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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesco von Rimini.

da er jede seelische Aufregung verabscheute, dem Umgang mit ihnen geflissentlich
aus dem Wege gegangen. Seine Hochzeitsreise mit Margarethe hatte ihm zu¬
viel des Stürmischen und Ungewohnten geboten; er war nach Hause geeilt,
froh, sich ungestört wieder auf seinen Divan hinstrecken und die blauen Wolken
in die Luft blasen zu können. Er glaubte seinen Pflichten als Ehemann
Genüge gethan zu haben, wenn er mit seiner Frau des Mittags zusammen
speiste und wöchentlich zweimal mit ihr in He>t -"dis fuhr, um sich seinen
Freunden und Neidern gegenüber mit der schönsten Frau in Amsterdam zu brüsten.
Die weitere Familie van Köller bestand meistens aus Geschäftsleuten, deren
Interesse sich lediglich auf die Kaffeeernte in Java und Sumatra konzentrirte.
Sie behandelten ihre Frauen wie ein Spielzeug, das sie putzten, kümmerten sich
aber sonst nur wenig um sie, sondern lebten ähnlich wie ihr Bruder, Schwager
oder Vetter, nur daß sie vielleicht etwas mehr Zeit auf Börse und Geschäft
verwendeten. In einer solchen Umgebung kam sich Margarethe bald wie in
einem Gefängnis, bald wie in einem Irrenhause vor; ein gesellschaftlicher Ver¬
kehr fand innerhalb der Familie und der ersten Handelsfirmen nur insoweit
statt, als man sich gegenseitig zu schwelgerischen Diners lud, die selten ohne
Indigestionen für die Beteiligten zu Ende gegessen wurden. Jede Anregung
des Geistes oder des Herzens fehlte; gäbe es nicht in dieser Stadt das Rijks-
museum, das Museum van der Hoop und noch eine und die andre Sammlung
und Denkmäler, Margarethe hätte nie erfahren, daß in Amsterdam Rembrandt
gemalt, Spinoza seine philosophischen Systeme aufgebaut hatte. Wenn sie ein¬
mal in einem Gespräch mit einem der jungen Millionäre auf einen geistreichen
Gedanken gestoßen war und eine Oase in der Wüste gefunden zu haben glaubte,
dann bemühte sie sich zwar ihren Gegenpart durch die kleinen Künste ihrer
Koketterie zu fesseln, aber sie merkte bald, daß jener Gedanke nur das Echo
aus einem französischen Roman wiedergab und über diesen nicht hinausreichte.
So hielt sie sich auch nur wenige Monate in Amsterdam auf und reiste wieder
nach Berlin zurück; ihr Gemahl sah diese Abreise nicht ungern, da sie ihm die
Möglichkeit seines gedankenlosen Schlaraffentums voll und ungestört zurück¬
gewährte. Von dieser Zeit an war Frau van Köller nur ein Gast in ihrem
Hause; sie reiste von Berlin nach Wien und Paris, nach Trouville und Baden-
Baden, nach Monako und Saxon, und fühlte sich nur insoweit als die Gattin
von Joseph van Köller, wenn sie dessen Kreditbriefe empfing, mit denen dieser
nicht kargte; er würde sich vielmehr mit noch größeren Summen die Gemächlichkeit
erkauft haben, mit der er, wie früher, seine Cigarren rauchen und seine Spitzen
mustern konnte. Selten hielt sich Margarethe an einem Orte längere Zeit auf;
ihr fehlte die Ruhe und Stetigkeit des Gemüts, und jede neue Zerstreuung und
Abwechslung machte sie nur noch unfähiger für Genüsse. Auch konnte es nicht
fehlen, daß sie sich bald in Gesellschaften und Kreisen befand, die, je mehr Wert
sie auch auf den äußern Menschen, auf eine untadelhafte und moderne Toilette,


Francesco von Rimini.

da er jede seelische Aufregung verabscheute, dem Umgang mit ihnen geflissentlich
aus dem Wege gegangen. Seine Hochzeitsreise mit Margarethe hatte ihm zu¬
viel des Stürmischen und Ungewohnten geboten; er war nach Hause geeilt,
froh, sich ungestört wieder auf seinen Divan hinstrecken und die blauen Wolken
in die Luft blasen zu können. Er glaubte seinen Pflichten als Ehemann
Genüge gethan zu haben, wenn er mit seiner Frau des Mittags zusammen
speiste und wöchentlich zweimal mit ihr in He>t -»dis fuhr, um sich seinen
Freunden und Neidern gegenüber mit der schönsten Frau in Amsterdam zu brüsten.
Die weitere Familie van Köller bestand meistens aus Geschäftsleuten, deren
Interesse sich lediglich auf die Kaffeeernte in Java und Sumatra konzentrirte.
Sie behandelten ihre Frauen wie ein Spielzeug, das sie putzten, kümmerten sich
aber sonst nur wenig um sie, sondern lebten ähnlich wie ihr Bruder, Schwager
oder Vetter, nur daß sie vielleicht etwas mehr Zeit auf Börse und Geschäft
verwendeten. In einer solchen Umgebung kam sich Margarethe bald wie in
einem Gefängnis, bald wie in einem Irrenhause vor; ein gesellschaftlicher Ver¬
kehr fand innerhalb der Familie und der ersten Handelsfirmen nur insoweit
statt, als man sich gegenseitig zu schwelgerischen Diners lud, die selten ohne
Indigestionen für die Beteiligten zu Ende gegessen wurden. Jede Anregung
des Geistes oder des Herzens fehlte; gäbe es nicht in dieser Stadt das Rijks-
museum, das Museum van der Hoop und noch eine und die andre Sammlung
und Denkmäler, Margarethe hätte nie erfahren, daß in Amsterdam Rembrandt
gemalt, Spinoza seine philosophischen Systeme aufgebaut hatte. Wenn sie ein¬
mal in einem Gespräch mit einem der jungen Millionäre auf einen geistreichen
Gedanken gestoßen war und eine Oase in der Wüste gefunden zu haben glaubte,
dann bemühte sie sich zwar ihren Gegenpart durch die kleinen Künste ihrer
Koketterie zu fesseln, aber sie merkte bald, daß jener Gedanke nur das Echo
aus einem französischen Roman wiedergab und über diesen nicht hinausreichte.
So hielt sie sich auch nur wenige Monate in Amsterdam auf und reiste wieder
nach Berlin zurück; ihr Gemahl sah diese Abreise nicht ungern, da sie ihm die
Möglichkeit seines gedankenlosen Schlaraffentums voll und ungestört zurück¬
gewährte. Von dieser Zeit an war Frau van Köller nur ein Gast in ihrem
Hause; sie reiste von Berlin nach Wien und Paris, nach Trouville und Baden-
Baden, nach Monako und Saxon, und fühlte sich nur insoweit als die Gattin
von Joseph van Köller, wenn sie dessen Kreditbriefe empfing, mit denen dieser
nicht kargte; er würde sich vielmehr mit noch größeren Summen die Gemächlichkeit
erkauft haben, mit der er, wie früher, seine Cigarren rauchen und seine Spitzen
mustern konnte. Selten hielt sich Margarethe an einem Orte längere Zeit auf;
ihr fehlte die Ruhe und Stetigkeit des Gemüts, und jede neue Zerstreuung und
Abwechslung machte sie nur noch unfähiger für Genüsse. Auch konnte es nicht
fehlen, daß sie sich bald in Gesellschaften und Kreisen befand, die, je mehr Wert
sie auch auf den äußern Menschen, auf eine untadelhafte und moderne Toilette,


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[0476] Francesco von Rimini. da er jede seelische Aufregung verabscheute, dem Umgang mit ihnen geflissentlich aus dem Wege gegangen. Seine Hochzeitsreise mit Margarethe hatte ihm zu¬ viel des Stürmischen und Ungewohnten geboten; er war nach Hause geeilt, froh, sich ungestört wieder auf seinen Divan hinstrecken und die blauen Wolken in die Luft blasen zu können. Er glaubte seinen Pflichten als Ehemann Genüge gethan zu haben, wenn er mit seiner Frau des Mittags zusammen speiste und wöchentlich zweimal mit ihr in He>t -»dis fuhr, um sich seinen Freunden und Neidern gegenüber mit der schönsten Frau in Amsterdam zu brüsten. Die weitere Familie van Köller bestand meistens aus Geschäftsleuten, deren Interesse sich lediglich auf die Kaffeeernte in Java und Sumatra konzentrirte. Sie behandelten ihre Frauen wie ein Spielzeug, das sie putzten, kümmerten sich aber sonst nur wenig um sie, sondern lebten ähnlich wie ihr Bruder, Schwager oder Vetter, nur daß sie vielleicht etwas mehr Zeit auf Börse und Geschäft verwendeten. In einer solchen Umgebung kam sich Margarethe bald wie in einem Gefängnis, bald wie in einem Irrenhause vor; ein gesellschaftlicher Ver¬ kehr fand innerhalb der Familie und der ersten Handelsfirmen nur insoweit statt, als man sich gegenseitig zu schwelgerischen Diners lud, die selten ohne Indigestionen für die Beteiligten zu Ende gegessen wurden. Jede Anregung des Geistes oder des Herzens fehlte; gäbe es nicht in dieser Stadt das Rijks- museum, das Museum van der Hoop und noch eine und die andre Sammlung und Denkmäler, Margarethe hätte nie erfahren, daß in Amsterdam Rembrandt gemalt, Spinoza seine philosophischen Systeme aufgebaut hatte. Wenn sie ein¬ mal in einem Gespräch mit einem der jungen Millionäre auf einen geistreichen Gedanken gestoßen war und eine Oase in der Wüste gefunden zu haben glaubte, dann bemühte sie sich zwar ihren Gegenpart durch die kleinen Künste ihrer Koketterie zu fesseln, aber sie merkte bald, daß jener Gedanke nur das Echo aus einem französischen Roman wiedergab und über diesen nicht hinausreichte. So hielt sie sich auch nur wenige Monate in Amsterdam auf und reiste wieder nach Berlin zurück; ihr Gemahl sah diese Abreise nicht ungern, da sie ihm die Möglichkeit seines gedankenlosen Schlaraffentums voll und ungestört zurück¬ gewährte. Von dieser Zeit an war Frau van Köller nur ein Gast in ihrem Hause; sie reiste von Berlin nach Wien und Paris, nach Trouville und Baden- Baden, nach Monako und Saxon, und fühlte sich nur insoweit als die Gattin von Joseph van Köller, wenn sie dessen Kreditbriefe empfing, mit denen dieser nicht kargte; er würde sich vielmehr mit noch größeren Summen die Gemächlichkeit erkauft haben, mit der er, wie früher, seine Cigarren rauchen und seine Spitzen mustern konnte. Selten hielt sich Margarethe an einem Orte längere Zeit auf; ihr fehlte die Ruhe und Stetigkeit des Gemüts, und jede neue Zerstreuung und Abwechslung machte sie nur noch unfähiger für Genüsse. Auch konnte es nicht fehlen, daß sie sich bald in Gesellschaften und Kreisen befand, die, je mehr Wert sie auch auf den äußern Menschen, auf eine untadelhafte und moderne Toilette,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/476>, abgerufen am 28.07.2024.