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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Das Volk in Waffen.

einer Schlacht, vor welcher die Parteien sich schon nahe gegenüberstanden, ein¬
ander auskundschaften und darnach ein förmliches Programm für die Durch¬
führung entwerfen konnten. Mit vollendeter Meisterschaft hat der Verfasser
zwei lebensvolle Bilder entworfen von der Einleitung, dem Verlaufe und dem
Ende einer solchen "Zufallsschlacht" und einer "vorbedachten Schlacht," um sich
sodann der Verfolgung, der Benutzung des Sieges und dem Rückzüge zuzu¬
wenden. In der unerbittlichen Aufeinanderfolge der strategischen Operationen,
der Bewegungen und Kämpfe liegt die größte Stärke. Sie war es, die in den
letzten Feldzügen unsre Feinde am meisten schreckte. Die "affenartige Geschwindig¬
keit" der Preußen von 1866 ist eine große kriegerische Tugend gewesen. Diese
Folgerichtigkeit entspringt der richtigen Einsicht und ergiebt sich aus dem
Gesetze der Notwendigkeit, nach welchem jede der kämpfenden Parteien bestrebt
ist, mit der Schwerkraft der gesamten Waffenmacht dein Ziele zuzustreben, dessen
Erreichung der Frieden gewährleistet.

Viele Eigenschaften des Feldherrn wirken auf den Gang der Kriegführung
ein: seine Entschlußfähigkeit, seine Beständigkeit, seine Initiative und Selbständigkeit,
welche indeß frei von Willkür sein muß. Andre Einflüsse liegen in der Jahreszeit,
der herrschenden Witterung, der Beschaffenheit des Terrains, dem Zusammen¬
schmelzen der Zifferstürken bei den Truppen, der Eigenart des Gegners u. s. w. Die
Gesundheitspflege wird wichtig, wenn man sich z.B. vergegenwärtigt, daß, obgleich
die Gesundheitsverhältnisse der deutschen Heere in Frankreich durchaus günstig
waren und keine gefährliche Seuche auftrat, dennoch außer 100600 Verwun¬
deten 400 000 Kranke die Lazarethe haben aufsuchen müssen. Es ist kürzlich
berechnet worden, daß die durchschnittliche Abwesenheit eines Kranken von seinem
Truppenteil zwanzig Tage betragen hat, sodaß dieser Gesamtausfall für die Kriegs¬
leistungen demjenigen von zwölf vollen Armeekorps auf rund drei Wochen gleicht.

Den Schluß des vierten Abschnittes bilden Kapitel über den Einfluß
fester Plätze auf die Kriegführung im großen und über feindliche Landungen.
Die Einwirkung der Festungen wird eine umso größere werden, je mehr
das Terrain durch ganze Reihen von Befestigungen zur Verteidigung vorbereitet
ist. Die Wegnahme kostet Zeit und Menschen und erfordert eine starke Artillerie¬
wirkung. Dagegen schützt eine Festung wohl die in ihr stehenden Truppen,
aber sie fesselt dieselben zugleich an die Scholle. Man bringt eine Armee leicht
hinter die Wälle, schwer aber wieder hervor ins Freie, es sei denn daß starke
Hilfe von außen ihr die Hand reiche.

Zu einer Landung auf feindlichem Gebiete neben dem ernst entbrannten
Kriege, welcher die Hauptheere einander gegenüber festhält, gehört ein bedeutender
Überschuß an Kraft. Würde Deutschland von zwei großen Mächten in Ost und
West zugleich angegriffen, so könnten ihre Flotten und Heere wohl zusammen
die hinreichenden Mittel ausbringen, um eine Landung an unsern Küsten in
achtunggebietender Stärke zu unternehmen. Doch selbst in diesem ungünstigsten


Das Volk in Waffen.

einer Schlacht, vor welcher die Parteien sich schon nahe gegenüberstanden, ein¬
ander auskundschaften und darnach ein förmliches Programm für die Durch¬
führung entwerfen konnten. Mit vollendeter Meisterschaft hat der Verfasser
zwei lebensvolle Bilder entworfen von der Einleitung, dem Verlaufe und dem
Ende einer solchen „Zufallsschlacht" und einer „vorbedachten Schlacht," um sich
sodann der Verfolgung, der Benutzung des Sieges und dem Rückzüge zuzu¬
wenden. In der unerbittlichen Aufeinanderfolge der strategischen Operationen,
der Bewegungen und Kämpfe liegt die größte Stärke. Sie war es, die in den
letzten Feldzügen unsre Feinde am meisten schreckte. Die „affenartige Geschwindig¬
keit" der Preußen von 1866 ist eine große kriegerische Tugend gewesen. Diese
Folgerichtigkeit entspringt der richtigen Einsicht und ergiebt sich aus dem
Gesetze der Notwendigkeit, nach welchem jede der kämpfenden Parteien bestrebt
ist, mit der Schwerkraft der gesamten Waffenmacht dein Ziele zuzustreben, dessen
Erreichung der Frieden gewährleistet.

Viele Eigenschaften des Feldherrn wirken auf den Gang der Kriegführung
ein: seine Entschlußfähigkeit, seine Beständigkeit, seine Initiative und Selbständigkeit,
welche indeß frei von Willkür sein muß. Andre Einflüsse liegen in der Jahreszeit,
der herrschenden Witterung, der Beschaffenheit des Terrains, dem Zusammen¬
schmelzen der Zifferstürken bei den Truppen, der Eigenart des Gegners u. s. w. Die
Gesundheitspflege wird wichtig, wenn man sich z.B. vergegenwärtigt, daß, obgleich
die Gesundheitsverhältnisse der deutschen Heere in Frankreich durchaus günstig
waren und keine gefährliche Seuche auftrat, dennoch außer 100600 Verwun¬
deten 400 000 Kranke die Lazarethe haben aufsuchen müssen. Es ist kürzlich
berechnet worden, daß die durchschnittliche Abwesenheit eines Kranken von seinem
Truppenteil zwanzig Tage betragen hat, sodaß dieser Gesamtausfall für die Kriegs¬
leistungen demjenigen von zwölf vollen Armeekorps auf rund drei Wochen gleicht.

Den Schluß des vierten Abschnittes bilden Kapitel über den Einfluß
fester Plätze auf die Kriegführung im großen und über feindliche Landungen.
Die Einwirkung der Festungen wird eine umso größere werden, je mehr
das Terrain durch ganze Reihen von Befestigungen zur Verteidigung vorbereitet
ist. Die Wegnahme kostet Zeit und Menschen und erfordert eine starke Artillerie¬
wirkung. Dagegen schützt eine Festung wohl die in ihr stehenden Truppen,
aber sie fesselt dieselben zugleich an die Scholle. Man bringt eine Armee leicht
hinter die Wälle, schwer aber wieder hervor ins Freie, es sei denn daß starke
Hilfe von außen ihr die Hand reiche.

Zu einer Landung auf feindlichem Gebiete neben dem ernst entbrannten
Kriege, welcher die Hauptheere einander gegenüber festhält, gehört ein bedeutender
Überschuß an Kraft. Würde Deutschland von zwei großen Mächten in Ost und
West zugleich angegriffen, so könnten ihre Flotten und Heere wohl zusammen
die hinreichenden Mittel ausbringen, um eine Landung an unsern Küsten in
achtunggebietender Stärke zu unternehmen. Doch selbst in diesem ungünstigsten


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[0444] Das Volk in Waffen. einer Schlacht, vor welcher die Parteien sich schon nahe gegenüberstanden, ein¬ ander auskundschaften und darnach ein förmliches Programm für die Durch¬ führung entwerfen konnten. Mit vollendeter Meisterschaft hat der Verfasser zwei lebensvolle Bilder entworfen von der Einleitung, dem Verlaufe und dem Ende einer solchen „Zufallsschlacht" und einer „vorbedachten Schlacht," um sich sodann der Verfolgung, der Benutzung des Sieges und dem Rückzüge zuzu¬ wenden. In der unerbittlichen Aufeinanderfolge der strategischen Operationen, der Bewegungen und Kämpfe liegt die größte Stärke. Sie war es, die in den letzten Feldzügen unsre Feinde am meisten schreckte. Die „affenartige Geschwindig¬ keit" der Preußen von 1866 ist eine große kriegerische Tugend gewesen. Diese Folgerichtigkeit entspringt der richtigen Einsicht und ergiebt sich aus dem Gesetze der Notwendigkeit, nach welchem jede der kämpfenden Parteien bestrebt ist, mit der Schwerkraft der gesamten Waffenmacht dein Ziele zuzustreben, dessen Erreichung der Frieden gewährleistet. Viele Eigenschaften des Feldherrn wirken auf den Gang der Kriegführung ein: seine Entschlußfähigkeit, seine Beständigkeit, seine Initiative und Selbständigkeit, welche indeß frei von Willkür sein muß. Andre Einflüsse liegen in der Jahreszeit, der herrschenden Witterung, der Beschaffenheit des Terrains, dem Zusammen¬ schmelzen der Zifferstürken bei den Truppen, der Eigenart des Gegners u. s. w. Die Gesundheitspflege wird wichtig, wenn man sich z.B. vergegenwärtigt, daß, obgleich die Gesundheitsverhältnisse der deutschen Heere in Frankreich durchaus günstig waren und keine gefährliche Seuche auftrat, dennoch außer 100600 Verwun¬ deten 400 000 Kranke die Lazarethe haben aufsuchen müssen. Es ist kürzlich berechnet worden, daß die durchschnittliche Abwesenheit eines Kranken von seinem Truppenteil zwanzig Tage betragen hat, sodaß dieser Gesamtausfall für die Kriegs¬ leistungen demjenigen von zwölf vollen Armeekorps auf rund drei Wochen gleicht. Den Schluß des vierten Abschnittes bilden Kapitel über den Einfluß fester Plätze auf die Kriegführung im großen und über feindliche Landungen. Die Einwirkung der Festungen wird eine umso größere werden, je mehr das Terrain durch ganze Reihen von Befestigungen zur Verteidigung vorbereitet ist. Die Wegnahme kostet Zeit und Menschen und erfordert eine starke Artillerie¬ wirkung. Dagegen schützt eine Festung wohl die in ihr stehenden Truppen, aber sie fesselt dieselben zugleich an die Scholle. Man bringt eine Armee leicht hinter die Wälle, schwer aber wieder hervor ins Freie, es sei denn daß starke Hilfe von außen ihr die Hand reiche. Zu einer Landung auf feindlichem Gebiete neben dem ernst entbrannten Kriege, welcher die Hauptheere einander gegenüber festhält, gehört ein bedeutender Überschuß an Kraft. Würde Deutschland von zwei großen Mächten in Ost und West zugleich angegriffen, so könnten ihre Flotten und Heere wohl zusammen die hinreichenden Mittel ausbringen, um eine Landung an unsern Küsten in achtunggebietender Stärke zu unternehmen. Doch selbst in diesem ungünstigsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/444>, abgerufen am 01.09.2024.