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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Literatur.

und über die Formeln verknöcherter Systeme, In dein Gedichte "Letzte Zuflucht"
ruft er:


Und so hadern sie noch lange
Um den Gott und "Menschensohn,"
Bis vor ihres Kampfes Drange
Alle Zweifel sind entflohn;
Wenn der letzte dann erledigt
Und herein der Morgen bricht,
Bleibt vom Berge noch die Predigt
Und vom Himmel noch das Licht.

Aber wohin mit allen Spitzfindigkeiten, ruft er weiter, mit allen Um-
chreilmngen!


Suchet, sucht, wie ihrs beweisen
Und das Wesen fassen sollt,
Aber "Gott" müßt ihr es heißen,
Was ihr Höchstes denken wollt;
Heil'ge Flamme fühlst du brennen,
Göttliche in deiner Brust,
Warum scheust du dich zu nennen,
Was du doch empfinden mußt?

Ein großer Teil der Gedichte aus reifen Jahren ist den tiefen Rätseln des
Menschendaseins gewidmet und zeichnet sich durch eine besonders glückliche Fähig¬
keit des Dichters aus, nämlich dnrch die, Ergebnisse des abstrakten Denkens mit
umfassender Naturkunde in solcher Weise zu verschmelzen, daß sie wirklich dem
Gebiete der Poesie sich verschwistern, nicht bloß in dasselbe verpflanzt erscheinen.

Wollte mau im übrigen das oben Zitirte und das über die spätern Dich¬
tungen des Verfassers Gesagte als für den Inhalt des Buches vorzugsweise, oder
gar charakteristisch ansehen, so würde man zu einer irrige" Auffassung desselben ge¬
langen. Wenige Dichter haben mit so kühnen Klängen die Rechte des Herzens,
die Wonne der Liebe gefeiert, und wenige mit einer so geringen Anzahl von Ge¬
dichten der Glut ihres sinnlichen Empfindens einen gleich scharf geschnittenen Stenipel
aufgedrückt wie Fischer. Es sei hier nur an die Gedichte "Pallanza," "Ein Gott
auf Erden," "Sängerweihe," "Dem Eros," "Die Schwalbe" erinnert. Der Raum
verbietet es, näher auf dieselbe" einzugehen. Hervorgehoben seien aber wenigstens
aus verwandter, wenn auch abgedämpfter Stimmung die schönen Gedichte "Mit
meiner Königin," "Sommernachmittag," "Der Brückeugeist" und die gemütlich oder
humoristisch gefärbten "Der Küsterknabe," "Fuhrleut," "Elysium," "Schneegang"
und ähnliches, wobei der Dichter mit Geschick den Naturton durch mundartliche
Laute unterstützt. Zum Schluß eiues der kürzesten Gedichte:


Wer weiß, wenn ihm ein Glück geboren,
Wie reich der Himmel ihn begabt?
Erst wenn du alles hast verloren,
Dann weißt du, was du lieb gehabt.
Kein Herz mag seinen Schatz ermessen,
So lang er ihm gegeben ist,
Und du erfährst, was du besessen,
Erst wenn du ganz verlassen bist.



Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L. Hcrbig in Leipzig. -- Druck von Carl Marqunrt in Raudnitz-Leipzig
Literatur.

und über die Formeln verknöcherter Systeme, In dein Gedichte „Letzte Zuflucht"
ruft er:


Und so hadern sie noch lange
Um den Gott und „Menschensohn,"
Bis vor ihres Kampfes Drange
Alle Zweifel sind entflohn;
Wenn der letzte dann erledigt
Und herein der Morgen bricht,
Bleibt vom Berge noch die Predigt
Und vom Himmel noch das Licht.

Aber wohin mit allen Spitzfindigkeiten, ruft er weiter, mit allen Um-
chreilmngen!


Suchet, sucht, wie ihrs beweisen
Und das Wesen fassen sollt,
Aber „Gott" müßt ihr es heißen,
Was ihr Höchstes denken wollt;
Heil'ge Flamme fühlst du brennen,
Göttliche in deiner Brust,
Warum scheust du dich zu nennen,
Was du doch empfinden mußt?

Ein großer Teil der Gedichte aus reifen Jahren ist den tiefen Rätseln des
Menschendaseins gewidmet und zeichnet sich durch eine besonders glückliche Fähig¬
keit des Dichters aus, nämlich dnrch die, Ergebnisse des abstrakten Denkens mit
umfassender Naturkunde in solcher Weise zu verschmelzen, daß sie wirklich dem
Gebiete der Poesie sich verschwistern, nicht bloß in dasselbe verpflanzt erscheinen.

Wollte mau im übrigen das oben Zitirte und das über die spätern Dich¬
tungen des Verfassers Gesagte als für den Inhalt des Buches vorzugsweise, oder
gar charakteristisch ansehen, so würde man zu einer irrige» Auffassung desselben ge¬
langen. Wenige Dichter haben mit so kühnen Klängen die Rechte des Herzens,
die Wonne der Liebe gefeiert, und wenige mit einer so geringen Anzahl von Ge¬
dichten der Glut ihres sinnlichen Empfindens einen gleich scharf geschnittenen Stenipel
aufgedrückt wie Fischer. Es sei hier nur an die Gedichte „Pallanza," „Ein Gott
auf Erden," „Sängerweihe," „Dem Eros," „Die Schwalbe" erinnert. Der Raum
verbietet es, näher auf dieselbe» einzugehen. Hervorgehoben seien aber wenigstens
aus verwandter, wenn auch abgedämpfter Stimmung die schönen Gedichte „Mit
meiner Königin," „Sommernachmittag," „Der Brückeugeist" und die gemütlich oder
humoristisch gefärbten „Der Küsterknabe," „Fuhrleut," „Elysium," „Schneegang"
und ähnliches, wobei der Dichter mit Geschick den Naturton durch mundartliche
Laute unterstützt. Zum Schluß eiues der kürzesten Gedichte:


Wer weiß, wenn ihm ein Glück geboren,
Wie reich der Himmel ihn begabt?
Erst wenn du alles hast verloren,
Dann weißt du, was du lieb gehabt.
Kein Herz mag seinen Schatz ermessen,
So lang er ihm gegeben ist,
Und du erfährst, was du besessen,
Erst wenn du ganz verlassen bist.



Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L. Hcrbig in Leipzig. — Druck von Carl Marqunrt in Raudnitz-Leipzig
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[0434] Literatur. und über die Formeln verknöcherter Systeme, In dein Gedichte „Letzte Zuflucht" ruft er: Und so hadern sie noch lange Um den Gott und „Menschensohn," Bis vor ihres Kampfes Drange Alle Zweifel sind entflohn; Wenn der letzte dann erledigt Und herein der Morgen bricht, Bleibt vom Berge noch die Predigt Und vom Himmel noch das Licht. Aber wohin mit allen Spitzfindigkeiten, ruft er weiter, mit allen Um- chreilmngen! Suchet, sucht, wie ihrs beweisen Und das Wesen fassen sollt, Aber „Gott" müßt ihr es heißen, Was ihr Höchstes denken wollt; Heil'ge Flamme fühlst du brennen, Göttliche in deiner Brust, Warum scheust du dich zu nennen, Was du doch empfinden mußt? Ein großer Teil der Gedichte aus reifen Jahren ist den tiefen Rätseln des Menschendaseins gewidmet und zeichnet sich durch eine besonders glückliche Fähig¬ keit des Dichters aus, nämlich dnrch die, Ergebnisse des abstrakten Denkens mit umfassender Naturkunde in solcher Weise zu verschmelzen, daß sie wirklich dem Gebiete der Poesie sich verschwistern, nicht bloß in dasselbe verpflanzt erscheinen. Wollte mau im übrigen das oben Zitirte und das über die spätern Dich¬ tungen des Verfassers Gesagte als für den Inhalt des Buches vorzugsweise, oder gar charakteristisch ansehen, so würde man zu einer irrige» Auffassung desselben ge¬ langen. Wenige Dichter haben mit so kühnen Klängen die Rechte des Herzens, die Wonne der Liebe gefeiert, und wenige mit einer so geringen Anzahl von Ge¬ dichten der Glut ihres sinnlichen Empfindens einen gleich scharf geschnittenen Stenipel aufgedrückt wie Fischer. Es sei hier nur an die Gedichte „Pallanza," „Ein Gott auf Erden," „Sängerweihe," „Dem Eros," „Die Schwalbe" erinnert. Der Raum verbietet es, näher auf dieselbe» einzugehen. Hervorgehoben seien aber wenigstens aus verwandter, wenn auch abgedämpfter Stimmung die schönen Gedichte „Mit meiner Königin," „Sommernachmittag," „Der Brückeugeist" und die gemütlich oder humoristisch gefärbten „Der Küsterknabe," „Fuhrleut," „Elysium," „Schneegang" und ähnliches, wobei der Dichter mit Geschick den Naturton durch mundartliche Laute unterstützt. Zum Schluß eiues der kürzesten Gedichte: Wer weiß, wenn ihm ein Glück geboren, Wie reich der Himmel ihn begabt? Erst wenn du alles hast verloren, Dann weißt du, was du lieb gehabt. Kein Herz mag seinen Schatz ermessen, So lang er ihm gegeben ist, Und du erfährst, was du besessen, Erst wenn du ganz verlassen bist. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von F. L. Hcrbig in Leipzig. — Druck von Carl Marqunrt in Raudnitz-Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/434>, abgerufen am 01.09.2024.