Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.Die Entstehung des Faust. greifenden Umwandlungen und Erweiterungen von einer dem Dichter im Anfang Wir wollen sehen, ob diese Deutung der Hieroglyphe sich uns bestätigen Die Entstehung des Faust. greifenden Umwandlungen und Erweiterungen von einer dem Dichter im Anfang Wir wollen sehen, ob diese Deutung der Hieroglyphe sich uns bestätigen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0454" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154619"/> <fw type="header" place="top"> Die Entstehung des Faust.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1367" prev="#ID_1366"> greifenden Umwandlungen und Erweiterungen von einer dem Dichter im Anfang<lb/> selbst völlig ungeahnten Ausdehnung unterworfen worden, dafür können demnach<lb/> nur innere Gründe bestimmend gewesen sein. So würde es sich um die Frage<lb/> handeln, warum der erste Faustplan verworfen wurde. Dazu müßten wir ihn<lb/> kennen. Wir wollen später den Versuch anstellen, ob es möglich ist, ihn zu<lb/> erraten. Zunächst aber wollen wir noch ein entscheidendes Zeugnis Goethes<lb/> selbst anführen, aus welchem erhellt, daß der Dichter bis zum Aufenthalt in<lb/> Rom nicht an die Fortsetzung des Faust nach dem ersten Plan gedacht, sondern daß<lb/> er nach einem neuen Plan gesucht hat. Wir meinen die bekannte Stelle des Briefes<lb/> vom 1. März 1788 aus Rom, kurz vor der Rückkehr nach Weimar, in der Italienischen<lb/> Reise: „Es war eine reichhaltige Woche — die vom 22. Februar bis 1. März<lb/> 1788 — die mir in der Erinnerung wie ein Monat vorkommt. Zuerst ward<lb/> der Plan zu Faust gemacht, und ich hoffe, diese Operation soll mir geglückt<lb/> sein. Natürlich ist es ein ander Ding, das Stück jetzt oder vor fünfzehn Jahren<lb/> ausschreiben; ich denke, es soll nichts dabei verlieren, besonders da ich jetzt<lb/> glaube, den Faden wiedergefunden zu haben. Auch was den Ton des Ganzen<lb/> betrifft, bin ich getröstet; ich habe schon eine neue Szene ausgeführt, und wenn<lb/> ich das Papier räuchere, so dächte ich, sollte sie mir niemand aus den alten<lb/> herausfinden." Es ist dies eine jener Stellen, über die man oft hinweg lesen<lb/> kann, bis man einmal gewahrt: man hat eine Hieroglyphe vor sich, die kost¬<lb/> baren Aufschluß verbergen muß. Der Plan zum Faust ward gemacht. Also ein<lb/> neuer, denn der alte brauchte nicht gemacht zu werden, und daß das Gedicht<lb/> bis dcchiu planlos entstanden, wird niemand annehmen wollen. Aber zugleich<lb/> wird gesagt, das Gedicht solle durch die lange Unterbrechung nichts verlieren,<lb/> weil der Faden wiedergefunden worden sei. Also war der Faden verloren ge¬<lb/> wesen. Aber wäre es etwa möglich, die Unterbrechung des Gedichtes auf das<lb/> Vergessen des alten Fadens zu schieben? Davon kann nicht die Rede sein. Das<lb/> Wiederfinden des Fadens kann also nur das gefundene Mittel bedeuten, den<lb/> durch den ersten Ausführungsplan abgesponnenen Faden der ursprünglichsten, aber<lb/> schon durch die erste Ausführung umgestalteten Idee wieder herauszulösen und<lb/> zum Weiterspinnen fähig zu machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1368" next="#ID_1369"> Wir wollen sehen, ob diese Deutung der Hieroglyphe sich uns bestätigen<lb/> wird. Denn nun erhebt sich die zweite Frage: Welches war der neue in Rom<lb/> gefundene Faustplan? Wir sehen aus der eben mitgeteilten Briefstelle, daß un¬<lb/> mittelbar, nachdem der Dichter den Faden wieder gefunden zu haben glaubte,<lb/> die erste neue Szene ausgeführt wurde. Aus Eckermann wissen wir, daß zu<lb/> Rom, und zwar im Garten der Villa Borghese, die Szene der Hexenküche ge¬<lb/> dichtet worden ist. Dies muß also die erste aus dem neuen Plan hervor¬<lb/> gegangene Szene sein. In ihr wäre demnach das Thema, der Keim, der Ansatz<lb/> des neuen Planes zu suchen. Aber manchen Verehrer des Faust hat gerade<lb/> diese Szene zur Verzweiflung gebracht, niemand weiß recht anzugeben, was sie</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0454]
Die Entstehung des Faust.
greifenden Umwandlungen und Erweiterungen von einer dem Dichter im Anfang
selbst völlig ungeahnten Ausdehnung unterworfen worden, dafür können demnach
nur innere Gründe bestimmend gewesen sein. So würde es sich um die Frage
handeln, warum der erste Faustplan verworfen wurde. Dazu müßten wir ihn
kennen. Wir wollen später den Versuch anstellen, ob es möglich ist, ihn zu
erraten. Zunächst aber wollen wir noch ein entscheidendes Zeugnis Goethes
selbst anführen, aus welchem erhellt, daß der Dichter bis zum Aufenthalt in
Rom nicht an die Fortsetzung des Faust nach dem ersten Plan gedacht, sondern daß
er nach einem neuen Plan gesucht hat. Wir meinen die bekannte Stelle des Briefes
vom 1. März 1788 aus Rom, kurz vor der Rückkehr nach Weimar, in der Italienischen
Reise: „Es war eine reichhaltige Woche — die vom 22. Februar bis 1. März
1788 — die mir in der Erinnerung wie ein Monat vorkommt. Zuerst ward
der Plan zu Faust gemacht, und ich hoffe, diese Operation soll mir geglückt
sein. Natürlich ist es ein ander Ding, das Stück jetzt oder vor fünfzehn Jahren
ausschreiben; ich denke, es soll nichts dabei verlieren, besonders da ich jetzt
glaube, den Faden wiedergefunden zu haben. Auch was den Ton des Ganzen
betrifft, bin ich getröstet; ich habe schon eine neue Szene ausgeführt, und wenn
ich das Papier räuchere, so dächte ich, sollte sie mir niemand aus den alten
herausfinden." Es ist dies eine jener Stellen, über die man oft hinweg lesen
kann, bis man einmal gewahrt: man hat eine Hieroglyphe vor sich, die kost¬
baren Aufschluß verbergen muß. Der Plan zum Faust ward gemacht. Also ein
neuer, denn der alte brauchte nicht gemacht zu werden, und daß das Gedicht
bis dcchiu planlos entstanden, wird niemand annehmen wollen. Aber zugleich
wird gesagt, das Gedicht solle durch die lange Unterbrechung nichts verlieren,
weil der Faden wiedergefunden worden sei. Also war der Faden verloren ge¬
wesen. Aber wäre es etwa möglich, die Unterbrechung des Gedichtes auf das
Vergessen des alten Fadens zu schieben? Davon kann nicht die Rede sein. Das
Wiederfinden des Fadens kann also nur das gefundene Mittel bedeuten, den
durch den ersten Ausführungsplan abgesponnenen Faden der ursprünglichsten, aber
schon durch die erste Ausführung umgestalteten Idee wieder herauszulösen und
zum Weiterspinnen fähig zu machen.
Wir wollen sehen, ob diese Deutung der Hieroglyphe sich uns bestätigen
wird. Denn nun erhebt sich die zweite Frage: Welches war der neue in Rom
gefundene Faustplan? Wir sehen aus der eben mitgeteilten Briefstelle, daß un¬
mittelbar, nachdem der Dichter den Faden wieder gefunden zu haben glaubte,
die erste neue Szene ausgeführt wurde. Aus Eckermann wissen wir, daß zu
Rom, und zwar im Garten der Villa Borghese, die Szene der Hexenküche ge¬
dichtet worden ist. Dies muß also die erste aus dem neuen Plan hervor¬
gegangene Szene sein. In ihr wäre demnach das Thema, der Keim, der Ansatz
des neuen Planes zu suchen. Aber manchen Verehrer des Faust hat gerade
diese Szene zur Verzweiflung gebracht, niemand weiß recht anzugeben, was sie
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |