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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Botho von Hülsen und seine Leute.

Ebenso tendenziös und launenhaft mißgünstig wie die Ansichten über die
Schauspieler, sind die Apercus des Herrn Schlenther über das Repertoire und
seine dramaturgischen Abschätzungen der verschiednen Bühnenautoren. Während
Jffland und Benedix ziemlich hoch in der Gunst des Verfassers stehen, wird
die Birch-Pfeiffer in den Orkus verbannt. Das erkläre sich, wer kann. Ihrer
theatralischen Geschicklichkeit soll Geschmack und Wahrheit mangeln. Als ob
Jffland und Benedix diese Vorzüge in höherm Grade besessen hätten! Ich will
niemand tadeln, der diese beiden Repräsentanten der dramatischen Hausbacken¬
heit verehrt. Sie waren Fleisch von unserm Fleische und haben ihre unbestreit¬
baren Verdienste, die ich ehre. Aber dann ist es ein dramaturgischer Widersinn,
nicht auch die gute alte Birch gelten zu lassen, die nicht minder verdient und
nicht minder dem vormärzlichen Bürgertum geistesverwandt ist als jene beiden.
Daß sie weder Wahrheit noch Geschmack besessen habe, ist wieder einer von den
kühnen Sätzen, auf die es Herrn Schlenther niemals ankommt, vielleicht weil
sie interessant machen sollen. Keiner von unsern namhaften Literarhistorikern
weiß etwas von diesen Fehlern. Wohl aber stimmen dieselben überein in der
Anerkennung ihres gesunden Realismus und ihrer praktischen Bühnengewandtheit,
Eigenschaften, die denn doch wohl ohne Geschmack und Wahrheit nicht bestehen
können. Die Zeit, in der es für ein Erfordernis des guten Geschmackes galt,
über die Birch die Nase zu rümpfen, sind längst vorüber. Putlitz hat in seinen
Erinnerungen über diesen Punkt sehr treffende Bemerkungen gemacht, in denen
er auch die Verdienste der fruchtbaren Bühnenschriftstellerin in eingehender Weise
würdigt. Vielleicht korrigirt der Verfasser seine Meinung, wenn er jene gelesen
haben wird. Auch Gottschall läßt der Birch in seiner Literaturgeschichte Gerechtig¬
keit widerfahren. Daß er alle die Modernen, die im Schauspielhause und ander¬
wärts ihr Glück gemacht haben und von verständigen Männern mindestens mit
einem gewissen Grade von achtungsvollen Wohlwollen genannt zu werden Pflegen,
von der sublimen Höhe seiner dramaturgischen Anschauung nur mit einem vor¬
nehmen Achselzucken behandelt, ihnen Plumpheiten, Rohheiten und ähnliche
kritische Projektile schwersten Kalibers an den Kopf schleudert, versteht sich bei
einem so "faustfröhlichen" Beurteiler vou selbst. Aber er scheint keine Ahnung
davon zu haben, daß solche groteske Akrobatenkünste dahin gehören, wohin er
Herrn Liedtkes Komik verweist: in die Harlekinsbude!

Was er zum Lobe von Ibsen, Björnson und Wilbrcmdt sagt, die er auf
der königlichen Hofbühne schmerzlich vermißt, unterschreibe ich ebenso gern wie
sein energisches Plaidoyer zu Gunsten von Heyse, Otto Ludwig, Hebbel und
Kleist. Ja ich würde Gutzkow, Laube und manche andern aus der Periode des
jungen Deutschlands hinzufüge", die allesamt einer bessern Pflege würdig er¬
scheinen, als sie ihnen auf der Hvfbühne zu Teil wird. Aber daraus einen
Anklageakt zu schmieden, ehe die Gründe einer solchen Zurückstellung in die Reserve
zweiter Klasse gehört worden sind, wird nur ein so leichtes Gewissen wagen, wie


Botho von Hülsen und seine Leute.

Ebenso tendenziös und launenhaft mißgünstig wie die Ansichten über die
Schauspieler, sind die Apercus des Herrn Schlenther über das Repertoire und
seine dramaturgischen Abschätzungen der verschiednen Bühnenautoren. Während
Jffland und Benedix ziemlich hoch in der Gunst des Verfassers stehen, wird
die Birch-Pfeiffer in den Orkus verbannt. Das erkläre sich, wer kann. Ihrer
theatralischen Geschicklichkeit soll Geschmack und Wahrheit mangeln. Als ob
Jffland und Benedix diese Vorzüge in höherm Grade besessen hätten! Ich will
niemand tadeln, der diese beiden Repräsentanten der dramatischen Hausbacken¬
heit verehrt. Sie waren Fleisch von unserm Fleische und haben ihre unbestreit¬
baren Verdienste, die ich ehre. Aber dann ist es ein dramaturgischer Widersinn,
nicht auch die gute alte Birch gelten zu lassen, die nicht minder verdient und
nicht minder dem vormärzlichen Bürgertum geistesverwandt ist als jene beiden.
Daß sie weder Wahrheit noch Geschmack besessen habe, ist wieder einer von den
kühnen Sätzen, auf die es Herrn Schlenther niemals ankommt, vielleicht weil
sie interessant machen sollen. Keiner von unsern namhaften Literarhistorikern
weiß etwas von diesen Fehlern. Wohl aber stimmen dieselben überein in der
Anerkennung ihres gesunden Realismus und ihrer praktischen Bühnengewandtheit,
Eigenschaften, die denn doch wohl ohne Geschmack und Wahrheit nicht bestehen
können. Die Zeit, in der es für ein Erfordernis des guten Geschmackes galt,
über die Birch die Nase zu rümpfen, sind längst vorüber. Putlitz hat in seinen
Erinnerungen über diesen Punkt sehr treffende Bemerkungen gemacht, in denen
er auch die Verdienste der fruchtbaren Bühnenschriftstellerin in eingehender Weise
würdigt. Vielleicht korrigirt der Verfasser seine Meinung, wenn er jene gelesen
haben wird. Auch Gottschall läßt der Birch in seiner Literaturgeschichte Gerechtig¬
keit widerfahren. Daß er alle die Modernen, die im Schauspielhause und ander¬
wärts ihr Glück gemacht haben und von verständigen Männern mindestens mit
einem gewissen Grade von achtungsvollen Wohlwollen genannt zu werden Pflegen,
von der sublimen Höhe seiner dramaturgischen Anschauung nur mit einem vor¬
nehmen Achselzucken behandelt, ihnen Plumpheiten, Rohheiten und ähnliche
kritische Projektile schwersten Kalibers an den Kopf schleudert, versteht sich bei
einem so „faustfröhlichen" Beurteiler vou selbst. Aber er scheint keine Ahnung
davon zu haben, daß solche groteske Akrobatenkünste dahin gehören, wohin er
Herrn Liedtkes Komik verweist: in die Harlekinsbude!

Was er zum Lobe von Ibsen, Björnson und Wilbrcmdt sagt, die er auf
der königlichen Hofbühne schmerzlich vermißt, unterschreibe ich ebenso gern wie
sein energisches Plaidoyer zu Gunsten von Heyse, Otto Ludwig, Hebbel und
Kleist. Ja ich würde Gutzkow, Laube und manche andern aus der Periode des
jungen Deutschlands hinzufüge», die allesamt einer bessern Pflege würdig er¬
scheinen, als sie ihnen auf der Hvfbühne zu Teil wird. Aber daraus einen
Anklageakt zu schmieden, ehe die Gründe einer solchen Zurückstellung in die Reserve
zweiter Klasse gehört worden sind, wird nur ein so leichtes Gewissen wagen, wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/44>, abgerufen am 27.07.2024.