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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Neuere Runstliteratur.

und die Krönung Mariae nach Fiesole von Doris Raab hervor. Zu diesen
Radirungen, deren das vornehm ausgestattete Werk ftinfzig enthalten wird,
kommen zahlreiche in den Text oder auf ganze Blätter gedruckte Holzschnitte
und Zinkätzungen, welche mit wenigen Ausnahmen neu angefertigt sind. Das
Werk hält sich also von dem immer mehr umsichgreisenden verwerflichen Klischee¬
schwindel fern.*)

In der Auswahl der Kunstwerke ist der Herausgeber mit großer Umsicht
verfahren. Er bietet uns nicht nur bekannte Meisterwerke, welche jedermann
in einem Werke über Italien erwartet, sondern er vermittelt uns auch eine Reihe
von Werken, die nicht jedermann zugänglich sind, weil sie außerhalb der großen
Heerstraße der Reisenden liegen, z. B. Giorgiones Madonna von Castelfranco,
eine der Veronesischen Fresken aus der Villa zu Maser bei Treviso. In der
.Schilderung des Entwicklungsganges der italienischen Kunst, welche nach Land¬
schaften gegliedert ist, bewährt sich nicht nur der geschmackvolle Darsteller, der
feinsinnige Kritiker und der Meister des Stils, sondern auch der methodisch¬
arbeitende Historiker, welcher in der Fülle der Erscheinungen niemals den
Faden verliert und durch eine geschickte Gruppirung selbst bekannten Dingen
ein neues Interesse abzugewinnen weiß. An der Hand der Kunstdenkmäler
Italiens erhält der Leser zugleich eine Geschichte der gesamten italienischen Kunst,
wie sie sich im Zusammenhange mit den natürlichen Bedingungen des Ortes
und des Volkscharakters in Venedig, in der Lombardei, in Toskana, in Rom
und in den südlichen Gebieten entwickelt hat.

Alle formalen Vorzüge, welche wir der Lützowschen Darstellung nachrühmen
durften, vermissen wir leider an einem andern gleichfalls der italienischen Kunst
gewidmeten Werke, der Baukunst des Mittelalters in Italien von der
ersten Entwicklung bis zu ihrer höchsten Blüte von Oskar Mothes (Jena,
H. Costenoble), einem umfangreichen Bande von tausend Seiten, dessen Lektüre,
namentlich wenn man sich auch durch die endlosen Anmerkungen hindurcharbeiten
will, eine wahrhaft heroische Ausdauer fordert. Wenn man auch billigerweise
in Betracht zieht, daß, die Vorarbeiten von Schnaase und Kugler abgerechnet,
vor Mothes sich niemand an die systematische Bearbeitung dieses Themas ge¬
wagt, daß Mothes also gewissermaßen einen ersten Schritt auf meist unbetretene
Pfade versucht hat und daß seine Arbeit schon deswegen allein verdienstlich ist,
so hätte er umsomehr bestrebt sein sollen, Ordnung in seine Darstellung hinein-
zubringen und den Schutt, welcher sich nach seiner Meinung über den frühesten
Denkmälern christlicher Kunst in Italien zusammengehäuft hat, nicht vor den



*) Das stärkste in dieser Hinsicht leistet eine soeben erschienene "Kunstgeschichte" von
Emma Ribbach, deren Illustration ausschließlich aus alten und meist sehr schlechten Klischees
beschafft worden ist. Der Text steht auf gleicher Höhe: er ist ebenfalls aus allgemein ver¬
breiteten Handbüchern zusammengeborgt. Vor Ankauf wird also gewarnt!
Neuere Runstliteratur.

und die Krönung Mariae nach Fiesole von Doris Raab hervor. Zu diesen
Radirungen, deren das vornehm ausgestattete Werk ftinfzig enthalten wird,
kommen zahlreiche in den Text oder auf ganze Blätter gedruckte Holzschnitte
und Zinkätzungen, welche mit wenigen Ausnahmen neu angefertigt sind. Das
Werk hält sich also von dem immer mehr umsichgreisenden verwerflichen Klischee¬
schwindel fern.*)

In der Auswahl der Kunstwerke ist der Herausgeber mit großer Umsicht
verfahren. Er bietet uns nicht nur bekannte Meisterwerke, welche jedermann
in einem Werke über Italien erwartet, sondern er vermittelt uns auch eine Reihe
von Werken, die nicht jedermann zugänglich sind, weil sie außerhalb der großen
Heerstraße der Reisenden liegen, z. B. Giorgiones Madonna von Castelfranco,
eine der Veronesischen Fresken aus der Villa zu Maser bei Treviso. In der
.Schilderung des Entwicklungsganges der italienischen Kunst, welche nach Land¬
schaften gegliedert ist, bewährt sich nicht nur der geschmackvolle Darsteller, der
feinsinnige Kritiker und der Meister des Stils, sondern auch der methodisch¬
arbeitende Historiker, welcher in der Fülle der Erscheinungen niemals den
Faden verliert und durch eine geschickte Gruppirung selbst bekannten Dingen
ein neues Interesse abzugewinnen weiß. An der Hand der Kunstdenkmäler
Italiens erhält der Leser zugleich eine Geschichte der gesamten italienischen Kunst,
wie sie sich im Zusammenhange mit den natürlichen Bedingungen des Ortes
und des Volkscharakters in Venedig, in der Lombardei, in Toskana, in Rom
und in den südlichen Gebieten entwickelt hat.

Alle formalen Vorzüge, welche wir der Lützowschen Darstellung nachrühmen
durften, vermissen wir leider an einem andern gleichfalls der italienischen Kunst
gewidmeten Werke, der Baukunst des Mittelalters in Italien von der
ersten Entwicklung bis zu ihrer höchsten Blüte von Oskar Mothes (Jena,
H. Costenoble), einem umfangreichen Bande von tausend Seiten, dessen Lektüre,
namentlich wenn man sich auch durch die endlosen Anmerkungen hindurcharbeiten
will, eine wahrhaft heroische Ausdauer fordert. Wenn man auch billigerweise
in Betracht zieht, daß, die Vorarbeiten von Schnaase und Kugler abgerechnet,
vor Mothes sich niemand an die systematische Bearbeitung dieses Themas ge¬
wagt, daß Mothes also gewissermaßen einen ersten Schritt auf meist unbetretene
Pfade versucht hat und daß seine Arbeit schon deswegen allein verdienstlich ist,
so hätte er umsomehr bestrebt sein sollen, Ordnung in seine Darstellung hinein-
zubringen und den Schutt, welcher sich nach seiner Meinung über den frühesten
Denkmälern christlicher Kunst in Italien zusammengehäuft hat, nicht vor den



*) Das stärkste in dieser Hinsicht leistet eine soeben erschienene „Kunstgeschichte" von
Emma Ribbach, deren Illustration ausschließlich aus alten und meist sehr schlechten Klischees
beschafft worden ist. Der Text steht auf gleicher Höhe: er ist ebenfalls aus allgemein ver¬
breiteten Handbüchern zusammengeborgt. Vor Ankauf wird also gewarnt!
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[0464] Neuere Runstliteratur. und die Krönung Mariae nach Fiesole von Doris Raab hervor. Zu diesen Radirungen, deren das vornehm ausgestattete Werk ftinfzig enthalten wird, kommen zahlreiche in den Text oder auf ganze Blätter gedruckte Holzschnitte und Zinkätzungen, welche mit wenigen Ausnahmen neu angefertigt sind. Das Werk hält sich also von dem immer mehr umsichgreisenden verwerflichen Klischee¬ schwindel fern.*) In der Auswahl der Kunstwerke ist der Herausgeber mit großer Umsicht verfahren. Er bietet uns nicht nur bekannte Meisterwerke, welche jedermann in einem Werke über Italien erwartet, sondern er vermittelt uns auch eine Reihe von Werken, die nicht jedermann zugänglich sind, weil sie außerhalb der großen Heerstraße der Reisenden liegen, z. B. Giorgiones Madonna von Castelfranco, eine der Veronesischen Fresken aus der Villa zu Maser bei Treviso. In der .Schilderung des Entwicklungsganges der italienischen Kunst, welche nach Land¬ schaften gegliedert ist, bewährt sich nicht nur der geschmackvolle Darsteller, der feinsinnige Kritiker und der Meister des Stils, sondern auch der methodisch¬ arbeitende Historiker, welcher in der Fülle der Erscheinungen niemals den Faden verliert und durch eine geschickte Gruppirung selbst bekannten Dingen ein neues Interesse abzugewinnen weiß. An der Hand der Kunstdenkmäler Italiens erhält der Leser zugleich eine Geschichte der gesamten italienischen Kunst, wie sie sich im Zusammenhange mit den natürlichen Bedingungen des Ortes und des Volkscharakters in Venedig, in der Lombardei, in Toskana, in Rom und in den südlichen Gebieten entwickelt hat. Alle formalen Vorzüge, welche wir der Lützowschen Darstellung nachrühmen durften, vermissen wir leider an einem andern gleichfalls der italienischen Kunst gewidmeten Werke, der Baukunst des Mittelalters in Italien von der ersten Entwicklung bis zu ihrer höchsten Blüte von Oskar Mothes (Jena, H. Costenoble), einem umfangreichen Bande von tausend Seiten, dessen Lektüre, namentlich wenn man sich auch durch die endlosen Anmerkungen hindurcharbeiten will, eine wahrhaft heroische Ausdauer fordert. Wenn man auch billigerweise in Betracht zieht, daß, die Vorarbeiten von Schnaase und Kugler abgerechnet, vor Mothes sich niemand an die systematische Bearbeitung dieses Themas ge¬ wagt, daß Mothes also gewissermaßen einen ersten Schritt auf meist unbetretene Pfade versucht hat und daß seine Arbeit schon deswegen allein verdienstlich ist, so hätte er umsomehr bestrebt sein sollen, Ordnung in seine Darstellung hinein- zubringen und den Schutt, welcher sich nach seiner Meinung über den frühesten Denkmälern christlicher Kunst in Italien zusammengehäuft hat, nicht vor den *) Das stärkste in dieser Hinsicht leistet eine soeben erschienene „Kunstgeschichte" von Emma Ribbach, deren Illustration ausschließlich aus alten und meist sehr schlechten Klischees beschafft worden ist. Der Text steht auf gleicher Höhe: er ist ebenfalls aus allgemein ver¬ breiteten Handbüchern zusammengeborgt. Vor Ankauf wird also gewarnt!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/464>, abgerufen am 28.07.2024.