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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Zur Biographie Franz Grillxarzers.

1932, auf das wir vertröstet werden, ist es vielleicht trotz aller wohlbewährten
Papiere unmöglich geworden, die Zustände, in denen Grillparzer leben und sich
entwickeln mußte, lebendig darzustellen. Jetzt, wo die Erinnerung noch frisch und
die Wirkung der Grillparzerscher Dichtungen noch eine unmittelbare ist, fragt
es sich sehr, ob mit allem, was man hat und weiß, nicht ein wertvolles Buch
zu stände zu bringen gewesen wäre, das dein vorhandenen Interesse am Dichter
der "Sappho," der "Medea" und des "Ottokar" vollauf Genüge gethan hätte.

Sowie Herr Fränkl in der angezeigten kleinen Schrift verfährt und wie
mehrere seiner Vorgänger verfahren sind, ist doch nur zweierlei möglich. Ent¬
weder die fragmentarischen Autoren setzen die Kenntnis der Hauptlebensum-
stäude und der wesentlichsten Charakterziige ihres Helden voraus, gleichsam eine
ideale, in der Lust schwebende Biographie, oder sie fühlen, daß diese Voraus¬
setzung außerhalb des Weichbildes von Wien nicht zutrifft, und gehen daher
weit über ihren ursprünglichen Zweck hinaus, nur das persönlich Erlebte und
unmittelbar Erfahrene mitzuteilen. Herr Fränkl schwankt zwischen beiden
Methoden, seine kleinen Mitteilungen nehmen zuerst getrost eine genauere
Kenntnis von Grillparzers Lebens- und Entwicklungsgang beim Leser an;
dann merkt er doch, daß die Sache ein wenig anders liegt, teilt also vieles
Nichterlebte vom Hörensagen und aus gedruckten Berichten mit. Daß dabei auch
Klatsch mitunterläuft, wollen wir dem Verfasser nicht allzuhoch anrechnen. Die
Grenzlinie zwischen der charakteristischen Anekdote und der Medisance, vollends
der Wiener, läuft sehr krumm und ist leicht zu verfehlen. Herr Fränkl scheint
eine ehrliche Begeisterung für Grillparzer zu hegen, merkt aber nicht, daß er zu
Zeiten seinen Helden schädigt. Wenn Grillparzer in seiner hypochondrischen Ver¬
stimmung gelegentlich unberechtigte Äußerungen gethan, so wäre es zweckmäßiger
gewesen, dieselben nicht als Beitrüge zur Kenntnis des Dichters und Menschen
anzusehen. Niemand braucht Wert ans Orden zu legen; wer sie würdevoll wie
Uhland ablehnt, ist in seinem guten Recht. Wer sie aber gern annimmt wie
Grillparzer, wer in Epigrammen seinem Mißmute Luft macht, daß ihm die
Friedensklasse des Ordens?our 1s merits entgangen (was übrigens, nebenbei
gesagt, in der That eine Ungerechtigkeit war), der begeht einfach eine Unart,
wenn er sich, wie S. 60 erzählt wird, äußert: "Als ihm der bairische Michacls-
vrden zugesendet wurde, meinte er: Ich trinke nur Wein, was soll mir das
bairische Vierzeichen?" Solcher Anekdoten wären vielleicht hunderte beizu¬
bringen, denn bekanntlich haften Ausfälle und Bitterkeiten hervorragender
Männer weit besser im Gedächtnis der Mitlebenden, als liebenswürdige, gemüt¬
volle und sinnige Äußerungen und Urteile. Der Freund, welcher dergleichen
erzählt, sollte immer prüfen, womit er Mitteilungen dieser Art aufzuwiegen hat.

Alles in allem hinterlassen auch Herrn Frankls Aufzeichnungen über
Grillparzer denselben Eindruck, den wir schon von früheren Charakteristiken
empfangen haben. Niemand scheint Grillparzer in der Kraft und Frische der


Zur Biographie Franz Grillxarzers.

1932, auf das wir vertröstet werden, ist es vielleicht trotz aller wohlbewährten
Papiere unmöglich geworden, die Zustände, in denen Grillparzer leben und sich
entwickeln mußte, lebendig darzustellen. Jetzt, wo die Erinnerung noch frisch und
die Wirkung der Grillparzerscher Dichtungen noch eine unmittelbare ist, fragt
es sich sehr, ob mit allem, was man hat und weiß, nicht ein wertvolles Buch
zu stände zu bringen gewesen wäre, das dein vorhandenen Interesse am Dichter
der „Sappho," der „Medea" und des „Ottokar" vollauf Genüge gethan hätte.

Sowie Herr Fränkl in der angezeigten kleinen Schrift verfährt und wie
mehrere seiner Vorgänger verfahren sind, ist doch nur zweierlei möglich. Ent¬
weder die fragmentarischen Autoren setzen die Kenntnis der Hauptlebensum-
stäude und der wesentlichsten Charakterziige ihres Helden voraus, gleichsam eine
ideale, in der Lust schwebende Biographie, oder sie fühlen, daß diese Voraus¬
setzung außerhalb des Weichbildes von Wien nicht zutrifft, und gehen daher
weit über ihren ursprünglichen Zweck hinaus, nur das persönlich Erlebte und
unmittelbar Erfahrene mitzuteilen. Herr Fränkl schwankt zwischen beiden
Methoden, seine kleinen Mitteilungen nehmen zuerst getrost eine genauere
Kenntnis von Grillparzers Lebens- und Entwicklungsgang beim Leser an;
dann merkt er doch, daß die Sache ein wenig anders liegt, teilt also vieles
Nichterlebte vom Hörensagen und aus gedruckten Berichten mit. Daß dabei auch
Klatsch mitunterläuft, wollen wir dem Verfasser nicht allzuhoch anrechnen. Die
Grenzlinie zwischen der charakteristischen Anekdote und der Medisance, vollends
der Wiener, läuft sehr krumm und ist leicht zu verfehlen. Herr Fränkl scheint
eine ehrliche Begeisterung für Grillparzer zu hegen, merkt aber nicht, daß er zu
Zeiten seinen Helden schädigt. Wenn Grillparzer in seiner hypochondrischen Ver¬
stimmung gelegentlich unberechtigte Äußerungen gethan, so wäre es zweckmäßiger
gewesen, dieselben nicht als Beitrüge zur Kenntnis des Dichters und Menschen
anzusehen. Niemand braucht Wert ans Orden zu legen; wer sie würdevoll wie
Uhland ablehnt, ist in seinem guten Recht. Wer sie aber gern annimmt wie
Grillparzer, wer in Epigrammen seinem Mißmute Luft macht, daß ihm die
Friedensklasse des Ordens?our 1s merits entgangen (was übrigens, nebenbei
gesagt, in der That eine Ungerechtigkeit war), der begeht einfach eine Unart,
wenn er sich, wie S. 60 erzählt wird, äußert: „Als ihm der bairische Michacls-
vrden zugesendet wurde, meinte er: Ich trinke nur Wein, was soll mir das
bairische Vierzeichen?" Solcher Anekdoten wären vielleicht hunderte beizu¬
bringen, denn bekanntlich haften Ausfälle und Bitterkeiten hervorragender
Männer weit besser im Gedächtnis der Mitlebenden, als liebenswürdige, gemüt¬
volle und sinnige Äußerungen und Urteile. Der Freund, welcher dergleichen
erzählt, sollte immer prüfen, womit er Mitteilungen dieser Art aufzuwiegen hat.

Alles in allem hinterlassen auch Herrn Frankls Aufzeichnungen über
Grillparzer denselben Eindruck, den wir schon von früheren Charakteristiken
empfangen haben. Niemand scheint Grillparzer in der Kraft und Frische der


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[0407] Zur Biographie Franz Grillxarzers. 1932, auf das wir vertröstet werden, ist es vielleicht trotz aller wohlbewährten Papiere unmöglich geworden, die Zustände, in denen Grillparzer leben und sich entwickeln mußte, lebendig darzustellen. Jetzt, wo die Erinnerung noch frisch und die Wirkung der Grillparzerscher Dichtungen noch eine unmittelbare ist, fragt es sich sehr, ob mit allem, was man hat und weiß, nicht ein wertvolles Buch zu stände zu bringen gewesen wäre, das dein vorhandenen Interesse am Dichter der „Sappho," der „Medea" und des „Ottokar" vollauf Genüge gethan hätte. Sowie Herr Fränkl in der angezeigten kleinen Schrift verfährt und wie mehrere seiner Vorgänger verfahren sind, ist doch nur zweierlei möglich. Ent¬ weder die fragmentarischen Autoren setzen die Kenntnis der Hauptlebensum- stäude und der wesentlichsten Charakterziige ihres Helden voraus, gleichsam eine ideale, in der Lust schwebende Biographie, oder sie fühlen, daß diese Voraus¬ setzung außerhalb des Weichbildes von Wien nicht zutrifft, und gehen daher weit über ihren ursprünglichen Zweck hinaus, nur das persönlich Erlebte und unmittelbar Erfahrene mitzuteilen. Herr Fränkl schwankt zwischen beiden Methoden, seine kleinen Mitteilungen nehmen zuerst getrost eine genauere Kenntnis von Grillparzers Lebens- und Entwicklungsgang beim Leser an; dann merkt er doch, daß die Sache ein wenig anders liegt, teilt also vieles Nichterlebte vom Hörensagen und aus gedruckten Berichten mit. Daß dabei auch Klatsch mitunterläuft, wollen wir dem Verfasser nicht allzuhoch anrechnen. Die Grenzlinie zwischen der charakteristischen Anekdote und der Medisance, vollends der Wiener, läuft sehr krumm und ist leicht zu verfehlen. Herr Fränkl scheint eine ehrliche Begeisterung für Grillparzer zu hegen, merkt aber nicht, daß er zu Zeiten seinen Helden schädigt. Wenn Grillparzer in seiner hypochondrischen Ver¬ stimmung gelegentlich unberechtigte Äußerungen gethan, so wäre es zweckmäßiger gewesen, dieselben nicht als Beitrüge zur Kenntnis des Dichters und Menschen anzusehen. Niemand braucht Wert ans Orden zu legen; wer sie würdevoll wie Uhland ablehnt, ist in seinem guten Recht. Wer sie aber gern annimmt wie Grillparzer, wer in Epigrammen seinem Mißmute Luft macht, daß ihm die Friedensklasse des Ordens?our 1s merits entgangen (was übrigens, nebenbei gesagt, in der That eine Ungerechtigkeit war), der begeht einfach eine Unart, wenn er sich, wie S. 60 erzählt wird, äußert: „Als ihm der bairische Michacls- vrden zugesendet wurde, meinte er: Ich trinke nur Wein, was soll mir das bairische Vierzeichen?" Solcher Anekdoten wären vielleicht hunderte beizu¬ bringen, denn bekanntlich haften Ausfälle und Bitterkeiten hervorragender Männer weit besser im Gedächtnis der Mitlebenden, als liebenswürdige, gemüt¬ volle und sinnige Äußerungen und Urteile. Der Freund, welcher dergleichen erzählt, sollte immer prüfen, womit er Mitteilungen dieser Art aufzuwiegen hat. Alles in allem hinterlassen auch Herrn Frankls Aufzeichnungen über Grillparzer denselben Eindruck, den wir schon von früheren Charakteristiken empfangen haben. Niemand scheint Grillparzer in der Kraft und Frische der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/407>, abgerufen am 01.09.2024.