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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Zum achtzigsten Geburtstage Ludwig Richters.

und dennoch standen diese unendlich hoch fast über allem, was sonst für Kinder
gut genug gehalten wurde. Auf den künstlerischen Teil der Kinderschriften mußten
aber jene Männer umso größeren Wert legen, als sie selbst jenem Künstler¬
kreise angehörten, welcher seit Beginn der vierziger Jahre ein neues Leben in
die Dresdener Akademie gebracht hatte. Daher erkannten sie auch die Ver¬
pflichtung, nicht bei der Kritik stehen zu bleiben, sondern selbst den Weg zum
Bessern zu zeigen. Romantiker, wie sie sämtlich waren, wählten sie als Text
ein Stück aus "Des Knaben Wunderhorn," und jeder übernahm ein Strophe
zur Illustration. So entstand ein Büchlein, welches zu Weihnachten 1843 von
Mayer und Wigand in Leipzig auf den Markt gebracht wurde und freudiges
Aufsehen erregte: "Die Ammenuhr. Aus des Knaben Wunderhorn. In Holz¬
schnitten nach Zeichnungen von Dresdener Künstlern." Bendemann, Hübner,
Ehrhardt, Peschel, Oehme u. a. hatten je ein Blatt gezeichnet, sogar Rietschel
durch ein reizendes Bildchen die Meinung widerlegt, daß jeder Bildhauer das
Zeichnen verlerne.

Diese "Ammenuhr" ist eine in doppelter Beziehung wichtige Erscheinung
geworden. Sie bildete den Ausgangspunkt einer neuen Richtung in der Jugend-
literatur und gab das erste Beispiel künstlerischer Behandlung des Holzschnitts
im Sinn und Geiste der deutscheu Meister des sechzehnten Jahrhunderts. Wohl
war die Holzschneidekunst in den vorausgegangenen Jahrzehnten bereits wieder
zu einem gewissen Ansehen gebracht worden durch des alten Gubitz redliches
Bemühen und durch die Penny-Zeitschriften der Engländer; allein die Arbeiten
der Berliner Schule waren technisch unvollkommen geblieben, und der englische
Formschnitt mit seiner Nachahmung des Stahlstichs konnte die Begriffe von
der Art und Aufgabe dieses Neproduktionsmittels nur verwirren. Das unver¬
gängliche Verdienst Hugo Bürkners und der ihm folgenden sächsischen Holz¬
schneider bleibt es, zuerst wieder die Spuren Albrecht Dürers aufgesucht zu
haben. Freilich hätten sie das nicht gekonnt ohne den Meister, welcher sich
recht eigentlich "an die Spitze der Bewegung stellte," Ludwig Richter.

Der Name Richters war kaum erst außerhalb Sachsens bekannt geworden.
Von seinen poesievollen Landschaften mochte kaum eine über die Grenzen des
Königreichs hinausgekommen sein, von seinem Wirken als Lehrer wurde im
Lande selbst nicht viel Notiz genommen, und als 1842 eine illustrirte Ausgabe
von Musäus' Volksmärchen zu erscheinen anfing, fragte vielleicht mancher, wie
denn der Neuling Richter in eine Reihe gestellt werden könne mit so berühmten
Künstlern wie Adolph Schrödter, Rudolf Jordan und -- Georg Osterwald,
einem heute völlig vergessenen Maler, welcher sich durch Zeichnungen zu Gellert
und zu Knigges "Reise nach Braunschweig" einen Namen gemacht hatte. Aber
mit jeder neuen Lieferung verschob sich das Verhältnis mehr und mehr, jedes
Bildchen von Richters Hand erhöhte die Achtung vor dem Meister, gewam,
ihm die Zuneigung der Kunstverständigen und Laien. Nun erkannte man auch


Zum achtzigsten Geburtstage Ludwig Richters.

und dennoch standen diese unendlich hoch fast über allem, was sonst für Kinder
gut genug gehalten wurde. Auf den künstlerischen Teil der Kinderschriften mußten
aber jene Männer umso größeren Wert legen, als sie selbst jenem Künstler¬
kreise angehörten, welcher seit Beginn der vierziger Jahre ein neues Leben in
die Dresdener Akademie gebracht hatte. Daher erkannten sie auch die Ver¬
pflichtung, nicht bei der Kritik stehen zu bleiben, sondern selbst den Weg zum
Bessern zu zeigen. Romantiker, wie sie sämtlich waren, wählten sie als Text
ein Stück aus „Des Knaben Wunderhorn," und jeder übernahm ein Strophe
zur Illustration. So entstand ein Büchlein, welches zu Weihnachten 1843 von
Mayer und Wigand in Leipzig auf den Markt gebracht wurde und freudiges
Aufsehen erregte: „Die Ammenuhr. Aus des Knaben Wunderhorn. In Holz¬
schnitten nach Zeichnungen von Dresdener Künstlern." Bendemann, Hübner,
Ehrhardt, Peschel, Oehme u. a. hatten je ein Blatt gezeichnet, sogar Rietschel
durch ein reizendes Bildchen die Meinung widerlegt, daß jeder Bildhauer das
Zeichnen verlerne.

Diese „Ammenuhr" ist eine in doppelter Beziehung wichtige Erscheinung
geworden. Sie bildete den Ausgangspunkt einer neuen Richtung in der Jugend-
literatur und gab das erste Beispiel künstlerischer Behandlung des Holzschnitts
im Sinn und Geiste der deutscheu Meister des sechzehnten Jahrhunderts. Wohl
war die Holzschneidekunst in den vorausgegangenen Jahrzehnten bereits wieder
zu einem gewissen Ansehen gebracht worden durch des alten Gubitz redliches
Bemühen und durch die Penny-Zeitschriften der Engländer; allein die Arbeiten
der Berliner Schule waren technisch unvollkommen geblieben, und der englische
Formschnitt mit seiner Nachahmung des Stahlstichs konnte die Begriffe von
der Art und Aufgabe dieses Neproduktionsmittels nur verwirren. Das unver¬
gängliche Verdienst Hugo Bürkners und der ihm folgenden sächsischen Holz¬
schneider bleibt es, zuerst wieder die Spuren Albrecht Dürers aufgesucht zu
haben. Freilich hätten sie das nicht gekonnt ohne den Meister, welcher sich
recht eigentlich „an die Spitze der Bewegung stellte," Ludwig Richter.

Der Name Richters war kaum erst außerhalb Sachsens bekannt geworden.
Von seinen poesievollen Landschaften mochte kaum eine über die Grenzen des
Königreichs hinausgekommen sein, von seinem Wirken als Lehrer wurde im
Lande selbst nicht viel Notiz genommen, und als 1842 eine illustrirte Ausgabe
von Musäus' Volksmärchen zu erscheinen anfing, fragte vielleicht mancher, wie
denn der Neuling Richter in eine Reihe gestellt werden könne mit so berühmten
Künstlern wie Adolph Schrödter, Rudolf Jordan und — Georg Osterwald,
einem heute völlig vergessenen Maler, welcher sich durch Zeichnungen zu Gellert
und zu Knigges „Reise nach Braunschweig" einen Namen gemacht hatte. Aber
mit jeder neuen Lieferung verschob sich das Verhältnis mehr und mehr, jedes
Bildchen von Richters Hand erhöhte die Achtung vor dem Meister, gewam,
ihm die Zuneigung der Kunstverständigen und Laien. Nun erkannte man auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/47>, abgerufen am 01.09.2024.