Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Francesca von Rimini.

genug sagen, wenn er an seine letzte Unterredung mit Margarete zurückdachte.
Francescas Einfluß läuterte seine Ansichten? nicht in dem äußern Glänze, nicht
in dem Haschen nach Effekten und in dem Beifall der Menge sollte der Künstler
nach ihrer Meinung seinen Ruhm suchen, sondern in der eignen Befriedigung,
die er aus seinem Kunstwerk schöpfte, in dem Ziele, das Ideal des Schönen und
Guten zu erreichen. Nicht selten änderte unser Freund nach solchen Bemerkungen
seine Entwürfe, und er gestand ihr oft, daß er sich als ihr Schüler betrachte,
und daß er einen bessern Meister als sie garnicht habe finden können. Im
Scherze behauptete er dann auch, daß sie eine neue Malerschule in Rimini be¬
gründen würde, die sich an die Schulen der alten klassischen Künstler würdig
anreihen solle.

Und wie war dabei das Leben des Mädchens so einfach und anspruchslos
In Rimini gab es nicht Theater und Konzerte, und wenn auch in der Stagione
einmal eine Operngesellschaft ihre Vorstellungen gab, Francesca kam nur selten
in eine solche, da sie den Marchese, der die Öffentlichkeit nicht liebte, nicht allein
im Hause lassen wollte. Die berühmten Orte ihres Vaterlandes, in welche sich
alljährlich der reiche Stroni der Fremden ergoß, hatte sie noch niemals kennen
gelernt, obwohl sie mit ihrer Geschichte und ihren Kunstwerken in genauester
Weise vertraut war. Entbehrungen dieser Art schien sie garnicht zu fühlen;
sie wußte sich die kleinen Begebenheiten ihres häuslichen Lebens anmutig zu
gestalten und lebte in dem kleinen Kreise glücklich und zufrieden.

Die Leitung des Hauswesens stand in vollem Einklang zu ihrem sonstigen
Thun; es war bewundernswert, wie sie es verstand, mit den kleinen Einkünften,
die dem Marchese aus dem Schiffbruch seines Lebens übrig geblieben waren,
derartig auszukommen, daß das Haus noch immer des alten Glanzes und des
überkommenen Namens würdig war. So fern auch ihrem Charakter Stolz und
Dünkel lag, so wenig vergaß sie doch, daß sie der Abkömmling eines alten
ruhmreichen Geschlechtes war, für ihre Dienerschaft war sie eine gütige Herrin,
von den Armen und Kranken ihrer Parochie war sie wie eine Heilige verehrt.
An jedem Morgen, wenn sie mit dem Marchese das Frühstück eingenommen
und dieser sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen hatte, begab sich Francesca,
von Marietta, ihrer alten Dienerin, begleitet, zur Messe nach San Giuliano,
und von dort zu ihren Pfleglingen, die sie unterstützte. Es lag etwas Wahres
darin, wenn das abergläubische Volk behauptete, daß schon ihr Blick heile. Wenn
sie in ein Krankenzimmer trat, so fühlte der Kranke seine Schmerzen geringer
werden, ihr trostreicher Zuspruch gab den Verzweifelnden neue Hoffnung, ihre
Milde stärkte die Ungeduldigen, ihre Sanftmut versöhnte die Streitenden.

Alles dieses sah Oswald unter seinen Augen unbemerkt und geräuschlos
vor sich gehen, oft schlich er ihr unbemerkt nach, und wenn er hinter dem Pfeiler
der Kirche stand und beobachtete, mit welcher Inbrunst Francesca ihr Gebet
verrichtete, da pries er diejenigen glücklich, die in jene Bitten eingeschlossen wurden,


Francesca von Rimini.

genug sagen, wenn er an seine letzte Unterredung mit Margarete zurückdachte.
Francescas Einfluß läuterte seine Ansichten? nicht in dem äußern Glänze, nicht
in dem Haschen nach Effekten und in dem Beifall der Menge sollte der Künstler
nach ihrer Meinung seinen Ruhm suchen, sondern in der eignen Befriedigung,
die er aus seinem Kunstwerk schöpfte, in dem Ziele, das Ideal des Schönen und
Guten zu erreichen. Nicht selten änderte unser Freund nach solchen Bemerkungen
seine Entwürfe, und er gestand ihr oft, daß er sich als ihr Schüler betrachte,
und daß er einen bessern Meister als sie garnicht habe finden können. Im
Scherze behauptete er dann auch, daß sie eine neue Malerschule in Rimini be¬
gründen würde, die sich an die Schulen der alten klassischen Künstler würdig
anreihen solle.

Und wie war dabei das Leben des Mädchens so einfach und anspruchslos
In Rimini gab es nicht Theater und Konzerte, und wenn auch in der Stagione
einmal eine Operngesellschaft ihre Vorstellungen gab, Francesca kam nur selten
in eine solche, da sie den Marchese, der die Öffentlichkeit nicht liebte, nicht allein
im Hause lassen wollte. Die berühmten Orte ihres Vaterlandes, in welche sich
alljährlich der reiche Stroni der Fremden ergoß, hatte sie noch niemals kennen
gelernt, obwohl sie mit ihrer Geschichte und ihren Kunstwerken in genauester
Weise vertraut war. Entbehrungen dieser Art schien sie garnicht zu fühlen;
sie wußte sich die kleinen Begebenheiten ihres häuslichen Lebens anmutig zu
gestalten und lebte in dem kleinen Kreise glücklich und zufrieden.

Die Leitung des Hauswesens stand in vollem Einklang zu ihrem sonstigen
Thun; es war bewundernswert, wie sie es verstand, mit den kleinen Einkünften,
die dem Marchese aus dem Schiffbruch seines Lebens übrig geblieben waren,
derartig auszukommen, daß das Haus noch immer des alten Glanzes und des
überkommenen Namens würdig war. So fern auch ihrem Charakter Stolz und
Dünkel lag, so wenig vergaß sie doch, daß sie der Abkömmling eines alten
ruhmreichen Geschlechtes war, für ihre Dienerschaft war sie eine gütige Herrin,
von den Armen und Kranken ihrer Parochie war sie wie eine Heilige verehrt.
An jedem Morgen, wenn sie mit dem Marchese das Frühstück eingenommen
und dieser sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen hatte, begab sich Francesca,
von Marietta, ihrer alten Dienerin, begleitet, zur Messe nach San Giuliano,
und von dort zu ihren Pfleglingen, die sie unterstützte. Es lag etwas Wahres
darin, wenn das abergläubische Volk behauptete, daß schon ihr Blick heile. Wenn
sie in ein Krankenzimmer trat, so fühlte der Kranke seine Schmerzen geringer
werden, ihr trostreicher Zuspruch gab den Verzweifelnden neue Hoffnung, ihre
Milde stärkte die Ungeduldigen, ihre Sanftmut versöhnte die Streitenden.

Alles dieses sah Oswald unter seinen Augen unbemerkt und geräuschlos
vor sich gehen, oft schlich er ihr unbemerkt nach, und wenn er hinter dem Pfeiler
der Kirche stand und beobachtete, mit welcher Inbrunst Francesca ihr Gebet
verrichtete, da pries er diejenigen glücklich, die in jene Bitten eingeschlossen wurden,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0415" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154580"/>
            <fw type="header" place="top"> Francesca von Rimini.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1226" prev="#ID_1225"> genug sagen, wenn er an seine letzte Unterredung mit Margarete zurückdachte.<lb/>
Francescas Einfluß läuterte seine Ansichten? nicht in dem äußern Glänze, nicht<lb/>
in dem Haschen nach Effekten und in dem Beifall der Menge sollte der Künstler<lb/>
nach ihrer Meinung seinen Ruhm suchen, sondern in der eignen Befriedigung,<lb/>
die er aus seinem Kunstwerk schöpfte, in dem Ziele, das Ideal des Schönen und<lb/>
Guten zu erreichen. Nicht selten änderte unser Freund nach solchen Bemerkungen<lb/>
seine Entwürfe, und er gestand ihr oft, daß er sich als ihr Schüler betrachte,<lb/>
und daß er einen bessern Meister als sie garnicht habe finden können. Im<lb/>
Scherze behauptete er dann auch, daß sie eine neue Malerschule in Rimini be¬<lb/>
gründen würde, die sich an die Schulen der alten klassischen Künstler würdig<lb/>
anreihen solle.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1227"> Und wie war dabei das Leben des Mädchens so einfach und anspruchslos<lb/>
In Rimini gab es nicht Theater und Konzerte, und wenn auch in der Stagione<lb/>
einmal eine Operngesellschaft ihre Vorstellungen gab, Francesca kam nur selten<lb/>
in eine solche, da sie den Marchese, der die Öffentlichkeit nicht liebte, nicht allein<lb/>
im Hause lassen wollte. Die berühmten Orte ihres Vaterlandes, in welche sich<lb/>
alljährlich der reiche Stroni der Fremden ergoß, hatte sie noch niemals kennen<lb/>
gelernt, obwohl sie mit ihrer Geschichte und ihren Kunstwerken in genauester<lb/>
Weise vertraut war. Entbehrungen dieser Art schien sie garnicht zu fühlen;<lb/>
sie wußte sich die kleinen Begebenheiten ihres häuslichen Lebens anmutig zu<lb/>
gestalten und lebte in dem kleinen Kreise glücklich und zufrieden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1228"> Die Leitung des Hauswesens stand in vollem Einklang zu ihrem sonstigen<lb/>
Thun; es war bewundernswert, wie sie es verstand, mit den kleinen Einkünften,<lb/>
die dem Marchese aus dem Schiffbruch seines Lebens übrig geblieben waren,<lb/>
derartig auszukommen, daß das Haus noch immer des alten Glanzes und des<lb/>
überkommenen Namens würdig war. So fern auch ihrem Charakter Stolz und<lb/>
Dünkel lag, so wenig vergaß sie doch, daß sie der Abkömmling eines alten<lb/>
ruhmreichen Geschlechtes war, für ihre Dienerschaft war sie eine gütige Herrin,<lb/>
von den Armen und Kranken ihrer Parochie war sie wie eine Heilige verehrt.<lb/>
An jedem Morgen, wenn sie mit dem Marchese das Frühstück eingenommen<lb/>
und dieser sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen hatte, begab sich Francesca,<lb/>
von Marietta, ihrer alten Dienerin, begleitet, zur Messe nach San Giuliano,<lb/>
und von dort zu ihren Pfleglingen, die sie unterstützte. Es lag etwas Wahres<lb/>
darin, wenn das abergläubische Volk behauptete, daß schon ihr Blick heile. Wenn<lb/>
sie in ein Krankenzimmer trat, so fühlte der Kranke seine Schmerzen geringer<lb/>
werden, ihr trostreicher Zuspruch gab den Verzweifelnden neue Hoffnung, ihre<lb/>
Milde stärkte die Ungeduldigen, ihre Sanftmut versöhnte die Streitenden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1229" next="#ID_1230"> Alles dieses sah Oswald unter seinen Augen unbemerkt und geräuschlos<lb/>
vor sich gehen, oft schlich er ihr unbemerkt nach, und wenn er hinter dem Pfeiler<lb/>
der Kirche stand und beobachtete, mit welcher Inbrunst Francesca ihr Gebet<lb/>
verrichtete, da pries er diejenigen glücklich, die in jene Bitten eingeschlossen wurden,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0415] Francesca von Rimini. genug sagen, wenn er an seine letzte Unterredung mit Margarete zurückdachte. Francescas Einfluß läuterte seine Ansichten? nicht in dem äußern Glänze, nicht in dem Haschen nach Effekten und in dem Beifall der Menge sollte der Künstler nach ihrer Meinung seinen Ruhm suchen, sondern in der eignen Befriedigung, die er aus seinem Kunstwerk schöpfte, in dem Ziele, das Ideal des Schönen und Guten zu erreichen. Nicht selten änderte unser Freund nach solchen Bemerkungen seine Entwürfe, und er gestand ihr oft, daß er sich als ihr Schüler betrachte, und daß er einen bessern Meister als sie garnicht habe finden können. Im Scherze behauptete er dann auch, daß sie eine neue Malerschule in Rimini be¬ gründen würde, die sich an die Schulen der alten klassischen Künstler würdig anreihen solle. Und wie war dabei das Leben des Mädchens so einfach und anspruchslos In Rimini gab es nicht Theater und Konzerte, und wenn auch in der Stagione einmal eine Operngesellschaft ihre Vorstellungen gab, Francesca kam nur selten in eine solche, da sie den Marchese, der die Öffentlichkeit nicht liebte, nicht allein im Hause lassen wollte. Die berühmten Orte ihres Vaterlandes, in welche sich alljährlich der reiche Stroni der Fremden ergoß, hatte sie noch niemals kennen gelernt, obwohl sie mit ihrer Geschichte und ihren Kunstwerken in genauester Weise vertraut war. Entbehrungen dieser Art schien sie garnicht zu fühlen; sie wußte sich die kleinen Begebenheiten ihres häuslichen Lebens anmutig zu gestalten und lebte in dem kleinen Kreise glücklich und zufrieden. Die Leitung des Hauswesens stand in vollem Einklang zu ihrem sonstigen Thun; es war bewundernswert, wie sie es verstand, mit den kleinen Einkünften, die dem Marchese aus dem Schiffbruch seines Lebens übrig geblieben waren, derartig auszukommen, daß das Haus noch immer des alten Glanzes und des überkommenen Namens würdig war. So fern auch ihrem Charakter Stolz und Dünkel lag, so wenig vergaß sie doch, daß sie der Abkömmling eines alten ruhmreichen Geschlechtes war, für ihre Dienerschaft war sie eine gütige Herrin, von den Armen und Kranken ihrer Parochie war sie wie eine Heilige verehrt. An jedem Morgen, wenn sie mit dem Marchese das Frühstück eingenommen und dieser sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen hatte, begab sich Francesca, von Marietta, ihrer alten Dienerin, begleitet, zur Messe nach San Giuliano, und von dort zu ihren Pfleglingen, die sie unterstützte. Es lag etwas Wahres darin, wenn das abergläubische Volk behauptete, daß schon ihr Blick heile. Wenn sie in ein Krankenzimmer trat, so fühlte der Kranke seine Schmerzen geringer werden, ihr trostreicher Zuspruch gab den Verzweifelnden neue Hoffnung, ihre Milde stärkte die Ungeduldigen, ihre Sanftmut versöhnte die Streitenden. Alles dieses sah Oswald unter seinen Augen unbemerkt und geräuschlos vor sich gehen, oft schlich er ihr unbemerkt nach, und wenn er hinter dem Pfeiler der Kirche stand und beobachtete, mit welcher Inbrunst Francesca ihr Gebet verrichtete, da pries er diejenigen glücklich, die in jene Bitten eingeschlossen wurden,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/415
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/415>, abgerufen am 28.07.2024.