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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Das Volk in Waffen,

Dem Elemente der Beweglichkeit steht auch das ungeheure Anwachse" der Massen¬
heere im Wege. Man erhält ein anschauliches Bild von den Dimensionen, um
welche es sich in neueren Kriegen handelt, wenn Man bedenkt, daß ein einziges
Armeekorps, welches sich mit Trains und Branchen auf einer Straße fortbe¬
wegt, etwa 60 Kilometer oder eine Wegstrecke von Magdeburg bis Eisleben
in Anspruch nimmt, und die gesamte deutsche Armee würde unter gleicher
Voraussetzung mit der Spitze in Mainz eintreffen, wenn die letzten Glieder
eben erst Eydtkuhnen verließen. Im Jahre 1870 belegten die 16 deutschen
Armeekorps, welche sich am Rhein versammelten, 120 Quadratmeilen eines sehr
fruuchtbaren Landes, und für das ganze deutsche Heer sind heute über 200
Qudratmeilen zur Unterkunft erforderlich, wenn auch Ort an Ort mit Truppen
belegt sein sollte. Ebenso ungeheuer wären die Fronten, welche entstehen müßten,
wenn man die heutigen Riesenheere zu einer Linie entwickeln wollte. Die fran¬
zösische Armee möchte von Epinal bis Verdun reichen, ohne daß die einzelnen
Heereskörper etwa besonders locker einandergereiht sein würden. Ein sehr er¬
schwerendes Moment der neueren Kriegführung ist die geringe Macht, welche
infolge dieser Entfernungen der höchste Befehlshaber auf das Entstehen der
taktischen Entscheidung, der Schlacht, ausübt.

Die Leitung solcher Massen wird nur ermöglicht durch die Disziplin. Zu
ihrer Anerziehung ist der ernste Betrieb des sogenannten kleinen Dienstes von
großer Bedeutung. Doch muß auch die Disziplin der Intelligenz vorhanden
sein. Die Thätigkeit der Führer darf nicht nach bestimmten Vorschriften sche-
matisire werden, der Krieg duldet keine Schablonen. Aber es muß doch in der
Art und Weise, die kriegerischen Aufgaben zu lösen, eine gewisse Übereinstim¬
mung herrschen. Einzelne allgemeine Grundsätze müsse" den Trnppenführern durch
Lehre und Übung so in Fleisch und Blut übergegangen sein, daß der Feldherr dann
getrost der Selbständigkeit des Einzelnen viel überlassen kann. Vielleicht wird
dann an Orten, wo er nicht persönlich eingreifen kann, nicht gerade das ge¬
schehen,, was er selbst gethan haben würde, aber er kann doch sicher sein, daß
etwas in seinem Sinne Zweckmäßiges geschieht.

Der Eröffnung des Feldzuges geht der Aufmarsch, d. i. die Zusammen¬
ziehung der Kriegsmacht an der bedrohten Grenze des Staates, voran. Bei
den dahin zielenden Anordnungen sind die Kultnrverhältnisse, namentlich die
großen Verkehrswege, in Betracht zu ziehen, und der Schutz für die bedrohten
Landesteile ist mit der Rücksicht auf das Zusammenwirken aller Kräfte für die
großen Schläge geschickt in Einklang zu bringen. Aus der Wichtigkeit des Auf¬
marsches ergiebt sich sein enger Zusammenhang mit einer raschen, planvollen
Mobilmachung des Heeres.

Ein bis in alle Details ausgearbeiteter Kriegsplan existirt nicht. Wohl
muß dagegen ein sorgsam im Einklange mit dem Aufmarsch ausgearbeiteter
Operationsentwurf vorhanden sein. Das Ziel, gegen welches dieser sich richtet


Das Volk in Waffen,

Dem Elemente der Beweglichkeit steht auch das ungeheure Anwachse» der Massen¬
heere im Wege. Man erhält ein anschauliches Bild von den Dimensionen, um
welche es sich in neueren Kriegen handelt, wenn Man bedenkt, daß ein einziges
Armeekorps, welches sich mit Trains und Branchen auf einer Straße fortbe¬
wegt, etwa 60 Kilometer oder eine Wegstrecke von Magdeburg bis Eisleben
in Anspruch nimmt, und die gesamte deutsche Armee würde unter gleicher
Voraussetzung mit der Spitze in Mainz eintreffen, wenn die letzten Glieder
eben erst Eydtkuhnen verließen. Im Jahre 1870 belegten die 16 deutschen
Armeekorps, welche sich am Rhein versammelten, 120 Quadratmeilen eines sehr
fruuchtbaren Landes, und für das ganze deutsche Heer sind heute über 200
Qudratmeilen zur Unterkunft erforderlich, wenn auch Ort an Ort mit Truppen
belegt sein sollte. Ebenso ungeheuer wären die Fronten, welche entstehen müßten,
wenn man die heutigen Riesenheere zu einer Linie entwickeln wollte. Die fran¬
zösische Armee möchte von Epinal bis Verdun reichen, ohne daß die einzelnen
Heereskörper etwa besonders locker einandergereiht sein würden. Ein sehr er¬
schwerendes Moment der neueren Kriegführung ist die geringe Macht, welche
infolge dieser Entfernungen der höchste Befehlshaber auf das Entstehen der
taktischen Entscheidung, der Schlacht, ausübt.

Die Leitung solcher Massen wird nur ermöglicht durch die Disziplin. Zu
ihrer Anerziehung ist der ernste Betrieb des sogenannten kleinen Dienstes von
großer Bedeutung. Doch muß auch die Disziplin der Intelligenz vorhanden
sein. Die Thätigkeit der Führer darf nicht nach bestimmten Vorschriften sche-
matisire werden, der Krieg duldet keine Schablonen. Aber es muß doch in der
Art und Weise, die kriegerischen Aufgaben zu lösen, eine gewisse Übereinstim¬
mung herrschen. Einzelne allgemeine Grundsätze müsse» den Trnppenführern durch
Lehre und Übung so in Fleisch und Blut übergegangen sein, daß der Feldherr dann
getrost der Selbständigkeit des Einzelnen viel überlassen kann. Vielleicht wird
dann an Orten, wo er nicht persönlich eingreifen kann, nicht gerade das ge¬
schehen,, was er selbst gethan haben würde, aber er kann doch sicher sein, daß
etwas in seinem Sinne Zweckmäßiges geschieht.

Der Eröffnung des Feldzuges geht der Aufmarsch, d. i. die Zusammen¬
ziehung der Kriegsmacht an der bedrohten Grenze des Staates, voran. Bei
den dahin zielenden Anordnungen sind die Kultnrverhältnisse, namentlich die
großen Verkehrswege, in Betracht zu ziehen, und der Schutz für die bedrohten
Landesteile ist mit der Rücksicht auf das Zusammenwirken aller Kräfte für die
großen Schläge geschickt in Einklang zu bringen. Aus der Wichtigkeit des Auf¬
marsches ergiebt sich sein enger Zusammenhang mit einer raschen, planvollen
Mobilmachung des Heeres.

Ein bis in alle Details ausgearbeiteter Kriegsplan existirt nicht. Wohl
muß dagegen ein sorgsam im Einklange mit dem Aufmarsch ausgearbeiteter
Operationsentwurf vorhanden sein. Das Ziel, gegen welches dieser sich richtet


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[0442] Das Volk in Waffen, Dem Elemente der Beweglichkeit steht auch das ungeheure Anwachse» der Massen¬ heere im Wege. Man erhält ein anschauliches Bild von den Dimensionen, um welche es sich in neueren Kriegen handelt, wenn Man bedenkt, daß ein einziges Armeekorps, welches sich mit Trains und Branchen auf einer Straße fortbe¬ wegt, etwa 60 Kilometer oder eine Wegstrecke von Magdeburg bis Eisleben in Anspruch nimmt, und die gesamte deutsche Armee würde unter gleicher Voraussetzung mit der Spitze in Mainz eintreffen, wenn die letzten Glieder eben erst Eydtkuhnen verließen. Im Jahre 1870 belegten die 16 deutschen Armeekorps, welche sich am Rhein versammelten, 120 Quadratmeilen eines sehr fruuchtbaren Landes, und für das ganze deutsche Heer sind heute über 200 Qudratmeilen zur Unterkunft erforderlich, wenn auch Ort an Ort mit Truppen belegt sein sollte. Ebenso ungeheuer wären die Fronten, welche entstehen müßten, wenn man die heutigen Riesenheere zu einer Linie entwickeln wollte. Die fran¬ zösische Armee möchte von Epinal bis Verdun reichen, ohne daß die einzelnen Heereskörper etwa besonders locker einandergereiht sein würden. Ein sehr er¬ schwerendes Moment der neueren Kriegführung ist die geringe Macht, welche infolge dieser Entfernungen der höchste Befehlshaber auf das Entstehen der taktischen Entscheidung, der Schlacht, ausübt. Die Leitung solcher Massen wird nur ermöglicht durch die Disziplin. Zu ihrer Anerziehung ist der ernste Betrieb des sogenannten kleinen Dienstes von großer Bedeutung. Doch muß auch die Disziplin der Intelligenz vorhanden sein. Die Thätigkeit der Führer darf nicht nach bestimmten Vorschriften sche- matisire werden, der Krieg duldet keine Schablonen. Aber es muß doch in der Art und Weise, die kriegerischen Aufgaben zu lösen, eine gewisse Übereinstim¬ mung herrschen. Einzelne allgemeine Grundsätze müsse» den Trnppenführern durch Lehre und Übung so in Fleisch und Blut übergegangen sein, daß der Feldherr dann getrost der Selbständigkeit des Einzelnen viel überlassen kann. Vielleicht wird dann an Orten, wo er nicht persönlich eingreifen kann, nicht gerade das ge¬ schehen,, was er selbst gethan haben würde, aber er kann doch sicher sein, daß etwas in seinem Sinne Zweckmäßiges geschieht. Der Eröffnung des Feldzuges geht der Aufmarsch, d. i. die Zusammen¬ ziehung der Kriegsmacht an der bedrohten Grenze des Staates, voran. Bei den dahin zielenden Anordnungen sind die Kultnrverhältnisse, namentlich die großen Verkehrswege, in Betracht zu ziehen, und der Schutz für die bedrohten Landesteile ist mit der Rücksicht auf das Zusammenwirken aller Kräfte für die großen Schläge geschickt in Einklang zu bringen. Aus der Wichtigkeit des Auf¬ marsches ergiebt sich sein enger Zusammenhang mit einer raschen, planvollen Mobilmachung des Heeres. Ein bis in alle Details ausgearbeiteter Kriegsplan existirt nicht. Wohl muß dagegen ein sorgsam im Einklange mit dem Aufmarsch ausgearbeiteter Operationsentwurf vorhanden sein. Das Ziel, gegen welches dieser sich richtet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/442>, abgerufen am 28.07.2024.