Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Entstehung des Faust.

derselben erlangen kann, das gefährliche Mittel magischer Kräfte, ihm nach seinem
Gefallen jederzeit von einem dienenden Geiste gereicht. Der Erdgeist macht Faust,
wenn auch nur in Rätselworten, aus die Beschaffenheit dieses Geistes aufmerksam
als eines Gesellen, in dessen Natur es liegt, das übermäßige Verlangen in den
sterblichen Geistern zu erregen, denen er dient, andrerseits aber auch denselben
Geistern die beglückende Illusion, den Ehrfurcht erzeugenden Schimmer, den die
Erscheinungen sür das sterbliche sehnsüchtige Auge tragen, zu rauben. Der
Erdgeist hat keinen andern Geist zur Verfügung Fausts zu stellen. Das ist
ja der nicht zu beseitigende Widerspruch in Fausts Verlangen: er will als
Sterblicher das Göttliche sühlen. Das Göttliche, die Substanz Spinozas, ist
aber nur Eines und kann nur Eines sein. Für den endlichen Geist giebt es nur
Resignation und Untergehen in die Substanz, oder den trügerischen Weg einer
Steigerung der endlichen Kraft durch die magische Kunst, welche die wahre
Erlösung von der Endlichkeit nicht bringen kann, daher im Dienste solcher Geister
steht, welche ihre Freude daran haben, den Untergang der endlichen Geister zu
beschleunigen und das Gefühl desselben schmerzhafter zu machen. Die Vor¬
stellung solcher Geister hat nichts zu thun mit der Lehre Spinozas. Die
Substanz des letztern ist weder gut noch böse; dies sind überhaupt Begriffe,
die der Illusion des endlichen Geistes angehören. Ganz wie. die Substanz
Spinozas ist auch Goethes Erdgeist weder gut noch böse, die dämonische Welt
ist ihm gleichgültig, nicht mehr als eine der vielen Erscheinungsformen, durch
welche der endliche Geist zerstört wird, oder mittelst deren er sich selbst durch
die Ausschreitungen seiner Phantasie zerstört. Ob die dämonische Welt ein
objektives Sein hat, diese Frage kann der Dichter auf dem Boden der phan¬
tastischen Welt, auf dem er steht, bejahen und für seine Schöpfung, den Erdgeist,
bejaht sein lassen.

So ergiebt sich uns eine Erklärung, wie Mephistopheles der Gesandte, der
Diener des Erdgeistes sein, wie er sich sogar einen Genossen desselben nennen kann,
wenn er Faust fragt: "Warum machst du Gemeinschaft mit uns?" Er ist eine
der zahllosen Kräfte, durch welche der Erdgeist "Geburt und Grab, ein ewiges
Meer" hervorbringt.

Aber wie hat der Dichter diesen Charakter aus derjenigen metaphysischen
Grundlage, die er ihm in der ersten Gestalt des Gedichts gegeben hatte, aus¬
geführt und ausgestattet?

Im Jahre 1774 trat Merck in Goethes Leben. Dieser Umstand würde
also trefflich stimmen mit allen denjenigen Daten, welche auf die wesentliche
Ausbildung der Faustgestalt im Jahre 1774 hinweisen, wenn man an solche
Genealogien glaubt. Wir gehören nicht zu diesen Gläubigen. Mag der Dichter
etwas von Mercks Manier in sein Mephistophelesbild aufgenommen haben,
alles Wesentliche dieses Bildes kommt allein aus dem Dichter. Das wunder¬
bare Gleichgewicht von Verstand, Gefühl und Phantasie in Goethes Wesen gab


Die Entstehung des Faust.

derselben erlangen kann, das gefährliche Mittel magischer Kräfte, ihm nach seinem
Gefallen jederzeit von einem dienenden Geiste gereicht. Der Erdgeist macht Faust,
wenn auch nur in Rätselworten, aus die Beschaffenheit dieses Geistes aufmerksam
als eines Gesellen, in dessen Natur es liegt, das übermäßige Verlangen in den
sterblichen Geistern zu erregen, denen er dient, andrerseits aber auch denselben
Geistern die beglückende Illusion, den Ehrfurcht erzeugenden Schimmer, den die
Erscheinungen sür das sterbliche sehnsüchtige Auge tragen, zu rauben. Der
Erdgeist hat keinen andern Geist zur Verfügung Fausts zu stellen. Das ist
ja der nicht zu beseitigende Widerspruch in Fausts Verlangen: er will als
Sterblicher das Göttliche sühlen. Das Göttliche, die Substanz Spinozas, ist
aber nur Eines und kann nur Eines sein. Für den endlichen Geist giebt es nur
Resignation und Untergehen in die Substanz, oder den trügerischen Weg einer
Steigerung der endlichen Kraft durch die magische Kunst, welche die wahre
Erlösung von der Endlichkeit nicht bringen kann, daher im Dienste solcher Geister
steht, welche ihre Freude daran haben, den Untergang der endlichen Geister zu
beschleunigen und das Gefühl desselben schmerzhafter zu machen. Die Vor¬
stellung solcher Geister hat nichts zu thun mit der Lehre Spinozas. Die
Substanz des letztern ist weder gut noch böse; dies sind überhaupt Begriffe,
die der Illusion des endlichen Geistes angehören. Ganz wie. die Substanz
Spinozas ist auch Goethes Erdgeist weder gut noch böse, die dämonische Welt
ist ihm gleichgültig, nicht mehr als eine der vielen Erscheinungsformen, durch
welche der endliche Geist zerstört wird, oder mittelst deren er sich selbst durch
die Ausschreitungen seiner Phantasie zerstört. Ob die dämonische Welt ein
objektives Sein hat, diese Frage kann der Dichter auf dem Boden der phan¬
tastischen Welt, auf dem er steht, bejahen und für seine Schöpfung, den Erdgeist,
bejaht sein lassen.

So ergiebt sich uns eine Erklärung, wie Mephistopheles der Gesandte, der
Diener des Erdgeistes sein, wie er sich sogar einen Genossen desselben nennen kann,
wenn er Faust fragt: „Warum machst du Gemeinschaft mit uns?" Er ist eine
der zahllosen Kräfte, durch welche der Erdgeist „Geburt und Grab, ein ewiges
Meer" hervorbringt.

Aber wie hat der Dichter diesen Charakter aus derjenigen metaphysischen
Grundlage, die er ihm in der ersten Gestalt des Gedichts gegeben hatte, aus¬
geführt und ausgestattet?

Im Jahre 1774 trat Merck in Goethes Leben. Dieser Umstand würde
also trefflich stimmen mit allen denjenigen Daten, welche auf die wesentliche
Ausbildung der Faustgestalt im Jahre 1774 hinweisen, wenn man an solche
Genealogien glaubt. Wir gehören nicht zu diesen Gläubigen. Mag der Dichter
etwas von Mercks Manier in sein Mephistophelesbild aufgenommen haben,
alles Wesentliche dieses Bildes kommt allein aus dem Dichter. Das wunder¬
bare Gleichgewicht von Verstand, Gefühl und Phantasie in Goethes Wesen gab


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154675"/>
            <fw type="header" place="top"> Die Entstehung des Faust.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1528" prev="#ID_1527"> derselben erlangen kann, das gefährliche Mittel magischer Kräfte, ihm nach seinem<lb/>
Gefallen jederzeit von einem dienenden Geiste gereicht. Der Erdgeist macht Faust,<lb/>
wenn auch nur in Rätselworten, aus die Beschaffenheit dieses Geistes aufmerksam<lb/>
als eines Gesellen, in dessen Natur es liegt, das übermäßige Verlangen in den<lb/>
sterblichen Geistern zu erregen, denen er dient, andrerseits aber auch denselben<lb/>
Geistern die beglückende Illusion, den Ehrfurcht erzeugenden Schimmer, den die<lb/>
Erscheinungen sür das sterbliche sehnsüchtige Auge tragen, zu rauben. Der<lb/>
Erdgeist hat keinen andern Geist zur Verfügung Fausts zu stellen. Das ist<lb/>
ja der nicht zu beseitigende Widerspruch in Fausts Verlangen: er will als<lb/>
Sterblicher das Göttliche sühlen. Das Göttliche, die Substanz Spinozas, ist<lb/>
aber nur Eines und kann nur Eines sein. Für den endlichen Geist giebt es nur<lb/>
Resignation und Untergehen in die Substanz, oder den trügerischen Weg einer<lb/>
Steigerung der endlichen Kraft durch die magische Kunst, welche die wahre<lb/>
Erlösung von der Endlichkeit nicht bringen kann, daher im Dienste solcher Geister<lb/>
steht, welche ihre Freude daran haben, den Untergang der endlichen Geister zu<lb/>
beschleunigen und das Gefühl desselben schmerzhafter zu machen. Die Vor¬<lb/>
stellung solcher Geister hat nichts zu thun mit der Lehre Spinozas. Die<lb/>
Substanz des letztern ist weder gut noch böse; dies sind überhaupt Begriffe,<lb/>
die der Illusion des endlichen Geistes angehören. Ganz wie. die Substanz<lb/>
Spinozas ist auch Goethes Erdgeist weder gut noch böse, die dämonische Welt<lb/>
ist ihm gleichgültig, nicht mehr als eine der vielen Erscheinungsformen, durch<lb/>
welche der endliche Geist zerstört wird, oder mittelst deren er sich selbst durch<lb/>
die Ausschreitungen seiner Phantasie zerstört. Ob die dämonische Welt ein<lb/>
objektives Sein hat, diese Frage kann der Dichter auf dem Boden der phan¬<lb/>
tastischen Welt, auf dem er steht, bejahen und für seine Schöpfung, den Erdgeist,<lb/>
bejaht sein lassen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1529"> So ergiebt sich uns eine Erklärung, wie Mephistopheles der Gesandte, der<lb/>
Diener des Erdgeistes sein, wie er sich sogar einen Genossen desselben nennen kann,<lb/>
wenn er Faust fragt: &#x201E;Warum machst du Gemeinschaft mit uns?" Er ist eine<lb/>
der zahllosen Kräfte, durch welche der Erdgeist &#x201E;Geburt und Grab, ein ewiges<lb/>
Meer" hervorbringt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1530"> Aber wie hat der Dichter diesen Charakter aus derjenigen metaphysischen<lb/>
Grundlage, die er ihm in der ersten Gestalt des Gedichts gegeben hatte, aus¬<lb/>
geführt und ausgestattet?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1531" next="#ID_1532"> Im Jahre 1774 trat Merck in Goethes Leben. Dieser Umstand würde<lb/>
also trefflich stimmen mit allen denjenigen Daten, welche auf die wesentliche<lb/>
Ausbildung der Faustgestalt im Jahre 1774 hinweisen, wenn man an solche<lb/>
Genealogien glaubt. Wir gehören nicht zu diesen Gläubigen. Mag der Dichter<lb/>
etwas von Mercks Manier in sein Mephistophelesbild aufgenommen haben,<lb/>
alles Wesentliche dieses Bildes kommt allein aus dem Dichter. Das wunder¬<lb/>
bare Gleichgewicht von Verstand, Gefühl und Phantasie in Goethes Wesen gab</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0510] Die Entstehung des Faust. derselben erlangen kann, das gefährliche Mittel magischer Kräfte, ihm nach seinem Gefallen jederzeit von einem dienenden Geiste gereicht. Der Erdgeist macht Faust, wenn auch nur in Rätselworten, aus die Beschaffenheit dieses Geistes aufmerksam als eines Gesellen, in dessen Natur es liegt, das übermäßige Verlangen in den sterblichen Geistern zu erregen, denen er dient, andrerseits aber auch denselben Geistern die beglückende Illusion, den Ehrfurcht erzeugenden Schimmer, den die Erscheinungen sür das sterbliche sehnsüchtige Auge tragen, zu rauben. Der Erdgeist hat keinen andern Geist zur Verfügung Fausts zu stellen. Das ist ja der nicht zu beseitigende Widerspruch in Fausts Verlangen: er will als Sterblicher das Göttliche sühlen. Das Göttliche, die Substanz Spinozas, ist aber nur Eines und kann nur Eines sein. Für den endlichen Geist giebt es nur Resignation und Untergehen in die Substanz, oder den trügerischen Weg einer Steigerung der endlichen Kraft durch die magische Kunst, welche die wahre Erlösung von der Endlichkeit nicht bringen kann, daher im Dienste solcher Geister steht, welche ihre Freude daran haben, den Untergang der endlichen Geister zu beschleunigen und das Gefühl desselben schmerzhafter zu machen. Die Vor¬ stellung solcher Geister hat nichts zu thun mit der Lehre Spinozas. Die Substanz des letztern ist weder gut noch böse; dies sind überhaupt Begriffe, die der Illusion des endlichen Geistes angehören. Ganz wie. die Substanz Spinozas ist auch Goethes Erdgeist weder gut noch böse, die dämonische Welt ist ihm gleichgültig, nicht mehr als eine der vielen Erscheinungsformen, durch welche der endliche Geist zerstört wird, oder mittelst deren er sich selbst durch die Ausschreitungen seiner Phantasie zerstört. Ob die dämonische Welt ein objektives Sein hat, diese Frage kann der Dichter auf dem Boden der phan¬ tastischen Welt, auf dem er steht, bejahen und für seine Schöpfung, den Erdgeist, bejaht sein lassen. So ergiebt sich uns eine Erklärung, wie Mephistopheles der Gesandte, der Diener des Erdgeistes sein, wie er sich sogar einen Genossen desselben nennen kann, wenn er Faust fragt: „Warum machst du Gemeinschaft mit uns?" Er ist eine der zahllosen Kräfte, durch welche der Erdgeist „Geburt und Grab, ein ewiges Meer" hervorbringt. Aber wie hat der Dichter diesen Charakter aus derjenigen metaphysischen Grundlage, die er ihm in der ersten Gestalt des Gedichts gegeben hatte, aus¬ geführt und ausgestattet? Im Jahre 1774 trat Merck in Goethes Leben. Dieser Umstand würde also trefflich stimmen mit allen denjenigen Daten, welche auf die wesentliche Ausbildung der Faustgestalt im Jahre 1774 hinweisen, wenn man an solche Genealogien glaubt. Wir gehören nicht zu diesen Gläubigen. Mag der Dichter etwas von Mercks Manier in sein Mephistophelesbild aufgenommen haben, alles Wesentliche dieses Bildes kommt allein aus dem Dichter. Das wunder¬ bare Gleichgewicht von Verstand, Gefühl und Phantasie in Goethes Wesen gab

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/510
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/510>, abgerufen am 01.09.2024.