Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Francesca von Rimini.

Werk sich verlängern sah. Oswald war nicht bloß ein stummer Zuhörer, er
griff selbst oft in die Lektüre ein und veranlaßte nicht selten Francesca zu leb¬
haftem Disput, sobald er sich mit dem einen oder andern Urteil nicht einver¬
standen erklärte. Wenn es daher Oswald mit dem Bilde auch nicht wie Pene-
lope mit ihrem Gewebe machte, so kam es doch vor, daß in mancher Sitzung
nicht ein Pinselstrich gethan wurde. Auch wurde der ursprüngliche Plan ge¬
ändert und statt des Porträts ein Bild in Lebensgröße beschlossen.

Oswald konnte es sich allmählich nicht mehr verhehlen, daß er unter dem
Banne Francescas stand. Zwar bemühte er sich, um die Ernstlichkeit seiner
wachsenden Neigung zu erproben, mit den alten Erinnerungen gegen die Regung
einer neuen Liebe anzukämpfen. Oft wieder hielt er es für eine Entweihung,
die reine Seele dieses Mädchens in den Kreis seiner Erlebnisse zu ziehen. Aber
je mehr er auch dagegen kämpfte, desto festere Wurzeln schlug seine neue Liebe,
und wenn die Marchesina einmal durch häusliche Arbeiten oder durch die Pflege
des fortwährend kränkelnden Oheims verhindert wurde, zu der bestimmten Zeit
in das Atelier zu kommen, so war für Oswald alle Ruhe hin; er konnte es dann
nicht mehr zu Hause aushalten, sondern mußte hinaus ins Freie, an das Meer
und in die Berge, ohne daß es ihm gelang, sein stürmisches Jnnere zu beruhigen.

In dem ganzen Auftreten des Mädchens lag eine mit Hoheit gepaarte
Anmut; es genügte schon, daß sie ins Zimmer trat, um bei allen An¬
wesenden ein Gefühl hoher Befriedigung zu erwecken. Es war, als ob nur
sie Frieden und Heiterkeit zu verbreiten verstünde. Waren die Männer einmal
in eine lebhaftere Debatte geraten, so namentlich wenn Rebecchini selbst un¬
streitig Gutes von der Kirche und ihrer Regierung durchaus nicht anerkennen
wollte, so bedürfte es nur einer Bemerkung Francescas, und das erlösende Wort
war gefunden, welches die volle Harmonie wieder herstellte. Francesca hatte
einen Schatz gediegenen Wissens gesammelt; ohne daß der Marchese es merkte,
war sie bald mit seinen Studien vertraut, und ihr sinniges Urteil trug nicht
selten dazu bei, den gelehrten Mann auf neue Gesichtspunkte aufmerksam zu
machen und seinen Forschungen neue Bahnen zu weisen. Aber sie war weit
entfernt, mit ihrem Wissen zu glänzen, und wenn sie in schlichter Weise ihre
bescheidne Meinung äußerte, konnte Oswald den Gegensatz fühlen zwischen ihrer
gediegenen und anspruchslosen Art und jenen zwar geistreichen, aber witzelnden
und oft paradoxen, zum Widerspruch auffordernden Bemerkungen der jungen
Damen aus seinen frühern Kreisen. Mit dem lebhaftesten Interesse teilte Fran¬
cesca die Bestrebungen der Männer, mit unermüdlicher Geduld ließ sie sich ihre
kleinen Schwächen gefallen, sie ging ebenso sehr darauf ein, wenn der Marchese
die Gegensätze der Philosophie des Thomas von Aquino und Aristoteles aus¬
einandersetzte, wie wenn Rebecchini die Echtheit einer archivalischen Urkunde ver¬
teidigte, oder wenn Oswald seine Ansichten über Kunst entwickelte. Sie war
in der That zur Genossin des Mannes bestimmt, das mußte sich Oswald oft


Francesca von Rimini.

Werk sich verlängern sah. Oswald war nicht bloß ein stummer Zuhörer, er
griff selbst oft in die Lektüre ein und veranlaßte nicht selten Francesca zu leb¬
haftem Disput, sobald er sich mit dem einen oder andern Urteil nicht einver¬
standen erklärte. Wenn es daher Oswald mit dem Bilde auch nicht wie Pene-
lope mit ihrem Gewebe machte, so kam es doch vor, daß in mancher Sitzung
nicht ein Pinselstrich gethan wurde. Auch wurde der ursprüngliche Plan ge¬
ändert und statt des Porträts ein Bild in Lebensgröße beschlossen.

Oswald konnte es sich allmählich nicht mehr verhehlen, daß er unter dem
Banne Francescas stand. Zwar bemühte er sich, um die Ernstlichkeit seiner
wachsenden Neigung zu erproben, mit den alten Erinnerungen gegen die Regung
einer neuen Liebe anzukämpfen. Oft wieder hielt er es für eine Entweihung,
die reine Seele dieses Mädchens in den Kreis seiner Erlebnisse zu ziehen. Aber
je mehr er auch dagegen kämpfte, desto festere Wurzeln schlug seine neue Liebe,
und wenn die Marchesina einmal durch häusliche Arbeiten oder durch die Pflege
des fortwährend kränkelnden Oheims verhindert wurde, zu der bestimmten Zeit
in das Atelier zu kommen, so war für Oswald alle Ruhe hin; er konnte es dann
nicht mehr zu Hause aushalten, sondern mußte hinaus ins Freie, an das Meer
und in die Berge, ohne daß es ihm gelang, sein stürmisches Jnnere zu beruhigen.

In dem ganzen Auftreten des Mädchens lag eine mit Hoheit gepaarte
Anmut; es genügte schon, daß sie ins Zimmer trat, um bei allen An¬
wesenden ein Gefühl hoher Befriedigung zu erwecken. Es war, als ob nur
sie Frieden und Heiterkeit zu verbreiten verstünde. Waren die Männer einmal
in eine lebhaftere Debatte geraten, so namentlich wenn Rebecchini selbst un¬
streitig Gutes von der Kirche und ihrer Regierung durchaus nicht anerkennen
wollte, so bedürfte es nur einer Bemerkung Francescas, und das erlösende Wort
war gefunden, welches die volle Harmonie wieder herstellte. Francesca hatte
einen Schatz gediegenen Wissens gesammelt; ohne daß der Marchese es merkte,
war sie bald mit seinen Studien vertraut, und ihr sinniges Urteil trug nicht
selten dazu bei, den gelehrten Mann auf neue Gesichtspunkte aufmerksam zu
machen und seinen Forschungen neue Bahnen zu weisen. Aber sie war weit
entfernt, mit ihrem Wissen zu glänzen, und wenn sie in schlichter Weise ihre
bescheidne Meinung äußerte, konnte Oswald den Gegensatz fühlen zwischen ihrer
gediegenen und anspruchslosen Art und jenen zwar geistreichen, aber witzelnden
und oft paradoxen, zum Widerspruch auffordernden Bemerkungen der jungen
Damen aus seinen frühern Kreisen. Mit dem lebhaftesten Interesse teilte Fran¬
cesca die Bestrebungen der Männer, mit unermüdlicher Geduld ließ sie sich ihre
kleinen Schwächen gefallen, sie ging ebenso sehr darauf ein, wenn der Marchese
die Gegensätze der Philosophie des Thomas von Aquino und Aristoteles aus¬
einandersetzte, wie wenn Rebecchini die Echtheit einer archivalischen Urkunde ver¬
teidigte, oder wenn Oswald seine Ansichten über Kunst entwickelte. Sie war
in der That zur Genossin des Mannes bestimmt, das mußte sich Oswald oft


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0414" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154579"/>
            <fw type="header" place="top"> Francesca von Rimini.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1223" prev="#ID_1222"> Werk sich verlängern sah. Oswald war nicht bloß ein stummer Zuhörer, er<lb/>
griff selbst oft in die Lektüre ein und veranlaßte nicht selten Francesca zu leb¬<lb/>
haftem Disput, sobald er sich mit dem einen oder andern Urteil nicht einver¬<lb/>
standen erklärte. Wenn es daher Oswald mit dem Bilde auch nicht wie Pene-<lb/>
lope mit ihrem Gewebe machte, so kam es doch vor, daß in mancher Sitzung<lb/>
nicht ein Pinselstrich gethan wurde. Auch wurde der ursprüngliche Plan ge¬<lb/>
ändert und statt des Porträts ein Bild in Lebensgröße beschlossen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1224"> Oswald konnte es sich allmählich nicht mehr verhehlen, daß er unter dem<lb/>
Banne Francescas stand. Zwar bemühte er sich, um die Ernstlichkeit seiner<lb/>
wachsenden Neigung zu erproben, mit den alten Erinnerungen gegen die Regung<lb/>
einer neuen Liebe anzukämpfen. Oft wieder hielt er es für eine Entweihung,<lb/>
die reine Seele dieses Mädchens in den Kreis seiner Erlebnisse zu ziehen. Aber<lb/>
je mehr er auch dagegen kämpfte, desto festere Wurzeln schlug seine neue Liebe,<lb/>
und wenn die Marchesina einmal durch häusliche Arbeiten oder durch die Pflege<lb/>
des fortwährend kränkelnden Oheims verhindert wurde, zu der bestimmten Zeit<lb/>
in das Atelier zu kommen, so war für Oswald alle Ruhe hin; er konnte es dann<lb/>
nicht mehr zu Hause aushalten, sondern mußte hinaus ins Freie, an das Meer<lb/>
und in die Berge, ohne daß es ihm gelang, sein stürmisches Jnnere zu beruhigen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1225" next="#ID_1226"> In dem ganzen Auftreten des Mädchens lag eine mit Hoheit gepaarte<lb/>
Anmut; es genügte schon, daß sie ins Zimmer trat, um bei allen An¬<lb/>
wesenden ein Gefühl hoher Befriedigung zu erwecken. Es war, als ob nur<lb/>
sie Frieden und Heiterkeit zu verbreiten verstünde. Waren die Männer einmal<lb/>
in eine lebhaftere Debatte geraten, so namentlich wenn Rebecchini selbst un¬<lb/>
streitig Gutes von der Kirche und ihrer Regierung durchaus nicht anerkennen<lb/>
wollte, so bedürfte es nur einer Bemerkung Francescas, und das erlösende Wort<lb/>
war gefunden, welches die volle Harmonie wieder herstellte. Francesca hatte<lb/>
einen Schatz gediegenen Wissens gesammelt; ohne daß der Marchese es merkte,<lb/>
war sie bald mit seinen Studien vertraut, und ihr sinniges Urteil trug nicht<lb/>
selten dazu bei, den gelehrten Mann auf neue Gesichtspunkte aufmerksam zu<lb/>
machen und seinen Forschungen neue Bahnen zu weisen. Aber sie war weit<lb/>
entfernt, mit ihrem Wissen zu glänzen, und wenn sie in schlichter Weise ihre<lb/>
bescheidne Meinung äußerte, konnte Oswald den Gegensatz fühlen zwischen ihrer<lb/>
gediegenen und anspruchslosen Art und jenen zwar geistreichen, aber witzelnden<lb/>
und oft paradoxen, zum Widerspruch auffordernden Bemerkungen der jungen<lb/>
Damen aus seinen frühern Kreisen. Mit dem lebhaftesten Interesse teilte Fran¬<lb/>
cesca die Bestrebungen der Männer, mit unermüdlicher Geduld ließ sie sich ihre<lb/>
kleinen Schwächen gefallen, sie ging ebenso sehr darauf ein, wenn der Marchese<lb/>
die Gegensätze der Philosophie des Thomas von Aquino und Aristoteles aus¬<lb/>
einandersetzte, wie wenn Rebecchini die Echtheit einer archivalischen Urkunde ver¬<lb/>
teidigte, oder wenn Oswald seine Ansichten über Kunst entwickelte. Sie war<lb/>
in der That zur Genossin des Mannes bestimmt, das mußte sich Oswald oft</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0414] Francesca von Rimini. Werk sich verlängern sah. Oswald war nicht bloß ein stummer Zuhörer, er griff selbst oft in die Lektüre ein und veranlaßte nicht selten Francesca zu leb¬ haftem Disput, sobald er sich mit dem einen oder andern Urteil nicht einver¬ standen erklärte. Wenn es daher Oswald mit dem Bilde auch nicht wie Pene- lope mit ihrem Gewebe machte, so kam es doch vor, daß in mancher Sitzung nicht ein Pinselstrich gethan wurde. Auch wurde der ursprüngliche Plan ge¬ ändert und statt des Porträts ein Bild in Lebensgröße beschlossen. Oswald konnte es sich allmählich nicht mehr verhehlen, daß er unter dem Banne Francescas stand. Zwar bemühte er sich, um die Ernstlichkeit seiner wachsenden Neigung zu erproben, mit den alten Erinnerungen gegen die Regung einer neuen Liebe anzukämpfen. Oft wieder hielt er es für eine Entweihung, die reine Seele dieses Mädchens in den Kreis seiner Erlebnisse zu ziehen. Aber je mehr er auch dagegen kämpfte, desto festere Wurzeln schlug seine neue Liebe, und wenn die Marchesina einmal durch häusliche Arbeiten oder durch die Pflege des fortwährend kränkelnden Oheims verhindert wurde, zu der bestimmten Zeit in das Atelier zu kommen, so war für Oswald alle Ruhe hin; er konnte es dann nicht mehr zu Hause aushalten, sondern mußte hinaus ins Freie, an das Meer und in die Berge, ohne daß es ihm gelang, sein stürmisches Jnnere zu beruhigen. In dem ganzen Auftreten des Mädchens lag eine mit Hoheit gepaarte Anmut; es genügte schon, daß sie ins Zimmer trat, um bei allen An¬ wesenden ein Gefühl hoher Befriedigung zu erwecken. Es war, als ob nur sie Frieden und Heiterkeit zu verbreiten verstünde. Waren die Männer einmal in eine lebhaftere Debatte geraten, so namentlich wenn Rebecchini selbst un¬ streitig Gutes von der Kirche und ihrer Regierung durchaus nicht anerkennen wollte, so bedürfte es nur einer Bemerkung Francescas, und das erlösende Wort war gefunden, welches die volle Harmonie wieder herstellte. Francesca hatte einen Schatz gediegenen Wissens gesammelt; ohne daß der Marchese es merkte, war sie bald mit seinen Studien vertraut, und ihr sinniges Urteil trug nicht selten dazu bei, den gelehrten Mann auf neue Gesichtspunkte aufmerksam zu machen und seinen Forschungen neue Bahnen zu weisen. Aber sie war weit entfernt, mit ihrem Wissen zu glänzen, und wenn sie in schlichter Weise ihre bescheidne Meinung äußerte, konnte Oswald den Gegensatz fühlen zwischen ihrer gediegenen und anspruchslosen Art und jenen zwar geistreichen, aber witzelnden und oft paradoxen, zum Widerspruch auffordernden Bemerkungen der jungen Damen aus seinen frühern Kreisen. Mit dem lebhaftesten Interesse teilte Fran¬ cesca die Bestrebungen der Männer, mit unermüdlicher Geduld ließ sie sich ihre kleinen Schwächen gefallen, sie ging ebenso sehr darauf ein, wenn der Marchese die Gegensätze der Philosophie des Thomas von Aquino und Aristoteles aus¬ einandersetzte, wie wenn Rebecchini die Echtheit einer archivalischen Urkunde ver¬ teidigte, oder wenn Oswald seine Ansichten über Kunst entwickelte. Sie war in der That zur Genossin des Mannes bestimmt, das mußte sich Oswald oft

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/414
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/414>, abgerufen am 01.09.2024.