Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Biographie Franz Grillparzers.

G. Wolf, Betel Paoli und andere enthält das Buch wieder nur Beiträge
und zwar durchaus anekdotische, wenn auch nicht ganz unwichtige Beiträge zu einer
künftigen Biographie, Es scheint mehr und mehr Sitte werden zu wollen, daß
über jeden Mann, der eine gute Darstellung seines Lebens und Wirkens verdient
hat, vorher eine ganze Literatur veröffentlicht wird. Wir haben erlebt, daß
bereits ein Dutzend Bücher und Broschüren über Friedrich Rückert erschienen
sind, welche das Interesse, das der Biographie entgegengekommen wäre, vorweg¬
genommen und damit vielleicht die Biographie unmöglich gemacht, jedenfalls
ihrer frischen und ganzen Wirkung beraubt haben. Wir sehen nicht ohne Be¬
denken, daß jetzt das gleiche mit Grillparzer geschieht. Herr L. A. Fränkl mo-
tivirt sein Büchelchen allerdings damit, daß eine psychologisch darstellende Lebens-
beschreibung erst nach dem Jahre 1932 möglich sein werde. Grillparzers Vetter,
Theobald Freiherr von Rizy, habe testamentarisch verfügt, daß viele in seinem
Besitze befindliche Familienpapiere, Tagebuchblätter, Briefe und ungedruckte
Gedichte im Archiv der Stadt Wien niedergelegt und erst nach fünfzig Jahren
entsiegelt werden sollen. "Von den Zeitgenossen des Dichters, denen allenfalls
Züge aus dessen Leben bekannt find, um die Biographie zu ergänzen und reich¬
haltiger zu erklären ssoll wohl heißen: gestalten?^, wird zu der bestimmten Frist
keiner mehr leben, und so scheint es uns als ^ ihre Pflicht, das, was sie mit¬
erlebt, beobachtet und in ihrer Erinnerung bewahrt haben, sür die Zukunft bereit
zu legen. Es ist dies bei Grillparzer umso wünschenswerter, als er ein nach
außenhin wenig erfaßbares, ein nur mehr nach innen gekehrtes Leben geführt
hat." Der Verfasser scheint der Meinung, daß unter diesen Umständen allen
denen, die mit Grillparzer persönlich verkehrt haben, ein Recht erwachse, in einer
besondern Schrift ihre Erinnerungen der Welt anzubieten. Wir möchten denn
doch wünschen, daß einer oder der andre der zahlreichen Freunde sich zu einem
wirklich ausgeführten "vorläufigen" Lebens- und Charakterbilde des Dichters
entschlösse und das zerstreute Material, welches in dieser Fassung nur ver¬
wirrend wirken kann, gehörig ordnete. Es verlautet z. B., daß Heinrich Laube
mit einer größern Biographie des österreichischen Dichters beschäftigt sei, dessen
Dramen er zuerst wieder auf das Wiener Burgtheater zurückgeführt und zu
erneutem Ansehen gebracht hat. Der letzte "jungdeutsche" Schriftsteller besaß
von jeher eine gewisse Dreistigkeit darin, sich an geschichtliche und literargeschicht-
liche Darstellungen zu wagen, ohne sich allzuängstlich um Quellen zu kümmern.
Wenn ihn sämtliche Wiener Autoren, die gleich Herrn Fränkl mancherlei kleine
Züge mitzuteilen haben, gleich andern ungedrucktes Material besitzen, mit ihren
kleinen Beiträgen unterstützten, anstatt diese Beiträge hie und da zu verzetteln,
so würde die Laubesche Biographie und das Publikum gewinnen. So über¬
ragend, von so allgemeiner Bedeutung, daß man nicht genug von ihr erfahren
könnte, war Grillparzers menschliche Erscheinung denn doch nicht; ein wohlaus¬
geführtes biographisches Denkmal aber hat der Dichter verdient. Im Jahre


Zur Biographie Franz Grillparzers.

G. Wolf, Betel Paoli und andere enthält das Buch wieder nur Beiträge
und zwar durchaus anekdotische, wenn auch nicht ganz unwichtige Beiträge zu einer
künftigen Biographie, Es scheint mehr und mehr Sitte werden zu wollen, daß
über jeden Mann, der eine gute Darstellung seines Lebens und Wirkens verdient
hat, vorher eine ganze Literatur veröffentlicht wird. Wir haben erlebt, daß
bereits ein Dutzend Bücher und Broschüren über Friedrich Rückert erschienen
sind, welche das Interesse, das der Biographie entgegengekommen wäre, vorweg¬
genommen und damit vielleicht die Biographie unmöglich gemacht, jedenfalls
ihrer frischen und ganzen Wirkung beraubt haben. Wir sehen nicht ohne Be¬
denken, daß jetzt das gleiche mit Grillparzer geschieht. Herr L. A. Fränkl mo-
tivirt sein Büchelchen allerdings damit, daß eine psychologisch darstellende Lebens-
beschreibung erst nach dem Jahre 1932 möglich sein werde. Grillparzers Vetter,
Theobald Freiherr von Rizy, habe testamentarisch verfügt, daß viele in seinem
Besitze befindliche Familienpapiere, Tagebuchblätter, Briefe und ungedruckte
Gedichte im Archiv der Stadt Wien niedergelegt und erst nach fünfzig Jahren
entsiegelt werden sollen. „Von den Zeitgenossen des Dichters, denen allenfalls
Züge aus dessen Leben bekannt find, um die Biographie zu ergänzen und reich¬
haltiger zu erklären ssoll wohl heißen: gestalten?^, wird zu der bestimmten Frist
keiner mehr leben, und so scheint es uns als ^ ihre Pflicht, das, was sie mit¬
erlebt, beobachtet und in ihrer Erinnerung bewahrt haben, sür die Zukunft bereit
zu legen. Es ist dies bei Grillparzer umso wünschenswerter, als er ein nach
außenhin wenig erfaßbares, ein nur mehr nach innen gekehrtes Leben geführt
hat." Der Verfasser scheint der Meinung, daß unter diesen Umständen allen
denen, die mit Grillparzer persönlich verkehrt haben, ein Recht erwachse, in einer
besondern Schrift ihre Erinnerungen der Welt anzubieten. Wir möchten denn
doch wünschen, daß einer oder der andre der zahlreichen Freunde sich zu einem
wirklich ausgeführten „vorläufigen" Lebens- und Charakterbilde des Dichters
entschlösse und das zerstreute Material, welches in dieser Fassung nur ver¬
wirrend wirken kann, gehörig ordnete. Es verlautet z. B., daß Heinrich Laube
mit einer größern Biographie des österreichischen Dichters beschäftigt sei, dessen
Dramen er zuerst wieder auf das Wiener Burgtheater zurückgeführt und zu
erneutem Ansehen gebracht hat. Der letzte „jungdeutsche" Schriftsteller besaß
von jeher eine gewisse Dreistigkeit darin, sich an geschichtliche und literargeschicht-
liche Darstellungen zu wagen, ohne sich allzuängstlich um Quellen zu kümmern.
Wenn ihn sämtliche Wiener Autoren, die gleich Herrn Fränkl mancherlei kleine
Züge mitzuteilen haben, gleich andern ungedrucktes Material besitzen, mit ihren
kleinen Beiträgen unterstützten, anstatt diese Beiträge hie und da zu verzetteln,
so würde die Laubesche Biographie und das Publikum gewinnen. So über¬
ragend, von so allgemeiner Bedeutung, daß man nicht genug von ihr erfahren
könnte, war Grillparzers menschliche Erscheinung denn doch nicht; ein wohlaus¬
geführtes biographisches Denkmal aber hat der Dichter verdient. Im Jahre


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0406" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154571"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Biographie Franz Grillparzers.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1200" prev="#ID_1199" next="#ID_1201"> G. Wolf, Betel Paoli und andere enthält das Buch wieder nur Beiträge<lb/>
und zwar durchaus anekdotische, wenn auch nicht ganz unwichtige Beiträge zu einer<lb/>
künftigen Biographie, Es scheint mehr und mehr Sitte werden zu wollen, daß<lb/>
über jeden Mann, der eine gute Darstellung seines Lebens und Wirkens verdient<lb/>
hat, vorher eine ganze Literatur veröffentlicht wird. Wir haben erlebt, daß<lb/>
bereits ein Dutzend Bücher und Broschüren über Friedrich Rückert erschienen<lb/>
sind, welche das Interesse, das der Biographie entgegengekommen wäre, vorweg¬<lb/>
genommen und damit vielleicht die Biographie unmöglich gemacht, jedenfalls<lb/>
ihrer frischen und ganzen Wirkung beraubt haben. Wir sehen nicht ohne Be¬<lb/>
denken, daß jetzt das gleiche mit Grillparzer geschieht. Herr L. A. Fränkl mo-<lb/>
tivirt sein Büchelchen allerdings damit, daß eine psychologisch darstellende Lebens-<lb/>
beschreibung erst nach dem Jahre 1932 möglich sein werde. Grillparzers Vetter,<lb/>
Theobald Freiherr von Rizy, habe testamentarisch verfügt, daß viele in seinem<lb/>
Besitze befindliche Familienpapiere, Tagebuchblätter, Briefe und ungedruckte<lb/>
Gedichte im Archiv der Stadt Wien niedergelegt und erst nach fünfzig Jahren<lb/>
entsiegelt werden sollen. &#x201E;Von den Zeitgenossen des Dichters, denen allenfalls<lb/>
Züge aus dessen Leben bekannt find, um die Biographie zu ergänzen und reich¬<lb/>
haltiger zu erklären ssoll wohl heißen: gestalten?^, wird zu der bestimmten Frist<lb/>
keiner mehr leben, und so scheint es uns als ^ ihre Pflicht, das, was sie mit¬<lb/>
erlebt, beobachtet und in ihrer Erinnerung bewahrt haben, sür die Zukunft bereit<lb/>
zu legen. Es ist dies bei Grillparzer umso wünschenswerter, als er ein nach<lb/>
außenhin wenig erfaßbares, ein nur mehr nach innen gekehrtes Leben geführt<lb/>
hat." Der Verfasser scheint der Meinung, daß unter diesen Umständen allen<lb/>
denen, die mit Grillparzer persönlich verkehrt haben, ein Recht erwachse, in einer<lb/>
besondern Schrift ihre Erinnerungen der Welt anzubieten. Wir möchten denn<lb/>
doch wünschen, daß einer oder der andre der zahlreichen Freunde sich zu einem<lb/>
wirklich ausgeführten &#x201E;vorläufigen" Lebens- und Charakterbilde des Dichters<lb/>
entschlösse und das zerstreute Material, welches in dieser Fassung nur ver¬<lb/>
wirrend wirken kann, gehörig ordnete. Es verlautet z. B., daß Heinrich Laube<lb/>
mit einer größern Biographie des österreichischen Dichters beschäftigt sei, dessen<lb/>
Dramen er zuerst wieder auf das Wiener Burgtheater zurückgeführt und zu<lb/>
erneutem Ansehen gebracht hat. Der letzte &#x201E;jungdeutsche" Schriftsteller besaß<lb/>
von jeher eine gewisse Dreistigkeit darin, sich an geschichtliche und literargeschicht-<lb/>
liche Darstellungen zu wagen, ohne sich allzuängstlich um Quellen zu kümmern.<lb/>
Wenn ihn sämtliche Wiener Autoren, die gleich Herrn Fränkl mancherlei kleine<lb/>
Züge mitzuteilen haben, gleich andern ungedrucktes Material besitzen, mit ihren<lb/>
kleinen Beiträgen unterstützten, anstatt diese Beiträge hie und da zu verzetteln,<lb/>
so würde die Laubesche Biographie und das Publikum gewinnen. So über¬<lb/>
ragend, von so allgemeiner Bedeutung, daß man nicht genug von ihr erfahren<lb/>
könnte, war Grillparzers menschliche Erscheinung denn doch nicht; ein wohlaus¬<lb/>
geführtes biographisches Denkmal aber hat der Dichter verdient. Im Jahre</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0406] Zur Biographie Franz Grillparzers. G. Wolf, Betel Paoli und andere enthält das Buch wieder nur Beiträge und zwar durchaus anekdotische, wenn auch nicht ganz unwichtige Beiträge zu einer künftigen Biographie, Es scheint mehr und mehr Sitte werden zu wollen, daß über jeden Mann, der eine gute Darstellung seines Lebens und Wirkens verdient hat, vorher eine ganze Literatur veröffentlicht wird. Wir haben erlebt, daß bereits ein Dutzend Bücher und Broschüren über Friedrich Rückert erschienen sind, welche das Interesse, das der Biographie entgegengekommen wäre, vorweg¬ genommen und damit vielleicht die Biographie unmöglich gemacht, jedenfalls ihrer frischen und ganzen Wirkung beraubt haben. Wir sehen nicht ohne Be¬ denken, daß jetzt das gleiche mit Grillparzer geschieht. Herr L. A. Fränkl mo- tivirt sein Büchelchen allerdings damit, daß eine psychologisch darstellende Lebens- beschreibung erst nach dem Jahre 1932 möglich sein werde. Grillparzers Vetter, Theobald Freiherr von Rizy, habe testamentarisch verfügt, daß viele in seinem Besitze befindliche Familienpapiere, Tagebuchblätter, Briefe und ungedruckte Gedichte im Archiv der Stadt Wien niedergelegt und erst nach fünfzig Jahren entsiegelt werden sollen. „Von den Zeitgenossen des Dichters, denen allenfalls Züge aus dessen Leben bekannt find, um die Biographie zu ergänzen und reich¬ haltiger zu erklären ssoll wohl heißen: gestalten?^, wird zu der bestimmten Frist keiner mehr leben, und so scheint es uns als ^ ihre Pflicht, das, was sie mit¬ erlebt, beobachtet und in ihrer Erinnerung bewahrt haben, sür die Zukunft bereit zu legen. Es ist dies bei Grillparzer umso wünschenswerter, als er ein nach außenhin wenig erfaßbares, ein nur mehr nach innen gekehrtes Leben geführt hat." Der Verfasser scheint der Meinung, daß unter diesen Umständen allen denen, die mit Grillparzer persönlich verkehrt haben, ein Recht erwachse, in einer besondern Schrift ihre Erinnerungen der Welt anzubieten. Wir möchten denn doch wünschen, daß einer oder der andre der zahlreichen Freunde sich zu einem wirklich ausgeführten „vorläufigen" Lebens- und Charakterbilde des Dichters entschlösse und das zerstreute Material, welches in dieser Fassung nur ver¬ wirrend wirken kann, gehörig ordnete. Es verlautet z. B., daß Heinrich Laube mit einer größern Biographie des österreichischen Dichters beschäftigt sei, dessen Dramen er zuerst wieder auf das Wiener Burgtheater zurückgeführt und zu erneutem Ansehen gebracht hat. Der letzte „jungdeutsche" Schriftsteller besaß von jeher eine gewisse Dreistigkeit darin, sich an geschichtliche und literargeschicht- liche Darstellungen zu wagen, ohne sich allzuängstlich um Quellen zu kümmern. Wenn ihn sämtliche Wiener Autoren, die gleich Herrn Fränkl mancherlei kleine Züge mitzuteilen haben, gleich andern ungedrucktes Material besitzen, mit ihren kleinen Beiträgen unterstützten, anstatt diese Beiträge hie und da zu verzetteln, so würde die Laubesche Biographie und das Publikum gewinnen. So über¬ ragend, von so allgemeiner Bedeutung, daß man nicht genug von ihr erfahren könnte, war Grillparzers menschliche Erscheinung denn doch nicht; ein wohlaus¬ geführtes biographisches Denkmal aber hat der Dichter verdient. Im Jahre

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/406
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/406>, abgerufen am 28.07.2024.