Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.Botho von Hülsen und seine Leute. übte und mit einigem natürlichen Kunstgefühl begabte Laie jederzeit. Es erfordert Zu derselben niederdrückenden Entdeckung verhilft uns Herr Schlenther auch Botho von Hülsen und seine Leute. übte und mit einigem natürlichen Kunstgefühl begabte Laie jederzeit. Es erfordert Zu derselben niederdrückenden Entdeckung verhilft uns Herr Schlenther auch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0040" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154205"/> <fw type="header" place="top"> Botho von Hülsen und seine Leute.</fw><lb/> <p xml:id="ID_109" prev="#ID_108"> übte und mit einigem natürlichen Kunstgefühl begabte Laie jederzeit. Es erfordert<lb/> keine geschulte Fachkennerschaft, um zuweilen den geistlosen Ton der Heldenmutter<lb/> oder die „schläfrige Blondheit" der naiven unerquicklich zu finde». Dazu gehört<lb/> nur ein aufmerksames Ohr. Worin sich aber der Kenner vom Laien unter¬<lb/> scheidet, das ist die wohlerwogene Würdigung auch der vielleicht weniger ins<lb/> Ange springenden Vorzüge des Künstlers, die vollkommene Unabhängigkeit des<lb/> Urteils von rein individuellen Sympathien oder Antipathien, und die feinfühlige<lb/> Schätzung des Talents, wo es sich in selbständiger und eigenartiger Weise,<lb/> durch die es den Unkundigen verblüfft oder befremdet, zu erkennen giebt. In<lb/> beiderlei Hinsicht erregt die kritische Methode des Verfassers erhebliche Bedenken<lb/> gegen seine Kompetenz, Wenn er z. B, an der ersten Tragödin der Bühne<lb/> alles Mögliche bemäkelt, sie bald reizlos, bald unhcllenisch modern (als Iphi-<lb/> genie, ein sehr oft angewendeter Gemeinplatz, bei dem sich die meisten, die ihn<lb/> brauchen, absolut nicht klar sind, was er bedeutet), bald endlich schwerblütig<lb/> und ohne Leidenschaft findet, ihr Wärme des Gefühlstons bestreitet und dabei<lb/> behauptet, sie könne Leidenschaft und Empfindung mehr fühlen als von sich<lb/> geben, so muß der Fernstehende sich erstaunt fragen: Wie ist es möglich, daß<lb/> eine so jammervolle Künstlerin, die nichts recht macht, für die Hofbühne engagirt<lb/> werden konnte? Und doch ist sie, die früher die Zierde des Karlsruher Hof-<lb/> theaters und der Liebling des dortigen kunstsinnigen Publikums war, von all<lb/> den Größen, die im Laufe von drei Jahren geprüft und zu leicht befunden<lb/> wurden, unter dem einstimmigen Beifall der Kritik und des Publikums erkoren<lb/> worden, um Fräulein Haverlcmd, die schmerzlich Vermißte, endlich zu ersetzen.<lb/> Was folgt nach Herrn Schlenther hieraus? Daß nicht nur die Regisseure,<lb/> der Generalintendant, die hohen Herrschaften, denen ein Konsultationsvotum<lb/> zusteht, und die sonstigen Berater der Bühuenleitung, sondern auch das Pu¬<lb/> blikum und die Rezensenten nrteilslose Tröpfe sind und alle sich ein beklagens¬<lb/> wertes Armutszeugnis ausstellen, indem sie immer wieder jener Dame<lb/> Lorbeeren spenden, wie es z. B. nur noch vor kurzem erst der Fall war, als<lb/> sie eine neue hochtragische Rolle als Klytämnestra in Siegerts gleichnamiger<lb/> Tragödie schuf und dabei gerade wegen der großartig edeln Leidenschaftlichkeit<lb/> ihrer Spielweise die ungelenke Anerkennung errang.</p><lb/> <p xml:id="ID_110" next="#ID_111"> Zu derselben niederdrückenden Entdeckung verhilft uns Herr Schlenther auch<lb/> durch seine unbarmherzige Strenge, mit der er, ein charakterfester Mann, dem<lb/> leuchtenden Zauber eines schönen Augeupaares trotzend, die Inhaberin desselben,<lb/> die erste tragische Liebhaberin, unter das kritische Messer nimmt. Was ist ihm<lb/> Hekuba? Eine hohle, in sentimentaler Eintönigkeit und in unwahrem Pathos<lb/> schwimmende Reklame für ihre Schneiderin. Reesa, Luise Millerin, die kluge Elfe<lb/> in Wilbrandts „Malern," Eboli — alle diese Rollen sind ihm ebensoviele Bei¬<lb/> spiele ihrer Untauglichkeit! Wieder dieselbe rücksichts- und pietätlose Absprecherei<lb/> eines frühreifen Selbstgefühls, wieder „ein Hieb durch die ganze Visage," wie es</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0040]
Botho von Hülsen und seine Leute.
übte und mit einigem natürlichen Kunstgefühl begabte Laie jederzeit. Es erfordert
keine geschulte Fachkennerschaft, um zuweilen den geistlosen Ton der Heldenmutter
oder die „schläfrige Blondheit" der naiven unerquicklich zu finde». Dazu gehört
nur ein aufmerksames Ohr. Worin sich aber der Kenner vom Laien unter¬
scheidet, das ist die wohlerwogene Würdigung auch der vielleicht weniger ins
Ange springenden Vorzüge des Künstlers, die vollkommene Unabhängigkeit des
Urteils von rein individuellen Sympathien oder Antipathien, und die feinfühlige
Schätzung des Talents, wo es sich in selbständiger und eigenartiger Weise,
durch die es den Unkundigen verblüfft oder befremdet, zu erkennen giebt. In
beiderlei Hinsicht erregt die kritische Methode des Verfassers erhebliche Bedenken
gegen seine Kompetenz, Wenn er z. B, an der ersten Tragödin der Bühne
alles Mögliche bemäkelt, sie bald reizlos, bald unhcllenisch modern (als Iphi-
genie, ein sehr oft angewendeter Gemeinplatz, bei dem sich die meisten, die ihn
brauchen, absolut nicht klar sind, was er bedeutet), bald endlich schwerblütig
und ohne Leidenschaft findet, ihr Wärme des Gefühlstons bestreitet und dabei
behauptet, sie könne Leidenschaft und Empfindung mehr fühlen als von sich
geben, so muß der Fernstehende sich erstaunt fragen: Wie ist es möglich, daß
eine so jammervolle Künstlerin, die nichts recht macht, für die Hofbühne engagirt
werden konnte? Und doch ist sie, die früher die Zierde des Karlsruher Hof-
theaters und der Liebling des dortigen kunstsinnigen Publikums war, von all
den Größen, die im Laufe von drei Jahren geprüft und zu leicht befunden
wurden, unter dem einstimmigen Beifall der Kritik und des Publikums erkoren
worden, um Fräulein Haverlcmd, die schmerzlich Vermißte, endlich zu ersetzen.
Was folgt nach Herrn Schlenther hieraus? Daß nicht nur die Regisseure,
der Generalintendant, die hohen Herrschaften, denen ein Konsultationsvotum
zusteht, und die sonstigen Berater der Bühuenleitung, sondern auch das Pu¬
blikum und die Rezensenten nrteilslose Tröpfe sind und alle sich ein beklagens¬
wertes Armutszeugnis ausstellen, indem sie immer wieder jener Dame
Lorbeeren spenden, wie es z. B. nur noch vor kurzem erst der Fall war, als
sie eine neue hochtragische Rolle als Klytämnestra in Siegerts gleichnamiger
Tragödie schuf und dabei gerade wegen der großartig edeln Leidenschaftlichkeit
ihrer Spielweise die ungelenke Anerkennung errang.
Zu derselben niederdrückenden Entdeckung verhilft uns Herr Schlenther auch
durch seine unbarmherzige Strenge, mit der er, ein charakterfester Mann, dem
leuchtenden Zauber eines schönen Augeupaares trotzend, die Inhaberin desselben,
die erste tragische Liebhaberin, unter das kritische Messer nimmt. Was ist ihm
Hekuba? Eine hohle, in sentimentaler Eintönigkeit und in unwahrem Pathos
schwimmende Reklame für ihre Schneiderin. Reesa, Luise Millerin, die kluge Elfe
in Wilbrandts „Malern," Eboli — alle diese Rollen sind ihm ebensoviele Bei¬
spiele ihrer Untauglichkeit! Wieder dieselbe rücksichts- und pietätlose Absprecherei
eines frühreifen Selbstgefühls, wieder „ein Hieb durch die ganze Visage," wie es
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |