Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Krieg zwischen Frankreich und China.

Massen Von Feuerung für ihre Fahrten versorgen wollen. Wird man ihnen
das englischerseits erlauben dürfen und, wenn das zu bejahen, bis zu welcher
Ausdehnung? Die Sache ist nicht leicht zu entscheiden; denn die "Pflichten der
Neutralität" haben keine recht deutlich abgesteckte Begrenzung. Steinkohle ist
nach ver technischen Bezeichnung der internationalen Jurisprudenz ein Artikel
imeiMs usus, d. h. ein Artikel, der je nach den Umständen, unter denen er
einem Kriegführenden geliefert, und nach den Zwecken, zu deren Erreichung
er von ihm verwendet wird, Kriegskontrebande oder keine solche sein kann. Es
giebt ohne Zweifel Fälle, wo das Liefern von Kohlen überhaupt einen
Bruch der Neutralität in sich schließen würde, und nach der jetzt festgestellten
Praxis der Engländer wird es wahrscheinlich als Verletzung der Neutra¬
litätspflicht angesehen werden, wenn jemand die Kriegsschiffe eines Krieg¬
führenden unter irgendwelchen Umständen mit einer unbeschränkten Menge
dieses Bedürfnisses versehen wollte. Die Regel, welche England sich während
des amerikanischen Bürgerkrieges in dieser Sache bildete, ist in ihrer Fassung
klar, doch wurde sie in der Praxis nicht konsequent beobachtet. Die Weisungen,
welche die britische Regierung einige Monate nachdem sie sich neutral erklärt
hatte, ergehen ließ, erlaubten die Versorgung beider Kriegführenden mit Kohle",
wobei "vorausgesetzt werden sollte, daß die Lieferung nach der Fähigkeit- des
Schiffes, sie zu verbrauchen, bemessen und auf den Betrag beschränkt wäre, der
ihm das Erreichen des nächsten Hafens seines eignen Landes oder eines näheren
Bestimmungsortes ermöglichte." So lautete die Theorie. Praktisch aber fand
man es englischerseits unmöglich, die Kreuzer der Konföderirten daran zu hindern,
daß sie in Trinidad, auf den Bermnda-Jnseln und in andern britischen Kolonien
soviel Kohlen einnahmen, als ihnen beliebte, und die Klage der Vereinigten
Staaten in dem Prozeß, der darüber angestrengt wurde, enthielt eine lange Reihe
von Beispielen dafür, daß englische Behörden Kaperschiffen der Südstaaten wie
dem Sünder, der Nashville und andern Geißeln der unionistischen Handels¬
marine gestattet hatten, über die vorgeschriebene Menge von Kohlen erheblich
hinauszugehen. "Es wird für die französischen Seeoffiziere in Ostasien kaum
notwendig sein, uns zu derartigen Unregelmäßigkeiten zu verlocken," meint, der
englischen Schwäche sich bewußt, ein englisches Blatt. "Das strengste Festhalten
an den Weisungen von 1862 würde es immer noch den Franzosen ermöglichen,
unsern Hafen von Singapore in dieser Beziehung als Basis maritimer Opera¬
tionen gegen ihren Feind im Osten zu benutzen." Das klingt recht ehrlich nud
aufrichtig, ist aber immerhin ein Geständnis, das den Chinesen vermutlich sehr
wenig gefallen wird.




Der Krieg zwischen Frankreich und China.

Massen Von Feuerung für ihre Fahrten versorgen wollen. Wird man ihnen
das englischerseits erlauben dürfen und, wenn das zu bejahen, bis zu welcher
Ausdehnung? Die Sache ist nicht leicht zu entscheiden; denn die „Pflichten der
Neutralität" haben keine recht deutlich abgesteckte Begrenzung. Steinkohle ist
nach ver technischen Bezeichnung der internationalen Jurisprudenz ein Artikel
imeiMs usus, d. h. ein Artikel, der je nach den Umständen, unter denen er
einem Kriegführenden geliefert, und nach den Zwecken, zu deren Erreichung
er von ihm verwendet wird, Kriegskontrebande oder keine solche sein kann. Es
giebt ohne Zweifel Fälle, wo das Liefern von Kohlen überhaupt einen
Bruch der Neutralität in sich schließen würde, und nach der jetzt festgestellten
Praxis der Engländer wird es wahrscheinlich als Verletzung der Neutra¬
litätspflicht angesehen werden, wenn jemand die Kriegsschiffe eines Krieg¬
führenden unter irgendwelchen Umständen mit einer unbeschränkten Menge
dieses Bedürfnisses versehen wollte. Die Regel, welche England sich während
des amerikanischen Bürgerkrieges in dieser Sache bildete, ist in ihrer Fassung
klar, doch wurde sie in der Praxis nicht konsequent beobachtet. Die Weisungen,
welche die britische Regierung einige Monate nachdem sie sich neutral erklärt
hatte, ergehen ließ, erlaubten die Versorgung beider Kriegführenden mit Kohle»,
wobei „vorausgesetzt werden sollte, daß die Lieferung nach der Fähigkeit- des
Schiffes, sie zu verbrauchen, bemessen und auf den Betrag beschränkt wäre, der
ihm das Erreichen des nächsten Hafens seines eignen Landes oder eines näheren
Bestimmungsortes ermöglichte." So lautete die Theorie. Praktisch aber fand
man es englischerseits unmöglich, die Kreuzer der Konföderirten daran zu hindern,
daß sie in Trinidad, auf den Bermnda-Jnseln und in andern britischen Kolonien
soviel Kohlen einnahmen, als ihnen beliebte, und die Klage der Vereinigten
Staaten in dem Prozeß, der darüber angestrengt wurde, enthielt eine lange Reihe
von Beispielen dafür, daß englische Behörden Kaperschiffen der Südstaaten wie
dem Sünder, der Nashville und andern Geißeln der unionistischen Handels¬
marine gestattet hatten, über die vorgeschriebene Menge von Kohlen erheblich
hinauszugehen. „Es wird für die französischen Seeoffiziere in Ostasien kaum
notwendig sein, uns zu derartigen Unregelmäßigkeiten zu verlocken," meint, der
englischen Schwäche sich bewußt, ein englisches Blatt. „Das strengste Festhalten
an den Weisungen von 1862 würde es immer noch den Franzosen ermöglichen,
unsern Hafen von Singapore in dieser Beziehung als Basis maritimer Opera¬
tionen gegen ihren Feind im Osten zu benutzen." Das klingt recht ehrlich nud
aufrichtig, ist aber immerhin ein Geständnis, das den Chinesen vermutlich sehr
wenig gefallen wird.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0522" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154687"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Krieg zwischen Frankreich und China.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1567" prev="#ID_1566"> Massen Von Feuerung für ihre Fahrten versorgen wollen. Wird man ihnen<lb/>
das englischerseits erlauben dürfen und, wenn das zu bejahen, bis zu welcher<lb/>
Ausdehnung? Die Sache ist nicht leicht zu entscheiden; denn die &#x201E;Pflichten der<lb/>
Neutralität" haben keine recht deutlich abgesteckte Begrenzung. Steinkohle ist<lb/>
nach ver technischen Bezeichnung der internationalen Jurisprudenz ein Artikel<lb/>
imeiMs usus, d. h. ein Artikel, der je nach den Umständen, unter denen er<lb/>
einem Kriegführenden geliefert, und nach den Zwecken, zu deren Erreichung<lb/>
er von ihm verwendet wird, Kriegskontrebande oder keine solche sein kann. Es<lb/>
giebt ohne Zweifel Fälle, wo das Liefern von Kohlen überhaupt einen<lb/>
Bruch der Neutralität in sich schließen würde, und nach der jetzt festgestellten<lb/>
Praxis der Engländer wird es wahrscheinlich als Verletzung der Neutra¬<lb/>
litätspflicht angesehen werden, wenn jemand die Kriegsschiffe eines Krieg¬<lb/>
führenden unter irgendwelchen Umständen mit einer unbeschränkten Menge<lb/>
dieses Bedürfnisses versehen wollte. Die Regel, welche England sich während<lb/>
des amerikanischen Bürgerkrieges in dieser Sache bildete, ist in ihrer Fassung<lb/>
klar, doch wurde sie in der Praxis nicht konsequent beobachtet. Die Weisungen,<lb/>
welche die britische Regierung einige Monate nachdem sie sich neutral erklärt<lb/>
hatte, ergehen ließ, erlaubten die Versorgung beider Kriegführenden mit Kohle»,<lb/>
wobei &#x201E;vorausgesetzt werden sollte, daß die Lieferung nach der Fähigkeit- des<lb/>
Schiffes, sie zu verbrauchen, bemessen und auf den Betrag beschränkt wäre, der<lb/>
ihm das Erreichen des nächsten Hafens seines eignen Landes oder eines näheren<lb/>
Bestimmungsortes ermöglichte." So lautete die Theorie. Praktisch aber fand<lb/>
man es englischerseits unmöglich, die Kreuzer der Konföderirten daran zu hindern,<lb/>
daß sie in Trinidad, auf den Bermnda-Jnseln und in andern britischen Kolonien<lb/>
soviel Kohlen einnahmen, als ihnen beliebte, und die Klage der Vereinigten<lb/>
Staaten in dem Prozeß, der darüber angestrengt wurde, enthielt eine lange Reihe<lb/>
von Beispielen dafür, daß englische Behörden Kaperschiffen der Südstaaten wie<lb/>
dem Sünder, der Nashville und andern Geißeln der unionistischen Handels¬<lb/>
marine gestattet hatten, über die vorgeschriebene Menge von Kohlen erheblich<lb/>
hinauszugehen. &#x201E;Es wird für die französischen Seeoffiziere in Ostasien kaum<lb/>
notwendig sein, uns zu derartigen Unregelmäßigkeiten zu verlocken," meint, der<lb/>
englischen Schwäche sich bewußt, ein englisches Blatt. &#x201E;Das strengste Festhalten<lb/>
an den Weisungen von 1862 würde es immer noch den Franzosen ermöglichen,<lb/>
unsern Hafen von Singapore in dieser Beziehung als Basis maritimer Opera¬<lb/>
tionen gegen ihren Feind im Osten zu benutzen." Das klingt recht ehrlich nud<lb/>
aufrichtig, ist aber immerhin ein Geständnis, das den Chinesen vermutlich sehr<lb/>
wenig gefallen wird.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0522] Der Krieg zwischen Frankreich und China. Massen Von Feuerung für ihre Fahrten versorgen wollen. Wird man ihnen das englischerseits erlauben dürfen und, wenn das zu bejahen, bis zu welcher Ausdehnung? Die Sache ist nicht leicht zu entscheiden; denn die „Pflichten der Neutralität" haben keine recht deutlich abgesteckte Begrenzung. Steinkohle ist nach ver technischen Bezeichnung der internationalen Jurisprudenz ein Artikel imeiMs usus, d. h. ein Artikel, der je nach den Umständen, unter denen er einem Kriegführenden geliefert, und nach den Zwecken, zu deren Erreichung er von ihm verwendet wird, Kriegskontrebande oder keine solche sein kann. Es giebt ohne Zweifel Fälle, wo das Liefern von Kohlen überhaupt einen Bruch der Neutralität in sich schließen würde, und nach der jetzt festgestellten Praxis der Engländer wird es wahrscheinlich als Verletzung der Neutra¬ litätspflicht angesehen werden, wenn jemand die Kriegsschiffe eines Krieg¬ führenden unter irgendwelchen Umständen mit einer unbeschränkten Menge dieses Bedürfnisses versehen wollte. Die Regel, welche England sich während des amerikanischen Bürgerkrieges in dieser Sache bildete, ist in ihrer Fassung klar, doch wurde sie in der Praxis nicht konsequent beobachtet. Die Weisungen, welche die britische Regierung einige Monate nachdem sie sich neutral erklärt hatte, ergehen ließ, erlaubten die Versorgung beider Kriegführenden mit Kohle», wobei „vorausgesetzt werden sollte, daß die Lieferung nach der Fähigkeit- des Schiffes, sie zu verbrauchen, bemessen und auf den Betrag beschränkt wäre, der ihm das Erreichen des nächsten Hafens seines eignen Landes oder eines näheren Bestimmungsortes ermöglichte." So lautete die Theorie. Praktisch aber fand man es englischerseits unmöglich, die Kreuzer der Konföderirten daran zu hindern, daß sie in Trinidad, auf den Bermnda-Jnseln und in andern britischen Kolonien soviel Kohlen einnahmen, als ihnen beliebte, und die Klage der Vereinigten Staaten in dem Prozeß, der darüber angestrengt wurde, enthielt eine lange Reihe von Beispielen dafür, daß englische Behörden Kaperschiffen der Südstaaten wie dem Sünder, der Nashville und andern Geißeln der unionistischen Handels¬ marine gestattet hatten, über die vorgeschriebene Menge von Kohlen erheblich hinauszugehen. „Es wird für die französischen Seeoffiziere in Ostasien kaum notwendig sein, uns zu derartigen Unregelmäßigkeiten zu verlocken," meint, der englischen Schwäche sich bewußt, ein englisches Blatt. „Das strengste Festhalten an den Weisungen von 1862 würde es immer noch den Franzosen ermöglichen, unsern Hafen von Singapore in dieser Beziehung als Basis maritimer Opera¬ tionen gegen ihren Feind im Osten zu benutzen." Das klingt recht ehrlich nud aufrichtig, ist aber immerhin ein Geständnis, das den Chinesen vermutlich sehr wenig gefallen wird.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/522
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/522>, abgerufen am 28.07.2024.