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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Zur Biographie Franz Grillxarzers.

Es ist nicht zu bezweifeln, daß diese poetisch quietistischcn Ideale eine gewisse
geistige Verwandtschaft mit den politischen Idealen haben, für welche in den
zwanziger Jahren ein Gentz seine Feder einsetzte. Wie weit Grillparzer demnach
wirklich der Dichter der politischen Opposition gewesen ist, als welchen ihn seine
neueren Lobredner ausnahmslos darstellen, dürfte denn doch noch von jenem
Psychologisch darstellenden Biographen schärfer und genauer untersucht werden,
auf welche" Herr Fränkl und wir mit ihm hoffen. Sonst aber mag unser Ver¬
fasser Recht haben, wenn er meint: "Grillparzer bewährte sich als einen der
Söhne seiner Vaterstadt, von welcher der Reimchronist Wolfgang Schmeltzl schon
vor drei Jahrhunderten sang, daß sie Schimpfer sind." Auch in den Literatur-
und Kunsturteilen des Dichters scheint viel von der Grämlichkeit, dem ver¬
drießlichen Nörgeln und dem innerlich widerspruchsvollen Empfinden enthalten
gewesen zu sein, welche die ganze Natur Grillparzers durchsetzten. Was soll
man zu Äußerungen sagen wie der über Friedrich Hebbel: "Er hat viele Be¬
gabung, aber kein Talent," und eine Seite später: "Dieser junge Mensch scheint
noch nicht zu wissen, was das Mögliche im Leben ist. Aber er ist ein Dichter,
wenn ihm auch das, was in der Kunst das höchste ist, die Schönheit, noch nicht
aufgegangen scheint." Oder zu den Urteilen über Feuchtersleben, von dem eine
grobe, unentschuldbare Lüge erzählt und hinzugefügt wird: "Nun war Feuchters¬
leben ein durchweg rechtschaffener, wahrbeitsliebender Mensch. Er war aber
feig und fürchtete eine Straßenszene" oder gar: "Ich lese jetzt Kotzebue. Die
Modernen, die ihn über die Schultern ansehen, verstehen es doch nicht, so ge¬
sund ^!), so drastisch zu sein als er." Alles das ist zu erklären und wahr¬
scheinlich auf eine gemeinsame Quelle, eine feste Anschauung zurückzuführen, aber
unvermittelt, anekdotisch, wie es in dem Büchelchen des Herrn Fränkl dasteht,
erscheint es unsäglich verdrießlich, hypochondrisch und selbst zänkisch.

Rührend wirken die Mitteilungen über die Eindrücke, die dem greisen
Dichter die überschwänglichen Ehren seiner spätesten Tage hinterlassen haben.
"Die Huldigungen, die mir dargebracht werden, betäuben mich, sagte er. Mir
ist, als ob ein Wolkenbruch auf mich niederginge. Es ist viel zu spät! Mehl
als ob ichs jemals erwartet hätte, aber meine Physische Kraft reicht nicht mehr
aus, um all den so gut gemeinten Lärm und Andrang zu ertragen. Die
Menschen sind nicht klug, zu ihrem Nachteil nicht klug. Der hundertste Teil
voll dem, was sie mir jetzt wohlwollend anthun, hätte mich in meinen jungen
Jahren vollauf erquickt, mich zu neuer dichterischer Arbeit aufgemuntert, die mir
zur Ehre, dem österreichischen Volke zur Freude gereicht hätte."

Das vorliegende Schriftchen wird schwerlich über die eigentlich literarischen
Kreise hinauskommen; indeß mögen, bis eine Biographie des Dichters alle zer¬
streuten Mitteilungen über Grillparzer vereinigt, die an sich nicht allzu zahl¬
reichen Freunde seiner Muse auf dasselbe aufmerksam gemacht sein.




Zur Biographie Franz Grillxarzers.

Es ist nicht zu bezweifeln, daß diese poetisch quietistischcn Ideale eine gewisse
geistige Verwandtschaft mit den politischen Idealen haben, für welche in den
zwanziger Jahren ein Gentz seine Feder einsetzte. Wie weit Grillparzer demnach
wirklich der Dichter der politischen Opposition gewesen ist, als welchen ihn seine
neueren Lobredner ausnahmslos darstellen, dürfte denn doch noch von jenem
Psychologisch darstellenden Biographen schärfer und genauer untersucht werden,
auf welche» Herr Fränkl und wir mit ihm hoffen. Sonst aber mag unser Ver¬
fasser Recht haben, wenn er meint: „Grillparzer bewährte sich als einen der
Söhne seiner Vaterstadt, von welcher der Reimchronist Wolfgang Schmeltzl schon
vor drei Jahrhunderten sang, daß sie Schimpfer sind." Auch in den Literatur-
und Kunsturteilen des Dichters scheint viel von der Grämlichkeit, dem ver¬
drießlichen Nörgeln und dem innerlich widerspruchsvollen Empfinden enthalten
gewesen zu sein, welche die ganze Natur Grillparzers durchsetzten. Was soll
man zu Äußerungen sagen wie der über Friedrich Hebbel: „Er hat viele Be¬
gabung, aber kein Talent," und eine Seite später: „Dieser junge Mensch scheint
noch nicht zu wissen, was das Mögliche im Leben ist. Aber er ist ein Dichter,
wenn ihm auch das, was in der Kunst das höchste ist, die Schönheit, noch nicht
aufgegangen scheint." Oder zu den Urteilen über Feuchtersleben, von dem eine
grobe, unentschuldbare Lüge erzählt und hinzugefügt wird: „Nun war Feuchters¬
leben ein durchweg rechtschaffener, wahrbeitsliebender Mensch. Er war aber
feig und fürchtete eine Straßenszene" oder gar: „Ich lese jetzt Kotzebue. Die
Modernen, die ihn über die Schultern ansehen, verstehen es doch nicht, so ge¬
sund ^!), so drastisch zu sein als er." Alles das ist zu erklären und wahr¬
scheinlich auf eine gemeinsame Quelle, eine feste Anschauung zurückzuführen, aber
unvermittelt, anekdotisch, wie es in dem Büchelchen des Herrn Fränkl dasteht,
erscheint es unsäglich verdrießlich, hypochondrisch und selbst zänkisch.

Rührend wirken die Mitteilungen über die Eindrücke, die dem greisen
Dichter die überschwänglichen Ehren seiner spätesten Tage hinterlassen haben.
„Die Huldigungen, die mir dargebracht werden, betäuben mich, sagte er. Mir
ist, als ob ein Wolkenbruch auf mich niederginge. Es ist viel zu spät! Mehl
als ob ichs jemals erwartet hätte, aber meine Physische Kraft reicht nicht mehr
aus, um all den so gut gemeinten Lärm und Andrang zu ertragen. Die
Menschen sind nicht klug, zu ihrem Nachteil nicht klug. Der hundertste Teil
voll dem, was sie mir jetzt wohlwollend anthun, hätte mich in meinen jungen
Jahren vollauf erquickt, mich zu neuer dichterischer Arbeit aufgemuntert, die mir
zur Ehre, dem österreichischen Volke zur Freude gereicht hätte."

Das vorliegende Schriftchen wird schwerlich über die eigentlich literarischen
Kreise hinauskommen; indeß mögen, bis eine Biographie des Dichters alle zer¬
streuten Mitteilungen über Grillparzer vereinigt, die an sich nicht allzu zahl¬
reichen Freunde seiner Muse auf dasselbe aufmerksam gemacht sein.




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[0409] Zur Biographie Franz Grillxarzers. Es ist nicht zu bezweifeln, daß diese poetisch quietistischcn Ideale eine gewisse geistige Verwandtschaft mit den politischen Idealen haben, für welche in den zwanziger Jahren ein Gentz seine Feder einsetzte. Wie weit Grillparzer demnach wirklich der Dichter der politischen Opposition gewesen ist, als welchen ihn seine neueren Lobredner ausnahmslos darstellen, dürfte denn doch noch von jenem Psychologisch darstellenden Biographen schärfer und genauer untersucht werden, auf welche» Herr Fränkl und wir mit ihm hoffen. Sonst aber mag unser Ver¬ fasser Recht haben, wenn er meint: „Grillparzer bewährte sich als einen der Söhne seiner Vaterstadt, von welcher der Reimchronist Wolfgang Schmeltzl schon vor drei Jahrhunderten sang, daß sie Schimpfer sind." Auch in den Literatur- und Kunsturteilen des Dichters scheint viel von der Grämlichkeit, dem ver¬ drießlichen Nörgeln und dem innerlich widerspruchsvollen Empfinden enthalten gewesen zu sein, welche die ganze Natur Grillparzers durchsetzten. Was soll man zu Äußerungen sagen wie der über Friedrich Hebbel: „Er hat viele Be¬ gabung, aber kein Talent," und eine Seite später: „Dieser junge Mensch scheint noch nicht zu wissen, was das Mögliche im Leben ist. Aber er ist ein Dichter, wenn ihm auch das, was in der Kunst das höchste ist, die Schönheit, noch nicht aufgegangen scheint." Oder zu den Urteilen über Feuchtersleben, von dem eine grobe, unentschuldbare Lüge erzählt und hinzugefügt wird: „Nun war Feuchters¬ leben ein durchweg rechtschaffener, wahrbeitsliebender Mensch. Er war aber feig und fürchtete eine Straßenszene" oder gar: „Ich lese jetzt Kotzebue. Die Modernen, die ihn über die Schultern ansehen, verstehen es doch nicht, so ge¬ sund ^!), so drastisch zu sein als er." Alles das ist zu erklären und wahr¬ scheinlich auf eine gemeinsame Quelle, eine feste Anschauung zurückzuführen, aber unvermittelt, anekdotisch, wie es in dem Büchelchen des Herrn Fränkl dasteht, erscheint es unsäglich verdrießlich, hypochondrisch und selbst zänkisch. Rührend wirken die Mitteilungen über die Eindrücke, die dem greisen Dichter die überschwänglichen Ehren seiner spätesten Tage hinterlassen haben. „Die Huldigungen, die mir dargebracht werden, betäuben mich, sagte er. Mir ist, als ob ein Wolkenbruch auf mich niederginge. Es ist viel zu spät! Mehl als ob ichs jemals erwartet hätte, aber meine Physische Kraft reicht nicht mehr aus, um all den so gut gemeinten Lärm und Andrang zu ertragen. Die Menschen sind nicht klug, zu ihrem Nachteil nicht klug. Der hundertste Teil voll dem, was sie mir jetzt wohlwollend anthun, hätte mich in meinen jungen Jahren vollauf erquickt, mich zu neuer dichterischer Arbeit aufgemuntert, die mir zur Ehre, dem österreichischen Volke zur Freude gereicht hätte." Das vorliegende Schriftchen wird schwerlich über die eigentlich literarischen Kreise hinauskommen; indeß mögen, bis eine Biographie des Dichters alle zer¬ streuten Mitteilungen über Grillparzer vereinigt, die an sich nicht allzu zahl¬ reichen Freunde seiner Muse auf dasselbe aufmerksam gemacht sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/409>, abgerufen am 28.07.2024.