Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Neuere Runstliteratur.

barem Werte für die Erkenntnis seines Wesens, und es ist nur zu wünschen,
daß Lippmann durch die Unterstützung der Kunstfreunde zu dem ihm vorschwe¬
benden Ziele gelange, sämtliche Zeichnungen Dürers in Facsimilenachbildungen
zu einem Korpus zu vereinigen, welches den jetzt noch vorhandenen Bestand an
Originalen wenigstens der kunstgeschichtlichen Forschung ein- für allemale sicher¬
stellt. Durch die Möglichkeit der Vergleichung wird den Forschern außerdem
ein Dienst von unberechenbarem Nutzen geleistet, und wenn sich auch der Ein¬
zelne nicht in den Besitz des ganzen Korpus setzen kann, so übersteigen die
Kosten desselben doch nicht die Mittel von öffentlichen Bibliotheken und Museen.
Freilich in einem Lande, wo die erste würdige Ausgabe der Werke Luthers und
noch dazu im Jahre des Lutherjubiläums nur vierhundert Subskribenten findet,
muß man sich selbst vor den geringsten Illusionen hüten! Ich bin überzeugt,
daß der größte Teil der Auflage dieses Dürerwerkes -- es sind nur dreihun¬
dert Exemplare gedruckt worden -- nach England verkauft werden wird, wo
man deutsche Kunst von jeher besser geachtet und geschätzt hat als in Deutsch¬
land selbst.

Noch eine andre Dürerpublikation erinnert uns daran, nämlich Albrecht
Dürers Tagebuch der Reise in die Niederlande, welches Friedrich Leit¬
schuh, der Vorsteher der königlichen Bibliothek in Bamberg, nach der in der¬
selben befindlichen Abschrift Johann Hauers im Verlage von F. A. Brockhaus
in Leipzig herausgegeben hat. Campe hat zwar in seinen "Reliquien" bereits
einen Abdruck dieses Tagebuches veröffentlicht, welcher auch der Thausingschen
Übertragung ins Neuhochdeutsche zu Grunde gelegen hat; aber dieser Abdruck
ist so fester- und lückenhaft, daß eine genauere wissenschaftliche Publikation nach
philologischen Grundsätzen nur erwünscht sein konnte. Die Hauersche Abschrift,
welche uns das verlorengegangene Original ersetzen muß, ist mit dem Nachlaß
des bekannten Dürcrforschers Joseph Heller in die Bamberger Bibliothek über¬
gegangen und blieb solange darin verborgen, bis sie im Jahre 1878 von
Leitschuh wieder aufgefunden wurde. Die Dürersche Originalhandschrist befand
sich einst in der Bibliothek Wilibald Pirkheimers, des bekannten Freundes von
Albrecht Dürer, und kam später mit dieser in den Besitz der Familie von Jm-
hoff, in welche eine Tochter Pirkheimers hineingeheiratet hatte. Ihr Sohn hielt
die ererbten Schätze der Wissenschaft hoch in Ehren und legte auch eine Dürer¬
sammlung an. Aber schon seine Witwe und vor allen Dingen seine Söhne und
Enkel respektirten des Vaters Vermächtnis so wenig, daß sie einen förmlichen
Schacher mit Dürer- und Pirkheimer-Reliquien trieben. Im Jahre 1636 ver¬
kauften sie die Büchersammlung und einen großen Teil der Kunstsachen nach
England an den Grafen Arundel, und es ist sehr wahrscheinlich, daß sich darunter
auch die Handschrift von Dürers Tagebuch befunden hat. Der größere Teil
dieser Schätze ging bei der englischen Revolution im Jahre 1642 durch Feuer
zu Grunde, und es ist daher ein Glück gewesen, daß der Nürnberger Maler


Grenzboten IV. 1833. S3
Neuere Runstliteratur.

barem Werte für die Erkenntnis seines Wesens, und es ist nur zu wünschen,
daß Lippmann durch die Unterstützung der Kunstfreunde zu dem ihm vorschwe¬
benden Ziele gelange, sämtliche Zeichnungen Dürers in Facsimilenachbildungen
zu einem Korpus zu vereinigen, welches den jetzt noch vorhandenen Bestand an
Originalen wenigstens der kunstgeschichtlichen Forschung ein- für allemale sicher¬
stellt. Durch die Möglichkeit der Vergleichung wird den Forschern außerdem
ein Dienst von unberechenbarem Nutzen geleistet, und wenn sich auch der Ein¬
zelne nicht in den Besitz des ganzen Korpus setzen kann, so übersteigen die
Kosten desselben doch nicht die Mittel von öffentlichen Bibliotheken und Museen.
Freilich in einem Lande, wo die erste würdige Ausgabe der Werke Luthers und
noch dazu im Jahre des Lutherjubiläums nur vierhundert Subskribenten findet,
muß man sich selbst vor den geringsten Illusionen hüten! Ich bin überzeugt,
daß der größte Teil der Auflage dieses Dürerwerkes — es sind nur dreihun¬
dert Exemplare gedruckt worden — nach England verkauft werden wird, wo
man deutsche Kunst von jeher besser geachtet und geschätzt hat als in Deutsch¬
land selbst.

Noch eine andre Dürerpublikation erinnert uns daran, nämlich Albrecht
Dürers Tagebuch der Reise in die Niederlande, welches Friedrich Leit¬
schuh, der Vorsteher der königlichen Bibliothek in Bamberg, nach der in der¬
selben befindlichen Abschrift Johann Hauers im Verlage von F. A. Brockhaus
in Leipzig herausgegeben hat. Campe hat zwar in seinen „Reliquien" bereits
einen Abdruck dieses Tagebuches veröffentlicht, welcher auch der Thausingschen
Übertragung ins Neuhochdeutsche zu Grunde gelegen hat; aber dieser Abdruck
ist so fester- und lückenhaft, daß eine genauere wissenschaftliche Publikation nach
philologischen Grundsätzen nur erwünscht sein konnte. Die Hauersche Abschrift,
welche uns das verlorengegangene Original ersetzen muß, ist mit dem Nachlaß
des bekannten Dürcrforschers Joseph Heller in die Bamberger Bibliothek über¬
gegangen und blieb solange darin verborgen, bis sie im Jahre 1878 von
Leitschuh wieder aufgefunden wurde. Die Dürersche Originalhandschrist befand
sich einst in der Bibliothek Wilibald Pirkheimers, des bekannten Freundes von
Albrecht Dürer, und kam später mit dieser in den Besitz der Familie von Jm-
hoff, in welche eine Tochter Pirkheimers hineingeheiratet hatte. Ihr Sohn hielt
die ererbten Schätze der Wissenschaft hoch in Ehren und legte auch eine Dürer¬
sammlung an. Aber schon seine Witwe und vor allen Dingen seine Söhne und
Enkel respektirten des Vaters Vermächtnis so wenig, daß sie einen förmlichen
Schacher mit Dürer- und Pirkheimer-Reliquien trieben. Im Jahre 1636 ver¬
kauften sie die Büchersammlung und einen großen Teil der Kunstsachen nach
England an den Grafen Arundel, und es ist sehr wahrscheinlich, daß sich darunter
auch die Handschrift von Dürers Tagebuch befunden hat. Der größere Teil
dieser Schätze ging bei der englischen Revolution im Jahre 1642 durch Feuer
zu Grunde, und es ist daher ein Glück gewesen, daß der Nürnberger Maler


Grenzboten IV. 1833. S3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0467" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154632"/>
          <fw type="header" place="top"> Neuere Runstliteratur.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1397" prev="#ID_1396"> barem Werte für die Erkenntnis seines Wesens, und es ist nur zu wünschen,<lb/>
daß Lippmann durch die Unterstützung der Kunstfreunde zu dem ihm vorschwe¬<lb/>
benden Ziele gelange, sämtliche Zeichnungen Dürers in Facsimilenachbildungen<lb/>
zu einem Korpus zu vereinigen, welches den jetzt noch vorhandenen Bestand an<lb/>
Originalen wenigstens der kunstgeschichtlichen Forschung ein- für allemale sicher¬<lb/>
stellt. Durch die Möglichkeit der Vergleichung wird den Forschern außerdem<lb/>
ein Dienst von unberechenbarem Nutzen geleistet, und wenn sich auch der Ein¬<lb/>
zelne nicht in den Besitz des ganzen Korpus setzen kann, so übersteigen die<lb/>
Kosten desselben doch nicht die Mittel von öffentlichen Bibliotheken und Museen.<lb/>
Freilich in einem Lande, wo die erste würdige Ausgabe der Werke Luthers und<lb/>
noch dazu im Jahre des Lutherjubiläums nur vierhundert Subskribenten findet,<lb/>
muß man sich selbst vor den geringsten Illusionen hüten! Ich bin überzeugt,<lb/>
daß der größte Teil der Auflage dieses Dürerwerkes &#x2014; es sind nur dreihun¬<lb/>
dert Exemplare gedruckt worden &#x2014; nach England verkauft werden wird, wo<lb/>
man deutsche Kunst von jeher besser geachtet und geschätzt hat als in Deutsch¬<lb/>
land selbst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1398" next="#ID_1399"> Noch eine andre Dürerpublikation erinnert uns daran, nämlich Albrecht<lb/>
Dürers Tagebuch der Reise in die Niederlande, welches Friedrich Leit¬<lb/>
schuh, der Vorsteher der königlichen Bibliothek in Bamberg, nach der in der¬<lb/>
selben befindlichen Abschrift Johann Hauers im Verlage von F. A. Brockhaus<lb/>
in Leipzig herausgegeben hat. Campe hat zwar in seinen &#x201E;Reliquien" bereits<lb/>
einen Abdruck dieses Tagebuches veröffentlicht, welcher auch der Thausingschen<lb/>
Übertragung ins Neuhochdeutsche zu Grunde gelegen hat; aber dieser Abdruck<lb/>
ist so fester- und lückenhaft, daß eine genauere wissenschaftliche Publikation nach<lb/>
philologischen Grundsätzen nur erwünscht sein konnte. Die Hauersche Abschrift,<lb/>
welche uns das verlorengegangene Original ersetzen muß, ist mit dem Nachlaß<lb/>
des bekannten Dürcrforschers Joseph Heller in die Bamberger Bibliothek über¬<lb/>
gegangen und blieb solange darin verborgen, bis sie im Jahre 1878 von<lb/>
Leitschuh wieder aufgefunden wurde. Die Dürersche Originalhandschrist befand<lb/>
sich einst in der Bibliothek Wilibald Pirkheimers, des bekannten Freundes von<lb/>
Albrecht Dürer, und kam später mit dieser in den Besitz der Familie von Jm-<lb/>
hoff, in welche eine Tochter Pirkheimers hineingeheiratet hatte. Ihr Sohn hielt<lb/>
die ererbten Schätze der Wissenschaft hoch in Ehren und legte auch eine Dürer¬<lb/>
sammlung an. Aber schon seine Witwe und vor allen Dingen seine Söhne und<lb/>
Enkel respektirten des Vaters Vermächtnis so wenig, daß sie einen förmlichen<lb/>
Schacher mit Dürer- und Pirkheimer-Reliquien trieben. Im Jahre 1636 ver¬<lb/>
kauften sie die Büchersammlung und einen großen Teil der Kunstsachen nach<lb/>
England an den Grafen Arundel, und es ist sehr wahrscheinlich, daß sich darunter<lb/>
auch die Handschrift von Dürers Tagebuch befunden hat. Der größere Teil<lb/>
dieser Schätze ging bei der englischen Revolution im Jahre 1642 durch Feuer<lb/>
zu Grunde, und es ist daher ein Glück gewesen, daß der Nürnberger Maler</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1833. S3</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0467] Neuere Runstliteratur. barem Werte für die Erkenntnis seines Wesens, und es ist nur zu wünschen, daß Lippmann durch die Unterstützung der Kunstfreunde zu dem ihm vorschwe¬ benden Ziele gelange, sämtliche Zeichnungen Dürers in Facsimilenachbildungen zu einem Korpus zu vereinigen, welches den jetzt noch vorhandenen Bestand an Originalen wenigstens der kunstgeschichtlichen Forschung ein- für allemale sicher¬ stellt. Durch die Möglichkeit der Vergleichung wird den Forschern außerdem ein Dienst von unberechenbarem Nutzen geleistet, und wenn sich auch der Ein¬ zelne nicht in den Besitz des ganzen Korpus setzen kann, so übersteigen die Kosten desselben doch nicht die Mittel von öffentlichen Bibliotheken und Museen. Freilich in einem Lande, wo die erste würdige Ausgabe der Werke Luthers und noch dazu im Jahre des Lutherjubiläums nur vierhundert Subskribenten findet, muß man sich selbst vor den geringsten Illusionen hüten! Ich bin überzeugt, daß der größte Teil der Auflage dieses Dürerwerkes — es sind nur dreihun¬ dert Exemplare gedruckt worden — nach England verkauft werden wird, wo man deutsche Kunst von jeher besser geachtet und geschätzt hat als in Deutsch¬ land selbst. Noch eine andre Dürerpublikation erinnert uns daran, nämlich Albrecht Dürers Tagebuch der Reise in die Niederlande, welches Friedrich Leit¬ schuh, der Vorsteher der königlichen Bibliothek in Bamberg, nach der in der¬ selben befindlichen Abschrift Johann Hauers im Verlage von F. A. Brockhaus in Leipzig herausgegeben hat. Campe hat zwar in seinen „Reliquien" bereits einen Abdruck dieses Tagebuches veröffentlicht, welcher auch der Thausingschen Übertragung ins Neuhochdeutsche zu Grunde gelegen hat; aber dieser Abdruck ist so fester- und lückenhaft, daß eine genauere wissenschaftliche Publikation nach philologischen Grundsätzen nur erwünscht sein konnte. Die Hauersche Abschrift, welche uns das verlorengegangene Original ersetzen muß, ist mit dem Nachlaß des bekannten Dürcrforschers Joseph Heller in die Bamberger Bibliothek über¬ gegangen und blieb solange darin verborgen, bis sie im Jahre 1878 von Leitschuh wieder aufgefunden wurde. Die Dürersche Originalhandschrist befand sich einst in der Bibliothek Wilibald Pirkheimers, des bekannten Freundes von Albrecht Dürer, und kam später mit dieser in den Besitz der Familie von Jm- hoff, in welche eine Tochter Pirkheimers hineingeheiratet hatte. Ihr Sohn hielt die ererbten Schätze der Wissenschaft hoch in Ehren und legte auch eine Dürer¬ sammlung an. Aber schon seine Witwe und vor allen Dingen seine Söhne und Enkel respektirten des Vaters Vermächtnis so wenig, daß sie einen förmlichen Schacher mit Dürer- und Pirkheimer-Reliquien trieben. Im Jahre 1636 ver¬ kauften sie die Büchersammlung und einen großen Teil der Kunstsachen nach England an den Grafen Arundel, und es ist sehr wahrscheinlich, daß sich darunter auch die Handschrift von Dürers Tagebuch befunden hat. Der größere Teil dieser Schätze ging bei der englischen Revolution im Jahre 1642 durch Feuer zu Grunde, und es ist daher ein Glück gewesen, daß der Nürnberger Maler Grenzboten IV. 1833. S3

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/467
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/467>, abgerufen am 01.09.2024.