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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.

innerhalb des Vereins für Sozialpolitik müssen, besonders wenn sich solche Vor¬
gänge häufen, zu der Einsicht kommen, daß es nicht nur heißt, die Kräfte ver¬
schleudern, sondern vielmehr dem Schlimmen dienen, wenn sie ferner unter dem
Deckmantel sozialreformatorischer Wirksamkeit dazu beitragen, der Gehilfenschaft
der Börse einen ansehnlichen Hintergrund zu verleihen.

Zu solcher Abscheidung wird aber auch die "Konkurrenz" nicht wenig bei¬
tragen, wenn nicht überhaupt nötigen, oder man wird vor dieser Konkurrenz die
Segel völlig streichen müssen, und man wird sich geradezu lächerlich machen, wenn
man etwa meint, dadurch, daß man auf dem aufgefahrenen Geleise fortfährt, noch
irgend etwas zur stetigen Entwicklung der sozialen Verhältnisse beitragen zu
können. Der Volkswirtschaftliche Kongreß ist in dieser Hinsicht ein sehr lehr¬
reiches Beispiel. Sein Ansehen war groß, solange sein "Prinzip" groß zu sein
schien und solange die praktische Richtung, die er vertrat, im Fortschritt war und
den Erfolg auf ihrer Seite hatte. Damals gehörten auch diejenigen, welche
alsbald den Kathedersozialismus auf so geschickte Weise auszubeuten verstanden
haben, zu den Führern des Kongresses, auf dem sie jetzt, wo seine Herrlichkeit
rapid zu Ende geht, fast nur noch als Beobachter erscheinen -- natürlich nicht,
ohne selbst aus dem Sterbenden noch herauszupressen, was sich aus ihm etwa
herauspressen läßt. Daß dies der plutokratischen Demagogie auch beim Kathedcr-
sozialismus möglich wurde, ist neben der praktischen Unklarheit seiner Haupt¬
träger der Hauptgrund seines raschen Niederganges. Und obgleich von dieser
Seite mit einem unendlichen "wissenschaftlichen" Hochmut herabgesehen wird auf
jene praktischen Bekümpfer der sozialen Ausbeutung, die aus allen Kreisen der
Nation ihre Kräfte heranziehen -- das Unglück, von der demagogischen Pluto-
kratie ebenso in den Dienst gezogen zu werden wie die optimistische und ge¬
wissermaßen ehrliche Richtung innerhalb des Volkswirtschaftlichen Kongresses,
was den Kathedersozialistcn nun schon so oft widerfahren ist, wird dieselben
wahrscheinlich nicht bescheidener stimmen, sie aber umso rascher auseinander¬
sprengen.

Aus jenen objektiven Untersuchungen, welche allerdings ein großes, wenn
auch das einzige Verdienst des Vereins für Sozialpolitik darstellen, muß die
Sprengung des zufällig Zusammengeflossenen erfolgen. Denn ebenso angenehm
wie es dem Manchestertum klingt, wenn die Schuld an den sozialen Schwierig¬
keiten von ihm abgewälzt und womöglich auf die ihm gegnerischen Elemente
des sozialen Zusammenhanges geschoben wird, ebenso unangenehm ist es ihm,
wenn mit objektiver Leuchte in sein eignes Treiben hineingeleuchtet wird.
Die Wirkung der Untersuchungen des Dr. E> Sax über die Hausindustrie in
Thüringen ist nach dieser Richtung hin charakteristisch. Sie hat einen wahren
Wutausbruch in den betreffenden manchesterlichen Interessenkreisen hervorge¬
rufen. In einer aus diesen Kreisen hervorgegangenen und sogar von einem
Nächstinteressirten verfaßten Broschüre werden die Kathedersozialistcn kurz und


Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.

innerhalb des Vereins für Sozialpolitik müssen, besonders wenn sich solche Vor¬
gänge häufen, zu der Einsicht kommen, daß es nicht nur heißt, die Kräfte ver¬
schleudern, sondern vielmehr dem Schlimmen dienen, wenn sie ferner unter dem
Deckmantel sozialreformatorischer Wirksamkeit dazu beitragen, der Gehilfenschaft
der Börse einen ansehnlichen Hintergrund zu verleihen.

Zu solcher Abscheidung wird aber auch die „Konkurrenz" nicht wenig bei¬
tragen, wenn nicht überhaupt nötigen, oder man wird vor dieser Konkurrenz die
Segel völlig streichen müssen, und man wird sich geradezu lächerlich machen, wenn
man etwa meint, dadurch, daß man auf dem aufgefahrenen Geleise fortfährt, noch
irgend etwas zur stetigen Entwicklung der sozialen Verhältnisse beitragen zu
können. Der Volkswirtschaftliche Kongreß ist in dieser Hinsicht ein sehr lehr¬
reiches Beispiel. Sein Ansehen war groß, solange sein „Prinzip" groß zu sein
schien und solange die praktische Richtung, die er vertrat, im Fortschritt war und
den Erfolg auf ihrer Seite hatte. Damals gehörten auch diejenigen, welche
alsbald den Kathedersozialismus auf so geschickte Weise auszubeuten verstanden
haben, zu den Führern des Kongresses, auf dem sie jetzt, wo seine Herrlichkeit
rapid zu Ende geht, fast nur noch als Beobachter erscheinen — natürlich nicht,
ohne selbst aus dem Sterbenden noch herauszupressen, was sich aus ihm etwa
herauspressen läßt. Daß dies der plutokratischen Demagogie auch beim Kathedcr-
sozialismus möglich wurde, ist neben der praktischen Unklarheit seiner Haupt¬
träger der Hauptgrund seines raschen Niederganges. Und obgleich von dieser
Seite mit einem unendlichen „wissenschaftlichen" Hochmut herabgesehen wird auf
jene praktischen Bekümpfer der sozialen Ausbeutung, die aus allen Kreisen der
Nation ihre Kräfte heranziehen — das Unglück, von der demagogischen Pluto-
kratie ebenso in den Dienst gezogen zu werden wie die optimistische und ge¬
wissermaßen ehrliche Richtung innerhalb des Volkswirtschaftlichen Kongresses,
was den Kathedersozialistcn nun schon so oft widerfahren ist, wird dieselben
wahrscheinlich nicht bescheidener stimmen, sie aber umso rascher auseinander¬
sprengen.

Aus jenen objektiven Untersuchungen, welche allerdings ein großes, wenn
auch das einzige Verdienst des Vereins für Sozialpolitik darstellen, muß die
Sprengung des zufällig Zusammengeflossenen erfolgen. Denn ebenso angenehm
wie es dem Manchestertum klingt, wenn die Schuld an den sozialen Schwierig¬
keiten von ihm abgewälzt und womöglich auf die ihm gegnerischen Elemente
des sozialen Zusammenhanges geschoben wird, ebenso unangenehm ist es ihm,
wenn mit objektiver Leuchte in sein eignes Treiben hineingeleuchtet wird.
Die Wirkung der Untersuchungen des Dr. E> Sax über die Hausindustrie in
Thüringen ist nach dieser Richtung hin charakteristisch. Sie hat einen wahren
Wutausbruch in den betreffenden manchesterlichen Interessenkreisen hervorge¬
rufen. In einer aus diesen Kreisen hervorgegangenen und sogar von einem
Nächstinteressirten verfaßten Broschüre werden die Kathedersozialistcn kurz und


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[0548] Fortschritte der sozialpolitischen Debatte. innerhalb des Vereins für Sozialpolitik müssen, besonders wenn sich solche Vor¬ gänge häufen, zu der Einsicht kommen, daß es nicht nur heißt, die Kräfte ver¬ schleudern, sondern vielmehr dem Schlimmen dienen, wenn sie ferner unter dem Deckmantel sozialreformatorischer Wirksamkeit dazu beitragen, der Gehilfenschaft der Börse einen ansehnlichen Hintergrund zu verleihen. Zu solcher Abscheidung wird aber auch die „Konkurrenz" nicht wenig bei¬ tragen, wenn nicht überhaupt nötigen, oder man wird vor dieser Konkurrenz die Segel völlig streichen müssen, und man wird sich geradezu lächerlich machen, wenn man etwa meint, dadurch, daß man auf dem aufgefahrenen Geleise fortfährt, noch irgend etwas zur stetigen Entwicklung der sozialen Verhältnisse beitragen zu können. Der Volkswirtschaftliche Kongreß ist in dieser Hinsicht ein sehr lehr¬ reiches Beispiel. Sein Ansehen war groß, solange sein „Prinzip" groß zu sein schien und solange die praktische Richtung, die er vertrat, im Fortschritt war und den Erfolg auf ihrer Seite hatte. Damals gehörten auch diejenigen, welche alsbald den Kathedersozialismus auf so geschickte Weise auszubeuten verstanden haben, zu den Führern des Kongresses, auf dem sie jetzt, wo seine Herrlichkeit rapid zu Ende geht, fast nur noch als Beobachter erscheinen — natürlich nicht, ohne selbst aus dem Sterbenden noch herauszupressen, was sich aus ihm etwa herauspressen läßt. Daß dies der plutokratischen Demagogie auch beim Kathedcr- sozialismus möglich wurde, ist neben der praktischen Unklarheit seiner Haupt¬ träger der Hauptgrund seines raschen Niederganges. Und obgleich von dieser Seite mit einem unendlichen „wissenschaftlichen" Hochmut herabgesehen wird auf jene praktischen Bekümpfer der sozialen Ausbeutung, die aus allen Kreisen der Nation ihre Kräfte heranziehen — das Unglück, von der demagogischen Pluto- kratie ebenso in den Dienst gezogen zu werden wie die optimistische und ge¬ wissermaßen ehrliche Richtung innerhalb des Volkswirtschaftlichen Kongresses, was den Kathedersozialistcn nun schon so oft widerfahren ist, wird dieselben wahrscheinlich nicht bescheidener stimmen, sie aber umso rascher auseinander¬ sprengen. Aus jenen objektiven Untersuchungen, welche allerdings ein großes, wenn auch das einzige Verdienst des Vereins für Sozialpolitik darstellen, muß die Sprengung des zufällig Zusammengeflossenen erfolgen. Denn ebenso angenehm wie es dem Manchestertum klingt, wenn die Schuld an den sozialen Schwierig¬ keiten von ihm abgewälzt und womöglich auf die ihm gegnerischen Elemente des sozialen Zusammenhanges geschoben wird, ebenso unangenehm ist es ihm, wenn mit objektiver Leuchte in sein eignes Treiben hineingeleuchtet wird. Die Wirkung der Untersuchungen des Dr. E> Sax über die Hausindustrie in Thüringen ist nach dieser Richtung hin charakteristisch. Sie hat einen wahren Wutausbruch in den betreffenden manchesterlichen Interessenkreisen hervorge¬ rufen. In einer aus diesen Kreisen hervorgegangenen und sogar von einem Nächstinteressirten verfaßten Broschüre werden die Kathedersozialistcn kurz und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/548>, abgerufen am 28.07.2024.