage zunächst abzusehen, dagegen die Bildung einer Kommission
der bedeutendsten katholischen^ Sozialpvlitiker zu veranlassen mit dem Auftrage,
die Frage zu erörtern und eine vorläufige Grundlage für weitere Behandlung
derselben zu gewinnen. Das Ergebnis dieses Beschlusses liegt im Halber Pro¬
gramm vor.

Soweit wir unterrichtet sind, war die Versammlung, welche der Fürst
Löwenstein auf sein höhnisches Schloß Haid berufen hatte, um das nun aus¬
gearbeitete Programm, im wesentlichen wohl eine Arbeit des Freiherrn von
Vogelfang - - der dem Hauptorgan des österreichischen Adels, dem Wiener „Vater¬
land," sehr nahe steht —, gutzuheißen, zwar besucht aus allen Gegenden
Deutschlands, aber keineswegs sehr zahlreich und uur von wenigen einflußreichen
Parteigängern des Zentrums. Die Debatten, die nicht zu rasch zu Ende gingen,
waren sehr lebhaft, und die Annahme des Programms war keineswegs eine
vorbehaltlose und allgemeine, wenn auch in der Regel von 16 Stimmen uur 2 bei
der Abstimmung abwichen. Und es zeigte sich bald, daß die streberischer Hei߬
sporne des Zentrums, deren es auch neben dem Klerus nicht wenige giebt,
wenigstens behaupten wollten, das Interesse der Kirche sei im Programm nicht
genügend gewahrt. Und als das Programm zur Veröffentlichung gelangte,
erhoben sich in der klerikalen Presse dagegen so viele Stimmen, daß es die
Feuerprobe auf dem nach mancherlei Zögern einberufenen katholischen Kongreß
zu Düsseldorf nicht bestehen konnte. Auf diesem Kongreß stand die Erörterung
der sozialen Angelegenheiten im Vordergründe. Die Rücksicht auf die letzteren
stand schon im Vordergrunde bei der Berufung, da die kirchlich-politischen Fragen
mehr zur Reserve hindrängten.

Es zeigte sich bald klar genug in der katholischen Presse, nach welchen
Richtungen die Gegensätze innerhalb der Kreise der katholischen Sozialpvlitiker
auseinandergehen und welche Richtung anscheinend in Haid die Oberhand be¬
halten hat. Es ist angeblich die Richtung, welche die staatliche Grundlage
für das Gelingen einer sozialen Reform und für die Überwindung der drängenden
sozialen Aufgaben für unerläßlich hält. Und gerade deshalb durfte man doppelt
gespannt sein auf den Verlauf der erwarteten Verhandlungen in Düsseldorf. Es
war vorauszusehen, daß auf dem Kongreß doch die klerikalen Heißsporne das
Übergewicht gewinnen würden, da die Geistlichkeit dort weit stärker vertreten
sein würde als auf der Versammlung zu Haid. Und gerade die praktische Rich¬
tung im Klerus will hinsichtlich der sozialen Reformbestrebungen vom Staate
sehr wenig wissen. Ihr Ideal erscheint in einem von der Kirche geleiteten und
fortwährend beeinflußten patriarchalischen Verhältnis zwischen Fabrikbesitzer und
Arbeiter, dessen Grundlage im wesentlichen die christliche Charitas sein soll.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/550>, abgerufen am 28.07.2024.