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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Neuere Aunstliteratur.

kanntlich seit Vasciri den Knnstforschern und Biographen Raffaels außerordent¬
liche Schwierigkeiten bereitet hat. Da das detaillirte Programm nicht mehr
existirt, welches Raffael bei der Aufstellung seines Entwurfs, bei der Gruppirung
der vornehmsten Vertreter der wissenschaftlichen Kultur des Altertums um
ihre Häupter, die Philosophen Plato und Aristoteles, vorlag, so wird es nach
der Meinung Springers auch nicht gelingen, für jede einzelne Figur eine voll¬
kommen überzeugende Deutung zu finden, Wohl aber laßt sich aus der gleich¬
zeitigen schönen Literatur, in welcher die Anschauungen der italienischen Huma¬
nisten über die Wissenschaft des Altertums zum Ausdruck gelangen und ans
welcher auch Raffael seine geistige Nahrung zog, wenigstens der Kreis und die
Zahl derjenigen Männer feststellen, welche in den Augen der Renaissance die
antike Weisheit repräsentirten. Springer gewinnt durch seine große Belesenheit
in der Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts die Mittel, diese Persönlichkeiten
ausfindig zu machen. Er ist aber weit davon entfernt, jeder Figur einen be¬
rühmten Namen aufzuzwängen. Raffael hat sich vielleicht nicht einmal selbst
unter jeder Figur den Träger eines solchen gedacht, sondern nur eine freie
lebensvolle "Schilderung der sieben freien Künste verflochten mit der Darstellung
der hervorragendsten und bekanntesten griechischen Philosophen" geben Wollei?.
Für eine jede Figur nach einem bestimmten Namen zu suchen, ist daher nur
ein unfruchtbares Geduldsspiel, welches niemals zu einem unanfechtbaren End¬
resultate führen kann. Die sichere Methode der wissenschaftlichen Forschung und
die souveräne Beherrschung eines weitschichtigen und vielverzweigten Materials
sind auch die Vorzüge dieser Springerschen Arbeit, die überdies von jeder sub¬
jektiven Anwandlung vollkommen frei ist.

Endlich hat uns das Raffaeljahr noch eine köstliche Gabe gebracht, welche
in ihrer Art ein ebenso würdiges Ehrendenkmal für das Gedächtnis des gött¬
lichen Meisters ist wie die Biographie Springers, den Stich Eduard Mantels
nach der Sixtinischen Madonna. Ein volles Jahrzehnt, das letzte seines Lebens,
hat der Meister diesem Werke gewidmet, und er war noch bei der Arbeit, als
ihm der Tod den Grabstichel aus der rastlosen, bis an sein Ende unerschütter¬
lich sichern Hand nahm. Im wesentlichen war aber die Arbeit vollendet, und
als wir im Februar dieses Jahres in der Mandelausstellung der Berliner
Nationalgalerie den Probetrunk des herrlichen Blattes sahen, schienen uns nur
einige Härten in den Augenpartien der Madonna und des heiligen Kindes darauf
hinzudeuten, daß die Hand des Stechers noch hie und da etwas nachgeholfen hätte,
wenn der Tod nicht dazwischen getreten wäre. Inzwischen hat die Kunsthandlung
von Auster und Nuthardt (Gebrüder Meder in Berlin) die Platte erworben, und
die von ihr veranstalteten, kürzlich in den Handel gebrachten Drucke sind auf dem
warmtönigen chinesischen Papier mit so außerordentlichem Geschick ausgeführt, daß
man auch jene Härten nicht mehr gewahr wird und die Plattenabzüge den Ein¬
druck absoluter Vollendung machen. Auf jener Ausstellung waren sämtliche


Neuere Aunstliteratur.

kanntlich seit Vasciri den Knnstforschern und Biographen Raffaels außerordent¬
liche Schwierigkeiten bereitet hat. Da das detaillirte Programm nicht mehr
existirt, welches Raffael bei der Aufstellung seines Entwurfs, bei der Gruppirung
der vornehmsten Vertreter der wissenschaftlichen Kultur des Altertums um
ihre Häupter, die Philosophen Plato und Aristoteles, vorlag, so wird es nach
der Meinung Springers auch nicht gelingen, für jede einzelne Figur eine voll¬
kommen überzeugende Deutung zu finden, Wohl aber laßt sich aus der gleich¬
zeitigen schönen Literatur, in welcher die Anschauungen der italienischen Huma¬
nisten über die Wissenschaft des Altertums zum Ausdruck gelangen und ans
welcher auch Raffael seine geistige Nahrung zog, wenigstens der Kreis und die
Zahl derjenigen Männer feststellen, welche in den Augen der Renaissance die
antike Weisheit repräsentirten. Springer gewinnt durch seine große Belesenheit
in der Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts die Mittel, diese Persönlichkeiten
ausfindig zu machen. Er ist aber weit davon entfernt, jeder Figur einen be¬
rühmten Namen aufzuzwängen. Raffael hat sich vielleicht nicht einmal selbst
unter jeder Figur den Träger eines solchen gedacht, sondern nur eine freie
lebensvolle „Schilderung der sieben freien Künste verflochten mit der Darstellung
der hervorragendsten und bekanntesten griechischen Philosophen" geben Wollei?.
Für eine jede Figur nach einem bestimmten Namen zu suchen, ist daher nur
ein unfruchtbares Geduldsspiel, welches niemals zu einem unanfechtbaren End¬
resultate führen kann. Die sichere Methode der wissenschaftlichen Forschung und
die souveräne Beherrschung eines weitschichtigen und vielverzweigten Materials
sind auch die Vorzüge dieser Springerschen Arbeit, die überdies von jeder sub¬
jektiven Anwandlung vollkommen frei ist.

Endlich hat uns das Raffaeljahr noch eine köstliche Gabe gebracht, welche
in ihrer Art ein ebenso würdiges Ehrendenkmal für das Gedächtnis des gött¬
lichen Meisters ist wie die Biographie Springers, den Stich Eduard Mantels
nach der Sixtinischen Madonna. Ein volles Jahrzehnt, das letzte seines Lebens,
hat der Meister diesem Werke gewidmet, und er war noch bei der Arbeit, als
ihm der Tod den Grabstichel aus der rastlosen, bis an sein Ende unerschütter¬
lich sichern Hand nahm. Im wesentlichen war aber die Arbeit vollendet, und
als wir im Februar dieses Jahres in der Mandelausstellung der Berliner
Nationalgalerie den Probetrunk des herrlichen Blattes sahen, schienen uns nur
einige Härten in den Augenpartien der Madonna und des heiligen Kindes darauf
hinzudeuten, daß die Hand des Stechers noch hie und da etwas nachgeholfen hätte,
wenn der Tod nicht dazwischen getreten wäre. Inzwischen hat die Kunsthandlung
von Auster und Nuthardt (Gebrüder Meder in Berlin) die Platte erworben, und
die von ihr veranstalteten, kürzlich in den Handel gebrachten Drucke sind auf dem
warmtönigen chinesischen Papier mit so außerordentlichem Geschick ausgeführt, daß
man auch jene Härten nicht mehr gewahr wird und die Plattenabzüge den Ein¬
druck absoluter Vollendung machen. Auf jener Ausstellung waren sämtliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/460>, abgerufen am 01.09.2024.