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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die Fabriken und die Großstädte.

aufrichtet, so wird sie wegen einer, Aufschrift nicht in Verlegenheit sein. Mit
freier Anlehnung an Leonore Sanvitalc wird sie den großen Man" sprechen
lassen:


Wir haben dieses Dorf zur Stadt gemacht,
Es ward Berlin durch die Fabriken nrvß.

Und zweitens ist es uns sehr willkommen, daß das "Grvßmachen" der Städte
durch die Fabriken wieder einmal zur Sprache gebracht worden ist. Nicht als
ob wir die Thatsache anzweifeln wollten, daß durch das Anlegen von Fabriken
in den Städten die Vevvlkerungsziffcr der letztern gesteigert und ihre räumliche
Ausdehnung direkt und indirekt erweitert wird. Und solange die meisten Städte noch
dem -- kindlichen -- Ehrgeize fröhnen, tausend, zehntausend oder hunderttausend
Einwohner mehr als gewisse Rivalen nachweisen zu können, müssen sie den
Zuwachs an Fabriken als ein Glück betrachten. Aber nicht einem jeden leuchtet
ein, daß in demselben Prozentvcrhciltnis, wie die Zahl seiner "Mitbürger," auch
sein Wohlsein zunehme. Mancher, unempfindlich gegen das erhebende Gefühl,
Bruchteil einer Million zu sein, gedenkt mit Sehnsucht der Zeit, als er noch
nicht durch Teuerung und verdorbene Luft gezwungen war, seine Wohnung
meilenweit von seinen Geschäftsräumen zu nehmen, als der Besuch bei einem
Freunde noch nicht eine Reise erforderte u. s. w. Wir gehen in unsrer Verstockt¬
heit noch weiter. Wir glauben, die Frage, wie die großen Städte von den
Fabriken zu befreien seien, müsse unverweilt auf die Tagesordnung gesetzt werden,
und danken deshalb Herrn Löwe für die Anregung.

Nahe gelegt wurde uns diese Frage in letzter Zeit nur zu oft, zuletzt durch
die Feuersbrunst in Aachen, welche in einer Fabrik ausgebrochen war und eins
der ehrwürdigsten Bauwerke Deutschlands, die letzte Erinnerung an Karl den
Großen, zu zerstören drohte. Die geistreichen Verteidiger des städtischen Fabrik-
Wesens würden damals gewiß geltend gemacht haben, daß schon verheerende
Brände entstanden seien durch die Unachtsamkeit einer Köchin, die Fett in das
Feuer laufen ließ, oder eines Kammermädchens, welches mit der Flamme den
Vorhängen zu nahe kam, und daß trotzdem niemand die Entfernung der Küche
aus dem Hause verlange oder das Hantiren mit Licht verboten wissen wolle.
Doch wurde damals das Thema überhaupt nicht erörtert, und erschütternde
Katastrophen der mannichfaltigsten Art folgten einander so schnell, daß das
Unglück von Aachen bald gänzlich in Vergessenheit geriet. Es muß aber daran
erinnert werden, daß, was dort geschah, sich täglich wiederholen kann, und daß
oftmals die Verhütung größeren Schadens nicht gelingt. Alles solide Bauen,
alle Vorkehrungen für die Sicherheit gegen Fcnersgefcchr und die vortrefflichsten
Einrichtungen zur Unterdrückung solcher werden ja augenscheinlich aufgehoben
durch die Ansammlung der Etablissements, welche durch Dampfkessel, Schmelz¬
öfen u. s. w- und durch die Massen brennbarer Stoffe zu Stätten unablässiger


Die Fabriken und die Großstädte.

aufrichtet, so wird sie wegen einer, Aufschrift nicht in Verlegenheit sein. Mit
freier Anlehnung an Leonore Sanvitalc wird sie den großen Man» sprechen
lassen:


Wir haben dieses Dorf zur Stadt gemacht,
Es ward Berlin durch die Fabriken nrvß.

Und zweitens ist es uns sehr willkommen, daß das „Grvßmachen" der Städte
durch die Fabriken wieder einmal zur Sprache gebracht worden ist. Nicht als
ob wir die Thatsache anzweifeln wollten, daß durch das Anlegen von Fabriken
in den Städten die Vevvlkerungsziffcr der letztern gesteigert und ihre räumliche
Ausdehnung direkt und indirekt erweitert wird. Und solange die meisten Städte noch
dem — kindlichen — Ehrgeize fröhnen, tausend, zehntausend oder hunderttausend
Einwohner mehr als gewisse Rivalen nachweisen zu können, müssen sie den
Zuwachs an Fabriken als ein Glück betrachten. Aber nicht einem jeden leuchtet
ein, daß in demselben Prozentvcrhciltnis, wie die Zahl seiner „Mitbürger," auch
sein Wohlsein zunehme. Mancher, unempfindlich gegen das erhebende Gefühl,
Bruchteil einer Million zu sein, gedenkt mit Sehnsucht der Zeit, als er noch
nicht durch Teuerung und verdorbene Luft gezwungen war, seine Wohnung
meilenweit von seinen Geschäftsräumen zu nehmen, als der Besuch bei einem
Freunde noch nicht eine Reise erforderte u. s. w. Wir gehen in unsrer Verstockt¬
heit noch weiter. Wir glauben, die Frage, wie die großen Städte von den
Fabriken zu befreien seien, müsse unverweilt auf die Tagesordnung gesetzt werden,
und danken deshalb Herrn Löwe für die Anregung.

Nahe gelegt wurde uns diese Frage in letzter Zeit nur zu oft, zuletzt durch
die Feuersbrunst in Aachen, welche in einer Fabrik ausgebrochen war und eins
der ehrwürdigsten Bauwerke Deutschlands, die letzte Erinnerung an Karl den
Großen, zu zerstören drohte. Die geistreichen Verteidiger des städtischen Fabrik-
Wesens würden damals gewiß geltend gemacht haben, daß schon verheerende
Brände entstanden seien durch die Unachtsamkeit einer Köchin, die Fett in das
Feuer laufen ließ, oder eines Kammermädchens, welches mit der Flamme den
Vorhängen zu nahe kam, und daß trotzdem niemand die Entfernung der Küche
aus dem Hause verlange oder das Hantiren mit Licht verboten wissen wolle.
Doch wurde damals das Thema überhaupt nicht erörtert, und erschütternde
Katastrophen der mannichfaltigsten Art folgten einander so schnell, daß das
Unglück von Aachen bald gänzlich in Vergessenheit geriet. Es muß aber daran
erinnert werden, daß, was dort geschah, sich täglich wiederholen kann, und daß
oftmals die Verhütung größeren Schadens nicht gelingt. Alles solide Bauen,
alle Vorkehrungen für die Sicherheit gegen Fcnersgefcchr und die vortrefflichsten
Einrichtungen zur Unterdrückung solcher werden ja augenscheinlich aufgehoben
durch die Ansammlung der Etablissements, welche durch Dampfkessel, Schmelz¬
öfen u. s. w- und durch die Massen brennbarer Stoffe zu Stätten unablässiger


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[0394] Die Fabriken und die Großstädte. aufrichtet, so wird sie wegen einer, Aufschrift nicht in Verlegenheit sein. Mit freier Anlehnung an Leonore Sanvitalc wird sie den großen Man» sprechen lassen: Wir haben dieses Dorf zur Stadt gemacht, Es ward Berlin durch die Fabriken nrvß. Und zweitens ist es uns sehr willkommen, daß das „Grvßmachen" der Städte durch die Fabriken wieder einmal zur Sprache gebracht worden ist. Nicht als ob wir die Thatsache anzweifeln wollten, daß durch das Anlegen von Fabriken in den Städten die Vevvlkerungsziffcr der letztern gesteigert und ihre räumliche Ausdehnung direkt und indirekt erweitert wird. Und solange die meisten Städte noch dem — kindlichen — Ehrgeize fröhnen, tausend, zehntausend oder hunderttausend Einwohner mehr als gewisse Rivalen nachweisen zu können, müssen sie den Zuwachs an Fabriken als ein Glück betrachten. Aber nicht einem jeden leuchtet ein, daß in demselben Prozentvcrhciltnis, wie die Zahl seiner „Mitbürger," auch sein Wohlsein zunehme. Mancher, unempfindlich gegen das erhebende Gefühl, Bruchteil einer Million zu sein, gedenkt mit Sehnsucht der Zeit, als er noch nicht durch Teuerung und verdorbene Luft gezwungen war, seine Wohnung meilenweit von seinen Geschäftsräumen zu nehmen, als der Besuch bei einem Freunde noch nicht eine Reise erforderte u. s. w. Wir gehen in unsrer Verstockt¬ heit noch weiter. Wir glauben, die Frage, wie die großen Städte von den Fabriken zu befreien seien, müsse unverweilt auf die Tagesordnung gesetzt werden, und danken deshalb Herrn Löwe für die Anregung. Nahe gelegt wurde uns diese Frage in letzter Zeit nur zu oft, zuletzt durch die Feuersbrunst in Aachen, welche in einer Fabrik ausgebrochen war und eins der ehrwürdigsten Bauwerke Deutschlands, die letzte Erinnerung an Karl den Großen, zu zerstören drohte. Die geistreichen Verteidiger des städtischen Fabrik- Wesens würden damals gewiß geltend gemacht haben, daß schon verheerende Brände entstanden seien durch die Unachtsamkeit einer Köchin, die Fett in das Feuer laufen ließ, oder eines Kammermädchens, welches mit der Flamme den Vorhängen zu nahe kam, und daß trotzdem niemand die Entfernung der Küche aus dem Hause verlange oder das Hantiren mit Licht verboten wissen wolle. Doch wurde damals das Thema überhaupt nicht erörtert, und erschütternde Katastrophen der mannichfaltigsten Art folgten einander so schnell, daß das Unglück von Aachen bald gänzlich in Vergessenheit geriet. Es muß aber daran erinnert werden, daß, was dort geschah, sich täglich wiederholen kann, und daß oftmals die Verhütung größeren Schadens nicht gelingt. Alles solide Bauen, alle Vorkehrungen für die Sicherheit gegen Fcnersgefcchr und die vortrefflichsten Einrichtungen zur Unterdrückung solcher werden ja augenscheinlich aufgehoben durch die Ansammlung der Etablissements, welche durch Dampfkessel, Schmelz¬ öfen u. s. w- und durch die Massen brennbarer Stoffe zu Stätten unablässiger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/394>, abgerufen am 01.09.2024.