Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.Lmncesca von Rimini, abgelegenen Villa keinen Nebenbuhler zu fürchten hatte, wieder verständiger Lmncesca von Rimini, abgelegenen Villa keinen Nebenbuhler zu fürchten hatte, wieder verständiger <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0525" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154690"/> <fw type="header" place="top"> Lmncesca von Rimini,</fw><lb/> <p xml:id="ID_1572" prev="#ID_1571" next="#ID_1573"> abgelegenen Villa keinen Nebenbuhler zu fürchten hatte, wieder verständiger<lb/> geworden. Das Verhältnis der beiden zu einander besserte sich, und es gelang<lb/> Oswald sogar wieder ein Gemälde zustande zu bringen, das er aufs neue der Ber¬<lb/> liner Ausstellung einschickte. Es betitelte sich „Triumph der Schönheit" und<lb/> sollte eine Verherrlichung Margaretens bilden. Allein die krankhaft und ver¬<lb/> derbt gewordene Phantasie Oswalds hatte in der Darstellung des Unverhüllten<lb/> so Unglaubliches geleistet, daß die Jurh Bedenken trug, das Gemälde anzu¬<lb/> nehmen. Man schlug — um den bisher so geachteten Künstler zu schonen —<lb/> diesem vor, nach Berlin zu kommen und einige Änderungen vorzunehmen, damit<lb/> Ärgernis vermieden werde, Oswald fühlte sich über diese Bemängelung tief<lb/> gekränkt, zog das Bild zurück und stellte es in Berlin bei einem Kunsthändler<lb/> aus. Er hatte mit Zuversicht darauf gerechnet, durch diese Sonderausstellnng<lb/> den alten Zopf philiströsen Splitterrichtertums — wie er es nannte — ver¬<lb/> nichten zu können. Aber er täuschte sich. In den Berliner Zeitungen erhob<lb/> sich mit Einstimmigkeit das gesunde Urteil der Kunstverständigen gegen diese<lb/> alle sittlichen Begriffe verwirrende Glorifikation des ideenlosen Nackten. Ein<lb/> Maler, der nur die schönen Teile des Körpers darstelle, so bemerkte man, ver¬<lb/> sündige sich gegen das erste Gebot der Kunst, Die Witzblätter karikirten das<lb/> Bild, andre schlugen vor, daß damit der Tanzsaal eines berüchtigten Ballhauses<lb/> dekorirt werden solle. Der Feuilletonist einer Zeitung, welcher stets von einem<lb/> höhern philosophischen Gesichtspunkt die Dinge betrachtete, entwickelte mit not¬<lb/> wendigen Schlußfolgerungen, daß sich die sittliche Anschauung des Malers geändert<lb/> haben müsse, daß er offenbar in eine bedenkliche Umgebung geraten sei, und der<lb/> Kritiker glaubte, daß bei einem nähern Eingehen ans die Verhältnisse höchst über¬<lb/> raschende Thatsachen zum Vorschein kommen würden. Diese Deduktion griff<lb/> der rührige Korrespondent des Berliner „Bürgcrfrcundes" auf. Das Journal<lb/> hatte längst seine Fühlung mit den: Hause Genöve verloren; Vergangenes zu<lb/> schonen, früherer Wohlthaten zu gedenken war niemals Sache seiner ephemeren<lb/> Redaktion, es galt nur immer den richtigen Augenblick zu finden, um den Ge¬<lb/> schmack des Publikums zu kitzeln. So erschien eines Tages ein Herr in der<lb/> Villa am Thuner See, welcher Frau van Köller auf Grund der Empfehlung<lb/> einer Berliner Freundin — es war Elfe Müller von Jüterbogk, die inzwischen<lb/> einen Kolonialwaarenhändler geheiratet hatte — besuchte. Margarete unterhielt<lb/> sich mit ihm lange Zeit auch über den berühmten Gast ihres Hauses, den Maler<lb/> Oswald Hertel, und merkte erst gegen Schluß des Gespräches, daß sie „inter¬<lb/> viewt" war. Der betreffende Reporter machte in kühner Weise denselben Ver¬<lb/> such bei Oswald, dieser aber merkte die Absicht und wurde uicht nur verstimmt,<lb/> sondern ließ den Zudringlichen in etwas gewaltsamer Manier aus der Villa<lb/> entfernen. Man kann sich nach diesem Vorgange leicht vorstellen, wie der Ar¬<lb/> tikel des „Bürgerfreundes" lautete, der „von unserm mit besondrer Mission be¬<lb/> auftragten Kunstbcrichterstatter" „über die Entstehung und das Vorbild des</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0525]
Lmncesca von Rimini,
abgelegenen Villa keinen Nebenbuhler zu fürchten hatte, wieder verständiger
geworden. Das Verhältnis der beiden zu einander besserte sich, und es gelang
Oswald sogar wieder ein Gemälde zustande zu bringen, das er aufs neue der Ber¬
liner Ausstellung einschickte. Es betitelte sich „Triumph der Schönheit" und
sollte eine Verherrlichung Margaretens bilden. Allein die krankhaft und ver¬
derbt gewordene Phantasie Oswalds hatte in der Darstellung des Unverhüllten
so Unglaubliches geleistet, daß die Jurh Bedenken trug, das Gemälde anzu¬
nehmen. Man schlug — um den bisher so geachteten Künstler zu schonen —
diesem vor, nach Berlin zu kommen und einige Änderungen vorzunehmen, damit
Ärgernis vermieden werde, Oswald fühlte sich über diese Bemängelung tief
gekränkt, zog das Bild zurück und stellte es in Berlin bei einem Kunsthändler
aus. Er hatte mit Zuversicht darauf gerechnet, durch diese Sonderausstellnng
den alten Zopf philiströsen Splitterrichtertums — wie er es nannte — ver¬
nichten zu können. Aber er täuschte sich. In den Berliner Zeitungen erhob
sich mit Einstimmigkeit das gesunde Urteil der Kunstverständigen gegen diese
alle sittlichen Begriffe verwirrende Glorifikation des ideenlosen Nackten. Ein
Maler, der nur die schönen Teile des Körpers darstelle, so bemerkte man, ver¬
sündige sich gegen das erste Gebot der Kunst, Die Witzblätter karikirten das
Bild, andre schlugen vor, daß damit der Tanzsaal eines berüchtigten Ballhauses
dekorirt werden solle. Der Feuilletonist einer Zeitung, welcher stets von einem
höhern philosophischen Gesichtspunkt die Dinge betrachtete, entwickelte mit not¬
wendigen Schlußfolgerungen, daß sich die sittliche Anschauung des Malers geändert
haben müsse, daß er offenbar in eine bedenkliche Umgebung geraten sei, und der
Kritiker glaubte, daß bei einem nähern Eingehen ans die Verhältnisse höchst über¬
raschende Thatsachen zum Vorschein kommen würden. Diese Deduktion griff
der rührige Korrespondent des Berliner „Bürgcrfrcundes" auf. Das Journal
hatte längst seine Fühlung mit den: Hause Genöve verloren; Vergangenes zu
schonen, früherer Wohlthaten zu gedenken war niemals Sache seiner ephemeren
Redaktion, es galt nur immer den richtigen Augenblick zu finden, um den Ge¬
schmack des Publikums zu kitzeln. So erschien eines Tages ein Herr in der
Villa am Thuner See, welcher Frau van Köller auf Grund der Empfehlung
einer Berliner Freundin — es war Elfe Müller von Jüterbogk, die inzwischen
einen Kolonialwaarenhändler geheiratet hatte — besuchte. Margarete unterhielt
sich mit ihm lange Zeit auch über den berühmten Gast ihres Hauses, den Maler
Oswald Hertel, und merkte erst gegen Schluß des Gespräches, daß sie „inter¬
viewt" war. Der betreffende Reporter machte in kühner Weise denselben Ver¬
such bei Oswald, dieser aber merkte die Absicht und wurde uicht nur verstimmt,
sondern ließ den Zudringlichen in etwas gewaltsamer Manier aus der Villa
entfernen. Man kann sich nach diesem Vorgange leicht vorstellen, wie der Ar¬
tikel des „Bürgerfreundes" lautete, der „von unserm mit besondrer Mission be¬
auftragten Kunstbcrichterstatter" „über die Entstehung und das Vorbild des
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