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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Neuere Kunstliteratur.

hervorragende Stiche nach dem Juwel der Dresdner Galerie zum Vergleiche
um den Mandelheher gruppirt, und man hatte sogar eine große Original¬
photographie des Bildes danebengestellt. Wenn das objektive Resultat der Arbeit
des Lichts auch die subjektive Arbeit des Künstlers in Bezug auf Treue gegen das
Original hinter sich zurückließ, so übertraf der Stich Mantels doch bei weitem alle
seine Rivalen. Friedrich Müllers mit Recht geschätzter Stich wird zwar immer
seinen Wert auch neben dem Mandelscheu für die Mappen der Sammler behalten;
wer sich aber mit der Sixtinischen Madonna einen vornehmen, alle Zeit er¬
hebenden und erfreuenden Zimmerschmuck schaffen will, der wird nach dem
Stiche Mantels greifen, welcher alle Vorzüge dieses geborenen Raffaelinterpreten
zusammenfaßt, Mandel hat nicht nur die keuschen Reize, die wunderbare Reinheit
der raffaelischen Zeichnung mit feiner Nachempfindung wiedergegeben, sondern
er ist auch den koloristischen Eigenschaften des Bildes vollkommen gerecht ge¬
worden. In der Erfassung der erhabenen Schönheit der Madonna und des
Kindes, in der Übertragung ihrer durchsichtigen, unergründlich tiefen Augen aus
der transparenten Farbe in die schwarzen, harten Linien ist Mandel dem
Originale so nahe gekommen wie kein andrer Stecher vor ihm. Überdies darf
man nicht vergessen, daß Friedrich Müller seinen Stich nach einer fremden
Zeichnung, nach derjenigen von Madame Seydelmann, anfertigte, während
Mandel volle sechs Monate vor dem Bilde über seiner Zeichnung zugebracht hat.
Er hat sich dabei so tief in die Malweise Raffaels eingelebt, daß er gewissermaßen
durch die Farbenschichten bis auf die Untermalung hindurchgedrungen ist und
sogar die Konturen herausgeholt hat, welche Raffael für jede Hand, für jeden
Fuß mit dem Pinsel auftrug, bevor er an die Durchführung im einzelnen, an
die Modellirung und Abrundung ging. Mandel hat ferner als der einzige
die auf die Kasula des heiligen Sixtus eingewebten Figuren so getreu nach¬
gebildet, wie sie das Original selbst noch erkennen läßt, und endlich hat sein
Stich vor dem Müllerschen, mit welchem allein er verglichen werden kann, noch
den Vorzug voraus, daß er das Bild vollständig wiedergiebt. Zu Müllers
Zeit war der obere Teil der Leinwand umgeschlagen: deshalb konnte Müller
auf seinem Stiche nicht die Stange mit den Ringen wiedergeben, an welchen
die beiden Flügel der grünen, den Hintergrund zum Teil verdeckenden Gardine
angebracht sind.

Bis zu welcher Höhe des Vermögens die reproduzirendcn Künste unsrer
Zeit emporgestiegen sind, beweist uns aus breitester Grundlage ein etwa seit
Jahresfrist im Gange befindliches Unternehmen, welches sich die Aufgabe gestellt
hat, die hervorragendsten Kunstdenkmäler Italiens in Radirungen zu publiziren.
Man könnte freilich einwenden, daß Italien auf dem Wege der Pracht- und
Kupferwerke zur Genüge ausgebeutet worden sei, und daß sich schwerlich neue
Gesichtspunkte würden finden lassen, unter welchen die Kunstwerke Italiens be¬
trachtet werden könnten. Indessen hat die kunstgeschichtliche Forschung gerade


Neuere Kunstliteratur.

hervorragende Stiche nach dem Juwel der Dresdner Galerie zum Vergleiche
um den Mandelheher gruppirt, und man hatte sogar eine große Original¬
photographie des Bildes danebengestellt. Wenn das objektive Resultat der Arbeit
des Lichts auch die subjektive Arbeit des Künstlers in Bezug auf Treue gegen das
Original hinter sich zurückließ, so übertraf der Stich Mantels doch bei weitem alle
seine Rivalen. Friedrich Müllers mit Recht geschätzter Stich wird zwar immer
seinen Wert auch neben dem Mandelscheu für die Mappen der Sammler behalten;
wer sich aber mit der Sixtinischen Madonna einen vornehmen, alle Zeit er¬
hebenden und erfreuenden Zimmerschmuck schaffen will, der wird nach dem
Stiche Mantels greifen, welcher alle Vorzüge dieses geborenen Raffaelinterpreten
zusammenfaßt, Mandel hat nicht nur die keuschen Reize, die wunderbare Reinheit
der raffaelischen Zeichnung mit feiner Nachempfindung wiedergegeben, sondern
er ist auch den koloristischen Eigenschaften des Bildes vollkommen gerecht ge¬
worden. In der Erfassung der erhabenen Schönheit der Madonna und des
Kindes, in der Übertragung ihrer durchsichtigen, unergründlich tiefen Augen aus
der transparenten Farbe in die schwarzen, harten Linien ist Mandel dem
Originale so nahe gekommen wie kein andrer Stecher vor ihm. Überdies darf
man nicht vergessen, daß Friedrich Müller seinen Stich nach einer fremden
Zeichnung, nach derjenigen von Madame Seydelmann, anfertigte, während
Mandel volle sechs Monate vor dem Bilde über seiner Zeichnung zugebracht hat.
Er hat sich dabei so tief in die Malweise Raffaels eingelebt, daß er gewissermaßen
durch die Farbenschichten bis auf die Untermalung hindurchgedrungen ist und
sogar die Konturen herausgeholt hat, welche Raffael für jede Hand, für jeden
Fuß mit dem Pinsel auftrug, bevor er an die Durchführung im einzelnen, an
die Modellirung und Abrundung ging. Mandel hat ferner als der einzige
die auf die Kasula des heiligen Sixtus eingewebten Figuren so getreu nach¬
gebildet, wie sie das Original selbst noch erkennen läßt, und endlich hat sein
Stich vor dem Müllerschen, mit welchem allein er verglichen werden kann, noch
den Vorzug voraus, daß er das Bild vollständig wiedergiebt. Zu Müllers
Zeit war der obere Teil der Leinwand umgeschlagen: deshalb konnte Müller
auf seinem Stiche nicht die Stange mit den Ringen wiedergeben, an welchen
die beiden Flügel der grünen, den Hintergrund zum Teil verdeckenden Gardine
angebracht sind.

Bis zu welcher Höhe des Vermögens die reproduzirendcn Künste unsrer
Zeit emporgestiegen sind, beweist uns aus breitester Grundlage ein etwa seit
Jahresfrist im Gange befindliches Unternehmen, welches sich die Aufgabe gestellt
hat, die hervorragendsten Kunstdenkmäler Italiens in Radirungen zu publiziren.
Man könnte freilich einwenden, daß Italien auf dem Wege der Pracht- und
Kupferwerke zur Genüge ausgebeutet worden sei, und daß sich schwerlich neue
Gesichtspunkte würden finden lassen, unter welchen die Kunstwerke Italiens be¬
trachtet werden könnten. Indessen hat die kunstgeschichtliche Forschung gerade


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[0461] Neuere Kunstliteratur. hervorragende Stiche nach dem Juwel der Dresdner Galerie zum Vergleiche um den Mandelheher gruppirt, und man hatte sogar eine große Original¬ photographie des Bildes danebengestellt. Wenn das objektive Resultat der Arbeit des Lichts auch die subjektive Arbeit des Künstlers in Bezug auf Treue gegen das Original hinter sich zurückließ, so übertraf der Stich Mantels doch bei weitem alle seine Rivalen. Friedrich Müllers mit Recht geschätzter Stich wird zwar immer seinen Wert auch neben dem Mandelscheu für die Mappen der Sammler behalten; wer sich aber mit der Sixtinischen Madonna einen vornehmen, alle Zeit er¬ hebenden und erfreuenden Zimmerschmuck schaffen will, der wird nach dem Stiche Mantels greifen, welcher alle Vorzüge dieses geborenen Raffaelinterpreten zusammenfaßt, Mandel hat nicht nur die keuschen Reize, die wunderbare Reinheit der raffaelischen Zeichnung mit feiner Nachempfindung wiedergegeben, sondern er ist auch den koloristischen Eigenschaften des Bildes vollkommen gerecht ge¬ worden. In der Erfassung der erhabenen Schönheit der Madonna und des Kindes, in der Übertragung ihrer durchsichtigen, unergründlich tiefen Augen aus der transparenten Farbe in die schwarzen, harten Linien ist Mandel dem Originale so nahe gekommen wie kein andrer Stecher vor ihm. Überdies darf man nicht vergessen, daß Friedrich Müller seinen Stich nach einer fremden Zeichnung, nach derjenigen von Madame Seydelmann, anfertigte, während Mandel volle sechs Monate vor dem Bilde über seiner Zeichnung zugebracht hat. Er hat sich dabei so tief in die Malweise Raffaels eingelebt, daß er gewissermaßen durch die Farbenschichten bis auf die Untermalung hindurchgedrungen ist und sogar die Konturen herausgeholt hat, welche Raffael für jede Hand, für jeden Fuß mit dem Pinsel auftrug, bevor er an die Durchführung im einzelnen, an die Modellirung und Abrundung ging. Mandel hat ferner als der einzige die auf die Kasula des heiligen Sixtus eingewebten Figuren so getreu nach¬ gebildet, wie sie das Original selbst noch erkennen läßt, und endlich hat sein Stich vor dem Müllerschen, mit welchem allein er verglichen werden kann, noch den Vorzug voraus, daß er das Bild vollständig wiedergiebt. Zu Müllers Zeit war der obere Teil der Leinwand umgeschlagen: deshalb konnte Müller auf seinem Stiche nicht die Stange mit den Ringen wiedergeben, an welchen die beiden Flügel der grünen, den Hintergrund zum Teil verdeckenden Gardine angebracht sind. Bis zu welcher Höhe des Vermögens die reproduzirendcn Künste unsrer Zeit emporgestiegen sind, beweist uns aus breitester Grundlage ein etwa seit Jahresfrist im Gange befindliches Unternehmen, welches sich die Aufgabe gestellt hat, die hervorragendsten Kunstdenkmäler Italiens in Radirungen zu publiziren. Man könnte freilich einwenden, daß Italien auf dem Wege der Pracht- und Kupferwerke zur Genüge ausgebeutet worden sei, und daß sich schwerlich neue Gesichtspunkte würden finden lassen, unter welchen die Kunstwerke Italiens be¬ trachtet werden könnten. Indessen hat die kunstgeschichtliche Forschung gerade

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/461>, abgerufen am 28.07.2024.