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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Neuere Knnstlitcratur.

und Kunsthändler Johann Hauer zwanzig Jahre zuvor die Abschrift genommen
hatte, wie Dr. Leitschuh vermutet, sogar auf direkte Veranlassung der Jmhoffs,
damit diese das Original nach England verkaufen könnten, ohne sich besondre
Skrupel zu machen. Es ist anzunehmen, daß Hauer die Abschrift gewissenhaft
angefertigt habe, daß also wenigstens die Gedanken Dürers unverfälscht auf
uns gekommen seien. Der Herausgeber hat nicht nur über die Schicksale der
Handschrift genauen Bericht erstattet, sondern auch in einer mit wohlthuender
Wärme geschriebenen Einleitung die auf Dürers Reise bezüglich historischen
Notizen zusammengestellt. Die sehr sorgfältig gearbeiteten Anmerkungen enthalten,
was bei den Fortschritten der wissenschaftlichen Forschung natürlich ist, mehr als
die Erläuterungen Thausings in dessen vor zehn Jahren erschienener Ausgabe.

Dürers Tagebuch hat uns in die Niederlande geführt, welchen die deutsche
Kunst und die deutsche Wissenschaft von jeher mit besondrer Liebe zugethan
gewesen ist. Neuerdings ist aber auch in den Niederlanden selbst, in Belgien
wie in Holland, die den alten Kunstdenkmälern des Landes zugewendete wissen¬
schaftliche Forschung zu neuem Leben erwacht. In Belgien stehen diese Be¬
strebungen, welche besonders durch das Rubeusjubiläum einen kräftigen Antrieb
erhalten haben, auf nationalem Boden, d. h. auf dem Boden des autochthonen
vlämischen Volksstammes. Das zeigt sich zunächst äußerlich in der eifrigen
Pflege des vlämischen Idioms, und es war in der That keine leere Huldigung,
als man dem nationalen Dichter Hendrik Conscience noch kurz vor seinem Tode
in Antwerpen ein Denkmal errichtete. In Antwerpen hat die vlämische Be¬
wegung gerade während der letzten Jahre so außerordentliche Fortschritte gemacht,
daß die Stadt heute bereits wieder so gut germanisch ist, wie sie es zu Dürers
Zeiten war.

Das Rubensjnbiläum gab dem Antwerpener Gemeinderat die Veranlassung
zu einem Preisausschreiben, welches eine populäre Geschichte der Antwerpener
Malerschule verlangte. Zwei Werke wurden dieses Preises für würdig erachtet,
eine Arbeit des Direktors des Museum Plcmtin-Moretus in Antwerpen, Max
Rooses, welche vor zwei Jahren auch unter dem Titel Geschichte der Maler¬
schule Antwerpens von O. Massijs bis zu den letzten Ausläufern der Schule
P. P. Rubens' in deutscher Übersetzung von F. Reder (München, Th. Riedel)
erschienen ist, und eine Arbeit des Antwerpener Stadtarchivarius F. Joseph
van den Brander, AöLolliöÄöiiis clsr ^ntverxsvnL LoKilclörLonool,
welche in Lieferungen ausgegeben wurde (bei I. E. Buschmann in Antwerpen)
und erst kürzlich vollendet worden ist. Mit einem wahren Bienenfleiße hat der
Verfasser des letzteren Buches die Archive durchforscht und soviel neues bio¬
graphisches Material über die großen und kleinen Mitglieder der Antwerpener
Malerschule zutage gefördert, daß man ihm gern den eigensinnigen Patriotis¬
mus verzeiht, mit welchem er und andre Lokalhistoriker die Fiktion, daß Rubens
in Antwerpen geboren sei, aufrecht zu erhalten suchen. Im Grunde ist dieser


Neuere Knnstlitcratur.

und Kunsthändler Johann Hauer zwanzig Jahre zuvor die Abschrift genommen
hatte, wie Dr. Leitschuh vermutet, sogar auf direkte Veranlassung der Jmhoffs,
damit diese das Original nach England verkaufen könnten, ohne sich besondre
Skrupel zu machen. Es ist anzunehmen, daß Hauer die Abschrift gewissenhaft
angefertigt habe, daß also wenigstens die Gedanken Dürers unverfälscht auf
uns gekommen seien. Der Herausgeber hat nicht nur über die Schicksale der
Handschrift genauen Bericht erstattet, sondern auch in einer mit wohlthuender
Wärme geschriebenen Einleitung die auf Dürers Reise bezüglich historischen
Notizen zusammengestellt. Die sehr sorgfältig gearbeiteten Anmerkungen enthalten,
was bei den Fortschritten der wissenschaftlichen Forschung natürlich ist, mehr als
die Erläuterungen Thausings in dessen vor zehn Jahren erschienener Ausgabe.

Dürers Tagebuch hat uns in die Niederlande geführt, welchen die deutsche
Kunst und die deutsche Wissenschaft von jeher mit besondrer Liebe zugethan
gewesen ist. Neuerdings ist aber auch in den Niederlanden selbst, in Belgien
wie in Holland, die den alten Kunstdenkmälern des Landes zugewendete wissen¬
schaftliche Forschung zu neuem Leben erwacht. In Belgien stehen diese Be¬
strebungen, welche besonders durch das Rubeusjubiläum einen kräftigen Antrieb
erhalten haben, auf nationalem Boden, d. h. auf dem Boden des autochthonen
vlämischen Volksstammes. Das zeigt sich zunächst äußerlich in der eifrigen
Pflege des vlämischen Idioms, und es war in der That keine leere Huldigung,
als man dem nationalen Dichter Hendrik Conscience noch kurz vor seinem Tode
in Antwerpen ein Denkmal errichtete. In Antwerpen hat die vlämische Be¬
wegung gerade während der letzten Jahre so außerordentliche Fortschritte gemacht,
daß die Stadt heute bereits wieder so gut germanisch ist, wie sie es zu Dürers
Zeiten war.

Das Rubensjnbiläum gab dem Antwerpener Gemeinderat die Veranlassung
zu einem Preisausschreiben, welches eine populäre Geschichte der Antwerpener
Malerschule verlangte. Zwei Werke wurden dieses Preises für würdig erachtet,
eine Arbeit des Direktors des Museum Plcmtin-Moretus in Antwerpen, Max
Rooses, welche vor zwei Jahren auch unter dem Titel Geschichte der Maler¬
schule Antwerpens von O. Massijs bis zu den letzten Ausläufern der Schule
P. P. Rubens' in deutscher Übersetzung von F. Reder (München, Th. Riedel)
erschienen ist, und eine Arbeit des Antwerpener Stadtarchivarius F. Joseph
van den Brander, AöLolliöÄöiiis clsr ^ntverxsvnL LoKilclörLonool,
welche in Lieferungen ausgegeben wurde (bei I. E. Buschmann in Antwerpen)
und erst kürzlich vollendet worden ist. Mit einem wahren Bienenfleiße hat der
Verfasser des letzteren Buches die Archive durchforscht und soviel neues bio¬
graphisches Material über die großen und kleinen Mitglieder der Antwerpener
Malerschule zutage gefördert, daß man ihm gern den eigensinnigen Patriotis¬
mus verzeiht, mit welchem er und andre Lokalhistoriker die Fiktion, daß Rubens
in Antwerpen geboren sei, aufrecht zu erhalten suchen. Im Grunde ist dieser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/468>, abgerufen am 28.07.2024.