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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.

so berühmt, in poetische Sprache übertragen dürfe, Oswald wollte den Triumph¬
zug der Kirche weder als Dekorationsstück noch als Verherrlichung einer Re¬
ligion behandeln, die in ihrer frühern Gestaltung längst den Gemütern der
Menschen entschwunden war. Er hielt sich fiir unfähig und im Vergleich zu deu
Malern früherer Zeiten auch unwert, ein Madonnenbild zu malen, weil ihm
der kindliche Glaube fehlte, welcher einst die Hand der frommen Meister geführt
hatte. Ihm war das Christentum lediglich ein Sieg des Geistes und des Herzens,
zu dessen reinem, von keinen starren Dogmen getrübten Kultus sich noch heute
der Mensch wendet, dem die Rätsel der Natur ungelöst bleiben, der unter der
Last des Lebens seufzt und mit seinen Lockungen kämpft. In diesem Sinne
sollte die Kirche über die gemeine Genußsucht und den gedankenlosen, die Welt
in Atome zerlegenden Materialismus der Epoche sieghaft dargestellt werden.
Zu dieser Erkenntnis sollte der geprüfte und urteilsreife Mensch gelangen, und
indem er sich dieser Offenbarung hingab, mußten zugleich vor dem strahlenden
Glänze des kirchlichen Gedankens die Repräsentanten des modernen Zeitgeistes
die Flucht ergreifen und wie im Nebel verschwinden. So erschien das ganze
Bild als eine Vision, welche nur von dem Dcmteschen Gesang die Anregung und
vieles in der äußern Gestaltung entlehnt hatte. Zu den trügerischen Gütern,
welche mit ihren Verlockungen dem Menschen Fallstricke legten und nun vor
dem im Nimbus strahlenden Triumphwagen der die geistige Idee repräsentirenden
Kirche im Nebel zerstoben, gehörte auch die Sinnlichkeit, dargestellt von
einer Gruppe weiblicher Dämonen, deren Anführerin mit der Brandfackel in
der Hand über einen Haufen von Leichen dcchinschritt. Unwillkürlich hatte Os¬
wald schon in dem ersten Entwurf diesem führenden Dämon die Züge Mar¬
garetens gegeben und sich zuletzt so sehr in diesen Gedanken vertieft, daß das
dämonenhafte Weib den hauptsächlichen Gegensatz zu Beatrice-Francesca bildete
und sich um diese beiden Frauengestalten die einzelnen Teile des Bildes grup-
pirten. Francesca hatte oft genug ihren Mann mit dieser unbekannten Schön¬
heit geneckt, denn Oswald hatte bisher immer Scheu empfunden, dein reinen
Herzen seiner Frau ein Bild jener bewußten Koketterie vorzuführen, dessen
Opfer er dereinst geworden war. Freilich, wer das Gemälde unbefangen be¬
trachtete, mußte sich sagen, daß der Künstler noch nicht völlig die Wahl zwischen
dem verführerischen Dämon und der mehr verklärten Beatrice getroffen, vielmehr
neben der geistigen Reinheit die Verlockung so schön gemalt hatte, daß man
vielleicht zweifeln konnte, ob er dieser letzteren nicht noch im entscheidenden
Augenblick folgen würde.

Das Bild wurde rechtzeitig fertig und im August zur Ausstellung nach
Berlin gesandt. Oswald hatte in den letzten Wochen allzu anstrengend daran
gearbeitet, und eine gewisse Abspannung war bei ihm eingetreten. Er war mich
aufgeregt über den Empfang, den man seinem Bilde bereiten würde, und er
begann es schon als Fessel zu fühlen, daß er seinem Kunstwerke nicht nacheilen,


Francesca von Rimini.

so berühmt, in poetische Sprache übertragen dürfe, Oswald wollte den Triumph¬
zug der Kirche weder als Dekorationsstück noch als Verherrlichung einer Re¬
ligion behandeln, die in ihrer frühern Gestaltung längst den Gemütern der
Menschen entschwunden war. Er hielt sich fiir unfähig und im Vergleich zu deu
Malern früherer Zeiten auch unwert, ein Madonnenbild zu malen, weil ihm
der kindliche Glaube fehlte, welcher einst die Hand der frommen Meister geführt
hatte. Ihm war das Christentum lediglich ein Sieg des Geistes und des Herzens,
zu dessen reinem, von keinen starren Dogmen getrübten Kultus sich noch heute
der Mensch wendet, dem die Rätsel der Natur ungelöst bleiben, der unter der
Last des Lebens seufzt und mit seinen Lockungen kämpft. In diesem Sinne
sollte die Kirche über die gemeine Genußsucht und den gedankenlosen, die Welt
in Atome zerlegenden Materialismus der Epoche sieghaft dargestellt werden.
Zu dieser Erkenntnis sollte der geprüfte und urteilsreife Mensch gelangen, und
indem er sich dieser Offenbarung hingab, mußten zugleich vor dem strahlenden
Glänze des kirchlichen Gedankens die Repräsentanten des modernen Zeitgeistes
die Flucht ergreifen und wie im Nebel verschwinden. So erschien das ganze
Bild als eine Vision, welche nur von dem Dcmteschen Gesang die Anregung und
vieles in der äußern Gestaltung entlehnt hatte. Zu den trügerischen Gütern,
welche mit ihren Verlockungen dem Menschen Fallstricke legten und nun vor
dem im Nimbus strahlenden Triumphwagen der die geistige Idee repräsentirenden
Kirche im Nebel zerstoben, gehörte auch die Sinnlichkeit, dargestellt von
einer Gruppe weiblicher Dämonen, deren Anführerin mit der Brandfackel in
der Hand über einen Haufen von Leichen dcchinschritt. Unwillkürlich hatte Os¬
wald schon in dem ersten Entwurf diesem führenden Dämon die Züge Mar¬
garetens gegeben und sich zuletzt so sehr in diesen Gedanken vertieft, daß das
dämonenhafte Weib den hauptsächlichen Gegensatz zu Beatrice-Francesca bildete
und sich um diese beiden Frauengestalten die einzelnen Teile des Bildes grup-
pirten. Francesca hatte oft genug ihren Mann mit dieser unbekannten Schön¬
heit geneckt, denn Oswald hatte bisher immer Scheu empfunden, dein reinen
Herzen seiner Frau ein Bild jener bewußten Koketterie vorzuführen, dessen
Opfer er dereinst geworden war. Freilich, wer das Gemälde unbefangen be¬
trachtete, mußte sich sagen, daß der Künstler noch nicht völlig die Wahl zwischen
dem verführerischen Dämon und der mehr verklärten Beatrice getroffen, vielmehr
neben der geistigen Reinheit die Verlockung so schön gemalt hatte, daß man
vielleicht zweifeln konnte, ob er dieser letzteren nicht noch im entscheidenden
Augenblick folgen würde.

Das Bild wurde rechtzeitig fertig und im August zur Ausstellung nach
Berlin gesandt. Oswald hatte in den letzten Wochen allzu anstrengend daran
gearbeitet, und eine gewisse Abspannung war bei ihm eingetreten. Er war mich
aufgeregt über den Empfang, den man seinem Bilde bereiten würde, und er
begann es schon als Fessel zu fühlen, daß er seinem Kunstwerke nicht nacheilen,


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[0420] Francesca von Rimini. so berühmt, in poetische Sprache übertragen dürfe, Oswald wollte den Triumph¬ zug der Kirche weder als Dekorationsstück noch als Verherrlichung einer Re¬ ligion behandeln, die in ihrer frühern Gestaltung längst den Gemütern der Menschen entschwunden war. Er hielt sich fiir unfähig und im Vergleich zu deu Malern früherer Zeiten auch unwert, ein Madonnenbild zu malen, weil ihm der kindliche Glaube fehlte, welcher einst die Hand der frommen Meister geführt hatte. Ihm war das Christentum lediglich ein Sieg des Geistes und des Herzens, zu dessen reinem, von keinen starren Dogmen getrübten Kultus sich noch heute der Mensch wendet, dem die Rätsel der Natur ungelöst bleiben, der unter der Last des Lebens seufzt und mit seinen Lockungen kämpft. In diesem Sinne sollte die Kirche über die gemeine Genußsucht und den gedankenlosen, die Welt in Atome zerlegenden Materialismus der Epoche sieghaft dargestellt werden. Zu dieser Erkenntnis sollte der geprüfte und urteilsreife Mensch gelangen, und indem er sich dieser Offenbarung hingab, mußten zugleich vor dem strahlenden Glänze des kirchlichen Gedankens die Repräsentanten des modernen Zeitgeistes die Flucht ergreifen und wie im Nebel verschwinden. So erschien das ganze Bild als eine Vision, welche nur von dem Dcmteschen Gesang die Anregung und vieles in der äußern Gestaltung entlehnt hatte. Zu den trügerischen Gütern, welche mit ihren Verlockungen dem Menschen Fallstricke legten und nun vor dem im Nimbus strahlenden Triumphwagen der die geistige Idee repräsentirenden Kirche im Nebel zerstoben, gehörte auch die Sinnlichkeit, dargestellt von einer Gruppe weiblicher Dämonen, deren Anführerin mit der Brandfackel in der Hand über einen Haufen von Leichen dcchinschritt. Unwillkürlich hatte Os¬ wald schon in dem ersten Entwurf diesem führenden Dämon die Züge Mar¬ garetens gegeben und sich zuletzt so sehr in diesen Gedanken vertieft, daß das dämonenhafte Weib den hauptsächlichen Gegensatz zu Beatrice-Francesca bildete und sich um diese beiden Frauengestalten die einzelnen Teile des Bildes grup- pirten. Francesca hatte oft genug ihren Mann mit dieser unbekannten Schön¬ heit geneckt, denn Oswald hatte bisher immer Scheu empfunden, dein reinen Herzen seiner Frau ein Bild jener bewußten Koketterie vorzuführen, dessen Opfer er dereinst geworden war. Freilich, wer das Gemälde unbefangen be¬ trachtete, mußte sich sagen, daß der Künstler noch nicht völlig die Wahl zwischen dem verführerischen Dämon und der mehr verklärten Beatrice getroffen, vielmehr neben der geistigen Reinheit die Verlockung so schön gemalt hatte, daß man vielleicht zweifeln konnte, ob er dieser letzteren nicht noch im entscheidenden Augenblick folgen würde. Das Bild wurde rechtzeitig fertig und im August zur Ausstellung nach Berlin gesandt. Oswald hatte in den letzten Wochen allzu anstrengend daran gearbeitet, und eine gewisse Abspannung war bei ihm eingetreten. Er war mich aufgeregt über den Empfang, den man seinem Bilde bereiten würde, und er begann es schon als Fessel zu fühlen, daß er seinem Kunstwerke nicht nacheilen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/420>, abgerufen am 28.07.2024.