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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Neuere Kunstliteratur.

schriebene "venetianische Skizzenbuch," über sein Verhältnis zu Perugino und
Pinturicchio, über seine ersten Madonnenbilder durch die Forschung aufgebracht
worden ist. Weniger der Text, der aber auch im Einzelnen durchgearbeitet,
erweitert und umgestaltet worden ist, als die umfangreichen Noten legen ein
Zeugnis für seine kritische Sorgfalt ab. Mit der Sicherheit des echten, geschulten
Historikers wägt er die Gründe gegen einander ab und hütet sich wohl, sich
für eine Partei zu engagiren, wo ihm die Sache noch nicht spruchreif erscheint.
So läßt er auch mit Recht alles irgendwie zweifelhafte Bildermaterial, welches
mit Raffael in Verbindung gebracht worden ist, bei Seite und baut die Dar¬
stellung seines künstlerischen Entwicklungsganges nur auf ganz sichere Werke
auf. Deshalb gedenkt er auch mit keiner Silbe jenes Bildchens "Apollo und
Marsyas," welches sein Besitzer, Mr. Morris Moore, nachdem er länger als
dreißig Jahre mit diesem angeblichen Raffael hausirt, endlich in diesem Jahre
für 200000 Franks dem Louvre aufgehängt hat, wo es in der sÄls oarrös
neben den echten Jugendbildern Raffaels paradirt. Von der deutschen und
englischen Forschung wird es dem Timoteo delle Vile zugeschrieben. Wir wüßten
kaum etwas aus der neuen Raffaelliteratur zu erwähnen, das der Aufmerksamkeit
Springers entgangen wäre; es sei denn die Mitteilung Milcmesis in den Noten
zur Biographie Raffaels in seiner Vasariausgabe, daß der Palazzo Uguccioni
in Florenz erst in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts zu bauen begonnen
wurde und zwar nach einem Modell des Zanobi Folfi, genannt L'Ammogliato
(1521 -- 1600). Namentlich aus den urkundlichen Forschungen von Eugen
Müntz und einigen Italienern hat Springer für die zweite Auflage reichen Ge¬
winn gezogen. So steht z. B. jetzt positiv fest, daß die berühmten Arrazzi,
die nach den Kartons Raffaels für die Sixtinische Kapelle gewebten Teppiche
mit Darstellungen aus der Apostelgeschichte, in Brüssel und zwar in der Werk¬
statt des Pieter van Aelst angefertigt worden sind.

Die Raffaelliteratur verdankt aber Springer dies Jahr noch einen zweiten
wertvollen Beitrag. Da der im Auftrage der Gesellschaft für vervielfältigende
Kunst in Wien von Louis Jacoby unternommene Stich nach Raffaels Schule
von Athen gerade zum vierhundertjährigen Geburtstag des Meisters fertig
geworden ist, nahm die Gesellschaft Veranlassung, Springer mit der Anfertigung
eines erklärenden Textes zu betrauen, welcher zu einer stattlichen, ungemein reich
illustrirten Festschrift angewachsen ist, die im Organ der Gesellschaft, den "Gra¬
phischen Künsten," dann aber auch separat in jener vornehm luxuriösen Aus¬
stattung erschienen ist, welche alle Publikationen der genannten Gesellschaft
kennzeichnet. Der größte Teil der noch vorhandenen Vorstudien Raffaels zu
diesem Bilde und sein Originalkarton in der ambrosicmischen Bibliothek in
Mailand sind in vortrefflichen Heliogravüren der deutschen Reichsdruckerei der
Abhandlung beigegeben, und diese selbst verbreitet sich sehr gründlich über die
Entstehung und die Geschichte des Bildes wie über seine Deutung, welche be-


Grenzbotm IV. 1883.
Neuere Kunstliteratur.

schriebene „venetianische Skizzenbuch," über sein Verhältnis zu Perugino und
Pinturicchio, über seine ersten Madonnenbilder durch die Forschung aufgebracht
worden ist. Weniger der Text, der aber auch im Einzelnen durchgearbeitet,
erweitert und umgestaltet worden ist, als die umfangreichen Noten legen ein
Zeugnis für seine kritische Sorgfalt ab. Mit der Sicherheit des echten, geschulten
Historikers wägt er die Gründe gegen einander ab und hütet sich wohl, sich
für eine Partei zu engagiren, wo ihm die Sache noch nicht spruchreif erscheint.
So läßt er auch mit Recht alles irgendwie zweifelhafte Bildermaterial, welches
mit Raffael in Verbindung gebracht worden ist, bei Seite und baut die Dar¬
stellung seines künstlerischen Entwicklungsganges nur auf ganz sichere Werke
auf. Deshalb gedenkt er auch mit keiner Silbe jenes Bildchens „Apollo und
Marsyas," welches sein Besitzer, Mr. Morris Moore, nachdem er länger als
dreißig Jahre mit diesem angeblichen Raffael hausirt, endlich in diesem Jahre
für 200000 Franks dem Louvre aufgehängt hat, wo es in der sÄls oarrös
neben den echten Jugendbildern Raffaels paradirt. Von der deutschen und
englischen Forschung wird es dem Timoteo delle Vile zugeschrieben. Wir wüßten
kaum etwas aus der neuen Raffaelliteratur zu erwähnen, das der Aufmerksamkeit
Springers entgangen wäre; es sei denn die Mitteilung Milcmesis in den Noten
zur Biographie Raffaels in seiner Vasariausgabe, daß der Palazzo Uguccioni
in Florenz erst in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts zu bauen begonnen
wurde und zwar nach einem Modell des Zanobi Folfi, genannt L'Ammogliato
(1521 — 1600). Namentlich aus den urkundlichen Forschungen von Eugen
Müntz und einigen Italienern hat Springer für die zweite Auflage reichen Ge¬
winn gezogen. So steht z. B. jetzt positiv fest, daß die berühmten Arrazzi,
die nach den Kartons Raffaels für die Sixtinische Kapelle gewebten Teppiche
mit Darstellungen aus der Apostelgeschichte, in Brüssel und zwar in der Werk¬
statt des Pieter van Aelst angefertigt worden sind.

Die Raffaelliteratur verdankt aber Springer dies Jahr noch einen zweiten
wertvollen Beitrag. Da der im Auftrage der Gesellschaft für vervielfältigende
Kunst in Wien von Louis Jacoby unternommene Stich nach Raffaels Schule
von Athen gerade zum vierhundertjährigen Geburtstag des Meisters fertig
geworden ist, nahm die Gesellschaft Veranlassung, Springer mit der Anfertigung
eines erklärenden Textes zu betrauen, welcher zu einer stattlichen, ungemein reich
illustrirten Festschrift angewachsen ist, die im Organ der Gesellschaft, den „Gra¬
phischen Künsten," dann aber auch separat in jener vornehm luxuriösen Aus¬
stattung erschienen ist, welche alle Publikationen der genannten Gesellschaft
kennzeichnet. Der größte Teil der noch vorhandenen Vorstudien Raffaels zu
diesem Bilde und sein Originalkarton in der ambrosicmischen Bibliothek in
Mailand sind in vortrefflichen Heliogravüren der deutschen Reichsdruckerei der
Abhandlung beigegeben, und diese selbst verbreitet sich sehr gründlich über die
Entstehung und die Geschichte des Bildes wie über seine Deutung, welche be-


Grenzbotm IV. 1883.
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[0459] Neuere Kunstliteratur. schriebene „venetianische Skizzenbuch," über sein Verhältnis zu Perugino und Pinturicchio, über seine ersten Madonnenbilder durch die Forschung aufgebracht worden ist. Weniger der Text, der aber auch im Einzelnen durchgearbeitet, erweitert und umgestaltet worden ist, als die umfangreichen Noten legen ein Zeugnis für seine kritische Sorgfalt ab. Mit der Sicherheit des echten, geschulten Historikers wägt er die Gründe gegen einander ab und hütet sich wohl, sich für eine Partei zu engagiren, wo ihm die Sache noch nicht spruchreif erscheint. So läßt er auch mit Recht alles irgendwie zweifelhafte Bildermaterial, welches mit Raffael in Verbindung gebracht worden ist, bei Seite und baut die Dar¬ stellung seines künstlerischen Entwicklungsganges nur auf ganz sichere Werke auf. Deshalb gedenkt er auch mit keiner Silbe jenes Bildchens „Apollo und Marsyas," welches sein Besitzer, Mr. Morris Moore, nachdem er länger als dreißig Jahre mit diesem angeblichen Raffael hausirt, endlich in diesem Jahre für 200000 Franks dem Louvre aufgehängt hat, wo es in der sÄls oarrös neben den echten Jugendbildern Raffaels paradirt. Von der deutschen und englischen Forschung wird es dem Timoteo delle Vile zugeschrieben. Wir wüßten kaum etwas aus der neuen Raffaelliteratur zu erwähnen, das der Aufmerksamkeit Springers entgangen wäre; es sei denn die Mitteilung Milcmesis in den Noten zur Biographie Raffaels in seiner Vasariausgabe, daß der Palazzo Uguccioni in Florenz erst in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts zu bauen begonnen wurde und zwar nach einem Modell des Zanobi Folfi, genannt L'Ammogliato (1521 — 1600). Namentlich aus den urkundlichen Forschungen von Eugen Müntz und einigen Italienern hat Springer für die zweite Auflage reichen Ge¬ winn gezogen. So steht z. B. jetzt positiv fest, daß die berühmten Arrazzi, die nach den Kartons Raffaels für die Sixtinische Kapelle gewebten Teppiche mit Darstellungen aus der Apostelgeschichte, in Brüssel und zwar in der Werk¬ statt des Pieter van Aelst angefertigt worden sind. Die Raffaelliteratur verdankt aber Springer dies Jahr noch einen zweiten wertvollen Beitrag. Da der im Auftrage der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst in Wien von Louis Jacoby unternommene Stich nach Raffaels Schule von Athen gerade zum vierhundertjährigen Geburtstag des Meisters fertig geworden ist, nahm die Gesellschaft Veranlassung, Springer mit der Anfertigung eines erklärenden Textes zu betrauen, welcher zu einer stattlichen, ungemein reich illustrirten Festschrift angewachsen ist, die im Organ der Gesellschaft, den „Gra¬ phischen Künsten," dann aber auch separat in jener vornehm luxuriösen Aus¬ stattung erschienen ist, welche alle Publikationen der genannten Gesellschaft kennzeichnet. Der größte Teil der noch vorhandenen Vorstudien Raffaels zu diesem Bilde und sein Originalkarton in der ambrosicmischen Bibliothek in Mailand sind in vortrefflichen Heliogravüren der deutschen Reichsdruckerei der Abhandlung beigegeben, und diese selbst verbreitet sich sehr gründlich über die Entstehung und die Geschichte des Bildes wie über seine Deutung, welche be- Grenzbotm IV. 1883.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/459>, abgerufen am 28.07.2024.