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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Neuere Runstliteratur.

mit Bezug auf Italien, besonders seit dem epochemachenden Erscheinen der
kritischen Untersuchungen von Crowe und Cavalcaselle, während der beiden letzten
Jahrzehnte so mächtige Fortschritte gemacht, daß dieselben auch von der popu¬
lären kunstgeschichtlichen Darstellung nicht mehr ignorirt werden können. Die
verschiedenen Auflagen von Burckhardts "Cicerone," welcher Wohl jeden gebildeten
Kunstfreund nach Italien begleitet, sind ein Spiegelbild der Wandlungen in der
kunstgeschichtlichen Erkenntnis, und seufzend muß man sich der Notwendigkeit
unterziehen, fast von Jahr zu Jahr umzulernen, was uns voreiliger Enthu¬
siasmus von dilettirenden Kunstschriftstellern eingeprägt hat. Unter solchen
Umständen macht sich denn doch das Verlangen nach einem übersichtlichen
und zusammenhängenden Werke geltend, in welchem gründlich mit den alten
Irrtümern aufgeräumt und die feststehenden Resultate der neueren Forschung
zu einem geschmackvollen Ganzen gruppirt werden, damit man endlich einen
sichern Boden gewinne. Und dieses Verlangen wird durch das Unternehmen
befriedigt, welches unter dem Titel Die Kunstschätze Italiens, in geogra¬
phischer Übersicht geschildert von Carl von Lützow bei I. Engelhorn in
Stuttgart in 26 Lieferungen erscheint, von denen mehr als die Hälfte bereits
vorliegen.

Wenn der Text aller früheren Werke über die Kunstschätze Italiens mit
Ausnahme des sich stets auf der jeweiligen Höhe erhaltenden "Cicerone" vor
dem Lichte des gegenwärtigen Forschungseifers nicht mehr bestehen konnte, so
galt dies fast in demselben Maße von den Abbildungen. Die früher üblichen
Stahlstiche betonten zu sehr die Zeichnung. Ein Tizian sah wie ein Rafsael
aus, und ein Correggio wie ein Andrea del Sarto. Den koloristischen Charakter
eines Gemäldes zu betonen kam den Stechern niemals in den Sinn, wie ja
überhaupt das Verständnis sür die Verschiedenartigkeit des stilistischen Gepräges
erst in neuester Zeit errungen und allgemein geworden ist. Insbesondre sind
Stiche nach architektonischen Denkmälern noch aus den fünfziger Jahren heut¬
zutage für ein gebildetes Auge geradezu unerträglich. Man war zufrieden,
wenn man im allgemeinen den "pittoresken" Eindruck wiedergegeben hatte.
Ob die Details romanisch oder gothisch waren, oder ob sie dem Renaissancestil
angehörten, war vollkommen gleichgiltig. Nachdem aber durch die Behandlung
der Kunstgeschichte vom Standpunkte einer strengen Wissenschaft der historische
Sinn auch in weiteren Kreisen erweckt worden ist, steigern sich auch die An¬
sprüche an die bildlichen Darstellungen der Kunstwerke. Man hat anfangs in
der Photographie das einzig richtige ReProduktionsmittel gesehen, gewiß mit
vollem Rechte. Leider steht nur die italienische Photographie auf einer so
niedrigen Stufe, daß ihre Erzeugnisse als Vorlage für den Lichtdruck oder die
Heliogravüre fast unbrauchbar sind. Namentlich erweist sie sich den Bildern
der venetianischen Schule und allen Gemälden gegenüber, welche stark nachge¬
dunkelt sind, als unzulänglich. Dieser äußere Grund führt dazu, auf ein


Neuere Runstliteratur.

mit Bezug auf Italien, besonders seit dem epochemachenden Erscheinen der
kritischen Untersuchungen von Crowe und Cavalcaselle, während der beiden letzten
Jahrzehnte so mächtige Fortschritte gemacht, daß dieselben auch von der popu¬
lären kunstgeschichtlichen Darstellung nicht mehr ignorirt werden können. Die
verschiedenen Auflagen von Burckhardts „Cicerone," welcher Wohl jeden gebildeten
Kunstfreund nach Italien begleitet, sind ein Spiegelbild der Wandlungen in der
kunstgeschichtlichen Erkenntnis, und seufzend muß man sich der Notwendigkeit
unterziehen, fast von Jahr zu Jahr umzulernen, was uns voreiliger Enthu¬
siasmus von dilettirenden Kunstschriftstellern eingeprägt hat. Unter solchen
Umständen macht sich denn doch das Verlangen nach einem übersichtlichen
und zusammenhängenden Werke geltend, in welchem gründlich mit den alten
Irrtümern aufgeräumt und die feststehenden Resultate der neueren Forschung
zu einem geschmackvollen Ganzen gruppirt werden, damit man endlich einen
sichern Boden gewinne. Und dieses Verlangen wird durch das Unternehmen
befriedigt, welches unter dem Titel Die Kunstschätze Italiens, in geogra¬
phischer Übersicht geschildert von Carl von Lützow bei I. Engelhorn in
Stuttgart in 26 Lieferungen erscheint, von denen mehr als die Hälfte bereits
vorliegen.

Wenn der Text aller früheren Werke über die Kunstschätze Italiens mit
Ausnahme des sich stets auf der jeweiligen Höhe erhaltenden „Cicerone" vor
dem Lichte des gegenwärtigen Forschungseifers nicht mehr bestehen konnte, so
galt dies fast in demselben Maße von den Abbildungen. Die früher üblichen
Stahlstiche betonten zu sehr die Zeichnung. Ein Tizian sah wie ein Rafsael
aus, und ein Correggio wie ein Andrea del Sarto. Den koloristischen Charakter
eines Gemäldes zu betonen kam den Stechern niemals in den Sinn, wie ja
überhaupt das Verständnis sür die Verschiedenartigkeit des stilistischen Gepräges
erst in neuester Zeit errungen und allgemein geworden ist. Insbesondre sind
Stiche nach architektonischen Denkmälern noch aus den fünfziger Jahren heut¬
zutage für ein gebildetes Auge geradezu unerträglich. Man war zufrieden,
wenn man im allgemeinen den „pittoresken" Eindruck wiedergegeben hatte.
Ob die Details romanisch oder gothisch waren, oder ob sie dem Renaissancestil
angehörten, war vollkommen gleichgiltig. Nachdem aber durch die Behandlung
der Kunstgeschichte vom Standpunkte einer strengen Wissenschaft der historische
Sinn auch in weiteren Kreisen erweckt worden ist, steigern sich auch die An¬
sprüche an die bildlichen Darstellungen der Kunstwerke. Man hat anfangs in
der Photographie das einzig richtige ReProduktionsmittel gesehen, gewiß mit
vollem Rechte. Leider steht nur die italienische Photographie auf einer so
niedrigen Stufe, daß ihre Erzeugnisse als Vorlage für den Lichtdruck oder die
Heliogravüre fast unbrauchbar sind. Namentlich erweist sie sich den Bildern
der venetianischen Schule und allen Gemälden gegenüber, welche stark nachge¬
dunkelt sind, als unzulänglich. Dieser äußere Grund führt dazu, auf ein


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[0462] Neuere Runstliteratur. mit Bezug auf Italien, besonders seit dem epochemachenden Erscheinen der kritischen Untersuchungen von Crowe und Cavalcaselle, während der beiden letzten Jahrzehnte so mächtige Fortschritte gemacht, daß dieselben auch von der popu¬ lären kunstgeschichtlichen Darstellung nicht mehr ignorirt werden können. Die verschiedenen Auflagen von Burckhardts „Cicerone," welcher Wohl jeden gebildeten Kunstfreund nach Italien begleitet, sind ein Spiegelbild der Wandlungen in der kunstgeschichtlichen Erkenntnis, und seufzend muß man sich der Notwendigkeit unterziehen, fast von Jahr zu Jahr umzulernen, was uns voreiliger Enthu¬ siasmus von dilettirenden Kunstschriftstellern eingeprägt hat. Unter solchen Umständen macht sich denn doch das Verlangen nach einem übersichtlichen und zusammenhängenden Werke geltend, in welchem gründlich mit den alten Irrtümern aufgeräumt und die feststehenden Resultate der neueren Forschung zu einem geschmackvollen Ganzen gruppirt werden, damit man endlich einen sichern Boden gewinne. Und dieses Verlangen wird durch das Unternehmen befriedigt, welches unter dem Titel Die Kunstschätze Italiens, in geogra¬ phischer Übersicht geschildert von Carl von Lützow bei I. Engelhorn in Stuttgart in 26 Lieferungen erscheint, von denen mehr als die Hälfte bereits vorliegen. Wenn der Text aller früheren Werke über die Kunstschätze Italiens mit Ausnahme des sich stets auf der jeweiligen Höhe erhaltenden „Cicerone" vor dem Lichte des gegenwärtigen Forschungseifers nicht mehr bestehen konnte, so galt dies fast in demselben Maße von den Abbildungen. Die früher üblichen Stahlstiche betonten zu sehr die Zeichnung. Ein Tizian sah wie ein Rafsael aus, und ein Correggio wie ein Andrea del Sarto. Den koloristischen Charakter eines Gemäldes zu betonen kam den Stechern niemals in den Sinn, wie ja überhaupt das Verständnis sür die Verschiedenartigkeit des stilistischen Gepräges erst in neuester Zeit errungen und allgemein geworden ist. Insbesondre sind Stiche nach architektonischen Denkmälern noch aus den fünfziger Jahren heut¬ zutage für ein gebildetes Auge geradezu unerträglich. Man war zufrieden, wenn man im allgemeinen den „pittoresken" Eindruck wiedergegeben hatte. Ob die Details romanisch oder gothisch waren, oder ob sie dem Renaissancestil angehörten, war vollkommen gleichgiltig. Nachdem aber durch die Behandlung der Kunstgeschichte vom Standpunkte einer strengen Wissenschaft der historische Sinn auch in weiteren Kreisen erweckt worden ist, steigern sich auch die An¬ sprüche an die bildlichen Darstellungen der Kunstwerke. Man hat anfangs in der Photographie das einzig richtige ReProduktionsmittel gesehen, gewiß mit vollem Rechte. Leider steht nur die italienische Photographie auf einer so niedrigen Stufe, daß ihre Erzeugnisse als Vorlage für den Lichtdruck oder die Heliogravüre fast unbrauchbar sind. Namentlich erweist sie sich den Bildern der venetianischen Schule und allen Gemälden gegenüber, welche stark nachge¬ dunkelt sind, als unzulänglich. Dieser äußere Grund führt dazu, auf ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/462>, abgerufen am 28.07.2024.